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Görisried - Ochsenhof 1 im Landkreis Ostallgäu   (1995)

Zum Ochsenhof weist kein Schild. Er liegt von der Außenwelt abgeschnitten in einem Wald zwischen Görisried und Bodelsberg, Landkreis Ostallgäu. Keine Menschen weit und breit. Zur nächsten Bushaltestelle sind es fünf Kilometer, zum nächsten Supermarkt dreizehn.
Für die Menschen aus 25 Nationen steht lediglich ein Münztelefon zur Verfügung, Rückruf unmöglich. Maximale Reichweite: Europa. Das hilft zwei Dritteln der Flüchtlinge nicht. Sie stammen aus anderen Kontinenten und müssen zur nächsten Telefonzelle kilometerlang laufen. Es befinden sich in dieser Kaserne ausschließlich Männer, Durchschnittsalter 29 Jahre.
Frauen und Kindern sei der Ort nicht zuzumuten, räumt selbst Göhs (Direktor des Regierungsbezirks) ein. In den Nächten brüllen sich manche die Seele aus dem Leib. Musik wird so laut aufgedreht, daß es nur noch scheppert und dröhnt. Andere lachen hysterisch. Dazwischen: gespenstische Stille. Vor jedem Sonnenaufgang ertönt um vier Uhr morgens ein beschwörender Gesang. Das ist Akadi, der seine muslimischen Landsmänner zum Gebet ruft. Insgesamt fünfmal am Tag. "Nous sommes des prisonniers ici", Gefangene seien sie, erhitzt sich ein Afrikaner.
Die Auslaufzone des Ostallgäus darf praktisch niemand verlassen. Im Klartext: einen Flecken Erde von weniger als dreißig mal fünfzig Kilometer. Nicht einmal Verwandte dürfen sie seit April besuchen. Außer in Härte- oder Todesfällen. Trotz offener Kasernentore heißt demnach die Botschaft: Schotten dicht. Die Eingänge der Gebäude sind verwüstet, rund 250 Männer müssen sich mit nur fünf durchgängig funktionierenden Duschen abfinden. Phasenweise waren es sogar nur zwei. 
Unzählige Kakerlaken huschen durch Zimmer und Bäder, Abflußrohre werden nicht mehr repariert, Algen haben sich in Wände und Böden gefressen...

aus: Deutsches Sonntagsblatt 22/95