zur Hauptseite                                                 Zusammenfassung  2009

Kürzel-Erklärung

Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und
ihre tödlichen Folgen 
2009

 

1. Januar 09

 

Bad Bentheim in Niedersachsen. Auf der Ladefläche eines Kleintransporters entdeckt die Bundespolizei 12 Flüchtlinge aus Afghanistan. Die acht Jugendlichen im Alter von 13 bis 17 Jahren und vier Männer sind stark unterkühlt und befinden sich in einem schlechten körperlichen Zustand. Die Ladefläche des Kastenwagens ist unbeheizt und Sitze oder Sicherheitsgurte gibt es nicht.

    Vier Flüchtlinge stellen Asylanträge, sieben werden in die Niederlande zurückgeschoben. Ein Mann kommt in Abschiebehaft und soll nach Griechenland abgeschoben werden, weil er dort bereits Asyl beantragt hatte.

    Gegen den 49-jährigen Fahrer des Kastenwagens wird Haftbefehl wegen Einschleusung mehrerer Menschen in die Bundesrepublik, erlassen. Er soll die Flüchtlinge ohne Pause aus Frankreich über Belgien und die Niederlande transportiert haben.

pr-inside.com 9.1.09; dpa 10.1.09

 

12. Januar 09

 

Bad Salzdetfurth im Bundesland Niedersachsen. In der Flüchtlingsunterkunft Am Brudersteig erscheinen um 7.15 Uhr zwei Polizeibeamte an der Tür des im dritten Stock liegenden Zimmers von Arkadin H., um ihn zur Abschiebung abzuholen. Der 27-jährige Armenier öffnet die Tür, weicht dann in die Mitte des Zimmers zurück und richtet ein 10 cm langes Klappmesser gegen seine Halsschlagader. Als die Beamten ihm näher kommen, geht er zum geöffneten Fenster und läßt sich rückwärts gleitend ins Freie fallen. Die Beamten springen nach vorne, und es gelingt ihnen, den Mann zwischen einem Fensterflügel und dem Rahmen einzuklemmen und ihn am Hosengürtel und an einem Bein zu packen. Der Armenier hängt jetzt kopfüber aus dem Giebelfenster und hält sich weiterhin das Messer an den Hals.

    Erst nach längerem Zureden gibt er auf und läßt sich von den Beamten ins Zimmer zurückziehen – hält aber weiterhin das Messer an die Halsschlagader.

    Die Beamten rufen Verstärkung, das Areal um das Flüchtlingsheim wird abgesperrt, Feuerwehr, Rettungswagen und Notärztin erscheinen. Arkadin H. läßt sich auch durch die Gespräche nicht beeinflussen und bedroht sich weiterhin mit dem Messer. In einem Moment der Ablenkung überwältigen ihn die Beamten, nehmen ihm das Messer weg und bringen ihn ins Kommissariat nach Bad Salzdetfurth. Mit einem Funkstreifenwagen erfolgt sein Transport zum Flughafen Frankfurt am Main, von wo er um 15 Uhr in ärztlicher und polizeilicher Begleitung "unter Anwendung unmittelbaren Zwanges" (Abschiebungsbeobachtung FFM) nach Moskau ausgeflogen wird.

    Arkadin H. war im Jahre 2004 mit seinem Bruder in die Bundesrepublik geflüchtet – sein Asylantrag wurde abgelehnt. Im Juni 2007 wurde er wegen Suizidalität in das Landeskrankenhaus Hildesheim eingeliefert. Jedoch nicht die Fachärzte des Krankenhauses, sondern der externe Nervenarzt Prof. Dr. Theo Vogel aus Lüneburg wurde schließlich von der Ausländerbehörde beauftragt, eine Flugfähigkeitsbescheinigung zu erstellen.

Polizei Hildesheim 12.1.09; SZ 13.1.09; HAZ, 13.1.09;

ND 14.1.09; jW 15.1.09; Kehrwieder am Sonntag 18.1.09;

Abschiebungsbeobachtung FFM 2009; FRat NieSa 11.12.09

 

12. Januar 09

 

Flughafen Frankfurt am Main. Ein angstvoll aufgeregter Mann aus dem Landkreis Mayen-Koblenz (Rheinland-Pfalz) soll nach Minsk abgeschoben werden. Er berichtet, daß seine Tochter wegen Multipler Sklerose im Krankenhaus liegt und seine Frau in irgendeinem anderen Krankenhaus – er wisse nicht, in welchem. Der Bundespolizei ist von den beiden genannten Familienangehörigen nichts bekannt.

    Der Mann wird zunehmend verwirrter, und sein psychischer Zustand verschlechtert sich noch mehr, als er ins Flugzeug gebracht wird. Hier weigert er sich zu fliegen. Die Abschiebung wird abgebrochen, und er kommt in Abschiebehaft.

    Es stellt sich heraus, daß sich seine Frau nach einem Suizidversuch und wegen schwerer Depressionen in der Rhein-Mosel-Fachklinik in Andernach befindet und die Tochter in einem anderen Krankenhaus.

    Trotz dieser dramatischen Familiensituation plant die zuständige Ausländerbehörde die Abschiebung der Familie für den 9. Februar 09.

    Erst das Verwaltungsgericht Koblenz stoppt diese geplante Maßnahme mit einer einstweiligen Anordnung wegen Reiseunfähigkeit der Frau.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2009

 

15. Januar 09

 

Um 8.00 Uhr morgens erscheinen vier Männer und vier Frauen an der Wohnung von Nuray Akgün in Hamburg-Veddel in der Harburger Chaussee 107. Sie geben sich als Polizisten und Behördenmitarbeiter aus – einer von ihnen ist Arzt. Sie legen eine Abschiebeanordnung vor und verbieten der kranken und suizid-gefährdeten Frau Akgün zu telefonieren. Sie darf nicht alleine auf die Toilette gehen und muß sich vor den Augen aller Anwesenden um- und anziehen. Das Kofferpacken wird ihr ebenfalls verboten – das tun die Beamten und hinterlassen eine verwüstete Wohnung. Ein Betrag von 2865 Euro, den Nuray Akgün für die Operation ihres 17-jährigen Sohnes über Jahre erarbeitet und erspart hat, wird ihr – bis auf 100 Euro – als Anzahlung für die Abschiebekosten abgenommen. Dann wird sie genötigt, einen Zettel zu unterschreiben, auf dem sie sich verpflichtet, für die Restsumme der Abschiebung von mindestens 4000 Euro aufzukommen.

    Auf dem Hamburger Flughafen darf sie um 10.00 Uhr erstmals eine SMS abschicken – um 11.30 Uhr startet das Flugzeug. In ärztlicher Begleitung erreicht Nuray Akgün Istanbul. Dort übergibt der deutsche Arzt sie einem türkischen Kollegen. Dieser untersucht sie und entläßt sie anschließend.

    Nach einem Weiterflug nach Denizli und einer einstündigen Busfahrt erreicht sie am Abend ihr Dorf Alaatin.

    Nuray Akgün ist krank. Wegen einer kardiologischen und einer psychischen Erkrankung ist sie seit Juni 2008 arbeitsunfähig geschrieben – ihr wurde zuletzt Suizidalität attestiert. In der Türkei hat sie keine Krankenversicherung und wird demzufolge nicht weiter behandelt. Es geht ihr entsprechend schlecht. Sie lebt hier mit ihrem kranken Sohn und ihrer kranken Mutter, die sie – als sie noch in der BRD arbeitete – finanziell unterstützen konnte.

Peter Schumacher - Halstenbek

 

21. Januar 09

 

Flughafen Frankfurt am Main. Eine 65-jährige Frau aus Bosnien-Herzegowina soll nach Sarajevo abgeschoben werden. Sie kommt direkt aus der Abschiebehaft der JVA Neuss, leidet unter Bluthochdruck, was sie anhand ihrer mitgeführten Tabletten nachweisen kann.

    Da die Bundespolizei von der zuständigen Ausländerbehörde nicht über den Krankheitszustand der Frau informiert wurde, kontaktiert sie zunächst den Anstaltsarzt der Haftanstalt und läßt schließlich durch einen Sanitäter den Blutdruck der Frau messen. Bei Bekanntwerden der Blutdruckwerte von 190/100 mmHg wird die Abschiebung abgebrochen. "Die Transportkräfte reagieren unmutig", registriert die Abschiebebeobachtung.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2009

 

24. Januar 09

 

Bundesland Saarland. Am Tag nach seiner Einlieferung in die Abschiebehaftanstalt für Rheinland-Pfalz und Saarland in Ingelheim schneidet sich Mohammad X., ein 29 Jahre alter Kurde aus dem Iran, mit einer Rasierklinge die Pulsader an der linken Hand auf. Er kommt ins Krankenhaus, wird medizinisch versorgt und dann in die Nervenklinik Alzey verlegt.

    Am 27. Januar soll er von hier wieder nach Ingelheim gebracht und von dort abgeschoben werden. Bevor dies geschehen kann, schneidet sich Herr X. in die Halsschlagader, um so die unmittelbar bevorstehende Abschiebung zu verhindern. Er bleibt in der Rheinhessen-Fachklinik Alzey, verweigert fortan das Essen und wird fünf Tage lang mit einer Magensonde zwangsernährt.

    Mohammad X. soll nach dem Dublin-II-Abkommen nach Griechenland zurückgeschoben werden, weil er bei seiner Flucht über dieses Land in die EU einreiste. Weil er die Ausreiseanordnung der griechischen Polizei nicht sofort befolgte, saß er dort zweieinhalb Monate wegen illegalen Aufenthaltes im Gefängnis.

    Im Jahre 2007 versuchte er nach Norwegen zu kommen, wurde allerdings auf dem Flughafen Düsseldorf festgenommen und dann nach Asylantragstellung in ein Flüchtlingsheim verteilt. Aus Angst, doch wieder nach Griechenland zurück zu müssen, machte er sich zwei Monate später auf dem Weg nach Norwegen. In Dänemark wurde er festgenommen, nach Deutschland abgeschoben und landete so im Abschiebegefängnis Rendsburg. Von dort wurde er zwei Wochen später nach Griechenland abgeschoben.

    Er lebte 14 Monate auf der Straße, schlief in Parks und mußte sich von Polizisten verprügeln lassen. Am 24. Juni 08 kehrte er in die Bundesrepublik zurück und wurde mit Depressionen in die Zentrale Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge in Lebach eingewiesen.

    Herr X. nahm verschiedene Angebote im Rahmen der Asylarbeit der Evangelischen Kirchengemeinde Lebach-Schmelz wahr. Er beteiligte sich am Gemeindeleben, konvertierte vom Islam zum Christentum und ließ sich Ende 2008 taufen.

    Am 23. Januar 2009 erfolgte seine Festnahme zur erneuten Abschiebung nach Griechenland.

    Am 11. Februar 09 wird Mohammad X. gegen den Willen der behandelnden Ärzte und die Bitten des evangelischen Krankenhaus-Seelsorgers mit polizeilicher Gewalt aus der Nervenklinik Alzey herausgeholt. Dies gelingt vor allem durch eine Flugfähigkeitsbescheinigung, die ein speziell für diese Aufgabe von der Ausländerbehörde engagierter Arzt ausgestellt hat.

    Auf dem Weg zum Flughafen Frankfurt am Main fügt Mohammad X. sich eine Verletzung der Pulsader im rechten Handgelenk zu. Der ihn begleitende Arzt und der Polizist greifen ein und stoppen diesen dritten Suizidversuch. Mohammad X. gibt schließlich völlig erschöpft seinen Widerstand gegen die Abschiebung auf. Doch bevor er ins Flugzeug gesetzt werden kann, muß die tiefe und stark blutende Wunde mit vier Heften genäht und verbunden werden.

    Bei der Ankunft auf dem Flughafen in Athen wird er von dem begleitenden Polizisten und dem Arzt der griechischen Polizei übergeben, die ihn in das psychiatrische Krankenhaus Dafni bringt, in dem er die nächsten 15 Tage behandelt wird.

    Hier besuchen ihn auf Vermittlung des Lebacher Pfarrers Arnold Löwenbrück ein Arzt von UNHCR, eine Vertreterin von Amnesty International und der Pfarrer der Deutschen Evangelischen Gemeinde Athen. Parallel dazu kann durch Intervention von Pfarrer Löwenbrück und eines Mitarbeiters des Diakonischen Werkes in Ingelheim beim Bundesinnenministerium erreicht werden, daß die Ausreisepflicht des Flüchtlings zurückgenommen wird, und die BRD das Selbsteintrittsrecht im Asylverfahren Mohammad X. ausüben kann. Das Bundesamt für Flüchtlinge in Lebach wird angewiesen, Herrn X. aus Griechenland zurückzuholen.

    Dieser kommt daraufhin nach Lebach zurück, lebt vorübergehend im Pfarrhaus und wartet auf die Entscheidung über seinen Asylfolgeantrag.

    Im Juli 2009 wird Mohammad X. vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) als Flüchtling anerkannt. Nach einem Integrationskurs besucht er ein Studienkolleg, um die deutsche Hochschulreife zu erlangen und sein im Iran begonnenes Studium fortzuführen. Jetzt kann er in der Nähe seiner Schwester und deren Familie leben.

    Der heute 29-Jährige hatte den Iran im Jahre 2006 verlassen müssen, weil er durch seine Mitgliedschaft in der Demokratischen Partei Kurdistan-Iran (DPKI), durch seine politischen Aktivitäten und kritischen Äußerungen zum Islam und zur islamistischen Regierung unter Verfolgungsdruck geraten war.

Bericht des Betroffenen;

Zwischen Traum und Trauma;

Arnold Löwenbrück – Pfarrer i.R.

 

Januar 09

 

Abschiebehaft in Ingelheim in Rheinland-Pfalz. Ein 28 Jahre alter Abschiebegefangener fügt sich mit einer Rasierklinge tiefe Schnittverletzungen am Hals zu, um sich das Leben zu nehmen. Der iranische Kurde kommt in die Rheinhessen-Fachklinik Alzey, und auch hier verletzt er sich, indem er sich ins linke Handgelenk schneidet.

    Während seiner Abschiebung am 11. Februar auf dem Transport zum Flughafen Frankfurt am Main schneidet er sich ins rechte Handgelenk. Diese neue Verletzung wird verbunden – dann erfolgt die Abschiebung in Handschellen und unter Bewachung von vier Polizisten nach Griechenland.

    In Athen kommt der Mann vom Flughafen direkt in die Psychiatrie, wo zunächst die Fäden der etwas älteren Wunden gezogen werden.

    Der Mann war im Jahre 2006 über die Türkei und Griechenland in die BRD geflohen, weil er aufgrund seiner politischen Aktivitäten mit Gefängnis bedroht wurde. Nach abgelehntem Asylantrag erfolgte im Jahre 2007 die erste Abschiebung nach Griechenland. Während seiner 14-monatigen Obdachlosigkeit wurde er dort einmal von Polizisten brutal zusammengeschlagen, um ihn aus der Parkanlage, in der er schlief, zu vertreiben.

    Es gelang ihm die Rückkehr in die BRD, wo er im Jahre 2008 einen zweiten Antrag auf politisches Asyl stellte. Bis zu seiner Inhaftierung im Abschiebegefängnis Ingelheim im Januar 2009 hatte er in der Flüchtlingsunterkunft im saarländischen Lebach gelebt.

    Auch nach seiner zweiten Abschiebung gelingt es ihm, erneut in die BRD zu gelangen, wo er schließlich Ende August 2009 einen Aufenthalt bekommt.

Bericht des Betroffenen;

Schlepper Nr. 48 Sommer 09

 

Januar 09

 

Abschiebegefängnis Rottenburg in Baden-Württemberg. Der Gefangene Herr M. leidet unter Verfolgungsängsten. Geheimdienste seien hinter ihm her, weil er eine Formel für die Verdoppelung der Lebenszeit der Menschen erfunden hätte, erzählt er BesucherInnen des Bündnisses gegen Abschiebehaft Tübingen. Ein anderes Mal berichtet er, daß er das Geheimnis des Baumaterials der Pyramiden entschlüsselt habe. Er hat massive Stimmungsschwankungen, mal niedergeschlagen, mal euphorisch, mal panisch und voller Angst, dann wieder entspannter. Er ist offensichtlich psychisch krank. Trotzdem wird er aus der Abschiebehaft heraus abgeschoben.

Schattenbericht Rottenburg 2008/2009;

Schattenbericht Abschiebehaft 2010

 

11. Februar 09

 

In der Hamburger JVA Fuhlsbüttel begeht der 29 Jahre alte Abschiebegefangene S.V. aus Serbien einen Suizidversuch, indem er sich mit einem selbstgebastelten Schneidewerkzeug eine tiefe Schnittwunde am Hals beibringt.

Hamburgische Bürgerschaft DS 20/469;

BT DS 17/10596;

BT DS 17/10597

 

18. Februar 09

 

Bundesland Baden-Württemberg. In einem Flüchtlingsheim in Holzbachtal bei Langenalb bricht kurz vor Mitternacht ein Feuer im Aufenthaltsraum aus. Sehr schnell entwickelt sich so starker Rauch, daß die 12 anwesenden BewohnerInnen versuchen, ins Freie zu gelangen. Fünf Personen klettern in ihrer Angst durch ein Fenster auf das eisgefrorene Dach des Nachbarhauses, wo sie barfuß und in Schlafkleidung ausharren, bis sie mit einer Drehleiter der Feuerwehr gerettet werden können.

    Zwei Frauen im Alter von 21 und 31 Jahren und ein 3-jähriges Kind kommen mit leichten Rauchvergiftungen ins Krankenhaus. Den 59 Rettungskräften aus den umliegenden Feuerwehren gelingt es rasch, den Schwelbrand zu löschen und das Gebäude zu entrauchen.

    Durch die Ermittlungen wird festgestellt, daß der Zugang zu der Unterkunft durch eine ständig offene Eingangtür möglich war und daß Unbekannte die Vorhänge im Aufenthaltsraum entflammt haben. Eine "fremdenfeindlich motivierte Tat" wird jedoch derzeit ausgeschlossen.

Polizei Pforzheim 19.2.09;

PZ 19.2.09; PZ 20.2.09

 

22. Februar 09

 

Halle in Sachsen-Anhalt. Als ein 28 Jahre alter Asylbewerber aus Burkina Faso an diesem Sonntagnachmittag um 15.40 Uhr die Straßenbahn an der Beesener Straße verläßt, wird er von zwei alkoholisierten Männern aus einer Gruppe von HFC-Fans massiv angegriffen. Nach verbalen Beleidigungen bekommt er zunächst einen Tritt von hinten gegen die Beine, und als er sich umdreht, trifft ihn eine Faust mitten ins Gesicht. Mit einem 4 kg schweren Stein wird ihm ein Schlag in den Nacken versetzt.

    Die von der Straßenbahnfahrerin gerufene Polizei nimmt die beiden 29 und 37 Jahre alten Täter vorläufig fest. Die Polizei ist mit acht Beamten vor Ort – versäumt es allerdings, die Personalien weiterer ZeugInnen aufzunehmen, obwohl sich noch zehn Fahrgäste in der Bahn aufhalten.

    Der ältere Angreifer bleibt in Untersuchungshaft, da gegen ihn bereits ein Haftbefehl vorliegt.

    Der Asylbewerber muß seine Verletzungen im Krankenhaus ambulant behandeln lassen.

    Am 24. August 10 stehen die beiden Täter aus Neustadt wegen gefährlicher Körperverletzung vor dem Amtsgericht Halle. Nach vier Verhandlungstagen endet der Prozeß am 19. Oktober mit Freisprüchen aus Mangel an Beweisen.

MDZ 23.2.09;

ddp 23.2.09; HalleForum.de 23.2.09;

MDZ 24.8.10;

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt Nr. 32/2010

 

Februar 09

 

Abschiebegefängnis Rottenburg in Baden-Württemberg. Nach eineinhalb Monaten Haft wird der 25 Jahre alte John E. nach Gambia abgeschoben und damit von seinem zwei Jahre alten Sohn getrennt.

    Als Mitglied der United Democratic Party (UDP) und als kritischer Journalist war John E. ins Visier der Verfolger geraten. Er wurde in Gambia inhaftiert, mit Elektroschocks gefoltert und kam dann ins Militärgefängnis.

    Nach seiner Freilassung floh er nach Senegal, arbeitete hier journalistisch, bis er aus berechtigter Angst vor weiterer Verfolgung wieder außer Landes floh und im November 2002 in Frankfurt am Main ankam. Er beantragte Asyl und kam nach Süddeutschland in eine Unterkunft. Aufgrund seiner traumatisierenden Erlebnisse in Gambia mußte er sich seit 2003 in psychologische Behandlung begeben.

    Als seine Freundin und Mutter seines Kindes eine Strafanzeige wegen Körperverletzung gegen ihn stellte, wurde diese mit dem Hinweis auf die bevorstehende Abschiebung eingestellt.

    Die dann geplante Abschiebung scheiterte, weil sich die Besatzung des Flugzeuges geweigert hatte, ihn mitzunehmen. Danach war John E. nach Rottenburg gekommen.

Bündnis gegen Abschiebehaft Rottenburg/Tübingen;

SWP 15.2.09

 

Februar 09

 

Landkreis Mayen-Koblenz im Bundesland Rheinland-Pfalz. Als Beamte der Ausländerbehörde in die Wohnung der Familie S. kommen, um die Abschiebung durchzusetzen, erleidet Frau S. einen Nervenzusammenbruch und kommt umgehend in die Psychiatrie.

    Die Abschiebung von Herr S. wird bis zum Flughafen Frankfurt fortgesetzt – dort muß sie allerdings aufgrund eines erfolgreichen Eilantrags seines Rechtsbeistandes abgebrochen werden. Herr S. kommt von dort ins Abschiebegefängnis Ingelheim.

    Die Familie aus Weißrußland war im Jahre 2001 in die BRD eingereist – ihre Asylanträge und weitere Folgeanträge waren allesamt abgelehnt worden.

     Obwohl sich die Tochter des Ehepaares mit einer schwerwiegenden Erkrankung in klinischer Behandlung befindet und ärztliche Stellungnahmen sich dagegen aussprachen, hatte die Ausländerbehörde die Abschiebung beschlossen.

    Herr S. wird aufgrund eines Eilantrages vor Gericht nach drei Wochen aus der Abschiebehaft entlassen.

epd 4.6.10;

Ökumenische Beratungsstelle Ingelheim

 

2. März 09

 

Bundesland Baden-Württemberg. Als der 17 Jahre alte afghanische Flüchtling Ahmet X. am Flughafen Stuttgart mit dem Flug OA 191 aus Athen kommend in die Bundesrepublik einreist und um Asyl bittet, wird er von der Bundespolizei umgehend festgenommen. Der von ihm vorgelegte rumänische Personalausweis, der ihm von einem Fluchthelfer gegeben wurde, ist der Vorwand für sofortige Untersuchungshaft in Stuttgart-Stammheim. Obwohl er am 27. März seinen Asylantrag wiederholt, bleibt er in Haft – das Jugendamt wird nicht informiert.

    Am 2. Juli wird der Jugendliche vom Amtsgericht Nürtingen (Jugendschöffengericht) wegen Urkundenfälschung, Beschaffens von falschen amtlichen Ausweisen und unerlaubter Einreise zu einer Jugendstrafe von sechs Monaten ohne Bewährung verurteilt, "da die Schwere der Tat zu bejahen ist". Eine Bewährungsstrafe "kam in Anbetracht der persönlichen Umstände des Angeklagten nicht in Betracht. Er hat in Deutschland keinerlei Hinwendungsort oder soziale Bindungen", so die Richterin Astrid Hagen in der Urteilsbegründung. Auch der Pflichtverteidiger des Jugendlichen, Rechtsanwalt Sebastian Dzuba, beantragt – entgegen seiner eigentlichen Aufgabe – die ausgeurteilte Strafe von sechs Monaten zu verhängen.

    Ahmet X. hatte Afghanistan verlassen müssen, weil sein Stiefvater, ein hoher Offizier der Taliban, ihn bei Todesandrohung und mit körperlicher Gewalt zwingen wollte, als Opium-Kurier zu arbeiten. Ahmet X., dessen leibliche Eltern beide tot sind, gelang dann die Flucht zusammen mit zwei Freunden und mit Hilfe von Fluchthelfern außer Landes. Über den Iran, Irak, die Türkei und Griechenland kamen sie bis nach Stuttgart.

    In der JVA Stuttgart-Stammheim geht es dem Jugendlichen zunehmend schlechter. Die Unwissenheit über die Dauer der Haft macht ihm schwer zu schaffen – er fängt an, sich zu schlagen, seinen Kopf gegen die Wand zu rammen und sich zu verletzen. Er wird mehrmals mehrere Wochen ins Haftkrankenhaus Hohenasperg verlegt, und obwohl er deutliche Symptome einer schweren Traumatisierung zeigt, verordnen die behandelnden Psychiater ausschließlich Medikamente zur Ruhigstellung.

    Am 10. August weist das Regierungspräsidium Karlsruhe den Jugendlichen aus der BRD mit der Begründung aus, daß sein Asylantrag unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter abgeschlossen ist und daß aufgrund "der offenbarten kriminellen Energie" von einer "Wiederholungsgefahr" ausgegangen werden kann.

    Am 1. September wird der Jugendliche nach sechs Monaten Gefangenschaft aus der Haft entlassen.

    Eine Woche später erhebt er selber Anklage wegen der vielen Rechtsbrüche, die sich Gerichte und Ausländerbehörde zuschulden kommen ließen.

    Am 2. März 2010 legt die Trauma-Ambulanz Stuttgart eine fachärztliche Bescheinigung vor, in der beschrieben wird, daß der Jugendliche an einem schweren depressiven Syndrom und einer dissoziativen Störung auf dem Boden einer schweren, von traumatisierenden Ereignissen geprägten Störung der Persönlichkeitsentwicklung leidet. Die medikamentelle Ruhigstellung des Patienten durch die Gefängnis-Psychiater angesichts der schweren und auffälligen Symptome wird mit den Worten kommentiert: "unter fachlichen und ethischen Gesichtspunkten nicht nachvollziehbar".

    Am 16. März erklärt das Verwaltungsgericht Stuttgart den Ausweisungsbeschluß des Regierungspräsidiums Karlsruhe für "rechtswidrig" und "ermessensfehlerhaft" und die Begründung dafür als "höchst zweifelhaft".

    Ahmet X. erhält schließlich eine Aufenthaltserlaubnis nach § 60 Abs. 7 (Abschiebeverbot).

Der Teckbote 7.11.09;

swr International Wochenrückblick 28.12-31.12.09;

AG Nürtingen Urteil; VG Stuttgart Urteil 16.3.10;

ANA-ZAR Heft 3/2010; ANA-ZAR Heft 4/2010;

Antirassistische Initiative Berlin

 

2. März 09

 

Bundesland Baden-Württemberg. Zusammen mit dem 17 Jahre alten afghanischen Flüchtling Ahmet X. (siehe oben) werden auch der 16 Jahre alte Afghane Amanula R. und ein weiterer Jugendlicher am Flughafen Stuttgart nach der Ankunft mit dem Flug Nummer OA 191 aus Athen von der Bundespolizei festgenommen, obwohl auch sie um Asyl gebeten haben. Sie kommen umgehend in Untersuchungshaft und werden dann vom Amtsgericht Nürtingen (Richterin Astrid Hagen) wegen unerlaubter Einreise und gefälschter Papiere zu zwei und drei Monaten Haft verurteilt.

    Erst nach anwaltlicher Intervention kommen die Jugendlichen im Juni aus der JVA Stuttgart-Stammheim heraus und werden im Kirchheimer Flüchtlingswohnheim untergebracht. In seinem Schreiben an das Regierungspräsidium Stuttgart prangert Rechtsanwalt Jürgen Balbach die Unterbringung von Minderjährigen in einer Strafanstalt mit angeschlossenem Hochsicherheitstrakt an. Er schreibt ferner: "Ich halte weiter fest, daß Ihr Verhalten gegenüber einem 16-Jährigen nicht nur die Genfer Konvention verletzt, sondern auch das Minderjährigenschutzabkommen."

    Die Richterin Astrid Hagen verteidigt sich gegen die aufkommenden Vorwürfe wie folgt: Da die Jugendlichen ihre gefälschten Pässe benutzt haben, hätten sie sich strafbar gemacht. Die Staatsanwaltschaft stelle in solchen Fällen in der Regel den Antrag, den Beschuldigten in Untersuchungshaft zu nehmen. Gleichzeitig werde aber das Jugendamt informiert, um eine Haft zu vermeiden. Die Richterin gibt dann zu, das Jugendamt in diesem Falle nicht informiert zu haben.

Der Teckbote 7.11.09;

swr International Wochenrückblick 28.12-31.12.09;

Antirassistische Initiative Berlin

 

2. März 09

 

Berliner Bezirk Friedrichshain. Vor der Kirche der Galiläa-Samariter-Kirchengemeinde postieren sich Polizisten, um einen 26 Jahre alten Tschetschenen festzunehmen, der hier seit dem 12. Februar im Kirchenasyl ist.

    Die anwesenden Gemeindemitglieder informieren über eine Telefonkette weitere Menschen, die Kirchenglocken läuten, und in kürzester Zeit wird ein spontaner Gottesdienst organisiert, an dem 40 Menschen teilnehmen. Dadurch kann die Festnahme verhindert werden – der Tschetschene bleibt in der Kirche. Zu seinem Schutz kommen jetzt viele UnterstützerInnen hinzu und bleiben Tag und Nacht bei ihm. Die Kirche verwandelt sich abends in ein buntes Bettenlager.

    Der Tschetschene war im November 2007 mit seiner Mutter und seiner Schwester zunächst nach Polen geflohen, wohin er jetzt auch zurückgeschoben werden soll. In der Hoffnung auf eine bessere medizinische Versorgung kam er allein im Juni 2008 in die BRD und stellte Anfang Juli einen Asylantrag. Er ist durch mehrfache Verhaftungen, Folter und Verfolgung schwer traumatisiert und leidet unter Magen- und Darmgeschwüren und schwerer Blutarmut infolge innerer Blutungen. Sein Vater, ein Oppositioneller, wurde ermordet.

    Dies ist nicht der erste Versuch, den Tschetschenen festzunehmen, und nach langen Verhandlungen mit dem Innensenat stimmt dieser einer amtsärztlichen Untersuchung des Flüchtlings in den Räumen der Kirche zu. "Der Betroffene ist weder reise-, noch verwahr-, noch flugfähig", so der Kommentar der Polizeisprecherin.

    Erstmals kann der gläubige Muslim jetzt die Kirche verlassen und im Krankenhaus behandelt werden. Aus Angst vor weiteren Festnahmeversuchen und zur Unterstützung des Mannes bleibt auch hier die Gemeinde-Seelsorgerin Edeltraut Pohl an seiner Seite.

    Im Sommer 2010 ist sein Asylbegehren in der Bundesrepublik positiv entschieden worden.

taz 3.3.09; dradio 4.3.09; BM 4.3.09;

Ev. Galiläa-Samariter-Kirchengemeinde 6.3.09; BM 6.3.09;

taz 7.3.09; Welt 7.3.09; TS 7.3.09;

Der Schlepper Nr. 51/2 Sommer 2010

 

5. März 09

 

Flüchtlingsunterkunft im Transitbereich des Flughafens Frankfurt am Main in Cargo City Süd, Gebäude C 587. Eine 17-jährige Asylbewerberin aus Kamerun wird wenige Tage nach ihrer Ankunft von Entscheidern des Bundesamtes (BAMF) verhört. Sie ist hochschwanger, und der heutige Tag ist ihr errechneter Niederkunftstag.

    In früheren insistierenden Verhören hatte sie angegeben, daß sie aus einem Kinderheim heraus an russische Bordell-Besitzer verkauft worden sei. Nach einer Vergewaltigung war sie aus Kamerun geflohen.

    Ohne Rücksicht auf die Traumatisierung und den gesundheitlichen Zustand der Minderjährigen wird ein neuer Verhörtermin – wiederum im Beisein von Männern – für den 10. März festgelegt. Allein durch das Bekanntwerden dieser Menschenrechtsverletzungen (Mutterschutz, Minderjährigenschutz, Opferschutz) lenkt das Bundesamt ein und gewährt am 10. März die Einreise in die BRD. Die Frau kommt umgehend ins Krankenhaus, wo die Geburt eingeleitet werden kann.

FR 11.3.09; Welt 11.3.09; hr 11.3.09;

Pro Asyl 12.3.09; FR 13.3.09; FR 14.3.09;

BaZ 6.9.10

 

7. März 09

 

Bundesland Brandenburg. Im Flüchtlingsheim Seefichten in Frankfurt (Oder) bedroht ein 38 Jahre alter irakischer Flüchtling um 21.00 Uhr einen Wachmann und einen Mitbewohner aus Kamerun. Als Polizisten eintreffen, hält er diesen ein großes Küchenmesser entgegen und verschanzt sich dann mit den Bedrohten in seinem Zimmer.

    Durch den Einsatz eines Sondereinsatzkommandos wird der Mann um 0.45 Uhr überwältigt.

    Der Iraker ist psychisch krank und schon mehrmals gewalttätig geworden. Da bislang nicht geklärt ist, ob er schuld-fähig ist, wird er nach einem Tag Haft wieder freigelassen, so daß er ins Heim zurückkehren muß.

    Eine medizinische Einrichtung in Fürstenwalde lehnt seine Behandlung aufgrund seiner Gefährlichkeit ab, so daß er weiterhin im Heim leben muß.

    Die Angst der BewohnerInnen vor dem psychisch Kranken ist schließlich der Anlaß für einen offenen Brief, den sie an die politisch Verantwortlichen in der Stadtverordnetenversammlung schreiben. Sie kritisieren die "unmenschlichen Zustände", die sie zwingen, über viele Jahre im Heim wohnen zu müssen. Sie beschreiben, daß das enge Zusammenleben dort zu vielen Konflikten untereinander führt und in Folge ihrer Verfolgungs- und Fluchterlebnisse bei einigen zu schweren Traumatisierungen führt. Sie fordern eine dezentrale Unterbringung in Wohnungen.

    Ende Mai kündigt der Sozialausschuß der Stadt Frankfurt an, daß fortan AsylbewerberInnen in Wohnungen untergebracht werden sollen und Pläne für die Auflösung des Flüchtlingsheimes gemacht würden. Familien mit Kindern könnten sofort ausziehen.

    Auch im Januar 2010 ist die Schuldfähigkeit des irakischen Flüchtlings noch nicht geklärt – er befindet sich jedoch in einer Klinik.

dpp 7.3.09; MOZ 19.3.09; MOZ 31.3.09;

MOZ 6.4.09, ND 11.4.09; NK 17.4.09;

FRat Brbg April 09; MOZ 29.5.09

 

12. März 09

 

Bundesland Bayern. Als der 32-jährige tunesische Asylbewerber um 0.30 Uhr bei einer polizeilichen "Routinekontrolle" am Regensburger Arnulfplatz nach seinen Papieren gefragt wird, ergreift er die Flucht und versteckt sich in der Nähe des Eisernen Stegs am Donauufer hinter einem Busch. Die Beamten entdecken ihn dort und fordern ihn auf herauszukommen. Der Tunesier erhebt sich, dreht sich jedoch um und springt dann in das eiskalte und stockdunkle Wasser.

    Einer Polizistin gelingt es erst nach einigen Minuten, den Mann soweit zu überreden, daß er sich wieder aus dem Wasser ziehen läßt. Zu diesem Zeitpunkt ist er bereits völlig unterkühlt und bewegungsunfähig. Er hatte sich an einem verhakten Stück Treibholz festhalten können. Er wird umgehend in eine Regensburger Klinik gebracht.

    Der Grund seiner Panikreaktion bei der Kontrolle war sein Wissen um die Verletzung der Residenzpflicht. Als Flüchtling, der in der Nähe von Dresden gemeldet ist, darf er sich nicht ohne Genehmigung der Behörde in Bayern aufhalten. Er bekommt eine Anzeige wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz.

Donaupost 14.3.09;

Radio Charivari 17.3.09;

Polizei Bayern 17.3.09;

MbZ 19.3.09

 

14. März 09

 

Bundesland Niedersachsen. Die Roma-Familie Gjelay läßt sich auf das Rückkehrer-Programm der Bundesregierung ein und geht – aufgrund der Aussichtslosigkeit für einen weiteren Aufenthalt – "freiwillig" in den Kosovo zurück.

    Frau Gjelay war vor 19 Jahren mit ihrem damals 2-jährigen Sohn Granit in die BRD geflüchtet. Ihre Söhne Trim, der im Rollstuhl sitzt, und Alban, der geistig schwer behindert ist und jahrelang in einem Heim gelebt hat, sind beide in Deutschland geboren.

    In der Perandori Dioklician 14 in Prishtina suchen sie Hilfe beim Referat für Migration und Integration, das von der deutschen Arbeiterwohlfahrt (AWO) geleitet wird.

    Die zur Zeit noch von der zuständigen Ausländerbehörde in Niedersachsen gezahlte Miete für eine Wohnung läuft demnächst aus. Dann wäre der 21-jährige Granit Gjelay der Einzige, der für den weiteren Lebensunterhalt der Familie sorgen könnte, was ihm - angesichts der fast 100%-igen Arbeitslosigkeit für Roma im Kosovo – schwerfallen wird.

Hilpoltsteiner Ztg 7.11.09

 

15. März 09

 

Bundesland Brandenburg. Einem kenianischen Flüchtling wird morgens am Rathenower Bahnhof von zwei Männern Reizgas ins Gesicht gesprüht. Dann schlagen die Täter mit einem Knüppel auf den Afrikaner ein und beleidigen ihn unter anderem mit den Worten "Nigger, was machst du hier, geh zurück nach Hause!"

    Allein durch das Eingreifen eines Bekannten wird der Angriff unterbrochen. Der circa 45 Jahre alte Kenianer erleidet Verletzungen am Kopf und an den Armen.


    Nach einer Notfallbehandlung im Krankenhaus muß er sich anschließend von seinem Hausarzt und von einem Augenarzt weiter behandeln lassen. Er erstattet Anzeige.

Opferperspektive

 

22. März 09

 

Bundesland Hessen. Gegen 23.30 Uhr verwehren Türsteher des Clubs "Caramel" in Kassel einem 17 Jahre alten Flüchtling aus Sierra Leone den Eintritt mit der Bemerkung, daß ihr Chef keine Schwarzen im Club erlaube. Dann beginnt einer der Türsteher, den Jugendlichen zu schubsen. Als dieser darum bittet, damit aufzuhören, denn er werde auch sofort gehen, bekommt er einen Schlag direkt ins Gesicht.

    Der Jugendliche ruft die Polizei, und die Beamten raten ihm, ins Krankenhaus zu gehen. Dort läßt er sich die Gesichtsverletzung (Bluterguß) attestieren und geht mit dem Zettel in der Hand noch in derselben Nacht zur Polizeiwache. Die Beamten versichern ihm, daß sie den Täter aufsuchen werden.

    Zwei Wochen später wird der Jugendliche von der Polizei aufgefordert, den Täter auf einem Foto zu identifizieren. Allerdings raten sie ihm auch, von einer Anzeige abzusehen, weil es sich um einen ersten Vorfall handele.

Bericht des Betroffenen

 

23. März 09

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Eine psychisch kranke Frau, die wahrscheinlich Opfer von Menschenhandel ist, wird trotz laufenden Verfahrens mit ärztlicher Begleitung nach Georgien abgeschoben. Sie war 25 Tage lang in der Abschiebehaft und sprach immer wieder von ihrem minderjährigen Kind in einem belgischen Kinderheim.

Jesuiten-Flüchtlingsdienst

 

Ende März 09

 

Nach vierjähriger Trennung der syrischen Familie Schamoun innerhalb der BRD konnte nur aufgrund einer Öffentlichkeitskampagne und der Entscheidung der Härtefallkommission dieser unmenschliche Zustand beendet werden.

Da die katholisch-christliche Familie in Syrien durch arabische Muslime und Mitglieder der Al Baath-Partei verfolgt wurde, entschloß sie sich, außer Landes zu fliehen. Frau Naema Schamoun kam im Jahre 2003 mit ihrer damals 11-jährigen Tochter Mirian und dem 13-jährigen Sohn Paul in die BRD. Die drei wurden im bayerischen Kempten untergebracht. Ihrem Mann Noel Schamoun und der damals 15-jährigen Ritta gelang erst 2005 die Flucht – sie wurden als Flüchtlinge nach Freudenstadt (Baden-Württemberg) umverteilt und kamen dort auch nicht mehr weg.

    Jahrelange Anstrengungen, die Familie innerhalb der BRD zusammenzuführen, schlugen fehl. Die Ausländerbehörde in Freudenstadt argumentierte, daß in Kempten drei Personen seien, also sollten der Vater und die älteste Tochter nach Kempten ziehen dürfen. Die Ausländerbehörde Kempten blockierte dies allerdings mit der Bedingung, daß die beiden erst nach Kempten ziehen dürften, wenn sie syrische Pässe vorlegen würden. Das Vorlegen von Pässen würde den Behörden die seit langem angedrohte Abschiebung allerdings erst möglich machen. Zudem kommentierte die Ausländerbehörde Kempten, daß die Eheleute und die Kinder Ritta und Paul ohnehin abgeschoben werden sollen.

    Durch die jahrelange Familientrennung und die ständige Bedrohung durch die Abschiebung leidet die zuckerkranke Naema Schamoun inzwischen unter Depressionen, Bandscheibenvorfällen und Angstattacken. Sie ist hilfebedürftig und wird im Alltag von ihren Kindern unterstützt.

FRat Bayern; JOG Bayern

 

März 09

 

Flughafen Frankfurt am Main. Nur durch ihre strikte Weigerung kann eine Syrerin unmittelbar vor ihrer Abschiebung verhindern, daß sie mit ihren beiden Kindern und ohne den Mann ausgeflogen wird.

    Ihre beiden Kinder sind in Deutschland geboren und gehen hier zur Schule.

    Sie war mit ihren acht und zehn Jahre alten Söhnen morgens überraschend von der Polizei abgeholt worden. Ihr Mann war zur Arbeit in einer anderen Stadt.

    Nach dieser mißglückten Abschiebung wird der Ehemann umgehend in Abschiebehaft genommen, und einige Wochen später wird die gesamte Familie in polizeilicher Begleitung nach Damaskus abgeschoben.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2009

 

2. April 09

 

Sundern in Nordrhein-Westfalen. Morgens um 5.00 Uhr stehen 20 Beamte vor der Tür und haben das Haus umstellt, denn Familie Khudinyan soll nach Armenien abgeschoben werden. Die Eheleute Melanie und David werden mit ihren drei Söhnen, dem 7-jährigen Daniel, dem 15-jährigen Johann und dem 18-jährigen Sakis zum Flughafen Frankfurt am Main gebracht. Dort verschlechtert sich der Gesundheitszustand von Herrn Khudinyan so dramatisch, daß er mit dem Notarzt ins Kran-kenhaus kommt und die Abschiebung abgebrochen werden muß.

    David Khudinyan ist schwer traumatisiert, hatte schon viermal versucht, sich umzubringen, und durch die Angst vor der erneut drohenden Abschiebung war er bereits in der Landesklinik Hemer stationär behandelt worden.

    Im August wird David Khudinyan in einem Büro der Ausländerbehörde Meschede von dem Psychiater Dr. Müldner untersucht. Dieser – von der Ausländerbehörde aus Weinheim in Baden beauftragte  ‑ Fachmann kommt zu dem Schluß, daß Herr Khudinyan reisefähig ist und in ärztlicher Begleitung abgeschoben werden kann. Die Schlußfolgerung des Psychiaters: Im Heimatland werde sich zeigen, ob David Khudinyan überlebt oder nicht.

    Die Gutachten des Dr. Müldner sind seit langem umstritten. Im Rhein-Neckar-Kreis hat der 78-Jährige deshalb seit fünf Jahren keine Gutachten mehr erstellt. Im Jahre 2004 hatte das Darmstädter Verwaltungsgericht ihn in einem anderen Falle gerügt, weil er nicht mit der "gebotenen Unabhängigkeit" an die Begutachtung einer Frau herangegangen war. Auch konnte der Gutachter dem Gericht nicht darlegen, "dass er sich bei der Überprüfung der Klägerin im Hinblick auf das Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung an den entsprechenden Standards für ärztliche psychotherapeutische Stellungnahmen orientiert hatte." Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Stadtrat Sundern und die Sauerländer Bürgerliste (SBL) fordern den Hochsauerlandkreis jetzt erneut auf, sich der Fachärzte als Gutachter zu bedienen, die von der Landesärztekammer bzw. dem Innenministerium für diese Aufgabe vorgeschlagen werden.

    Am 21. Oktober lehnt das zuständige Verwaltungsgericht einen weiteren Antrag der Familie Khudinyan auf Abschiebeschutz ab. Ein Ergebnis des Petitionsausschusses steht noch aus, und Herr Khudinyan befindet sich in der Landesklinik in Hemer, wo er wegen "schizophrener Psychose und Posttraumatischer Belastungsstörung" behandelt wird.

wdr westpol 25.10.09;

WAZ 9.11.09;

Bündnis 90/Die Grünen 8.12.09; SBL 8.1.2010

 

3. April 09

 

Ennepetal in Nordrhein-Westfalen. Die Feuerwehr erhält um 21.09 Uhr einen Notruf aus dem Flüchtlingsheim in der Heimstraße. Den anrückenden 39 Rettungskräften gelingt es schnell, den Brand unter Kontrolle zu bekommen. Die 20 BewohnerInnen der Unterkunft sind unverletzt, müssen aber vorerst anderweitig untergebracht werden.

Feuerwehr Ennepetal 4.4.09

 

7. April 09

 

Bundesland Brandenburg. In Potsdam wird ein 19-jähriger Flüchtling aus Afghanistan in der Nähe vom Hauptbahnhof von einem gleichaltrigen Mann zweimal ins Gesicht geschlagen und dabei leicht verletzt. Nach Aussagen des Betroffenen hatte der Täter ihn drei Wochen zuvor bereits rassistisch beschimpft und beleidigt.

Opferperspektive (Polizei Potsdam)

 

12. April 09

 

Gardelegen im Bundesland Sachsen-Anhalt. Morgens um 4.30 Uhr wird ein 27-jähriger Flüchtling aus Togo im Bereich des Netto-Marktes von drei bis vier Männern rassistisch beschimpft und mehrfach geschlagen.

    Die Täter können nicht ermittelt werden.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

17. April 09

 

Um kurz vor Mitternacht erscheint Polizei in der Psychiatrie des Klinikums Bremen Ost und holt den Patienten Mehmet T. ab, um ihn in Abschiebehaft zu nehmen. Durch den Entscheid des Haftrichters, der Mehmet T. für behandlungsbedürftig hält, kommt er am nächsten Tag wieder frei.

    Der Kurde ist laut Gutachten einer niedergelassenen Psychiaterin akut suizidgefährdet. Bei einem Termin in der Ausländerbehörde Mitte April erfuhr er von der Sachbearbeiterin, daß er trotz des Attestes in die Türkei abgeschoben werde. Nach nochmaligem Hinweis des Dolmetschers auf die Suizidalität von Mehmet T. entgegnete die Frau: "Dann ist er halt tot."

    Danach hatte sich der Mann selbst ins Klinikum eingewiesen.

taz Bremen 21.4.09;

Jan Lam - Rechtsanwalt

 

18. April 09

 

Blomberg in Nordrhein-Westfalen. Um 23.30 Uhr wird ein Brand im Flüchtlingsheim in der Neuen Torsterstraße 42 gemeldet. Als die Feuerwehr eintrifft, haben die Flammen vom Dachgeschoß auch auf die Dächer von zwei Nachbarhäusern übergegriffen. Alle drei Dächer stürzen ein – die zur Zeit im Hause anwesenden sieben Personen können sich unverletzt ins Freie retten.

    Der Sachschaden wird mit 375.000 Euro von der Versicherung ausgeglichen – das Heim ist nicht mehr bewohnbar. Als Ursache des Brandes wird ein Kurzschluß der elektrischen Leitungen im Dachgeschoß festgestellt.

Polizei Lippe 19.4.09; wdr-Nachrichten 19.4.09;

Polizei Lippe 20.4.09; NW 20.4.09;

LLZ 17.9.09

 

20. April 09

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Um 4.00 Uhr nachts wird das Ehepaar K. durch Polizisten geweckt, die eine Abschiebeverfügung vorzeigen. Der 47-jährige H. K. wird festgenommen.

    Bei dem Versuch, ihn über den Flughafen Düsseldorf abzuschieben, bringt er sich – nach schikanöser Behandlung durch die Polizisten ‑ selbst eine Platzwunde am Kopf bei. Zur medizinischen Versorgung dieser Verletzung und einiger Rippenbrüche kommt er ins Krankenhaus der JVA Bochum.

    Hier beginnt er einen Hungerstreik, der die seelische und körperliche Verfassung des unter Angstzuständen und Depressionen Leidenden weiter verschlechtert. Mit einem Körpergewicht von 40 Kilogramm beendet er am 31. Mai den Hungerstreik.

    Am 16. Juni erfolgt seine Abschiebung in die Türkei. Dort wird er kurzfristig verhört, inhaftiert und mißhandelt. Ihm wird der Militärdienst in der türkischen Armee angekündigt. Es gelingt ihm, außer Landes zu fliehen.

    Wegen eines versuchten Banküberfalls war H. K. in der BRD zu einer sechseinhalbjährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden. Er hatte mit dem Geld aus dem Überfall seinen Bruder unterstützen wollen, der als politischer Gefangener in der Türkei inhaftiert war und dringend medizinisch behandelt werden mußte. Durch diese Straftat, die er verbüßt hat, stand einer Abschiebung – trotz 30-jährigen Deutschland-Aufenthalts – rechtlich nichts mehr im Wege.

network 10.5.09; jW 2.6.09; network 24.6.09;

Hans Werner Odendahl - Rechtsanwalt

 

27. April 09

 

Landkreis Wittenberg im Bundesland Sachsen-Anhalt. Die 48 Jahre alte Irakerin Sarah X. stirbt nach zweitägigem Krankenhausaufenthalt an Lungenkrebs.

    Die Frau, die im Flüchtlingslager Möhlau gelebt hatte und an Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) litt, kam erst in einem sehr desolaten Zustand ins Krankenhaus. Bis dahin hatte sie – neben Insulin – vor allem Schmerzmittel bekommen.

Karawane – Halle

 

30. April 09

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Es ist 3.00 Uhr morgens, als ein PKW mit drei Insassen von zwei Polizeiwagen angehalten wird. Der 29-jährige R. S. aus dem Kosovo, der keine gültigen Aufenthaltspapiere hat, steigt und läuft davon.

    Zwei Beamte verfolgen ihn, und irgendwann kommt er der Aufforderung nach, stehenzubleiben und seine Hände zu heben. Er berichtet später, daß einer der Beamten schnell auf ihn zukam und ihm fünf oder sechs Schläge versetzte, wobei der Kollege tatenlos zusah. Dann haben sie R. S. zum Polizeiwagen gebracht und auf den Boden gestoßen. R. S. blutete stark aus dem rechten Auge.

    Nach Darstellung der Polizisten, habe R. S. sich der Festnahme widersetzt, indem er sich an einem Zaun festhielt – auch habe er versucht, mit seinem Ellenbogen gegen den Kopf des Beamten geschlagen. Die Beamten hätten ihn vom Zaun weggezogen, wobei er auf sein Gesicht gefallen sei. Um ihn zu überwältigen, sei physische Gewaltanwendung – zwei Fausthiebe und ein Haltegriff am Hals – notwendig gewesen.

    Auf der Polizeiwache wird R. S. von einem Arzt untersucht, der ihn umgehend in ein Krankenhaus einweist.

    Das Nasenbein ist gebrochen und das Auge muß notoperiert werden. Infolge des Vorfalls verliert R. S. sein rechtes Augenlicht.

"Täter unbekannt" ai Juli 2010

 

1. Mai 09

 

Bundesland Brandenburg. In einer Cottbusser Gastwirtschaft wird ein 24 Jahre alter Flüchtling aus dem Tschad von zwei Männern geschlagen. Er wird aufgrund seiner erlittenen Schürfverletzungen ins Krankenhaus eingeliefert – kann es aber nach einer Notfallbehandlung wieder verlassen.

Opferperspektive

 

8. Mai 09

 

Neumünster in Schleswig-Holstein. Nach fünf Monaten Untersuchungshaft und vier Wochen Abschiebehaft wird der schwerkranke abgelehnte Asylbewerber Wazscha D. in Handschellen nach Moskau abgeschoben. Nach der Abschiebung meldet sich der 26-Jährige telefonisch bei einem Freund – danach gibt es zunächst keinen Kontakt mehr zu ihm. Die 28 Euro, die er bei der Abschiebung bei sich hatte, reichten nicht einmal, um vom Flughafen in die Stadt zu kommen.       Wazscha D. kam im Dezember 2005 mit seiner Mutter in die BRD. Sie sind russische Staatsangehörige georgischer Volkszugehörigkeit. Beide sind schwer traumatisiert und suizidal durch die im Herkunftsland erlebten Gewalteinwirkungen.

    Die Fluchtgründe der Mutter wurden anerkannt – der Asylantrag ihres Sohnes jedoch im Januar 2008 abgelehnt. Im Februar 2008 ließ Refugo e.V. ein Gutachten von einem Psychologen erstellen, in dem der Verdacht auf generalisierte Epilepsie mit Persönlichkeitsveränderung, mittelgradige bis schwere depressive Episode und der Verdacht auf eine Posttraumatische Belastungsstörung beschrieben wurden. In der 15-seitigen Stellungnahme kam der Facharzt zu dem Schluß, daß eine Abschiebung mit Sicherheit lebensgefährlich und damit ärztlich contraindiziert sei. Es bestehe demnach keine Reisefähigkeit.

    Ein Asylfolgeantrag, der sich auf dieses Gutachten stützte, wurde am 14. April 2009 mit der Begründung abgelehnt, daß die vorliegenden Erkankungen auch im Heimatland behandelbar seien.

    Bei einem Besuch von einem Psychotherapeuten zusammen mit seiner Mutter in der Abschiebehaft Neumünster gelang es dem Kranken erstmals, sich zu den traumatisierenden Erlebnissen zu äußern. In einer Stellungnahme vom 29.4.09 legte der Facharzt dar, daß Herr D. Opfer schwerster gewalttätiger Übergriffe geworden ist. Auch er diagnostizierte eine schwere Posttraumatische Belastungsstörung mit großer Suizidalität.

    Unter Vorlage der psychologischen Gutachten wurde beim Verwaltungsgericht Klage gegen den Ablehnungsbescheid des BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) und für die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung erhoben. Am 30. April 09 teilte das Verwaltungsgericht dem BAMF mit, daß es davon ausgehe, daß bis zum Vorliegen einer Entscheidung über den Antrag eine zwangsweise Abschiebung nicht stattfinden und daß es von den Entscheidungen des BAMF entsprechend unterrichtet werde. Dies geschah nicht. Niemand – weder die Mutter noch der Rechtsanwalt - wurde über die anstehende Abschiebung informiert.

    Einen Tag nach der Abschiebung erfährt der Rechtsanwalt von einem Sachbearbeiter des Landesamtes Neumünster, daß eine Reisefähigkeit vorgelegen haben soll.

    Erst zwei Monate nach der Abschiebung gelingt es Wazscha D., sich bei seiner Mutter in der BRD telefonisch zu melden. Er berichtet, daß er obdachlos sei und kein Geld oder Arbeit habe. Gelegentlich fand er Unterschlupf bei einer mitleidigen Familie. Auch kann er sich in Moskau nicht registrieren lassen, weil ihm Personaldokumente fehlen.

Michael Wulf – Rechtsanwalt 11.5.09;

FRat SH 15.5.09

 

8. Mai 09

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Bei der Feuerwehr in Kamp-Lintfort geht um 18.53 Uhr die Meldung ein, daß in einem Zimmer des Obergeschosses der Flüchtlingsunterkunft in der Friedrichstraße ein Feuer ausgebrochen ist.

    Die Feuerwehr, die schweren Atemschutz und eine Drehleiter zum Einsatz bringt, kann den Brand schnell löschen. Der Bewohner des Zimmers wird nicht verletzt. Nach der Brandursache wird ermittelt.

Polizei Wesel 8.5.09;

RP 9.5.09; NRZ 10.5.09

 

9. Mai 09

 

Bundesland Sachsen. In der Zwickauer Innenstadt wird ein junger iranischer Asylbewerber von einem Mann zunächst rassistisch beschimpft ("Das ist mein Land!") und danach durch das Andeuten von Schlägen mit zwei Schlagringen bedroht.

RAA Sachsen (FP, Sächsisches Staatsministerium des Innern)

 

12. Mai 09

 

Bundesland Sachsen-Anhalt. In Schönebeck an der Elbe wird ein Kinderwagen in einem überwiegend von MigrantInnen bewohnten Haus von zwei Deutschen im Alter von 17 und 20 Jahren in Brand gesteckt. Einem irakischen Flüchtlingsehepaar und ihren zehn Kindern gelingt die Flucht durch die Fenster der Erdgeschoßwohnung ins Freie. Drei deutsche Kinder im Alter von 10 bis 15 Jahren, die mit ihrer Mutter im ersten Stock leben, müssen von der Feuerwehr gerettet werden.

    Sie kommen mit dem Verdacht auf Rauchgasvergiftung ins Krankenhaus und werden dort stationär behandelt.

    Die beiden polizeibekannten Täter werden verhaftet, weil die Staatsanwaltschaft zunächst wegen Brandstiftung ermittelt. Der 17-Jährige, der zuvor in demselben Haus gewohnt hat, gibt an, daß er "aus einer gewissen Abneigung gegen Ausländer" das Feuer gelegt habe. Als die Tat zur Sachbeschädigung heruntergestuft wird, kommen die Täter wieder frei.

    Die irakische Familie hat auch im Januar 2010 noch keine neue Wohnung gefunden.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt;

medien-beobachtung.blogspot.com

 

15. Mai 09

 

Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. In einer Rostocker Diskothek wird ein 35 Jahre alter Flüchtling aus dem Irak von einem Deutschen rassistisch beschimpft und danach unvermittelt angegriffen. Der Iraker wird mit einem Schlagstock bewußtlos geschlagen und dann – am Boden liegend – mit Fußtritten gegen den Oberkörper weiter mißhandelt.

    Die Hämatome und Platzwunden muß er sich im Krankenhaus ambulant behandeln lassen.

    Gegen den Täter läuft ein Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung.

LOBBI

 

19. Mai 09

 

Bundesland Brandenburg. In Potsdam-Schlaatz wird ein Bewohner des nahe gelegenen Flüchtlingsheims an einer Bushaltestelle mit "Scheiß Afrikaner" beleidigt und getreten. Ihm gelingt die Flucht.

PNN 16.6.09

 

20. Mai 09

 

Abschiebegefängnis Rottenburg in Baden-Württemberg. Am 11. Tag seines Hungerstreiks versucht der indische Gefangene S. R., sich auf seinem Bett zu strangulieren, und wird ins Haftkrankenhaus Hohenasperg verlegt. Dort versucht er am 25. Mai erneut, sich zu töten.

    Der 35-Jährige war im Jahre 2004 in die BRD geflohen, weil er in Indien durch den Ehemann seiner großen Liebe mit dem Tode bedroht wurde. Zudem wurde gegen ihn ein Haftbefehl erhoben, nachdem er von den Freunden des Ehemannes auf einer Polizeiwache mißhandelt worden war.

    Aus Angst vor der Abschiebung flüchtete S. R. nach Ablehnung seines Asylantrags aus der BRD zunächst in die Niederlande und später nach Frankreich. Von dort war er im Mai 2006 wieder in die BRD zurückgeschoben worden.

    Nach über sechs Monaten wird S. R. am 29. Mai aus der Abschiebehaft Rottenburg entlassen, bekommt vorläufig eine Duldung und wird schließlich Anfang Juni in Begleitung eines Arztes abgeschoben.

Bündnis gegen Abschiebehaft Rottenburg 20.5.09; SchwT 20.5.09;

Bündnis gegen Abschiebehaft Rottenburg/Tübingen 8.7.09;

Franz Spindler – Rechtsanwalt;

Schattenbericht Abschiebehaft 2010;

BT DS 17/10596;

BT DS 17/10597

 

21. Mai 09

 

Gegen die neu bezogene Flüchtlingsunterkunft in Potsdam-Schlaatz werden an diesem "Herrentag" zwei Brandkörper geworfen.

    Seit Bekanntwerden der Pläne, eine Flüchtlingsunterkunft in der Plattenbausiedlung einzurichten, haben AnwohnerInnen und rechte Organisationen dagegen protestiert. Sogar die Potsdamer Wohnungsbaugesellschaft (PBG), die hier viele Häuser bewirtschaftet, droht in einem offenen Brief, daß sie bei Einzug der Flüchtlinge aus Asien, Afrika und Osteuropa ihre geplanten Millionen-Investitionen für diese Gegend aufgeben werde. Sie erklärt: "Eine derartige Nutzung steht der nachhaltigen Entwicklung der betroffenen Region im Wege."

    Durch den Umzug in das von der Potsdamer Diakonie betriebene neue Heim Am Nuthetal haben die Flüchtlinge erstmals eine Straßenbahnanbindung, Ärzte und eine Schule in direkter Nähe. Seit Jahren haben sie in umgebauten Schweineställen neben einer Kläranlage, kilometerweit von der Stadt entfernt, leben müssen.

    Obwohl der Polizeidirektor Ralf Marschall auf einer BürgerInnen-Versammlung vorrechnet, daß von den 16.000 ermittelten StraftäterInnen in Potsdam im Jahre 2008 lediglich 57 AsylbewerberInnen waren, verspricht er den AnwohnerInnen eine "Extrastreife" für das Heim.

taz 17.2.09;

PNN 16.6.09

 

21. Mai 09

 

Zwickau im Bundesland Sachsen. Ein 35 Jahre alter indischer Flüchtling wird an der Zentralhaltestelle von zwei Männern mehrfach ins Gesicht geboxt. Er kommt ins Krankenhaus und muß sich stationär behandeln lassen.

    Ein 25-jähriger Täter wird ermittelt – er hat einen Blutalkoholgehalt von 2,3 Promille. Das Sächsische Staatsministe-rium des Innern formuliert den Verdacht der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen – der Staatsschutz ermittelt.

RAA Sachsen (FP, Sächsisches Staatsministerium des Innern)

 

25. Mai 09

 

Erfstadt-Liblar in Nordrhein-Westfalen. Gegen 22.00 Uhr wird ein 39-jähriger irakischer Asylbewerber von seinem Nachbarn vor dem Wohnhaus in der Theodor-Heuss-Straße mit sechs Messerstichen niedergestreckt. Der Flüchtling kommt in die Universitätsklinik, wo seine Verletzungen an Brust und Bauch einige Tage lang stationär behandelt werden müssen.

    Der Attacke gingen verbale Auseinandersetzungen der beiden bereits am Nachmittag voraus. Der spätere Täter hatte den Iraker beleidigt und beschimpft und ihm seine Brille entrissen – später dann vom Balkon herab ausländerverachtende Sprüche geschrien. Er bezeichnete den Iraker unter anderem als "Drecksack" und "ausländischen Drogenhändler".

    Im Dezember 2009 befindet das Kölner Landgericht den an einer Psychose leidenden 36-jährigen Täter als schuldunfähig und verurteilt ihn zu einer dauerhaften Unterbringung in einer geschlossenen Psychiatrie. Bereits ein paar Monate später soll erneut geprüft werden, ob dieses Urteil zur Bewährung ausgesetzt werden kann.

Polizei Nordrhein-Westfalen 26.5.09;

KStA 14.12.09; KR 15.12.09; KStA 17.12.09

 

25. Mai 09

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Als der syrische Flüchtling Abdul-Razak Al Choli sich im Remscheider Sozialamt einen Krankenschein abholen will, wird er von vier Behörden-Mitarbeitern festgenommen. In seiner Unterkunft in der Schwelmer Straße wird ihm dann von Polizisten so stark auf den Arm geschlagen, daß er auch noch Tage später FreundInnen die Hämatome zeigen kann.

    Anschließend kommt er in das Abschiebegefängnis nach Büren. Der Gefangene ist zuckerkrank, jedoch wird ihm der Zugriff auf sein eigenes Insulin tagelang verweigert.

    Nach 16-jährigem Deutschland-Aufenthalt soll er nach Syrien abgeschoben werden. Die Abschiebung ist für den Flug Nummer RB 408 am 2. Juni bei der Fluggesellschaft Syrian Air von Frankfurt am Main nach Damaskus gebucht.

    Am Frankfurter Flughafen wehrt er sich jedoch so heftig, daß der Pilot sich weigert, ihn mitzunehmen. Die Polizisten drücken ihn dann auf den Boden und drehen seine Arme stark nach hinten. Nach einem kurzen Krankenhaus-Aufenthalt in Frankfurt bekommt er ein Ticket ausgehändigt, mit dem er nach Remscheid zurückfahren kann.

    Abdul-Razak Al Choli war im Dezember 1993 in die BRD geflüchtet und hatte einen Antrag auf politisches Asyl gestellt. Nach dessen Ablehnung war er ab 1996 aufenthaltsrechtlich ausreisepflichtig. Trotz seines Duldungsstatus gelang es ihm acht Jahre lang, als Koch zu arbeiten; er hatte sogar eine eigene Wohnung. Kurz nach der Einführung des Zuwanderungsgesetzes wurde ihm die Arbeitserlaubnis entzogen. Er verlor die Arbeit und mußte wieder in das Flüchtlingsheim am Bergfrieder Weg.

    Da die Ausländerbehörde ihm "Identitätsverschleierung" unterstellt, konnte er seinen Aufenthaltsstatus mittels der Bleiberechtsregelung nicht stabilisieren (allein für seinen Namen gibt es im arabischen Sprachraum etliche verschiedene Schreibweisen).

    Am 19. Juni 10 steht Abdul-Razak Al Choli wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte vor dem Amtsgericht Frankfurt. Ihm wird vorgeworfen, daß er sich während des Abschiebungsversuches an einer Tür festgehalten hat. Die Richterin nötigt ihn in demütigender Weise, sich im Gerichtssaal bei den drei Abschiebe-Beamten zu entschuldigen. Dann bekommt er eine Verwarnung mit zweijähriger Bewährung.

    Als ihm das letzte Wort in diesem Verfahren zugestanden wird, sagt er: "Nach der UN-Menschenrechtscharta sollen doch alle Menschen frei sein."

rga-online.de 4.6.09;

Karawane – Wuppertal

 

26. Mai 09

 

Fuldatal im Bundesland Hessen. Die Besatzungen von sieben Einsatzwagen scheinen nötig, um den Rom Elvis Agusi abzuschieben. Die Beamten kommen mitten in der Nacht, durchsuchen zunächst die Wohnung der Familie seiner Cousine, gehen dann eine Etage höher und brechen dort die Tür auf. 20 Kilogramm Gepäck darf er in Plastiktüten verstauen ‑ dann wird er um 0.15 Uhr von Polizeibeamten hinausgeführt. Am nächsten Mittag erfolgt die Abschiebung in den Kosovo. Damit ist der 27-Jährige von seiner Frau Gjulijeta T., mit der er nach Roma-Recht verheiratet ist, und seinen beiden Söhnen, dem eineinhalb Jahre alten Muhamed und dem drei Wochen alten Yassin, getrennt.

    Seine Frau wird noch in der Nacht mit den kleinen Kindern auf die Straße gesetzt, weil ihr Name nicht im Mietvertrag steht. Eine Nachbarin nimmt die schockierte und hilflose Frau mit den Kindern auf. Gjulijeta T. hat eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104a AufenthG, und durch die geplante Hochzeit hätte auch ihr Mann einen Aufenthalt bekommen, doch fehlen noch einige Papiere aus dem Kosovo. Diese kommen drei Tage nach der Abschiebung von Elvis Agusi in Fuldatal an.

    Elvis Agusi war als 17-Jähriger im Jahre 1999 in Folge des Kosovo-Krieges mit seinen Eltern und Geschwistern in die BRD geflüchtet. Über Jahre durfte er als Geduldeter keine Ausbildung machen, wurde ihm die Arbeitsaufnahme erschwert. Inzwischen hatte er eine Arbeitsstelle in einem LKW-Waschbetrieb und verdiente monatlich 1200 Euro, so daß er für den Unterhalt der Familie – mit dem ihr zustehenden Kindergeld – ohne staatliche Zuwendung aufkommen konnte. Um mit Hilfe der Bleiberechtsregelung für langjährig geduldete Flüchtlinge einen Aufenthalt zu bekommen, war er 82 Tage zu spät nach dem gesetzlichen Stichtag nach Deutschland gekommen.

    In dem vor einem Monat beschlossenen Rückübernahmeabkommen mit der BRD hat sich die Republik Kosovo verpflichtet, alle ausreisepflichtigen Personen mit vermuteter kosovarischer Herkunft aufzunehmen. Damit sind zwangsweise Rückführungen von Flüchtlingen auch verfolgter ethnischer Minderheiten für die Bundesrepublik möglich geworden.

    Im Kosovo hat Elvis Agusi keine Angehörigen. Roma sind hier zu fast hundert Prozent vom Arbeitsmarkt und von sozialen sowie medizinischen Sicherheitssystemen ausgeschlossen.

    Auch Herr Agusi ist über Monate obdachlos und ohne Arbeit. Wegen seiner dunklen Hautfarbe ist er als Rom zu erkennen und mehrmals von Albanern zusammengeschlagen worden. Er muß seine Verletzungen notdürftig im Krankenhaus versorgen lassen – für eine angemessene medizinische Versorgung reicht sein Geld nicht, und eine Krankenversicherung hat er nicht, weil er sich nicht als kosovarischer Staatsbürger registrieren lassen kann. Aufgrund dieser fehlenden Anmeldung nimmt die Polizei auch nicht seine Anzeige auf, sondern teilt ihm mit, daß Roma im Kosovo nicht willkommen seien.

    Im Dezember entschließt er sich, wieder in die BRD zurückzukommen – diesmal ohne Papiere, weil er keine offiziellen hat.

    Er geht mit seinem Rechtsanwalt zur Ausländerbehörde, um wegen der ethnischen Verfolgung im Kosovo einen Asylfolgeantrag zu stellen. Hier erfolgt seine Festnahme, und er kommt umgehend in Abschiebehaft in die JVA Kassel.

    Obwohl sein Arbeitgeber ihn sofort wieder einstellen will und seine Frau und die Kinder Bleiberecht haben, betreibt das Hessische Innenministerium aus "generalpräventiven Gründen" ein Eilverfahren, um ein Exempel zu statuieren: Die Petition wird mit CDU-/FDP-Mehrheit abgelehnt. Der Eilantrag zur Abwendung der Abschiebung wird vom Einzelrichter des Verwaltungsgerichts Kassel mit folgenden Worten abgelehnt: "Es ist ein Gebot der Selbstbehauptung der deutschen Rechtsordnung, gerade bei derartigen Fällen der Umgehung der Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen am Erfordernis der kontrollierten Einreise festzuhalten."

    Am 9. Februar 10 wird Elvis Agusi zum zweiten Mal in den Kosovo abgeschoben. Aus Angst vor erneuten Mißhandlungen flieht er nach Serbien und kommt dort zunächst in der an der Grenze gelegenen Ortschaft Bujanovac bei einem Bekannten unter. Da er als Rom aber auch hier keine Arbeit findet, geht er nach Belgrad und bekommt mit Hilfe eines Roma-Projektes im Stadtteil Karaburma ein Zimmer vermittelt. Obwohl dies eine legale Adresse ist, wird seine polizeiliche Anmeldung in Belgrad als sogenannte Scheinadresse abgelehnt. Ihm wird unterstellt, daß er damit einen serbischen Paß erwerben wolle.

    Elvis Agusi kehrt nach Bujanovac zurück und lebt dort in einer kleinen Wohnung, die von UnterstützerInnen aus Göttingen finanziert wird.

    Bevor er auch nur ein Visum zur Familienzusammenführung beantragen kann, müßten die Abschiebekosten in Höhe von rund 9000 Euro bezahlt werden.

Axel Selbert – Rechtsanwalt;

Chachipe 28.5.09; jW 28.5.09;

jW 27.6.09; FR 13.8.09; jW 15.1.10; GT 5.2.10;

Pro Asyl 18.2.10; Dietrich Wollschlaeger – Rechtsanwalt;

Heft der Flüchtlingsräte 2010;

FRat NieSa Heft 134/2011

 

30. Mai 09

 

Bundesland Brandenburg. An einer Staßenbahnhaltestelle in Potsdam-Schlaatz wird ein 23 Jahre alter Flüchtling aus Kenia von einem 18-jährigen Deutschen mit den Worten "Scheiß-Neger" beleidigt und mit der Drohung "Scheiß-Affe, ich bring dich um" in Panik versetzt. Beim Zürückweichen fällt der Afrikaner hin und wird am Boden liegend von dem Angreifer gewürgt.

Opferperspektive

 

31. Mai 09

 

Bundesland Bayern. In der Zwingerstraße der Stadt Kempten wird ein 19-jähriger Asylbewerber in der Nacht von zwei Männern von hinten niedergeschlagen. Anschließend stehlen die Täter sein Handy und die Geldbörse, in der sich ausschließlich Ausweispapiere befinden.

    Der Überfallene muß sich eine Verletzung an der Lippe im Krankenhaus ambulant behandeln lassen.

Polizei Kempten 2.6.09

 

Mai 09

 

Harbke im Landkreis Börde - Bundesland Sachsen-Anhalt. Ein Auto fährt mit hohem Tempo auf den Hof des Flüchtlingsheimes und steuert direkt auf spielende Kinder zu. Dann bremst der Fahrer kurz vor den Kindern ab, und die Insassen des Wagens beschimpfen die Kinder und ihre Mütter als "Schweine". Dann kündigen sie mit einer "Kopf-ab"-Bewegung" an, daß sie das Haus anzünden werden.

(siehe auch: 8. November 09 und 17. April 10)

FRat SaAnh 13.11.09; ddp 28.4.10;

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt;

 

Mai 09

 

Bundesland Baden-Württemberg. Der Flüchtling X. K. wird festgenommen und kommt in die JVA Rottenburg in Abschiebehaft. Seine psychisch kranke Frau bricht am nächsten Tag zusammen und kommt in eine psychiatrische Klinik, wo sie stationär behandelt werden muß.

    Ihre beiden Kinder im Alter von 5 und 7 Jahren kommen daraufhin in eine Jugendeinrichtung. Von hier aus ist es ihnen nicht möglich, Kontakt zu ihrer Mutter aufzunehmen. Die Telefonate mit dem inhaftierten Vater sind schwierig, weil der Sohn glaubt, daß der Vater die Familie im Stich gelassen hat.

    Aufgrund der psychischen Belastung wird Herr K. zeitweilig ins Gefängniskrankenhaus verlegt. Erst nach knapp zwei Monaten wird er entlassen und kann sich wieder um die Kinder kümmern.

Schattenbericht Abschiebehaft 2010

 

4. Juni 09

 

Wolfenbüttel in Niedersachsen. Ohne Vorankündigung erscheinen um drei Uhr morgens Polizisten an der Wohnung von Elvira Gashi (Alviera Gashi), um sie mit ihrem 4-jährigen Sohn Djafer und ihrer 3-jährigen Tochter Tuna zur Abschiebung abzuholen. Die 21-jährige Romni, die seit 20 Jahren (!) in der BRD lebt, bekommt eine halbe Stunde Zeit, die Sachen zu packen. Geld, Essen und Trinken vergißt sie in dieser Angstsituation.

    Die Familie wird nach Frankfurt am Main gebracht, von wo um 10.15 Uhr die Maschine in den Kosovo startet. Im Flugzeug befindet sich auch der ehemalige Lebensgefährte von Frau Gashi, der ebenfalls abgeschoben wird. Er ist der Vater ihrer Kinder und bedroht Elvira Gashi, ihre Mutter und ihre Schwester seit langem. Er hat Frau Gashi und auch ihre Eltern in der Vergangenheit geschlagen, getreten und mit dem Messer attackiert. Das Amtsgericht Wolfenbüttel erließ daraufhin im Dezember 2007 per einstweiliger Verfügung die Auflage, daß der Mann sich den Frauen nicht mehr als 50 Meter nähern dürfe. An diese Auflage hat sich der Gewalttäter nie gehalten – was auch der Ausländerbehörde durch die Berichte der Frauen bekannt ist.

    Schon am Flughafen in Prishtina fordert der Mann Elvira Gashi auf, mit ihm in der Stadt zu bleiben. Er bedroht sie mit den Worten, daß sie ja wisse, was sie mit ihm erlebt habe.

    Durch die Vermittlung ihrer Mutter kommt Elvira Gashi in Pec bei einer Bekannten provisorisch unter. Auch hier erreicht sie ihr "Ex-Mann" telefonisch und bittet einen "Kumpel", sie dort "abzuholen".

    Elvira Gashi war als 1-jähriges Kind mit ihren Eltern aus dem Kosovo in die BRD gekommen. Weil ihre Eltern wegen drohender Abschiebung in den 90er Jahren "untertauchten", fällt sie, laut Ausländerbehörde, nicht unter die Bleiberechtsregelung. Ihr Vater wurde vor Jahren abgeschoben, ihre Mutter hat aufgrund einer schweren psychischen Erkrankung eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Auch für Elvira Gashi war die Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis (§25 Abs. 5 in Verbindung mit Art. 8 EMRK) geplant, denn die Kriterien Integration und Verwurzelung mit Schulbesuch und Arbeit waren erfüllt. Die Ausländerbehörde verlangte nur noch einen kosovarischen Paß, der ab August mit Beginn der Arbeit der Botschaft in Berlin auch beantragt werden sollte.

    Auf die öffentliche Kritik, daß die Abschiebung ohne Vorankündigung durchgeführt wurde, antwortet die Ausländerbehörde mit dem Einwand, daß die Familie bereits "vor Jahren" über die Abschiebung informiert wurde und die Eltern mit den Kindern damals "untergetaucht" seien.

    Auf Antrag der Grünen beschließen die Fraktionen des Kreistages Anfang Juli mehrheitlich und parteiübergreifend, Frau Gashi und ihren Kinder ein Bleiberecht möglich zu machen.

    Zehn Monate nach der Abschiebung lebt Elvira Gashi in einer leerstehenden Wohnung ohne Möbel, deren Fenster keine Scheiben haben. Der kleine Ofen bleibt auch im Winter meist kalt, weil sie kein Geld für Holz hat. Der kleine Djafer leidet unter Bronchitis und Atemnot, doch für Medikamente fehlt das Geld.

    Die Entscheidung des Kreistages Wolfenbüttel droht ins Leere zu laufen, weil der Innenminister Schünemann die Bemühungen nicht unterstützt. Erst aufgrund massiver Öffentlichkeitsarbeit und aufgrund von Dokumentationen aus dem Kosovo über das Schicksal der dorthin Abgeschobenen gelingt es, für Elvira Gashi ein Besuchsvisum für vier Wochen zu erhalten.

    Am 27. März 10 betritt Frau Gashi mit ihren Kindern auf dem Flughafen Hannover wieder deutschen Boden und kann ihre Mutter, ihren Bruder und ihre Schwester wieder in die Arme schließen.

    Doch ihre Situation ist weiterhin völlig offen. Es wird jetzt versucht, ein Daueraufenthaltsrecht auf der Grundlage verschiedener rechtlicher und humanitärer Bestimmungen zu erwirken.

    Im März 2011 spricht das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Elvira Gashi einen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu. Die Begründung ist jetzt folgendermaßen: Elvira Gashi und ihre Kleinkinder dürfen, nachdem sie im März des Vorjahres mit einer Ausnahmegenehmigung zurück nach Deutschland kommen konnten, aus humanitären Gründen nicht wieder abgeschoben werden. Ihnen drohe im Kosovo eine "unmittelbare und konkrete Gefahr an Leib und Leben."

FRat NieSa; HAZ 15.6.09; BrZ 18.6.09;

Landtag NieSa 18.6.09; BrZ 29.6.09; epd 29.6.09;

taz 30.6.09; taz 2.7.09; Landtag NieSa 26.8.09;

zdf – Mona Lisa 17.1.10; Heft der Flüchtlingsräte 2010;

BrZ 29.3.10; HAZ 30.3.10; FRat NieSa 30.3.10;

BrZ 6.4.10; taz 9.4.10; HAZ 7.3.11; FRat NieSa 8.3.11;

FRat NieSa Heft 134/2011

 

4. Juni 09

 

Flughafen Frankfurt am Main. Am Abend sitzt ein serbischer Flüchtling im Warteraum der Bundespolizei – er hat Krücken und sieht sehr mitgenommen aus. Er legt der Abschiebebeobachterin Atteste vor, aus denen hervorgeht, daß er aufgrund eines Schlaganfalls stark gehbehindert ist und zudem noch an Diabetes mellitus leidet. Er erzählt, daß er im Jahre 2007 einen Herzinfarkt erlitten hat. Eine Flugreisetauglichkeit liegt nicht vor, jedoch soll ihn eine Ärztin auf dem Flug begleiten.

    Als die Polizisten versuchen, ihn zum Flugzeug zu bringen, beginnt er heftig zu zittern und bekommt Atemnot. Die Ärztin versorgt ihn mit seinen eigenen Medikamenten, und die Bundespolizei bricht die Abschiebung ab.

    Der Mann war erst am Morgen in der Ausländerbehörde festgenommen worden, als er die Kopie einer Petition für den Hessischen Landtag abgeben wollte. Statt eine Duldung zu bekommen, war erverhaftet worden.

    Am nächsten Tag wird seine Petition zur Beratung angenommen, und nach einem Erlaß des Hessischen Innenministeriums muß die Abschiebung bis zum Abschluß des Petitionsverfahrens ausgesetzt werden.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2009

 

8. Juni 09

 

Bundesland Sachsen. In der JVA Dresden verletzt sich der Abschiebegefangene N. Q. C. in selbsttötender Absicht mit einem Messer.

BT DS 17/10596;

BT DS 17/10597

 

11. Juni 09

 

Erzgebirgskreis im Bundesland Sachsen. Ein 20 Jahre alter Asylbewerber aus Serbien ist mit dem Linienbus von Aue nach Schneeberg unterwegs. Gegen 19 Uhr, der Bus befindet sich in der Gottlieb-Heinrich-Sietz-Straße, umklammert ein Schneeberger den Flüchtling von hinten und bedroht diesen mit seinem Taschenmesser. Durch eine Abwehrreaktion verletzt sich der Serbe an einer Hand. Als er sich aus der Umklammerung befreit hat, informiert er die Busfahrerin, die die Polizei ruft.

    Der 42-jährige Täter, der stark alkoholisiert ist, wird vorläufig festgenommen und verbringt die Nacht in der Ausnüchterungszelle. Dann wird er wieder auf freien Fuß gesetzt. Eine fremdenfeindliche Tat liegt nach Aussagen der Polizei nicht vor.

Sachsen Ferneher News 12.6.09;

Polizei Sachsen 12.6.09

 

13. Juni 09

 

Bundesland Hessen. Während des einstündigen Hofganges zwischen 11 und 12 Uhr gelingt es dem 26-jährigen Abschiebegefangenen Lyes B., aus der JVA-Frankfurt I (Preungesheim) zu flüchten. Die eingeleitete Großfahndung mit zwölf Streifenwagen, Hunden, Überfallkommando und Hubschrauber bleibt für die Polizei ergebnislos.

    Der Algerier hat sich bei der Flucht über ein Baugerüst und über das Dach, auf dem sich messerscharfer Sicherheitsdraht befindet, offensichtlich schwer verletzt. Das belegen Blutspuren, die seinen Fluchtweg markieren. Auch ist offen, wie er den Sprung vom bis zu sieben Meter hohen Dach über mehrere Drahtrollen auf einen Erdhaufen überstanden hat.

    Obwohl er nach Angaben des Innenministeriums kein Straftäter ist, warnt die Polizei im Bereich Preungesheim die Autofahrer davor, Anhalter mitzunehmen. Die BILD-Zeitung inszeniert eine öffentliche Hetzkampagne gegen den Entflohenen, indem sie ihn als "Gangster" betitelt, der wegen "Banden-

diebstahl, Hotel- und Restauranteinbrüchen, Körperverletzung und Widerstand" zwei Wochen im Gefängnis saß. Neben dem "gewalttätigen Ausbrecher" ist sein Bild abgedruckt. "Zuletzt war die Bevölkerung sicher vor ihm", heißt es zudem.

    Lyes B. saß seit dem 2. Juni in der sogenannten Transportabteilung des Gefängnisses und sollte am 24. Juni nach Algerien abgeschoben werden.

ddp 15.6.09; e110 15.6.09;

ddp 16.6.09; jW 16.6.09;

FR 16.6.09

 

Mitte Juni 09

 

Bundesland Schleswig-Holstein. In Bad Oldesloe steht ein 47 Jahre alter Tunesier vor Gericht, weil er im Januar und Februar dieses Jahres – ohne entsprechende Erlaubnis der Ausländerbehörde - von Neumünster für mehrere Tage zu seiner Freundin gefahren war.

    Er berichtet, daß er sich zu der Zeit sehr krank fühlte, der Arzt keine Ursache finden konnte und er bei seiner Freundin, die Krankenpflegerin sei, Hilfe suchte. Später sei ein Blinddarm-Durchbruch festgestellt worden, und er wurde operiert.

    Der Mann ist vor 20 Jahren (!) in die BRD geflüchtet, und weil es der Ausländerbehörde nicht gelingt, ihm die libysche Staatsbürgerschaft nachzuweisen, um ihn dorthin abzuschieben, lebt er heute in der Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge am Haart in Neumünster und unterliegt allen Bedingungen für AsylbewerberInnen – also auch der Residenzpflicht.

    Das Gericht verurteilt ihn zu einer Ordnungsstrafe von 10 Euro, die der Mann allerdings auch nicht zahlen kann, denn ihm ist das Taschengeld von Amtsseite gestrichen worden.

Holsteiner Courier 19.6.09

 

19. Juni 09

 

Flüchtlingsunterkunft Neuburg an der Donau im Bundesland Bayern. In dem Zimmer eines 35-jährigen tibetischen Flüchtlings im Block C entsteht ein Zimmerbrand durch aufgestellte Teelichter. Der Tibeter, ein Iraner und ein Iraker versuchen selbst, den Brand einzudämmen, indem sie brennende Gegenstände aus dem Fenster werfen und den Inhalt von vier großen Feuerlöschern versprühen. Es gelingt ihnen, die Flammen zu ersticken, jedoch erleiden sie schwere Verletzungen an Armen, Beinen und im Gesicht.

    Der Tibeter wird mit einem ADAC-Rettungshubschrauber nach München-Bogenhausen geflogen – der 43-jährige Iraner kommt mit dem Hubschrauber des Arbeitersamariterbundes in eine Nürnberger Klinik. Weitere sechs verletzte Bewohner werden auf die umliegenden Krankenhäuser verteilt.

    Die sogenannte Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber an der Donauwörther Straße ist das zweitgrößte Sammellager für Flüchtlinge in Bayern. Zur Zeit leben 400 Menschen hier zu zweit oder zu dritt in den Zimmern – die meisten sind aus dem Iran.

ddp 19.6.09;

AA 19.6.09; DK 19.6.09

 

24. Juni 09

 

Bundesland Niedersachsen. Der 30 Jahre alte Kurde Delgasch Ali soll – einen Tag nach seiner überraschenden Festnahme an seinem Wohnort im Emsland – über Frankfurt am Main nach Syrien abgeschoben werden. Am Flughafen erleidet er einen Nervenzusammenbruch, so daß der Flugkapitän sich weigert, ihn zu transportieren, und die Abschiebung abgebrochen wird. Er bleibt weiter in Abschiebehaft.

    Der von der Anwältin gestellte Eilantrag an das Verwaltungsgericht Osnabrück (5. Kammer) wird an diesem Tag unter anderem mit folgender Begründung abgelehnt: Für den Fall, daß es zu einer Inhaftierung des Kurden nach der Abschiebung in Damaskus käme, könne der "Antragsteller .... zur Abwendung einer – für die Kammer nach Lage der Akten nicht ersichtlichen - Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit" durch die Zahlung von Bestechungsgeldern freikommen.

    Delgasch Ali kommt nach Hannover-Langenhagen und beginnt einen Hungerstreik. Nach 20 Tagen, an denen er morgens nur etwas Milch zu sich nimmt, wiegt der ehemals 88 Kilo schwere Mann noch 59 Kilo. Er hat eine Magenschleimhautentzündung, ein Zwölffingerdarmgeschwür – er ist traumatisiert und hochgradig suizidgefährdet. Er suche seinen Frieden im Freitod, den er durch Hungern oder Verblutung durch die Magengeschwüre erreichen möchte, sagt er einem Arzt. Er ist weder transport- noch haftfähig. Mehrere Fachärzte und auch zwei Amtsärzte der JVA Hannover bestätigen dies.

    Der Landkreis Emsland bestellt den Nervenarzt Prof. Dr. Vogel aus Lüneburg als Gegengutachter. Dieser bescheinigt zwar auch einen "deutlich reduzierten Allgemeinzustand", aber diesen hätte der Gefangene durch den Hungerstreik selbst herbeigeführt, und schlägt die Verlegung des Kranken in ein Justizvollzugskrankenhaus vor, um ihn dort "aufzupäppeln" und anschließend nach Syrien zu schicken.

    Trotz dieser "Empfehlung" des Gegengutachters gelingt die Einweisung des Gefangenen ins JVA-Krankenhaus zur medizinischen Behandlung erst nach Intervention des Rechtsanwaltes und eines weiteren ärztlichen Gutachters nach 10 Tagen.

    Am selben Tag, dem 8. August, stimmt das Landgericht Hannover der Haftbeschwerde des Rechtsanwaltes zu und stellt fest, daß "die Inhaftierung des Betroffenen in Abschiebehaft seit dem 28. Juni 2009 rechtswidrig war". Das Gericht rügt zudem den Nervenarzt, "der ohne eingehende Begründung das Vorliegen einer psychischen Störung ausschließt und sich im Übrigen in wertender Weise zu nicht medizinischen Fragen äußert". Delgasch Ali kommt umgehend frei.

    Delgasch Ali wurde in Syrien wegen seiner politischen Aktivitäten verfolgt, von der Polizei gefoltert und von arabischen Gefängniswärtern vergewaltigt. Er floh in die BRD und stellte 2001 einen Asylantrag, der 2003 abgelehnt worden war.

    Auch als geduldeter Flüchtling beteiligte er sich an vielen politischen Aktivitäten, Veranstaltungen und Demonstrationen vor der Syrischen Botschaft in Berlin.

Bruder des Betroffenen;

VG Osnabrück 24.6.09; FRat NieSa;

ND 29.6.09; HAZ 13.8.09; epd 13.8.09;

HAZ 21.6.10;

BT DS 17/10596;

BT DS 17/10597

 

24. Juni 09

 

Bundesland Brandenburg. Zwischen 11 und 12 Uhr erscheinen Polizisten in Begleitung einer Mitarbeiterin des Jugendamtes und eines Vertreters der Ausländerbehörde an der Tür der Nigerianerin Dora Igbinadolor Osifo im Flüchtlingsheim Forst.

    Frau Osifo wird festgenommen – die Vertreterin des Jugendamtes nimmt die 3-jährige Tochter Christabel Osamuejemen mit. Dadurch sind Mutter und Kind getrennt.

    Nach einer Nacht im Abschiebegefängnis Eisenhüttenstadt wird die 28-jährige Nigerianerin nach München transportiert und hier noch einmal VertreterInnen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vorgestellt. Diese entscheiden jetzt, daß eine Abschiebung nicht möglich ist, so daß Mutter und Kind – nach zwei Tagen Trennung – wieder nach Forst zurückkommen.

    Obwohl der Vater des Kindes eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis hatte und nach der Geburt des Kindes die deut-

sche Staatsangehörigkeit erwarb und obwohl beide Elternteile das Sorgerecht haben, hatte sich das Standesamt Forst stets geweigert, für das Kind überhaupt eine Geburtsurkunde auszustellen.

    Auch Mitte Dezember ist dies noch nicht geschehen.

DANBB 25.6.09;

DANBB 28.6.09; DANBB

 

30. Juni 09

 

Spaichingen in Baden-Württemberg. Um 4 Uhr morgens sollen Feradin Colaj (48) und seine Frau Gjyksha (48) in den Kosovo abgeschoben werden, aus dem sie, die zur Gruppe der Ashkali gehören, vor 20 Jahren geflohen waren.

    Die beiden sind krank: Feradin Colaj hat einen schweren Herzschaden, und seine Frau ist seit einem Autounfall (Überfahren auf dem Fußweg) körperlich krank und schwer traumatisiert. Sie ist heute ein 24-Stunden-Pflegefall. Die älteste Tochter, Zade, hat seit dem Unfall die Verantwortung und das Management für die Familie übernommen.

    Als die Beamten hereinkommen, liegt Frau Colay zitternd und bewegungslos im Bett. Die 19-jährige Miranda muß ihre Mutter ankleiden. Gjyksha Colaj kann kaum gehen, zittert, stolpert und wird schließlich von den Beamten in den Wagen gehoben. Auch ihr Mann wird – wegen Widerstand und Zeitdruck – ins Polizeiauto getragen. Er verletzt sich dabei durch die Fingernägel eines Polizisten am Unterarm.

    Hinweise der fünf Kinder, daß die Eltern medizinische Hilfe brauchen, prallen an den Beamten ab. Eine Verabschiedung wird nicht gestattet. Den Kindern wird versprochen, daß sie ihre Eltern noch einmal sehen werden, wenn sie es schaffen, deren Gepäck innerhalb einer Stunde zu packen und zur örtlichen Polizeiwache zu bringen.

    Als die Kinder mit zwei gepackten Sporttaschen auf der Wache erscheinen, wird ihnen gesagt, daß die Eltern bereits auf dem Weg nach Freiburg seien – das Flugzeug soll um 10.30 Uhr von Baden-Baden aus starten. Ein vom Anwalt der Familie gestellter Eilantrag auf Aussetzung der Abschiebung wird gegen 10 Uhr vom Verwaltungsgericht abgelehnt. Die Colajs werden ohne Gepäck und ohne Geld ausgeflogen.

    Das Ehepaar Colaj war 1988 das erste Mal in der BRD und wurde dann im Jahre 1992 abgeschoben. Aufgrund der andauernden Repressalien durch die serbische Polizei und die Furcht vor Verhaftung flüchtete das Ehepaar nach nur wenigen Monaten im Kosovo erneut in die BRD.

    Als der Familie dann im Jahre 2002/2003 die zweite Abschiebung drohte, floh sie nach Schweden und wurde von dort nach neun Monaten in die BRD zurückgeschoben.

    Die Eheleute haben fünf Kinder, von denen zwei noch zur Schule gehen. Sämtliche Verwandte leben in der BRD – allein eine Tante ist noch im Kosovo. Die Kinder haben große Angst um ihre Eltern, weil sie wissen, daß eine soziale Unterstützung, medizinische und psychologische Hilfe für Ashkali-Angehörige praktisch nicht existiert.

    Frau Colaj gelingt es mit dem Handy eines anderen Flüchtlings aus dem Flugzeug heraus, ihre Kinder zu erreichen. Sie sollen stark sein, sagt sie, arbeiten, ihren Weg gehen – in ihrer Heimat Deutschland.

Refugio Villingen-Schwenningen;

SchwZ 1.7.09; SchwZ 1.8.09;

Kosovo Oktober 2009

 

30. Juni 09

 

Landkreis Wittenberg im Bundesland Sachsen-Anhalt. Um 2 Uhr morgens kommt Azad Murad Hadji in seine Flüchtlingsunterkunft Möhlau und erzählt seiner Frau: "Nazis haben mich fertiggemacht." Der 28-jährige Iraker hat an der Vorderseite des Körpers und am Kopf großflächige schwere Verbrennun-gen. Ein Freund fährt ihn umgehend in das Krankenhaus Bitterfeld – von dort aus wird er mit dem Hubschrauber in die Spezialklinik "Bergmannstrost" nach Halle gebracht, wo er ins künstliche Koma gelegt wird.

    Obwohl bereits – nach eigenen Angaben – um 2.40 Uhr informiert, erscheint erst gegen 4 Uhr die Polizei im Lager und nimmt Ermittlungen auf.

    Am 3. Juli gibt die Polizei bekannt, daß Azad Murad Hadji sich die schweren Verbrennungen bei der Explosion eines Döner-Imbisses um 1.25 Uhr im 20 km entfernten Ortsteil Roßlau zugezogen habe, denn es wurden Spuren des Mannes in dem ausgebrannten Imbiß gefunden. Zudem soll die Explosion durch Brandbeschleuniger herbeigerufen worden sein.

    Zu den Verdächtigungen, die sich jetzt gegen ihren Mann richten, erklärt Frau Hadji, daß ihr Mann mit dem syrischen Imbiß-Besitzer befreundet ist und dieser sie auch noch am Wochenende in Möhlau besucht hätte.

    Am Morgen des 14. Juli stirbt Azad Murad Hadji infolge seiner Brandverletzungen an einer Lungenentzündung.

    Er hinterläßt seine Frau und zwei Töchter im Alter von fünf und sechs Jahren.

    Staatsanwaltschaft und Polizei sehen trotz der Aussage des Getöteten selbst und in Anbetracht der bundesweit höchsten Quote rechtsextremistischer Gewalttaten pro Einwohner in Sachsen-Anhalt keine Anzeichen für ein politisches Motiv, schließen dies aber auch nicht aus. Sie ermitteln weiter "in alle Richtungen".

    Noch im Mai hatten BewohnerInnen der völlig abgeschieden liegenden ehemaligen Kaserne Unbekannte mit einem Benzinkanister vor dem Lager gesehen.

    Durch die Ermittlungen stellt sich heraus, daß die Familie unter falscher Identität gelebt hat: Azad Murad Hadji hatte bei der Einreise im Jahre 2003 als Herkunftsland den Irak angegeben, weil er sich dadurch einen günstigeren Verlauf des Asylverfahrens erhoffte. Nach seinem Tod offenbart sich seine Frau den Behörden. Sie heißt Kristina Khudoyan, kommt aus Georgien und gehört der Religionsgruppe der Yesiden an.


    Die 27-Jährige war mit 17 Jahren zwangsverheiratet worden und mußte sich – entsprechend der Religion und der Tradition – ihrem Mann total unterordnen und seine Gewalttätigkeiten ertragen, wenn sie ihm nicht gehorchte. Nach seinem Tod droht ihr und ihren zwei kleinen Töchtern Asia und Leyla die Abschiebung.

    Im Juni 2012 empfiehlt die Härtefall-Kommission einstimmig, daß Frau Khudoyan eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen soll.

StA Dessau-Roßlau 30.6.09;

VM 30.6.09; MDZ 30.6.09;

StA Dessau-Roßlau 3.7.09;

MDZ 3.7.09; LVZ 3.7.09;

Polizei Sachsen-Anhalt Ost 6.7.09;

mdr.de 6.7.09; VM 6.7.09;

StA Dessau-Roßlau  15.7.09;

VM 15.7.09; MDZ 16.7.09; ND 17.7.09;

MDZ 20.7.09; MDZ 24.7.09;

MDZ 24.6.12; MDZ 28.6.12

 

Juni 09

 

Bundesland Baden-Württemberg. Der 47 Jahre alte bosnische Flüchtling Herr H., der seit mehreren Wochen in der JVA Rottenburg in Abschiebehaft sitzt und an Kehlkopfkrebs leidet, wird für "abschiebefähig" erklärt.

    Herr H. war – nach zweimaliger Verwundung im Jugoslawien-Krieg – aus der Armee desertiert, in die BRD geflüchtet und hatte Asyl beantragt. Nach Ablehnung des Antrags – drei Jahre später – und seiner Abschiebung geriet er in Lebensgefahr, weil er gegen zwei bestechliche Polizisten ausgesagt hatte. Unter der Drohung, ihn zu töten, und nach einem Bom-

benanschlag auf sein Haus verließ er erneut das Land. Per Fahrrad fuhr er jahrelang durch Europa, ersuchte immer wieder um Asyl und wurde letztlich aus Dänemark, Holland, Belgien und allein neunmal aus der BRD abgeschoben.

    Als die Krebserkrankung bei ihm entdeckt wurde, lieh er sich in Bosnien 5000 Euro für eine Operation. Da er jedoch nicht einmal die Zinsen zurückzahlen konnte, verließ er wieder das Land in der Hoffnung, in einem anderen Land medizinisch behandelt zu werden. Wie ihm gesagt wurde, stände noch eine zweite Operation an. In Österreich kam er in Abschiebehaft, wurde untersucht und einem Krankenhaus zugewiesen – dort aber verweigerte man seine Aufnahme, weil niemand für die Behandlungskosten aufkommen würde.

    Auf dem Weg in die Schweiz, wo er sich erneut Hilfe erhoffte, wurde er durch deutsche Beamte festgehalten und kam schließlich in die JVA Rottenburg.

    Im Juli 2009 wird Herr H. in die JVA Ravensburg verlegt, wo er eine mehrmonatige Haftstrafe verbüßen soll. Die ihm vorgeworfenen "Straftaten" sind illegale Einreise, illegaler Aufenthalt und der Diebstahl einer Jacke, den er im letzten Winter begangen hat, um nicht zu erfrieren.

Bündnis gegen Abschiebehaft Rottenburg/Tübingen;

Schattenbericht Abschiebehaft 2010

 

1. Juli 09

 

Bundesland Rheinland-Pfalz. Nach dem Verlassen eines Linienbusses in Rheingönheim um 2.30 Uhr wird ein Kenianer von vier bis fünf Männern überfallen. Unter den Rufen von rassistischen Parolen ("Ausländer raus" u.a.) stoßen sie ihn zu Boden und treten dann brutal auf ihn ein.

    Erst als ein Auto anhält, flüchtet die Gruppe. Der Autofahrer ruft Polizei und Krankenwagen. Der Kenianer kommt mit Prellungen im Rippenbereich davon.

Bündnis gegen Abschiebungen Mannheim

 

2. Juli 09

 

Bundesland Niedersachsen. Der 41 Jahre alte Rom Semsi Rama aus Göttingen wird nach 5-tägiger Abschiebehaft über Düsseldorf in den Kosovo abgeschoben. Damit ist er von seiner Frau und den minderjährigen Söhnen getrennt.

    Seine Festnahme und Inhaftierung war vor sieben Tagen auf der Ausländerbehörde erfolgt, als er seine Duldung verlängern lassen wollte.

    Seine Frau Hajrija und die Kinder halten sich nun aus Angst vor ihrer Abschiebung versteckt. Alle vier Söhne sind in Göttingen geboren und aufgewachsen.

    Die Eheleute waren vor 17 Jahren in die BRD geflüchtet und erhielten vor 15 Jahren Asyl. Vor 10 Jahren wurde die Aufenthaltserlaubnis widerrufen, weil Herr Rama den Lebensunterhalt seiner Familie nicht vollständig sichern konnte. Die Familie hatte sich von Anfang an – aus Angst vor Diskriminierung – den deutschen Behörden gegenüber als albanisch ausgegeben. Als sie sich vor zwei Jahren als Roma outeten, wurde die Abschiebung in die Wege geleitet.

    Jetzt flüchtet die 37-jährige Hajrija Rama mit Erduan (15), Edison (14) und den Zwillingen Almedin und Eldin (12) nach Frankreich. Sie werden schnell entdeckt und unter Bewachung von 13 Beamten in die BRD zurückgebracht.

    Semsi Rama ist einer der ersten Roma, der im Zuge des im Januar beschlossenen Rückübernahmeabkommens zwischen der BRD und der Republik Kosovo abgeschoben wurde.

AK Asyl Göttingen 30.6.09;

HNA 1.7.09; GF 1.7.09;

indymedia.org 1.7.09; Chachipe 1.7.09;

HAZ 2.7.09; taz 3.7.09;

Roma Virtual Network 27.8.09;

GfbV; pogrom 255_4/2009

 

3. Juli 09

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Kurz vor seiner angekündigten Abschiebung schneidet sich ein 26-jähriger Gefangener aus dem Iran die Pulsadern auf. Er kommt ins Krankenhaus, wo seine Verletzungen stationär versorgt werden müssen.

Initiative gegen Abschiebehaft

 

6. Juli 09

 

Landkreis Ammerland in Niedersachsen. Der syrische Flüchtling R. wird festgenommen und kommt in Abschiebehaft. Die Behörde beabsichtigt, Herrn R., seine Frau und die beiden Kinder im Alter von 10 und 14 Jahren am 16. Juli nach Syrien abzuschieben. Die vier erwachsenen Kinder im Alter zwischen 18 und 23 Jahren bleiben zunächst von einer Abschiebung verschont.

    Nach acht Tagen Haft wird Herr R. aufgrund eines "Formfehlers" wieder entlassen.

FRat NieSa 4.8.09

 

7. Juli 09

 

Bundesland Bayern. Auf der Bundesautobahn 7 im Bereich Feuchtwangen südlich der Anschlußstelle Feucht-West werden um 17.30 Uhr fünf junge Männer von der Polizei aufgegriffen, die auf dem Pannenstreifen der Autobahn in Richtung Ulm laufen. Die körperlich geschwächten Flüchtlinge aus dem Irak werden von den Beamten in eine Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber gebracht.

Polizei Mittelfranken 8.7.09

 

13. Juli 09

 

Gewahrsamseinrichtung für Ausreisepflichtige (GfA) in Ingelheim – Rheinland-Pfalz. Als Beamte um 11.40 Uhr einen 25-jährigen Marokkaner zur Abschiebung abholen wollen und dieser sich dagegen wehrt, solidarisieren sich spontan 21 weitere Gefangene und verbarrikadieren sich hinter der Tür zu ihrem Flur. Sie beschließen einen 24-stündigen Hungerstreik, und damit niemand von außen den Flur mit Essen betreten kann, binden sie die Türgriffe mit Kabeln zu und tragen Tische, Stühle und Matratzen aus den Zellen in den Flurbereich. Sie fordern Gespräche mit der Presse und mit der Ausländerbehörde, damit die Öffentlichkeit auf ihre Situation aufmerksam wird.

    Nach ca. dreistündiger Ruhe im Trakt, rückt die Polizei mit 80 Beamten an. Der polizeiliche Einsatzleiter verweigert dem Gefängnis-Seelsorger, dem katholischen Diakon Herrn Metzler, ein Gespräch mit den Gefangenen. Statt dessen erscheinen "geschulte Verhandlungsführer" und nehmen gegen 16 Uhr die Gespräche mit den Demonstranten auf. Als fünf Männer beginnen, die Barrikade zu lockern, um Mitgefangene zu Verhandlungen durchzulassen und um selbst den Flur verlassen zu können, stürmt das Sondereinsatzkommando (SEK) in voller Kampfausrüstung (incl. Maschinengewehren) den Trakt.

    Laut Augenzeugenberichten schlagen die Beamten auf einige passiv in den Zellen sitzende Inhaftierte ein. Dabei werden insgesamt fünf Gefangene verletzt – zwei von ihnen müssen vorübergehend in ein Krankenhaus. Gegen die Insassen werden Ermittlungen wegen Gefängnismeuterei eingeleitet.

    Am Abend kommt es zu einer Spontandemonstration auf dem Trierer Hauptmarkt, auf der etwa 100 Menschen zum Widerstand gegen die menschenfeindliche Abschiebepolitik der EU aufrufen.

    Die Abschiebung des Gefangenen nach Marokko, der am Vormittag abgeholt werden sollte, wird vorerst abgebrochen.

Da er seit langer Zeit in Spanien lebt und arbeitet und in der BRD nur Verwandte besuchte, wird er Monate später, im September 2009, schließlich nach Spanien ausgeflogen.

indymedia.org 13.7.09;

e 110 14.7.09; jW 14.7.09;

16vor.de 14.7.09;

AK Asyl RP 15.7.09; AK Asyl RP 16.7.09;

Infodienst Asyl Rheinland-Pfalz September 09 (Marie Weber – ai)

 

15. Juli 09

 

Bundesland Baden-Württemberg. Muadin Feizulaxi wird nach knapp vierwöchiger Abschiebehaft aus Rottenburg entlassen.

    Vor zehn Monaten war er mit seiner Frau und den 1- und 3-jährigen Kindern aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Frankreich geflohen. Nachdem ihre Asylanträge abgelehnt worden waren, kamen sie in die BRD und versuchten, in Freiburg als Flüchtlinge anerkannt zu werden.

    Einen Tag nach der Asylantragstellung wurde Muadin Feizulaxi verhaftet, kam in Abschiebehaft und war damit von seiner Familie getrennt.

Bündnis gegen Abschiebehaft Rottenburg;

Schattenbericht Rottenburg 2008/2009

 

16. Juli 09

 

Flüchtlingsunterkunft Möhlau im Landkreis Wittenberg – Bundesland Sachsen-Anhalt. Am frühen Morgen um 4.10 Uhr klopft es an der Zimmertür der Roma-Familie Stolla in der dritten Etage. Als Herr Nazmi Stolla die Tür öffnet, drängen vier Polizisten, eine Polizistin und eine Zivilperson in den Raum.

    Die Eheleute – beide noch in Unterwäsche ‑ sind geschockt. Aufgeregte Fragen, ob der Anwalt angerufen werden dürfe, ob es noch eine Gerichtsentscheidung gebe oder ob sie ihre Sachen packen dürfen, werden knapp mit "Nein" beantwortet. Die Stimmung ist hektisch und als die Polizistin in einer schnellen Bewegung die schwerkranke Wjollca Stolla ergreift, um sie hinauszuführen, flüchtet ihr Mann in seiner Angst um seine Frau auf den Balkon. Der 49-Jährige droht, sich in den Tod zu stürzen: Es sei besser, hier zu sterben, als im Kosovo umgebracht zu werden, sagt er. Über die Feuerleiter klettert er bis zum Balkon der fünften Etage. Als die Beamten weiterhin versuchen, ihn festzunehmen, weicht er auf nebenstehende Balkone aus. Schließlich hat er das Dach erreicht.

    Mittlerweile befinden sich drei Einsatzwagen der Feuerwehr, drei Sanitätsfahrzeuge und viele Polizeiwagen auf dem Gelände der ehemalige. Kaserne Möhlau – auch ein Sprungkissen ist in Position gebracht, muß aber aufgrund der häufigen Ortswechsel von Herrn Stolla immer wieder neu in Position gebracht werden.

    Als zwei Beamte Naszmi Stolla mitteilen, daß die Abschiebung verschoben ist, weil seine Frau zusammengebrochen sei und in ein Krankenhaus eingeliefert werde, stimmt er zu, das Dach zu verlassen – allerdings unter der Bedingung, daß sich alle Rettungs- und Einsatzkräfte zurückziehen.

    Nazmi Stolla und seine zwei Jahre jüngere Frau sind seit 20 Jahren (!) in der Bundesrepublik. Wjollca Stolla leidet unter Diabetes, starker Migräne und einer Gehirnerkrankung. Sie hat vier Operationen im Bauch– und Halsbereich über sich ergehen lassen müssen, und sie ist traumatisiert. Ihre Kinder und Geschwister haben mittlerweile alle reguläre und stabile Aufenthalte in Deutschland und den USA.

    Nach dem Abschiebeversuch verlassen die Stollas das Heim und halten sich versteckt. Als einer ihrer Freunde im Flüchtlingsheim einige persönlich Dinge holen will, stellt dieser Freund fest, daß die Tür verriegelt ist, und ihm wird gesagt, daß Dinge aus der Wohnung nur von einer Sachbearbeiterin der Ausländerbehörde herausgegeben werden.

    Herr Stolla zu seiner jetzigen Situation: "Selbst wenn ich hier in Deutschland sterbe, ist das besser, denn dann kann ich wenigstens von meinen Angehörigen besucht werden."

    Völlig zermürbt willigt das Ehepaar schließlich in eine "freiwillige" Rückkehr in den Kosovo ein. Dort angekommen stellt sich heraus, daß ihr Haus zerstört ist, so daß sie vorübergehend bei Bekannten in der Ashkali-Siedlung Fushe Kosova unterkommen müssen.

MDZ 16.7.09; Karawane 19.7.09;

Bericht der betroffenen Eheleute;

no lager halle 21.7.09;

Kosovo Oktober 2009

 

17. Juli 09

 

Landkreis Saalfeld-Rudolstadt in Thüringen. Im Flüchtlingslager Katzhütte setzt sich gegen 21.00 Uhr ein 28 Jahre alter Palästinenser aus Jordanien in seinem Zimmer selbst in Brand, um sich zu töten. Zwei Mitbewohner ziehen den Mann aus dem lichterloh brennenden Raum und informieren die Polizei. Doch bedarf es dreier Anrufe und des mehrmaligen Buchstabierens des Namens des Anrufers, bevor die Beamten den Notruf ernst nehmen und die Feuerwehr informieren.

    Der Palästinenser, ehemaliger Medizinstudent und jetzt Asylbewerber, bleibt unverletzt. Er war früher schon als Patient in einer psychiatrischen Klinik und wird auch jetzt dort behandelt.

FRat Thür 29.7.09; OtZ 29.7.09; TA 29.7.09;

jW 30.7.09; TA 30.7.09; ND 30.7.09;

Bündnis 90/Die Grünen 30.7.09;

Spiegel 15.10.10

 

21. Juli 09

 

Die 25-jährige Kurdin Abta Houran, yezidischen Glaubens, soll – im Rahmen des zwischen der BRD und Syrien geschlossenen Rückübernahmeabkommens - nach Damaskus abgeschoben werden. Sie ist im vierten Monat schwanger und erleidet auf dem Flughafen Frankfurt einen Nervenzusammenbruch, so daß die Abschiebung abgebrochen werden muß. Sie kommt zurück in Abschiebehaft nach Hannover-Langenhagen.

    Am 6. August wird sie über Wien nach Damaskus abgeschoben. Noch am Flughafen wird sie verhaftet und verhört. Erst durch intensive Interventionen des Diakonischen Werkes, der Rechtsanwältin und des Zentralrats der Yeziden kann nach einer knappen Woche ihre Freilassung erreicht werden.

    Abta Houran war als 16-Jährige in die BRD gekommen und lebte mit ihrem Lebensgefährten Dham seit dem Jahre 2000 in Wiefelstede im Landkreis Ammerland. Der Vater ihres Kindes ist im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis auf Probe. Weil eine Eheschließung aufgrund von Beschlüssen des Oberlandesgerichtes in Absprache mit den Ausländerbehörden wegen angeblich nicht ausreichender Dokumente verhindert wurde, konnten die beiden nur religiös heiraten. Aus diesem Grunde wird Frau Houran zum Vater ihres Kindes auch nach einem eventuellen Antrag auf Familienzusammenführung (frühestens in drei Jahren möglich) nicht zurückkommen können.

    Am 7. Oktober nimmt das Verwaltungsgericht Osnabrück diesen Vorgang zum Anlaß, um eine weitere Rückführung nach Syrien zu stoppen. Die Richter stellen fest, daß "unter Beweisantritt konkret dargelegt" wurde, daß Abgeschobenen "Inhaftierung, körperliche Misshandlung und menschenunwürdige Haftbedingungen" drohen.

Wiefelsteder 29.7.09; FRat NieSa 4.8.09;

Filiz Polat (MdL) 4.8.09;

DW Oldenburg 6.8.09;

Zentralrat der Yeziden 11.8.09; taz 11.10.09

 

23. Juli 09

 

Bundesland Bayern. Als einem 27-jährigen Iraner in der Würzburger Flüchtlingsunterkunft die Besuchserlaubnis für eine Bekannte nicht verlängert wird, beginnt er, sämtliche Fenster in der Verwaltung des Heimes zu zerstören.

    Um 14 Uhr ruft die Heimleitung die Polizei, die den Asylbewerber mitnimmt und in eine Nervenklinik einliefert.

kanal18.de 24.7.09;

radiogong.com 24.7.09

 

23. Juli 09

 

In der Hamburger JVA Fuhlsbüttel versucht der 20 Jahre alte Abschiebegefangene I. A. aus Algerien, sich mit seiner Unterhose zu strangulieren.

Hamburgische Bürgerschaft DS 20/469;

BT DS 17/10596;

BT DS 17/10597

 

24. Juli 09

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Morgens gegen 3 Uhr bricht im Flüchtlingslager, das im Nörvenicher Gewerbegebiet liegt, in einem der acht Häuschen ein Feuer aus. Die einzige zu dieser Zeit im Haus weilende Person kann sich ins Freie retten. Ein 23-jähriger Bewohner eines Nachbarhäuschens muß sich nach einer Rauchgasinhalation im Krankenhaus ambulant behandeln lassen. Auch ein Feuerwehrmann verletzt sich leicht.

    Erst gegen Morgen gelingt es der Feuerwehr, den Brand zu löschen. Der entstandene Schaden im Lager, in dem bis zu 40 meist alleinstehende Flüchtlinge leben, wird auf 100.000 Euro geschätzt. Als Brandursache wird ein Defekt an einer Stromleitung im Dach der Unterkunft festgestellt.

AaN 24.7.09;

Polizei Düren 24.7.09

 

24. Juli 09

 

Berliner Bezirk Wedding. Bei dem kongolesischen Flüchtling Lukusa Ndibu klopft es heftig an der Wohnungstür. Er war kurz eingenickt, nachdem er sich Essen auf den Herd gestellt hatte. Nun ist die Wohnung voller Qualm, und als er fragt, wer denn an der Tür sei, bekommt er zur Antwort: "Polizei und Feuerwehr".

    Der 46-Jährige läuft zum Fenster, öffnet es und stürzt sich aus der vierten Etage in Panik hinunter. Er fällt auf ein Vordach des Hauses, auf dem er bewußtlos liegenbleibt. Erst am nächsten Tag kommt er im Krankenhaus Charité wieder zu sich. Er hat einen Schädelbasisbruch, eine Wirbelfraktur und sein linker Arm ist zersplittert. Nach Operationen und der Abheilung der körperlichen Leiden wird er in die psychiatrische Abteilung des Urban-Krankenhauses nach Kreuzberg verlegt.

    Lukusa Ndibu war aufgrund politischer Verfolgung im Jahre 1995 aus dem Kongo geflohen. Er stellte in der BRD einen Antrag auf politisches Asyl, der im Jahre 2000 abgelehnt wurde. Als die Abschiebung bevorstand, tauchte er unter und lebte ca. ein Jahr ohne Papiere in Berlin.

    Vor allem die Erlebnisse im Kongo – aber auch die jahrelange Bedrohung durch angekündigte Abschiebungen – haben ihn schwer traumatisiert. Sein Arzt attestierte ihm eine Posttraumatische Belastungsstörung, eine paranoide Schizophrenie, den schädlichen Gebrauch von Alkohol und eine Agoraphobie (Panikattacken an bestimmten Orten).

    Als er am 24. September aus dem Krankenhaus entlassen wird, kommt er in einem Obdachlosenheim in Berlin-Pankow

unter. Nach einer dreimonatigen Duldung bekommt er von der Ausländerbehörde wieder eine Grenzübertrittsbescheinigung.

Bericht des Betroffenen;

I.A.A.D.H.

 

30. Juli 09

 

Flughafen Frankfurt am Main. Ein 32 Jahre alte Syrer soll nach Damaskus ausgeflogen werden, obwohl seine Frau sich in einer psychiatrischen Klinik befindet. Im Flugzeug weigert sich der Mann sich hinzusetzen und bleibt nicht an seinem Platz, so daß der Flugkapitän erklärt, ihn aus Gründen der Luftsicherheit nicht mitnehmen zu wollen.

    Daraufhin sagt ein Polizeibeamter zu dem Syrer, daß er jetzt zur Strafe (!) gefesselt werde. Trotz Interventionsversuches der Abschiebungsbeobachtung wird der Mann dann an den Händen gefesselt abgeführt.

    Auf schriftliche Nachfrage der AbschiebebeobachterInnen entschuldigt sich das niedersächsische Innenministerium für die Aussage des Beamten.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2010

 

2. August 09

 

Bundesland Baden-Württemberg. In der JVA Mannheim versucht sich ein Abschiebegefangener zu erhängen. Zur medizinischen Erstversorgung kommt er ins Klinikum Mannheim.

BR DS 17/10597

 

3. August 09

 

Remscheid im Bundesland Nordrhein-Westfalen. Als der Fahrer eines Lastwagens der Spedition Flesche um vier Uhr morgens in der Königsstraße die Plane hochschlägt, um Stahl zu entladen, springen ihm vier Jugendliche entgegen, laufen zunächst durch die Lagerhalle und flüchten dann durch den Ausgang.

    Die gerufene Polizei nimmt sie kurze Zeit später fest – der Jüngste ist 15 Jahre alt. Sie sind ausgehungert, völlig erschöpft und offensichtlich seit langem unterwegs: aus Afghanistan geflüchtet, dann über Holland, Belgien bis zur niedersächsischen Raststätte Dammer Berge an der Bundesautobahn 1. Hier kletterten sie unbemerkt kurz nach Mitternacht in den Frachtraum des LKW, dessen Fahrer auf dem Weg von Hamburg nach Remscheid eine Pause machte.

    Die Jugendlichen werden dem Jugendamt und dem Verein BAF ("Begegnen. Annehmen. Fördern") zur Betreuung übergeben.

RP 5.8.09

 

4. August 09

 

Bundesland Bremen. Im Polizeigewahrsam bricht ein ca. 50 Jahre alter Gefangener aus Mazedonien zusammen und kommt ins St. Joseph-Stift zur medizinischen Behandlung. Hier wird bei ihm erstmals Diabetes vom Typ I festgestellt.

    Auf Druck der Ausländerbehörde wird er bereits am 8. August ins Lazarett der JVA Bremen transportiert. Der Gefängnisarzt stellt Reise-, Transport- und Flugtauglichkeit fest, macht aber deutlich, daß dem Gefangenen für den Transport ein Blutzuckermeßgerät, Insulin und Traubenzucker mitgegeben werden sollten.

    Sowohl die ehemals behandelnden ÄrztInnen des St. Joseph-Stifts als auch ein externer Diabetes-Coach bestätigen, daß der Mann nur ansatzweise in das Management der Behandlung seiner Erkrankung eingewiesen wurde. Da er dadurch mit hoher Wahrscheinlichkeit nach einer Abschiebung in lebensbedrohliche Situationen kommen kann, stoppt das Verwaltungsgericht schließlich die Abschiebung.

Christine Graebsch - Rechtsanwältin

 

12. August 09

 

Ein stark sehbehinderter irakischer Jezide wird aus der Abschiebehaft Ingelheim heraus nach Athen zurückgeschoben.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2010

 

16. August 09

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Im Meindorfer Flüchtlingsheim gibt es um 11.30 Uhr Feueralarm. In einem Wohnraum brennen mehrere Möbelstücke in der Nähe eines Fernsehapparates. Drei Kinder, die sich in dem Raum aufgehalten haben, müssen von den Rettungskräften betreut werden und kommen später ins Krankenhaus nach Sankt Augustin, das sie aber später wieder verlassen können.

    Die Brandursache wird noch ermittelt.

KR 17.8.09

 

19. August 09

 

Flughafen Frankfurt am Main. Eine 32 Jahre alte Russin aus dem Kaukasus soll mit ihren 10- und 13-jährigen Söhnen von Niedersachsen nach Moskau abgeschoben werden.

    Sie hat große Angst vor der Abschiebung und erwartet aufgrund ihrer politischen Aktivitäten Repressalien durch die russischen Behörden. Sie spricht kein Deutsch, so daß ihr 10-jähriger Sohn übersetzen muß.

    Die Frau beharrt immer wieder auf ihrem Asylrecht. Als Mutter und Kinder aufgefordert werden, in das Flugzeug zu steigen, wissen die Kinder nicht, was sie tun sollen. Letztlich bleiben die beiden auch nach dringenderen Aufforderungen der Polizisten, ihnen zu folgen, bei ihrer Mutter.

    Die Abschiebung wird aufgrund fehlender Sicherheitsbegleitung abgebrochen. Die Mutter erleidet jetzt einen Zusammenbruch und wird bewußtlos. Erst als ihr kleiner Sohn verzweifelt an ihr rüttelt, kommt sie wieder zu sich.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2010

 

21. August 09

 

Bundesland Bayern. In der JVA Nürnberg wird während der Essensausgabe in seiner Einzelzelle der 26 Jahre alte Mahmud O., Asylbewerber aus dem Irak, an seinem Hosengürtel erhängt vorgefunden. Er kann noch vor Ort reanimiert werden und kommt ins Nürnberger Klinikum. Dort erliegt er vier Tage später seinen Verletzungen.

    Mahmud O. war am 26. Juli in Haft gekommen, weil gegen ihn der Verdacht bestand, in eine Wohnung eingebrochen zu sein und einem Landsmann mit einer Schreckschußpistole mehrmals gegen den Kopf geschossen zu haben. Dieser Angriff hatte ein Brennen in den Augen des Opfers ausgelöst, das einige Stunden angehalten hatte. Bei dem Haftprüfungstermin begründet der nicht vorbestrafte Mahmud O. die Tat mit der Aussage, daß er von seinem Opfer vergiftet werden würde.

    Der Iraker war im Alter von 18 Jahren im August 2001 in die BRD eingereist und wurde – nach anfänglicher Ablehnung des Asylbegehrens – schließlich durch das Verwaltungsgericht Ansbach am 25. September 02 als Flüchtling anerkannt. Er bekam daraufhin einen internationalen Reiseausweis und eine Aufenthaltsbefugnis. Dieser Status wurde ihm durch ein Widerrufsverfahren des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge am 20. Januar 06 wieder genommen.

    Am 7. Mai 07 erhielt er eine Duldung, und da er keine Arbeit hatte, bekam er Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und mußte in eine Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge umziehen. Er bekam Depressionen und begab sich in nervenärztliche Behandlung. Zur Therapie gehörten auch Psychopharmaka, die in Haft weiter gegeben wurden..

    Obwohl sowohl dem Haftrichter als auch der Anstaltslei-tung die psychischen Probleme von Mahmud O. bekannt waren, äußert sich die JVA-Leitung nach dessen Tod gegenüber der Presse dahingehend, daß weder der Arzt noch die Psychologin der JVA Hinweise auf eine Suizidgefahr gesehen hätten.

    In der Einzelzelle, in der er sich tötete, war der Gefangene 23 Stunden des Tages eingesperrt. Obwohl es mehrere Zeugen gibt, die bestätigen, daß Herr Mahmud O. Anträge gestellt hatte, in eine Gemeinschaftszelle verlegt zu werden, bestreitet die JVA, solche Anträge erhalten zu haben.

    Der Grund des Suizids bleibt unklar, weil er keinen Abschiedsbrief hinterlassen hat.

FR 26.8.09; AA 26.8.09; NN 26.8.09;

MM 27.8.09; NZ 27.8.09; NN 27.8.09; NN 29.8.09;

Rainer Frisch - Rechtsanwalt

 

21. August 09

 

Bundesland Hessen. Im Frankfurter Stadtteil Griesheim stürmen um 4.00 Uhr morgens zehn Polizisten in Zivil und mit gezogenen Pistolen die Wohnung der alleinerziehenden Jasmina Zejnelovic. Die 41 Jahre alte Serbin soll zusammen mit der 13-jährigen Tochter Meliha und dem 9-jährigen Sohn Kenan abgeschoben werden. Der schlafende Kenan wird von den Polizisten mit den Worten geweckt: "Hallo, hier ist die Polizei, du mußt jetzt weg." Allein, weil Meliha nicht anwesend ist, wird die Abschiebung nicht vollzogen.

    Bei Kenan, der im August 2007 eine ähnliche Situation erlebte und seither unter posttraumatischen Störungen leidet, hinterläßt dieser erneute Abschiebeversuch größte Verwirrung und Verstörung. Er braucht dringend fachärztliche Behandlung – ist aber wegen der unsicheren Aufenthaltssituation nicht im Besitz eines Krankenscheines.

    Vor zwei Jahren hatten ihn Polizisten vor der Haustür abgefangen, als er auf dem Weg zu den Bundesjugendspielen war. (siehe 23. Mai 07)

    Nach der Ankündigung in der Presse, am 28. August in Wiesbaden mit Melihas Schulklasse der Frankfurter August-Zinn-Schule Innenminister Bouffier Kerzen zu überreichen, damit ihm "ein Licht aufgehe", wird die Abschiebung ausgesetzt.

    Trotz alledem erhält Frau Zejnelovic einen Strafbefehl, weil sie sich vom 1. bis 18. August illegal aufgehalten habe. Die Strafhöhe beträgt 90 Tagessätze zu je 8 Euro. Bei einem "Vergehen", das mit mehr als 50 Tagessätzen geahndet wird, hat ein Flüchtling keine Chance mehr auf eine positive Entscheidung des Petitionsausschusses.

FR 1.7.09; FR 6.8.09;

 jW 13.8.09; jW 25.8.09;

jW 26.8.09; jW 29.8.09; jW 16.12.09;

Wiltrud Pohl - Frankfurt

 

23. August 09

 

Taucha im Bundesland Sachsen. Nach dem Verlassen des Stadtfestes werden ein libanesischer Asylbewerber und seine zwei Begleiter von ca. 15 Männern rassistisch beleidigt. Den Begleitern gelingt die Flucht, doch der 26-jährige Libanese wird geschlagen und getreten – eine Bierflasche wird nach ihm geworfen.

    Als zwei Polizisten eintreffen, werden auch sie unter weiteren Pöbeleien angegriffen. Der Libanese und ein Polizist erleiden dabei leichte Verletzungen.

    10 Tatverdächtige im Alter von 17 bis 22 Jahren können wenig später in der Nähe festgenommen werden. Ein elfter Tatverdächtiger wird ermittelt und ebenfalls festgenommen. Die "polizeibekannten Schläger" werden der Leipziger Hooli-

ganszene zugerechnet. Sie bestreiten die Tat und kommen nach den Verhören alle wieder auf freien Fuß, weil keine Haftgründe vorliegen.

Polizei Westsachsen 23.8.09;

taz 25.8.09; dpa 26.8.09;

RAA Sachsen 10.11.09

 

23. August 09

 

Bundesland Thüringen – Landkreis Sömmerda. Ein junger Asylbewerber aus dem Irak wird auf einer halbstündigen Zugfahrt von Erfurt nach Straußfurt von einem ca. 25 Jahre alten Erfurter Mann und dessen Begleiter massiv rassistisch beleidigt.

    In Straußfurt verläßt der Flüchtling den Zug, aber die beiden Männer verfolgen ihn weiter und werfen kleinere Gegenstände auf ihn. Als er seine Verfolger zum wiederholten Male anspricht und ihnen sagt, daß sie ihn in Ruhe lassen sollen, bekommt er eine Faust ins Gesicht. Er kann sich jedoch noch wehren, und es gelingt ihm auch, die Polizei zu rufen. Als diese eintrifft, können die Täter gestellt werden.

    Der Iraker muß seine Prellungen im Gesichtsbereich ärztlich behandeln lassen.

MOBIT; THO Chronik

 

24. August 09

 

Bundesland Bayern. Um 1.00 Uhr nachts verliert der dänische Fahrer auf der BAB 3 nahe Tennenlohe bei Erlangen die Kontrolle über sein Fahrzeug. Der Citroen rammt die Leitplanke und kommt so zum Stehen.

    Von den vier afghanischen Mitfahrern, die sich im Wagen befinden, kommt einer leicht verletzt ins Krankenhaus.

    Der 39-jährige dänische Fahrer, der afghanischer Herkunft ist, wird vorläufig festgenommen, weil die Polizei ihn verdächtigt, daß er die mitfahrenden Flüchtlinge im Alter von 13 bis 26 Jahren ohne Einreiseerlaubnis von Italien nach Dänemark transportieren wollte.

Polizei Mittelfranken 24.8.09;

Ad hoc news 24.8.09

 

24. August 09

 

Mittweida im Bundesland Sachsen. In der Flüchtlingsunterkunft Frankenau bettelt und redet die 32 Jahre alte Libanesin A. T. auf zwei anwesende Mitarbeiter der Ausländerbehörde ein, um nicht umziehen zu müssen. Sie geht auf die Knie und küßt einem Amtsangestellten die Hand. Als keinerlei Reaktion kommt, zerkratzt sie sich mit beiden Händen das Gesicht, schluckt eine große Menge Medikamente. Dann geht sie hinaus und legt sich vor den dort stehenden Möbelwagen auf die Straße. In Gegenwart ihres 10-jährigen Sohnes bricht sie zusammen. Als der Ehemann um Hilfe bittet, nachdem er im Zimmer der Familie eine große Anzahl von leeren Medikamentenschachteln gefunden hat, wird er darauf verwiesen, seine Frau selbst ins Krankenhaus zu fahren. Er informiert selbst zunächst einen Krankenwagen, die Polizei und den behandelnden Arzt. Um nicht noch mehr Zeit verstreichen zu lassen, fährt er dann seine Frau in seinem Wagen nach Mittweida. Auf halber Strecke wird sie noch in den Rettungswagen umgeladen – im Krankenhaus stirbt Frau T. gegen Mittag an der Vergiftung. Sie hinterläßt ihre Kinder im Alter von drei, sieben und zehn Jahren und ihren Ehemann.

    An diesem Tag stand der Umzug der Familie in das Flüchtlingslager im 15 Kilometer entfernten Mobendorf an. Noch während Frau T. im Krankenhaus mit dem Tode ringt, wird von ihrem Mann verlangt, den Umzug fortzusetzen und seine Dinge zu transportieren.

    Der Antrag der Familie auf dezentrale Unterbringung aus gesundheitlichen und humanitären Gründen war von der Behörde abgelehnt worden. Danach hatte die Familie erneut darum gebeten, in eine Wohnung ziehen zu können – entsprechende ärztliche Atteste, die aufgrund der Suizidalität von Frau T. die Dringlichkeit bestätigten, lagen vor. Herr T. arbeitet in Mittweida, die Kinder gehen hier zur Schule bzw. in den Kindergarten, und ein Leben im Heim war für die psychisch kranke Frau unerträglich. Sie hatte immer wieder versucht, die beabsichtigte Verlegung abzuwenden und auch mit Selbsttötung gedroht. Der Kommentar der Heimleitung nach dem Suizid: "Der Selbstmord kam .... völlig überraschend."

    Frau T. war vor knapp drei Jahren ihrem Mann in die BRD gefolgt und hatte hier ihr drittes Kind bekommen.     Nach Bekanntwerden der Umstände des Suizids versetzt das Landratsamt Mittelsachsen bis zur weiteren Klärung die zwei Mitarbeiter der Ausländerbehörde innerhalb der Verwaltung.

    Drei Tage nach ihrem Tod wird der Leichnam von A. T. in den Libanon ausgeflogen, wo er bestattet werden soll.

    Der Witwer erstattet Anzeige gegen die beiden Sachbearbeiter wegen unterlassener Hilfeleistung. Die Kinder kommen zunächst bei einem Bruder der Verstorbenen in Berlin unter.

    Mitte September wird bekannt, daß die Staatsanwaltschaft nicht nur gegen die Mitarbeiter der Ausländerbehörde ermit-telt, sondern auch wegen Sachbeschädigung und Bedrohung gegen Unbekannt, denn auf Behördenmitarbeiter sei massiv Druck ausgeübt worden und auf den Toiletten in der Außenstelle des Landratsamtes in Mittweida hätten schriftliche Morddrohungen gestanden.

FRat Sachsen 25.8.09;

FP 26.8.09; SäZ 26.8.09; mdr 26.8.09;

epd 27.8.09; SäZ 27.8.09;  mdr 27.8.09; ddp 27.8.09;

FP 28.8.09; LVZ 28.9.09; MDZ 28.8.09,

SäZ 28.8.09; MDZ 31.8.09;

Kreistag Mittelsachsen 31.8.09;

SäZ 11.9.09; FP 17.9.09

 

25. August 09

 

Der 31 Jahre alte abgelehnte Asylbewerber Felix Otto wird – nach neun Jahren Deutschland-Aufenthalt – aus der Haft heraus über den Flughafen Frankfurt am Main mit einer Air France Maschine (Flug AF 1519) über Paris nach Douala in Kamerun abgeschoben.

    Mit der Abschiebung des leberkranken (Hepatitis B) Mannes entledigt sich das Bundesland Thüringen eines politisch aktiven Mannes, der zusammen mit der Flüchtlingsorganisation The VOICE lange Zeit gegen die gesetzlich festgelegte Bewegungsbeschränkung für Flüchtlinge (§ 56 AsylVfG "Residenzpflicht") gekämpft hat. Weil er sich in seiner Bewegungsfreiheit nicht einschränken lassen wollte und den ihm zugewiesenen Landkreis Saale-Orla ohne entsprechende Erlaubnis der Ausländerbehörde mehrmals verlassen hatte, war er im Dezember 2008 vom Amtsgericht Bad Lobenstein wegen dieser Straftat zu acht Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt worden.

    Als Felix Otto die Bewährungsauflagen, sich wöchentlich in seiner Unterkunft in Juchhöh zu melden, nicht einhielt und als er für die Polizei, die ihn zur Abschiebung abholen wollte, nicht greifbar war, wurde er zur Fahndung ausgeschrieben, und seine Bewährung wurde widerrufen.

    Am 30. März verhaftete ihn die Polizei auf der Autobahn A4 in der Nähe von Jena – seither saß er in der JVA Suhl-Goldlauter.

    Seit Mitte Juni begann die Ausländerbehörde Schleiz, seine Abschiebung vorzubereiten. Abschiebehaft wurde bean-tragt und verhängt. Über diesen Termin wurde seine Anwältin nicht informiert, weil die Ausländerbehörde dem Gericht nicht mitgeteilt hatte, daß Felix Otto eine Rechtsbevollmächtigte hatte.

    Die Geschichte von Felix Otto wurde öffentlich und es entwickelte sich eine bundesweite Solidarisierung, in deren Verlauf Brief-Kampagnen und Protest-Telefonate an die politisch Verantwortlichen im thüringischen Innenministerium durchgeführt wurden. Auch Mahnwachen, Kundgebungen und Demonstrationen fanden statt.

    Im Gegenzug wurde der Gefangene zunehmend von seinen UnterstützerInnen isoliert. Nicht nur bei Gerichtsverhandlungen, auch zu Arzt- und Krankenhausbesuchen wurde er gefesselt vorgeführt – Gespräche mit FreundInnen wurden unterbunden.

    Als am 25. Juni eine Kundgebung zu seiner Unterstützung vor dem Gefängnis stattfand, wurde er in eine weit abgelegene Zelle verlegt.

    Felix Otto berichtete auch von Mißhandlungen durch die Beamten. Er schrieb: "Sie begannen danach, mich mit Fäusten zu schlagen – während zwei Stunden – mein T-Shirt war ganz bedeckt mit Blut. Sie haben mein T-Shirt gewechselt, das blutbefleckt war – dann haben sie mich zum Gericht geführt."

    Einige Tage vor dem Abschiebetermin kam er - in Hand- und Fußschellen gebunden – in eine videoüberwachte Zelle. Seine Kleidung mußte er abgeben – begründet wurde dies mit Suizidgefahr. Er selbst schreibt darüber, was ihm in dieser Zelle passiert ist: "Ich bin mit Fäusten traktiert worden, geschlagen von den Beamten der JVA Suhl – mein Gesicht war von Blut bedeckt" und schließlich: "Ich bin deportiert worden mit einer gebrochenen Nase."

    Auch der Transport zum Flugzeug erfolgte streng abgeschirmt, so daß die am Flughafen Frankfurt am Main protestierenden UnterstützerInnen ihn nicht sahen. Im Flugzeug wurde er von Bundespolizisten unter Kontrolle gehalten und in Paris unmittelbar der französischen Polizei übergeben.

    Nach der Abschiebung gelingt es UnterstützerInnen, mit Felix Otto zu telefonieren. Es geht ihm schlecht, denn er hat kein Geld und keine Medikamente.

    Ende August erstattet seine Anwältin Anzeige gegen unbekannte Beamte der JVA Suhl wegen des Verdachtes auf gefährliche (weil gemeinschaftliche) Körperverletzung im Amt.

    Im Januar 2010 schreibt Herr Otto, daß sein Knie, das von den Beamten der JVA Suhl in der Isolierzelle verletzt wurde, immer noch geschwollen ist.

Bericht des Betroffenen;

The VOICE; Karawane;

taz 3.5.09; jW 25.5.09; ND 2.6.09;

jW 10.7.09; ND 16.7.09; taz 25.8.09;

jW 26.8.09; ND 26.8.09; Freitag 26.8.09

 

26. August 09

 

Der 42 Jahre alte Julio Canales stirbt in einem Berliner Krankenhaus an AIDS. Seit dreieinhalb Jahren lebte er ohne Papiere in der BRD und hatte sich aus Angst vor Abschiebung jahrelang nicht getraut, eine Arztpraxis aufzusuchen.

    Erst Ende Juli hatte er sich an das Büro für medizinische Flüchtlingshilfe gewandt, bei dem er die Adresse eines Arztes bekam, der ihm die Behandlung in einem Krankenhaus ermöglichte.

    Julio Canales ist in Venezuela aufgewachsen und wurde dort vor 20 Jahren aufgrund seiner Homosexualität von seiner Familie verstoßen. Er ging daraufhin in die USA und lebte auch dort als Papierloser.

Büro für medizinische Flüchtlingshilfe;

taz 29.8.09;

http://maedchenblog.blogsport.de 31.8.09

 

1. September 09

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Der 31-jährige Kurde Khaled Kenjo (Khalid Ma'mu Kandschu / Xalid Mio Kenco) aus Bielefeld wird nach 11-tägiger Abschiebehaft in Paderborn und nach sieben Jahren Deutschland-Aufenthalt über den Flughafen Frankfurt am Main nach Syrien abgeschoben.

    Als er dort einer Vorladung zum Staatssicherheitsdienst, Abteilung Qamishli, am 13. September nachkommt, wird er verhaftet. Sieben Tage später erfolgt seine Verlegung in die Zentralstelle des Staatssicherheitsdienstes nach Damaskus.

    Dann verliert sich vorerst seine Spur. Noch am 8. Oktober antwortet die Bundesregierung auf eine schriftliche Anfrage, daß sie zwar von der Festnahme wisse, jedoch der Aufenthaltsort unbekannt sei. Am 9. Oktober veröffentlicht amnesty international schließlich die Meldung, daß Khaled Kenjo im Gefängnis Qamishli im Nordosten Syriens festgehalten wird.

    Im Nachhinein stellt sich jetzt heraus, daß Herr Kenjo am 5. Oktober dem Militärrichter in Qamishli vorgeführt wurde und sich seither im Gefängnis Ghoeran der Stadt Hasaka befindet. Am 6. Oktober darf er erstmals mit einem Anwalt sprechen, und er erfährt, daß ihm nach Paragraph 278 des syrischen Strafgesetzbuches die Verbreitung falscher Informationen über Syrien vorgeworfen wird. Er berichtet, daß er während seiner Haft in Damaskus gefoltert wurde.

    Sein Bruder Ahmed Kenjo war im März 2004 nach einer Festnahme bei einer Demonstration im Gefängnis so schwer gefoltert worden, daß er kurze Zeit nach der Entlassung am
3. August 2004 seinen schweren Kopfverletzungen erlag. Dessen Zwillingsbruder Hussein kam erst nach 16 Monaten wieder frei.

    Khaled Kenjo war im April 2004 in die BRD geflüchtet, lebte im Landkreis Warendorf und nahm an zahlreichen exilpolitischen Veranstaltungen zum Thema Syrien teil. Aus Angst vor Abschiebung hatte er auch versucht, in Österreich Asyl zu beantragen, wurde dann aber in die BRD zurückgebracht.

    Nach abgelehntem Asylantrag wurde seine Abschiebung jetzt durch das deutsch-syrische Rückübernahmeabkommen möglich, das seit dem 1. Januar 09 in Kraft ist.

    Am 3. Januar 10 wird Khaled Kenjo vorläufig und gegen Kaution aus dem Zentralgefängnis in Hasaka entlassen.

    Khaled Kenjo nutzt die Entlassung und überquert am 19./20. Januar 10 die syrisch-türkische Grenze. Von Ankara aus berichtet er in einem Telefonat mit Kurdwatch von seiner Gefangenschaft in Syrien: Er war anfänglich sieben Tage lang in einer stockdunklen Einzelzelle, deren Ausmaße so klein waren, daß er sich nicht ausstrecken konnte. In dieser Zeit wurde er von Mitgliedern des Staatssicherheitsdienstes verhört. Er wurde auch mit Informationen aus seiner Asyl-Akte konfrontiert. Die Hände auf dem Rücken gefesselt, die Augen verbunden, beschimpft, geohrfeigt und mit Kabeln auf die Füße und andere Körperteile gepeitscht, sollte er sich vor allem dazu äußern, ob er an einer am 10. Dezember 08 stattgefundenen Kundgebung gegen das Rückübernahmeabkommen zwischen der Bundesrepublik und Syrien teilgenommen habe. Unter der Folter habe er dies irgendwann bejaht – vor Gericht allerdings widerrufen.

    Das UNHCR-Büro in Ankara stellt ihm am 21. Januar einen Flüchtlingsausweis aus, mit dem er sich vorübergehend ausweisen kann.

    Am 8. Februar 10 verurteilt der Militär-Einzelrichter in Qamishli ihn in Abwesenheit gemäß Artikel 287 Strafgesetzbuch wegen wissentlicher Verbreitung falscher oder übertriebener Informationen im Ausland zu vier Monaten Freiheitsstrafe und 80 syrischen Lira Geldstrafe. Die Anwälte kündigen Berufung gegen das Urteil an.

    Am 6. Juli 10 erfolgt seine legale Wiedereinreise über den Flughafen Düsseldorf in die Bundesrepublik.

Yekitimedia.org 22.9.09; GfbV 1.10.09; ai 8.10.09;

BT-Fraktion DIE LINKE 9.10.09; FRat NieSa 9.10.09;

jW 10.10.09; taz 11.10.09; taz 12.10.09;

Yekitimedia.org 3.1.10; FRat NieSa 4.1.10; Yekitimedia.org 21.1.10;

FRat NieSa 25.1.10; Kurdwatch 28.1.10; Kurdwatch 10.2.10;

Yekitimedia.org 12.7.10; Kurdwatch 7.7.10; Kurdwatch 29.8.10;

Kurdwatch 13.9.10; Kurdwatch 25.11.10; BT DS 17/3365

 

1. September 09

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Einige Stunden nach der Mitteilung, daß sein Asylantrag als "offensichtlich unbegründet" abgelehnt wurde, versucht sich in der Nacht der 31 Jahre alte algerische Gefangene Mohamed A. mit den Scherben einer Lampe zu töten, indem er sie in seinen Bauch rammt.

    Den Tötungsversuch des Flüchtlings nimmt das Amtsgericht Tiergarten zum Anlaß, die Abschiebehaft zu verlängern. Die Begründung: "Der Betroffene hat seine für den 1. September 2009 vorgesehene Abschiebung vereitelt und sich somit in sonstiger Weise seiner Abschiebung entzogen."

    Er wird am nächsten Tag in ärztlicher Begleitung nach Italien abgeschoben, obwohl er sich länger als sechs Monate in der BRD aufgehalten hat und damit nicht hätte abgeschoben werden dürfen.

    Erwähnenswert ist auch, daß der Bescheid, mit dem die Abschiebehaft beantragt und begründet wurde, gar nicht erlassen worden war. Aus diesem Grunde hat der Anwalt des Flüchtlings die Vertreterin der Ausländerbehörde angezeigt
(§ 271 StGB mittelbare Falschbeurkundung).

Dr. Stefan Krauth – Rechtsanwalt;

jW 3.9.09

 

1. September 09

 

Hamburg–Stellingen. Um 1.00 Uhr morgens bricht ein Feuer im Keller der Flüchtlingsunterkunft an der Lohkampstraße aus. 28 BewohnerInnen können von der Feuerwehr unverletzt gerettet werden.

HA 1.9.09

 

1. September 09

 

Bundesland Bayern. In der Nacht erscheinen Polizisten in dem Augsburger Flüchtlingslager in der Neusässer Straße. Wegen zu lauter Musik wurden sie gerufen und verlangen jetzt von einem 24-jährigen Asylbewerber aus Serbien, daß er sich ausweist. Dieser zieht jedoch ein langes Küchenmesser und geht damit laut schimpfend auf die Beamten zu. Plötzlich ändert sich seine Stimmung, er gibt an, nicht mehr leben zu wollen, und schneidet sich mehrmals mit dem Messer in den linken Oberarm. Nach längeren Interventionsversuchen der Beamten beruhigt er sich, legt das Messer aus der Hand und läßt seine klaffenden Fleischwunden medizinisch versorgen.

    Der 24-Jährige, der erst seit Januar des Jahres in der BRD ist, wird einer psychiatrischen Behandlung zugeführt.

Flüchtlingsberatung Caritas Augsburg;

Polizei Schwaben Nord

 

2. September 09

 

Bundesland Brandenburg. Erst circa zehn Monate nach der Geburt ihrer Tochter bekommt die Asylbewerberin Guiléne Flore Doknou Kamga aus Kamerun endlich die Geburtsurkunde vom Standesamt Forst ausgehändigt.

    Obwohl der Vater des Kindes deutscher Staatsangehöriger ist und die Vaterschaft bereits vor der Geburt beim Jugendamt Forst eingetragen wurde, hatte das Amt vorerst nur eine Geburtsbescheinigung ausgestellt – die Beurkundung allerdings verweigert.

    Zunächst mußte Frau Kamba, trotz Vorliegens einer Ledigenbescheinigung aus Kamerun, eine eidesstattliche Erklärung vor einem Notar abgeben, daß sie nicht verheiratet sei. Dann wurde ein von den Eltern vorgeschlagener Vaterschaftstest behördlicherseits abgelehnt.

    Die Ausländerbehörde in Forst leitete beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Asylverfahren für das Kind ein.

    Erst als der Vater des Kindes, André Frick, einen Rechtsanwalt einschaltete, wurde deutlich, daß sich die Standesamtsaufsicht deshalb weigerte, ihn als Vater in die Geburtsurkunde einzutragen, weil er bereits Vater mehrerer Kinder mit afrikanischen Frauen ist und man ihm damit unterstellte, daß mit dem Kind nur ein Aufenthaltstitel erwirkt werden solle. Die Initiative dieser Schikane ging vom Jugendamt Tempelhof-Schöneberg in Berlin aus, und Herr Frick mußte erst vor Gericht gehen, dessen Urteil die Aushändigung der Geburtsurkunde schließlich erzwang.

Bericht der Betroffenen

 

10. September 09

 

Bundesland Baden-Württemberg. Der Flüchtling Herr R. wird nach 86 Tagen Gefangenschaft aus dem Abschiebegefängnis Rottenburg abgeholt und nach Kamerun abgeschoben. Dadurch wird er von seiner deutschen Frau und seinem 3-jährigen Sohn getrennt.

    R. war Ende Dezember 2000 in die BRD gekommen und hatte Asyl beantragt. Im April 2001 wurde er verhaftet, weil die Polizei 0,5 Gramm Kokain bei ihm gefunden hatte. Nach der Entlassung im August mit dreimonatiger Bewährung kam er wegen Widerstands noch mehrmals mit den Gesetzen in Konflikt und wurde schließlich zu einer Haftstrafe verurteilt, die er vom 9. Dezember 02 bis zum 12. Mai 05 verbüßte.

    Im Dezember 2006 wurde R. Vater eines Sohnes und meldete das Kind seiner deutschen Freundin unter seinem Familiennamen im Standesamt Pforzheim an. Als er am 25. April 2007 knapp seiner Verhaftung zur Abschiebung entging, weil er nicht Zuhause war, beschloß das Paar, nach Spanien zu gehen, um dort offiziell zu heiraten. Dies gelang ihnen nach einer zweijährigen Wartezeit in Valencia.

    Sie kehrten nach Pforzheim zurück, und R. meldete sich am 12. Juni 2009 unter der Adresse seiner Ehefrau an. Vier Tage später holte ihn die Polizei aus der Wohnung, und er kam in Abschiebehaft nach Rottenburg.

Bündnis gegen Abschiebehaft Rottenburg/Tübingen;

Schattenbericht Abschiebehaft 2010

 

14. September 09

 

Über den Flughafen Frankfurt am Main werden zwei Schwestern im Alter von 24 und 26 Jahren aus Nordrhein-Westfalen nach Zagreb abgeschoben. Sie sind Roma und leben 20 Jahre lang in der Bundesrepublik. Die 20-Jährige ist kurz davor, das Fachabitur zu machen und ihre ältere Schwester steht unmittelbar vor ihrer Hochzeit. Sie haben den Status einer Duldung.

    Als die Jüngere ihr Gepäck in einem Karton sieht, weint sie und sagt: "Ein ganzes Leben in einem Karton, was weggeschmissen wird."

Abschiebungsbeobachtung FFM 2010

 

22. September 09

 

Bundesland Brandenburg. In der Potsdamer Flüchtlingsunterkunft An der Alten Zauche findet der Hausmeister morgens um 8.15 Uhr David K. leblos im Bett vor. Die Obduktion ergibt, daß der 36-jährige Kenianer zwischen drei und vier Uhr einer Alkoholvergiftung erlegen ist.

    Noch gegen Mitternacht waren Polizisten gerufen worden, weil es zwischen David K. und einem 29-jährigen indischen Mitbewohner zu einer tätlichen Auseinandersetzung unter Alkoholeinfluß gekommen war. Die Beamten nahmen den Inder in Gewahrsam und hatten David K. auf sein Zimmer begleitet.

    Nach 12-jährigem Aufenthalt in Potsdam ist David K.s Duldung seit zwei Wochen abgelaufen. Er war als Asylbewerber gekommen, und als der Antrag abgelehnt war, ging er "freiwillig" nach Kenia zurück. Als Student reiste er erneut ein ‑ aber auch dieser Versuch, in der BRD leben zu können, war gescheitert.

PNN 23.9.09; MAZ 23.9.09; PNN 24.9.09;

Büro der Ausländerseelsorge Potsdam 5.10.09;

MAZ 12.10.09

 

23. September 09

 

Bundesland Bayern. Der Bayerische Flüchtlingsrat stellt eine Strafanzeige wegen Körperverletzung gegen die Regierung von Niederbayern. Der Grund ist das Nicht-Verhalten der Verantwortlichen im Flüchtlingsheim von Aholfing.

    Hier muß ein Flüchtling seit vier Monaten in einem Zimmer leben, in dem es ununterbrochen von der schwarz verschimmelten Decke tropft. Das Wasser kommt von den darüber liegenden Waschräumen. Auch im Nebenzimmer tropft es von der Decke, hier kommt das Wasser allerdings von den Toilettenräumen, die darüber liegen.

    Der Flüchtling beschwerte sich mehrmals bei der Heimleitung und forderte ein anderes Zimmer – klagte zudem über Kopfschmerzen, Schlafstörungen und Atembeschwerden. Er bekam folgende Antwort: "Gib endlich a Ruh, sonst schik i die in den Dschungel z'ruck."

    Als sich auch nach der Intervention des Flüchtlingsrates nichts ändert, wird Klage erhoben.

FRat Bayern 23.9.09

 

28. September 09

 

Bundesland Niedersachsen. Der Altkreis Meppen veranlaßt, daß die 16-jährige Serdana B. morgens um 5.00 Uhr aus der Wohnung ihrer "Pflegeeltern" abgeholt wird, und schiebt sie über Düsseldorf mit weiteren 31 Personen nach Prishtina ab.

    Serdana B. war am 27. April 2008 allein und ohne Papiere in die BRD geflüchtet und wurde hier von Verwandten aufgenommen. Sie hatte ein amtlich beglaubigtes Schreiben der Eltern bei sich, in dem mitgeteilt wurde, daß sie als Angehörige der Roma-Minderheit sexuellen Übergriffen durch Albaner ausgesetzt war und weitere Angriffe befürchten müsse. Sie solle in Deutschland bleiben, so die Eltern.

    Ihr Asylantrag wurde abgelehnt, weil bei der Anhörung im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nicht sie selbst, sondern ein Mitarbeiter des Jugendamtes als gesetzlicher Vertreter erschienen war. Dieser Mann erklärte vor dem BAMF – ohne überhaupt ein Wort mit Serdana über ihre Fluchtgründe gewechselt zu haben, daß sie nur gekommen sei, um zu heiraten.

    Die Jugendliche lebte bei den Verwandten, die auch die Kosten für ihren Aufenthalt trugen. Erst als diese an diesem Morgen von der Nachtschicht kommen, bemerken sie, daß Serdana B. verschwunden ist, und benachrichtigen eine Rechtsanwältin.

    Die Anwältin versucht in der Eile eine Vollmacht des Ergänzungspflegers einzuholen, ohne die sie einen Eilantrag auf Abschiebestop nicht stellen kann. Als dieser die Herausgabe der Vollmacht verweigert, weil er die Abschiebung ohnehin befürwortet, schickt die Anwältin ein Fax an die Ausländerbehörde und fügt den eidesstattlich beglaubigten Hinweis hinzu, daß die Eltern des Mädchens sich derzeit in Belgien aufhalten.

    Der Landkreis Emsland bestätigt zwar den Eingang des Faxes der Rechtsanwältin. Es sei aber wegen der Kürze der Zeit nicht mehr möglich gewesen, die Angaben in Belgien zu überprüfen. Zwar hätte man die Abschiebung noch stoppen können, diese aber weiter für richtig gehalten.

    Der Landkreis Emsland teilt mit, die deutsche Botschaft habe "vor der Ausreise des Mädchens aktuell überprüft, ob die Eltern im Kosovo sind, damit sichergestellt ist, daß das Mädchen nach seiner Einreise in Empfang genommen und an die Eltern übergeben werden kann." Dies sei gewährleistet gewesen.

    Tatsächlich wird Serdana B. am Flughafen von zwei Albanisch sprechenden Personen in Zivil angesprochen, die sie fast nicht versteht. Dann erscheint der Bruder der Stiefschwester ihrer Mutter, Jakub Hajrulahu, der nach dem Anruf aus Deutschland 500 Kilometer nach Prishtina gefahren ist, um die Jugendliche abzuholen.

    Er nimmt Serdana mit zu sich ins Dorf Bajmok bei Subotica in Nord-Serbien, nahe der ungarischen Grenze. Hier lebt er mit seiner Frau und sechs Kindern – das älteste ist 12 Jahre alt. Sie haben nicht genug Geld für Essen oder Kleidung.

    Serdana ist verzweifelt, weint viel, zieht sich oft zurück und macht auch am Telefon einen verstörten und aufgewühlten Eindruck. Zweimal versucht sie sich umzubringen.

    Im Januar 2010 ergibt sich für sie die Möglichkeit, illegal erneut in die Bundesrepublik zu kommen. Sie kehrt zu ihren "Pflegeeltern" zurück und beginnt eine Psychotherapie, um ihre traumatischen Erlebnisse aufzuarbeiten. Das BAMF erklärt sich bereit, ein weiteres Asylverfahren durchzuführen – dieses wird schließlich positiv entschieden, und sie erhält eine Aufenthaltserlaubnis.

Meppener TP 3.10.09;

FR NieSa 8.10.09;

Meppener TP 10.10.09;

FR NieSa 22.10.09; NOZ 26.10.09;

NOZ 29.10.09; NOZ 30.10.09;

Heft der Flüchtlingsräte 2010;

FRat NieSa Nr. 134/2011

 

2. Oktober 09

 

Bundesland Bayern. Auf dem Autohof Münchberg der Bundesautobahn 9 wird ein afghanischer Flüchtling auf der Ladefläche eines Kühl-LKWs von der Polizei vorgefunden. Der entkräftete und unterkühlte Mann wird ins Krankenhaus zur ärztlichen Versorgung gebracht.

BT-Drucksache 17/458

 

8. Oktober 09

 

Lübbecke in Nordrhein-Westfalen. Morgens um 5.00 Uhr erscheinen Beamte im Flüchtlingsheim Rote Mülle 15 und legen der 56 Jahre alten Witwe Schexa Cindo und ihren vier erwachsenen Kinder Handschellen an, um sie nach Syrien abzuschieben. Frau Cindo leidet an Diabetes mellitus und Depressionen. Als sie sieht, wie ihre Kinder in Handschellen gelegt werden, verliert sie das Bewußtsein. Sie bekommt intravenöse Medikamente, und sobald sie wieder zu sich kommt, wird sie ins Bad gebracht, wo die Beamten ihr das Henna aus den Haaren waschen, das sie sich zuvor aufgetragen hatte. Weil sie nicht in der Lage ist, zu gehen, wird sie von den Beamten in den Polizeitransporter getragen. Über Bielefeld wird die Familie zum Flughafen Frankfurt am Main gebracht. Kurz vor dem Betreten des Flugzeugs verliert Frau Cindo erneut das Bewußtsein – sie muß hineingetragen werden. Ein arabisch sprechender Arzt setzt sich neben sie und injiziert der benommenen Frau auch während des Fluges und gegen ihren Willen noch mehrmals Medikamente.

    Da sie auch nach der Landung in Damaskus nicht in der Lage ist, zu stehen und zu gehen, wird sie mit einem Rollstuhl

hinausgefahren und von den sieben polizeilichen Begleitpersonen und in Gegenwart des Arztes direkt den syrischen Sicherheitskräften übergeben. Auch ihre 22-jährige Tochter Fatma und ihre 19, 20 und 21 Jahre alten Söhne Imad, Welit und Eset werden jetzt festgenommen.

    Den in der BRD abgelehnten AsylbewerberInnen yezidischen Glaubens wird vorgeworfen, in Deutschland an antisyrischen Demonstrationen teilgenommen zu haben.

    Direkt am Flughafen beginnen die Vernehmungen unter Wutanfällen und Gewaltandrohungen der Verhörer. Die Summe von 250 Euro, das einzige Geld, das sie mitnehmen konnten, wird ihnen abgenommen. Danach werden die Cindos in Zellen gebracht, die sich unterhalb des Flughafens befinden – Frauen und Männer getrennt.

    Am nächsten Tag werden die Verhöre in einem Polizeigewahrsam in Damaskus fortgesetzt und fünf Tage später in einem anderen Gefängnis für politische Gefangene. Ihnen werden Fotos von Demonstrationen in Deutschland vorgehalten, und sie werden aufgefordert, Namen von Beteiligten oder sonstigen oppositionellen syrischen StaatsbürgerInnen zu nennen. Sie werden an den Haaren gezogen, sie werden ins Gesicht geschlagen, sexistisch beschimpft und bedroht und mit Gummiknüppeln auf die Oberschenkel traktiert. Einmal wird mit ihnen und 15 anderen Gefangenen auf dem Hof eine Scheinhinrichtung veranstaltet. Sie haben keinen Kontakt zur Außenwelt  - lediglich ein einziges Mal kann ein Verwandter sie für wenige Minuten sehen. Als Schexa Cindo aufgrund ihrer Zuckerkrankheit kollabiert, wird sie vorübergehend in ein Krankenhaus eingeliefert. Sie dürfen sich während ihrer vier Wochen dauernden Haft nicht waschen.

    Am 22. und 23. Oktober werden alle Mitglieder der Familie aus der Haft entlassen. Am 29. Oktober findet die Verhandlung vor dem Dritten Strafgericht in Damaskus statt. Frau Cindo und ihre Kinder werden sehr intensiv zu ihrem Aufenthalt in der BRD befragt. Ihnen wird vorgeworfen, das Land illegal verlassen zu haben, und die Strafe dafür wird auf 525 Syrische Lira pro Person festgelegt. Durch die Unterstützung einer in dem Ort Gundor lebenden Tochter von Schexa Cindo gelingt es der Familie, die Summen zu bezahlen. Nach Hinterlassung einer Wohn-Adresse dürfen sie gehen.

    Da die in Syrien lebenden Angehörigen der Familie von Polizei und Militärs aufgesucht, nach ihnen ausgefragt und teilweise zur Wache mitgenommen werden, entschließt sich Familie Cindo, erneut das Land zu verlassen. Mit Fluchthelfern gelangen sie nach Istanbul.

    Am 9. Juli 10 erfolgt ihre Einreise mit einem LKW in die Bundesrepublik. Hier stellen sie erneut Asylfolgeanträge.

    Trotz der rechtswidrigen Abschiebung vor acht Monaten durch die Ausländerbehörde Minden-Lübbecke verlangt diese jetzt zunächst die Rückzahlung der Abschiebekosten in Höhe von 6870,42 Euro.

Kurdwatch 8.10.09;

Yekitimedia 13.10.09;

FRat NieSa 14.10.09; taz 23.10.09;

Yekitimedia 25.10.09;

Dündar Kelloglu – Rechtsanwalt

 

11. Oktober 09

 

Bundesland Niedersachsen. In Rodetal bei Göttingen dringen gegen 23 Uhr mehrere deutsche Jugendliche in eine Flüchtlingsunterkunft ein, entleeren einen Feuerlöscher und bringen mehrere Silvesterknallkörper zur Explosion. Die 21 dort lebenden Flüchtlinge kommen mit dem Schrecken davon.

    Die gerufene Polizei ermittelt wegen Hausfriedensbruchs und Sachbeschädigung gegen die in Reyershausen und Billingshausen wohnenden Jugendlichen im Alter von 16 bis 19 Jahren.

GT 13.10.09;

Polizei Göttingen 14.10.09

 

13. Oktober 09

 

Flughafen Frankfurt am Main. Eine armenische Frau aus Niedersachsen wird mit ihren 5- und 3-jährigen Kindern nach Eriwan abgeschoben. Sie berichtet der Abschiebungsbeobachtung, daß sie ohne ihren Mann fliegen müsse, weil der keine Ausreisepapiere hat.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2010

 

13. Oktober 09

 

Bundesland Baden-Württemberg. Die 58 Jahre alte Romni Fekrije T. aus Bad Wildungen wird völlig unvorbereitet von Polizisten aus ihrer Wohnung geholt und in den Kosovo abgeschoben. Die herz- und zuckerkranke Frau lebte 20 Jahre lang in der Bundesrepublik und wird jetzt durch die Abschiebung von ihren drei Töchtern, zwei Söhnen und 13 Enkelkindern getrennt.

    In Prishtina kommt sie für einige Tage im Hotel Aviano unter, einem Haus, in dem die kosovarische Regierung abgeschobene Flüchtlinge "parkt", weil sie keine Bleibe haben. Auf den deutschen Abschiebepapieren von Frau T. ist die Wohnung eingetragen, die sie vor 20 Jahren verlassen hat.

    In dem Hotel findet sie jemanden, der sich aus Mitleid bereit erklärt, sie nach Serbien zu fahren, denn in der Kleinstadt Zajecar – nahe der rumänischen Grenze - lebt ihr 31-jähriger Sohn Armend, der bereits im August "freiwillig" aus der Bundesrepublik ausreisen mußte.

    Mutter und Sohn können in einer kleine Wohnung leben, die sie durch die unregelmäßige Unterstützung der in Deutschland gebliebenen Familie finanzieren. Sozialhilfe gibt es nicht, weil eine polizeiliche Anmeldung in Serbien nicht möglich ist.

    Als Fekrije T. im Januar 2010 mit Atemnot und Herzproblemen ins Krankenhaus kommt, wird sie noch am gleichen Tag wieder entlassen, weil das Geld für die Behandlung fehlt. Auch ist die Beschaffung des richtigen Insulins ein großes Problem und eine ärztliche Betreuung zur Einstellung der täglichen Dosierung nicht bezahlbar.

    Einige Wochen später bricht Fekrije T. erneut zusammen und kommt ins Krankenhaus, weil sie seit einiger Zeit kein Insulin bekommen hat.

FRat NieSa Nr. 134/2011

 

14. Oktober 09

 

Landkreis Wolfenbüttel im Bundesland Niedersachsen. Um 14 Uhr stehen Polizisten in Börßum am Mühlenweg 34 vor der Tür der Unterkunft von Innocent Irankunda. Der 24-jährige abgelehnte Asylbewerber aus Ruanda wird mitgenommen und über den Flughafen Frankfurt um 23 Uhr nach Kigali ausgeflogen. Unmittelbar nach seiner Ankunft erfolgt seine Verhaftung durch die dortigen Behörden.

    Innocent Irankunda wird in den folgenden beiden Nächten verhört und am 16. Oktober in die nahe dem Flughafengelände gelegene Polizeistation von Nyamirambo gebracht. Er wird so lange verhört und gefoltert, bekommt in den ersten Tagen auch keinerlei Nahrung oder Getränke, bis er Namen von ruandischen Flüchtlingen in der Bundesrepublik und auch den Namen seines Fluchthelfers in Ruanda nennt.

    Die Vorwürfe sind Verrat bzw. Verbrechen gegen die Sicherheit des Staates, die Fälschung von Dokumenten und die Verbreitung von Genozid-Ideologie zur Zeit des Völkermordes an den Tutsi – einer Zeit, zu der Innocent Irankunda neun Jahre alt war. Herr Irankunda soll einen ruandischen Haftbefehl gefälscht haben, um sich im Ausland als Opfer politischer Verfolgung darzustellen. Ein solches Papier ist jedoch den deutschen Behörden nie vorgelegt worden.

    Von den Verhören und Mißhandlungen gebrochen, unterschreibt Herr Irankandu schließlich ein "Geständnis", in dem er alle Anklagepunkte einräumt, auf anwaltliche Verteidigung verzichtet und um Verzeihung bittet.

    Am 20. und 21. Oktober wird er dem Generalstaatsanwalt beim Parquet von Nyamirambo vorgeführt.

    Am 27. Oktober wird bekannt, daß zahlreiche Menschen verhaftet wurden – sowohl Mitglieder der Familie von Herrn Irankunda als auch Familien anderer ruandischer Asylsuchender in der Bundesrepublik. Die regierungstreue NewTimes Rwanda berichtet, daß auch Pastor Deus Sangwa, der sowohl Innocent Irankunda als auch anderen Verfolgten die Flucht organisierte, festgenommen wurde.

    Auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE im Landtag antwortet Innenminister Schünemann wörtlich: "Es liegen keine Erkenntnisse vor, ob die Verhaftung des Herrn Irankunda unmittelbar nach Rückkehr in Ruanda aufgrund strafrechtlicher Verfehlungen nach den nationalen Strafvorschriften Ruandas erfolgt ist oder ob diese aus Gründen erfolgte, die asylrechtliche Relevanz haben. Die Inhaftierung hat seine Ursache jedoch nicht in der von der Ausländerbehörde durchgeführten Abschiebung."

    Nach Auskunft der Deutschen Botschaft drohen dem Inhaftierten bis zu 10 Jahre Haft – die regimetreue ruandische Presse spricht von möglicherweise 20 Jahren Haft.

    Am 18. November wird Herr Irankunda in das Zentralgefängnis von Kigali, gelegen in Muhima im Nyarugenge District / Kigali City, verlegt.

    Am 27. November wird er zu einer Haftstrafe von vier Jahren verurteilt. Die Strafe wird damit begründet, daß er gefälschte Dokumente zur Erlangung von Asyl verwendet hat.

    Innocent Irankunda war am Morgen des 23. April 09 über den Flughafen Frankfurt am Main mit offiziellen Papieren als Messebesucher eingereist. Unmittelbar danach bat er um Asyl, weil er in Ruanda um seine Freiheit und sein Leben fürchtete.

    Er war als Mitglied einer vermögenden Familie im März 2008 von der Ortsverwaltung Gacava enteignet worden, weil auf seinem Grundstück Wohnungen für Menschen der Bevölkerungsgruppe der Tutsi gebaut werden sollten. Als er sich zu wehren begann, nahm die staatliche Bedrohung zu, und nachdem ihm bekannt wurde, daß die Polizei nach ihm suchte, entschloß er sich, außer Landes zu fliehen. Pastor Deus Sangwa half ihm bei der Beschaffung der Reisepapiere.

    In seinem Asylantrag gab er auch an, daß seine Mutter im Jahre 1998, als die Familie aus dem Kongo nach Ruanda zurückkehrte, von Milizen abgeholt wurde und nie wieder auftauchte. Im Jahre 1999 waren erneut ruandische Soldaten gekommen und hatten auf alle Familienmitglieder eingeprügelt. Der Vater sei verschleppt worden, und erst ein Jahr später erfuhren sie, daß er im Gefängnis in Kigali säße. Er war aufgrund schwerer Mißhandlungen inzwischen halbseitig gelähmt und starb nach der Entlassung an den Folgen der Haft.

    Der Asylantrag wurde am 10. September 09 vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) als "offensichtlich unbegründet" eingestuft und damit abgelehnt.

    Anfang November bittet die Rechtsanwältin Florentine Heiber das Bundesamt, die Asyl-Entscheidung zu korrigieren. Dieses wird vom Bundesamt wider besseren Wissens mit den Worten abgelehnt, daß "die ihm nun mehr in seinem Heimat-land vorgeworfenen Delikte im Zusammenhang mit der Ahndung von Urkundsdelikten" stünden. "Diese würden überall strafrechtlich verfolgt. Ob er von den Behörden seines Staates zu Unrecht dreier Straftaten beschuldigt werde, erscheine zurzeit jedenfalls zweifelhaft." Da Herr Irankunda unmittelbar nach seiner Einreise in die BRD durchsucht worden war, ist es aktenkundig und auch dem BAMF bekannt, daß er keinerlei gefälschte Schriftstücke bei sich hatte.

    Im Dezember 2011 erhebt die Rechtsanwältin Verfassungsbeschwerde, weil die Verfahren sowohl beim Verwaltungsgericht als auch beim Oberverwaltungsgericht scheiterten.

Pro Asyl und FRat NieSa 2.11.09; HAZ 12.11.09;

Landtag NieSa 26.11.09; BrZ 27.11.09;

Pro Asyl und FRat NieSa 30.11.09; BrZ 1.12.09;

Pro Asyl Newsletter 154; ai August 2010;

Florentine Heiber - Rechtsanwältin

 

29. Oktober 09

 

Zwickau im Bundesland Sachsen. In der Flüchtlingsunterkunft Kopernikusstraße brennt gegen 20.30 Uhr ein Zimmer im Erdgeschoß des dreistöckigen Hauses. Feuerwehren aus Zwickau, Auerbach, Oberhohndorf, Planitz und Pöhlau sind mit 90 Personen vor Ort und können 15 Personen evakuieren. Zwei von ihnen erleiden leichte Verletzungen durch Rauchgas. Morgens um 5.00 Uhr sind die letzten Brandnester gelöscht.

    Nach der Äußerung eines Bewohners, daß er kurz vor dem Brand Nazis gesehen habe, wird auch in Richtung Brandstiftung ermittelt. Schließlich wird als Brandursache ein ungesicherter Ofen identifiziert.

Polizei Sachsen 30.10.09;

ddp 30.10.09; dpp 30.10.09;

CMP 2.11.09; SäZ 3.11.09;

RAA Sachsen 17.11.09

 

Oktober 09

 

Der 32 Jahre alte Flüchtling Kevin Ikechukwu hat aufgrund schwerer Foltererfahrungen und -verletzungen so starke Kopfschmerzen, daß er auf der Hamburger Ausländerbehörde ohnmächtig zusammenbricht. Er muß mit dem Notarztwagen ins Krankenhaus St. Georg gebracht werden.

    Kevin Ikechukwu ist abgelehnter Asylbewerber und seit 12 Jahren in der BRD. Als Aktivist gegen den Wahlbetrug und gegen die Inhaftierung des demokratisch gewählten Kandidaten Chief M.K.O. Abiola war er ins Visier der staatlichen Verfolgung geraten. 1993 wurde er erstmals verhaftet und erlitt schwere Folter. Nach einer erneuten Verhaftung und insgesamt fünf Jahren Gefangenschaft war ihm 1997 die Flucht aus dem Gefängnis und in die BRD gelungen. Aufgrund der ihm in nigerianischer Haft zugefügten Kopfverletzungen leidet er seit Jahren unter schweren Kopfschmerzen und Ohnmachten – eine 12 Zentimeter lange Narbe vom rechten Ohr bis zur Schädelmitte zeugt von der Verletzung.

    Am 23. November wird er in der Ausländerbehörde verhaftet und kommt auch nach einer Botschaftsanhörung in Halberstadt nicht wieder frei. Die Abschiebehaft wird bis in den Januar 2010 verlängert. Am 21. Dezember beginnt er einen Hungerstreik, der seine gesundheitliche Verfassung weiter verschlechtert.

    Am 21. Januar 2010 befindet er sich mit Dutzenden anderen afrikanischen Flüchtlingen in der JVA Billwerder in Düsseldorf, weil eine Sammelabschiebung mit einer Charterma-

schine der Lufthansa von Flüchtlingen aus mehreren europäischen Ländern ansteht und das Flugzeug am Abend landen wird.

    Kurz vor der Abschiebung mißt eine medizinische Hilfskraft bei dem unter Bluthochdruck leidenden Kevin Ikechukwu

Werte von 180 mmHg. Kein Anlaß für den Medizinischen Dienst oder die Bundespolizei, ihm den Flug zu ersparen.

Karawane 27.12.09;

jW 2.1.10; The VOICE 11.1.10;

Karawane 21.1.10;

Bericht des Betroffenen

 

7. November 09

 

Bundesland Sachsen. An einer Dresdener Straßenbahnhaltestelle werden zwei Inder von einem 29-jährigen Deutschen mit rassistischen Sprüchen beleidigt. Dann schlägt der Täter einem der beiden mit der Faust ins Gesicht und tritt ihn gegen die Beine.

    Dabei wird der Asylbewerber an der Lippe, an den Zähnen, am Ohr und an den Beinen verletzt. Im Krankenhaus erfolgt eine ambulante Notversorgung der Wunden.

    Der Schläger wird ermittelt und wird sich wegen Beleidigung und Körperverletzung verantworten müssen.

SäZ 7.11.09;

Bild-Ztg 9.11.09;

RAA Dresden

 

8. November 09

 

Harbke im Landkreis Börde – Bundesland Sachsen-Anhalt. Unbekannte Täter dringen auf das Gelände und in zwei Gebäude des Flüchtlingsheimes ein, in dem 150 Menschen leben. Im Hausflur und an der Wand neben der Eingangstür sprühen sie zwei großflächige Hakenkreuze – ebenso an das Wartehäuschen der Bushaltestelle vor dem Heim. Dann reißen sie Feuerlöscher von den Wänden und versprühen deren Inhalte in beiden Hausfluren.

    Das Löschpulver steigt bis zur dritten Etage der Häuser I und II hoch und hinterläßt selbst in den Zimmern zentimeterhohe Staubschichten.

    Als die BewohnerInnen die Polizei und Feuerwehr rufen, weil sie dichten Rauch auf den Fluren wahrnehmen, und diese erst nach 45 Minuten eintreffen, sind die Täter verschwunden.

    Die Unterkunft liegt mitten im Wald, neben der Autobahn und ca. 5 Kilometer vom Ortskern Harbke entfernt. Das Eingangstor zum Gelände ist nicht verschließbar, und auch die Wohnhäuser der ehemaligen NVA-Kaserne bleiben Tag und Nacht unverschlossen, denn die Flüchtlinge bekommen keine Hausschlüssel.

    Die Flüchtlinge leben in diesem Heim aufgrund häufiger Angriffe voller Angst und unter miserablen Bedingungen, weil das Gebäude und die Einrichtungen völlig heruntergekommen sind. Putz fällt von den Decken, Duschen funktionieren nicht, in den Zimmern und den Sanitärbereichen gedeiht Schimmel. Warmes Wasser gibt es nur unregelmäßig. Vor allem kleine Kinder, kranke und ältere Menschen leiden sehr unter den untragbaren Zuständen. (siehe auch: Mai 09 und 17. April 10)

FRat SaAnh 13. 11.09;

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt;

ddp 28.4.10

 

11. November 09

 

Eine 52 Jahre alte Armenierin aus Hofheim wird über den Flughafen Frankfurt am Main nach Eriwan abgeschoben. Sie war vorher in der Ausländerbehörde festgenommen worden, als sie in Begleitung ihrer Tochter ihre Duldung verlängern lassen wollte. Ihre drei Kinder und Enkel leben alle mit Auf-enthaltstitel in der Bundesrepublik. Ihr Mann ist vor einigen Jahren in Armenien gestorben. Sie selber hatte einen 400-Euro-Job in der Arztpraxis, in der ihre zweite Tochter eine Ausbildung macht.

    Es gibt keine Zeit, die Koffer zu packen, und den Töchtern wird gesagt, daß sie sich nicht von ihrer Mutter am Flughafen verabschieden können. Auch wird ihnen untersagt, der Mutter Bargeld zu geben. Die Annahme eines ärztlichen Gutachtens, das die Posttraumatische Belastungsstörung der Frau belegt, lehnt das Regierungspräsidium Darmstadt mit der Begründung ab, daß die Schweigepflichtsentbindung der Frau nicht vorliegt, und verweist an das Bundesamt – dort ist allerdings gerade Mittagspause.

    Die Abschiebungsbeobachtung erkundigt sich im Nachhinein beim Hessischen Innenministerium nach den Hintergründen der Abschiebung. Hier werden die vorgefallenen Mißstände geleugnet und zu der verweigerten Übergabe von Geld wird argumentiert, daß der Polizist die Übergabe deshalb verhinderte, weil er der Ansicht war, daß dies "nicht erlaubt und nicht empfehlenswert" sei.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2010

 

11. November 09

 

Bundesland Niedersachsen. Dem 16 Jahre alte Kurden Dogan G. wird mitgeteilt, daß sein Asylverfahren in der Bundesrepublik nicht durchgeführt wird. Er wird umgehend festgenommen und kommt direkt in die JVA Hannover.

    Der Jugendliche war alleine aus der Türkei über Slowenien geflüchtet, weil er zu seinem Vater in die Bundesrepublik wollte. In Slowenien wurden seine Fingerabdrücke für die Eurodac-Datei erfaßt – dann konnte er weiterreisen.

    Nach der Anhörung zu seinem Asylantrag im Oktober 2009 erhielt er die Aufforderung, sich vom Nervenarzt Prof. Dr. Theo Vogel in Lüneburg untersuchen zu lassen. Dieser Arzt, der in anderen Fällen schon vom Gericht wegen seiner kritikwürdigen Gutachten gerügt wurde, bescheinigt dem psychisch kranken Jugendlichen erwartungsgemäß die Reisefähigkeit.

    Das vom BAMF bisher übliche Verfahren bei Dublin-II-Fällen, die Asylablehnung erst am Tag der Abschiebung zuzustellen, um so den Rechtsschutz für die Betroffenen auszuhebeln, wird vom Verwaltungsgericht Hannover am 10. Dezember 09 als Grundrechtsverstoß kritisiert. Um diesen Anspruch der AntragstellerInnen auf gerichtlichen Rechtsschutz zu sichern, hält die Kammer eine Frist von mindestens drei Werktagen für notwendig.

    Auch verweist das Verwaltungsgericht darauf, daß das Kindeswohl gegenüber dem Interesse anderer Länder auf Wiederaufnahme des Flüchtlings stets Vorrang haben sollte. Das Gericht ordnet die sofortige Haftentlassung und die Ausstellung einer Duldung an.

FRat Köln 26.1.10;

Dündar Kelloglu – Rechtsanwalt

 

13. November 09

 

Olpe im Bundesland Nordrhein-Westfalen. Um 1.00 Uhr wird die Feuerwehr alarmiert, weil im Erdgeschoß der Flüchtlingsunterkunft Finkenstraße in einem unbewohnten Zimmer ein Feuer ausgebrochen ist. Der Brand breitet sich in kurzer Zeit auch auf den zweiten Stock des aus 50 Containern bestehenden Heimes aus. Als die Feuerwehr eintrifft, steht bereits das 50 Meter lange Holzdach in Flammen.

    Von den zwanzig gemeldeten BewohnerInnen können sich die sieben zur Zeit anwesenden unverletzt ins Freie retten.

    Um 4.00 Uhr morgens können die Feuerwehren aus Olpe und Wenden wieder abrücken. Mehrere Zimmer und der Dach-stuhl sind zerstört, und die Unterkunft bleibt unbewohnbar

    Als Brandursache wird eine defekte Elektroleitung festgestellt.

Polizei Olpe 13.11.09; ddp 13.11.09; WAZ 13.11.09;

sauerland-nachrichten.de 15.11.09;

Polizei Olpe 26.1.10

 

13. November 09

 

Bundesland Sachsen. Am frühen Morgen wird der 32 Jahre alte Kurde Tarek Rashou in seiner Unterkunft in Radebeul bei Dresden von der Polizei abgeholt. Der abgelehnte Asylbewerber wird nach Berlin gebracht, von wo aus die Abschiebung nach Syrien erfolgen soll.

    In seiner Verzweiflung rammt Tarek Rashou seinen Kopf gegen eine Wand und gegen den Tisch und erleidet nach eigenen Angaben eine Fraktur im Stirnbereich. Eine Untersuchung oder gar medizinische Behandlung erfolgt nicht. Stattdessen kommt er in die JVA Dresden in Abschiebehaft – geplagt von sehr starken Kopfschmerzen durch die Verletzungen.

    Tarek Rashou lebt seit 1996 in Radebeul. Im Exil ist er seit über zehn Jahren aktives Mitglied der kurdischen Yekiti-Partei. Er hat an zahlreichen Protestaktionen, Demonstrationen und Veranstaltungen gegen die syrische Regierung teilgenommen und beteiligte sich an einem Hungerstreik vor der syrischen Botschaft. Bei einer Abschiebung muß er mit Verhaftung und Folter rechnen.

    Seit 2005 ist er nach yezidischem Glauben mit Dalal Khalaf verheiratet. Ihre Söhne Kaniuar und Djagarchuin wurden 2005 und 2008 geboren.

    Da die Eheschließung von der Ausländerbehörde nicht anerkannt wird, lebt Herr Rashou in Sachsen und darf seine Familie im 400 Kilometer entfernten Hann. Münden (Niedersachsen) nur alle zwei Wochen besuchen.

    Nach seiner Inhaftierung in der JVA Dresden beginnt Tarek Rashou einen Hungerstreik, den er bis zum 25. November durchhält. Beamte drohen ihm, daß er demnächst in gefesseltem Zustand abgeschoben und den syrischen Behörden ausgeliefert wird. UnterstützerInnen starten eine Öffentlichkeitskampagne, um die Abschiebung zu verhindern.

    Aber erst durch den von der Rechtsanwältin gestellten Asylfolgeantrag und einen Entscheidungsstop des Bundesamtes zu Syrien wird Tarek Rashou am 18. Dezember freigelassen.

    Er leidet weiterhin unter starken Kopfschmerzen und hat erst im Februar – drei Monate nach der Verletzung – einen Termin für eine röntgenologische Untersuchung seines Kopfes.

Bericht des Betroffenen; Karawane – Halle;

FRat NieSa; The VOICE; yekitimedia.org;

Jutta Winter – Rechtsanwältin

 

14. November 09

 

Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick. Ein 30 Jahre alter Abschiebegefangener aus Aserbaidschan wird nach 25 Tagen Haft entlassen. Dies geschieht erst, nachdem ein Sozialarbeiter seine Wunden der herausgerissenen großen Zehennägel und die Rippenbrüche fotografiert und thematisiert hat, die dem Mann unter Folter zugefügt wurden.

Jesuiten-Flüchtlingsdienst

 

18. November 09

 

Um ca. 9.00 Uhr verabschiedet sich die 21-jährige vietnamesische Asylbewerberin Phuong von ihrer in Berlin lebenden Tante mit dem Hinweis, daß sie zur Frankfurter Allee gehen wolle, um sich die "Glitzerwelt" anzuschauen. Danach verliert sich ihre Spur.

    Die junge Frau war im Frühsommer mit Hilfe einer Fluchthelfer-Organisation in die BRD gekommen und hatte dann drei Wochen später unter anderer Identität Asyl beantragt. Sie hatte bisher noch keine Arbeit aufgenommen und somit offensichtlich auch nicht begonnen, ihre hohen Schulden an die Organisation zurückzuzahlen.

    Ihr Verschwinden läßt vermuten, daß sie aus diesem Grunde entführt wurde und zur Prostitution oder zu anderer Sklavenarbeit gezwungen wird. Im Rahmen der Ermittlungen hat die Polizei zwei vietnamesische Bordelle gestürmt. Der Verdacht auf eine Verschleppung verstärkt sich durch Worte, die jemand auf eines der Suchplakate geschrieben hat. Dort steht in vietnamesischer Sprache: "Ich habe sie gefunden. Aber ich sage nichts, damit ich sie länger benutzen kann." Dann folgen die Worte "Hai Duong, Tuky". Das sind die Namen der Heimatprovinz und des Landkreises, aus dem Phuong stammt. Derjenige, der das geschrieben hat, muß Phuong kennen, denn sie selbst hatte bei ihrem Asylantrag falsche Angaben zu ihrem Herkunftsort gemacht.

ND 2.2.10;

taz 10.2.10; taz 28.4.10

 

23. November 09

 

In der Nacht legen Unbekannte einen Brand im Flüchtlingsheim des sächsischen Ortes Schneeberg. Sie entflammen Gegenstände, die im Erdgeschoß unter einer Treppe gelagert sind, so daß kurz darauf helle Flammen im Treppenhaus lodern.

    Obwohl der Hausmeister sofort mit der Brandbekämpfung beginnt und das Feuer – noch vor dem Eintreffen der Feuerwehr - zum Erlöschen bringt, müssen sieben BewohnerInnen in ein Krankenhaus gebracht werden.

de.news.yahoo.com 23.11.09;

CMP 24.11.09

 

24. November 09

 

Bundesland Sachsen. Im Erzgebirgskreis wird ein 71 Jahre alter irakischer Flüchtling von drei Männern mit "Ausländer raus!" beschimpft, anschließend geschlagen und dadurch im Gesicht verletzt. Die Polizei ermittelt.

RAA Sachsen (Polizei Aue)

 

28. November 09

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Im Flüchtlingsheim von Garbeck wird einem 36 Jahre alten Bewohner der Weg aus dem Waschraum heraus von einem 28-jährigen Mann aus Menden versperrt. Dieser boxt dem Flüchtling ins Gesicht, zieht ein Messer und versucht, es dem 36-Jährigen in den Bauch zu rammen. Diesem gelingt die Flucht in sein Zimmer, wo er die Polizei rufen kann.

    Der Täter wird am 20. September 10 vom Amtsgericht Menden zu einer Haftstrafe von neun Monaten verurteilt. Mit diesem Urteil werden noch zwei weitere Straftaten des Täters gesühnt.

www.come-on.de 20.9.10

 

29. November 09

 

Bundesland Brandenburg. In den frühen Morgenstunden wird ein marokkanischer Flüchtling in einer Frankfurter Diskothek von zwei Nazis zunächst geschubst und später mit einem Schlagring ins Gesicht geschlagen. Der Mann verliert zwei Zähne und muß sich ambulant behandeln lassen.

    Ein anderer Flüchtling – auch ein Marokkaner, der ebenfalls Gast in der Diskothek war – wird auf seinem Weg zum Bahnhof angegriffen. Zwei Nazis halten ihn fest, ein Dritter schlägt ihn mit einem Schlagring in den Magen, so daß er zusammenbricht. Dann treten alle drei Täter auf den am Boden liegenden Mann ein.

    Die Polizei geht von politisch rechtsmotivierten Straftaten aus. Im Mai 2010 werden in Fürstenwalde, Groß Eichholz und Rauen die Wohnungen von vier Männern zwischen 26 und 34 Jahren von der Polizei durchsucht. Diese Männer stehen im Verdacht, unter anderem die Flüchtlinge überfallen zu haben.

Opferperspektive;

MAZ 6.5.10

 

2. Dezember 09

 

Berlin am S-Bahnhof Baumschulenweg. Ein 21 Jahre alter Flüchtling aus Vietnam, der auf dem Weg zu seiner Unterkunft ist, wird von zwei Bundespolizisten der Treptower Einheit "Polizeiliche Sonderdienste" angehalten und nach seinen Papieren befragt. Bei eisiger Kälte muß er sich bis auf die Unterhose ausziehen und durchsuchen lassen.

    Die Beamten finden eine Monatskarte der Berliner Verkehrsbetriebe im Wert von 72 Euro und behalten sie ein – danach zerbrechen sie die SIM-Karte seines Handys, damit er keine Hilfe holen kann.

    Letztlich darf der Vietnamese sich wieder anziehen. Danach holt einer der Beamten eine Stange Zigaretten aus dem Dienstfahrzeug, stopft sie dem Vietnamesen zur Belustigung beider Täter in die Jacke. Danach lassen sie ihr Opfer frei.

    Eine halbe Stunde später halten die Beamten einen weiteren Vietnamesen an, der von seinem Wohnheim kurz zur nächsten Tankstelle gegangen ist, um sich Zigaretten zu kaufen. Demzufolge ist er nur mit einer dünnen Jacke und Flip-Flops bekleidet. Auch seine Papiere hat er nicht dabei. Anstatt ihn ins Wohnheim zu begleiten, damit er sich ausweisen kann, beginnen die Beamten damit, den Mann zu durchsuchen. Sie finden eine Schachtel Zigaretten, ein Handy und 18 Euro und verlangen von ihrem Opfer eine Summe von 50 Euro als Strafe, dafür, daß er keine Papiere dabei hat – andernfalls drohen sie mit Festnahme. "Ok, machen Sie doch," antwortet der Kontrollierte. Daraufhin fahren die Polizisten mit ihm los, lassen ihn aber nach einigen Minuten wieder aussteigen – geben ihm das Handy und die Zigaretten zurück. Als der Vietnamese auch die 18 Euro zurückfordert, muß er erneut einsteigen. Nach einer 20-minütigen Fahrt packen ihn seine Peiniger am Kragen und setzen ihn an einem verlassenen Bahngelände bei einer Temperatur von minus 10 Grad ab. Unter Androhung von Schlägen befehlen die Polizisten ihm, sich zu entfernen – behalten jetzt auch noch sein Handy. Es dauert Stunden, bis der Vietnamese völlig unterkühlt ins Flüchtlingsheim zurückkommt.

    In der Folgezeit häufen sich die Berichte über die raubenden Bundespolizisten, und immer mehr Betroffene melden die Übergriffe ihrer Heimleitung.

    Am 16. Februar 10 wird einem Vietnamesen von den beiden Beamten bei einer "Kontrolle" unterstellt, daß er ungültige Papiere hätte – er soll eine Strafe von 500 Euro bezahlen. Der Vietnamese übergibt den Beamten die 300 Euro, die er bei sich hat – bekommt aber keine Quittung ausgehändigt. Daraufhin stellt er Strafanzeige.

    Am frühen Nachmittag des 17. Februar stellen die beiden Polizeibeamten den Vietnamesen Cao Van T. am U-Bahnhof Parchimer Allee und nehmen ihn unter dem Verdacht des Handels mit unverzollten Zigaretten. Im Polizeiwagen wird Herr T. von den Beamten mehrmals ins Gesicht und mit Fäusten in den Unterleib geschlagen. Als er zu schreien beginnt, hält ein Beamter ihm den Mund zu und traktiert ihn weiter. Mit einem Messer zerschneidet er die Kleidung seines Opfers. Die Polizisten fahren mit ihm bis hinter die Stadtgrenze nach Schönefeld in die Nördliche Randstraße, die für den öffentlichen Verkehr gesperrt ist.

    Hier zerren sie den 21-Jährigen aus dem Dienstfahrzeug, werfen ihn mit dem Gesicht in den Schnee und schlagen weiter auf ihn ein. Dann zerreißen sie seine Papiere und fahren weg. Zurück bleibt der Vietnamese auf einer völlig verschneiten Straße, kilometerweit entfernt von der nächsten Haltestelle öffentlicher Verkehrsmittel. Zwei Zeuginnen des Vorgangs alarmieren Krankenwagen und Brandenburger Polizei. Der Vietnamese kommt zur Behandlung seiner Prellungen ins Krankenhaus.

    Nach seinen Aussagen ist ihm Gleiches schon am Vortag passiert.

    Die Polizisten bestreiten den Übergriff und berichten, daß der Vietnamese auf der Flucht eine Treppe hinuntergefallen sei – zudem habe er einen der Beamten in den Finger gebissen. Sie erstatten Anzeige wegen Widerstands gegen Polizeibeamte, Körperverletzung und Handels mit unverzollten Zigaretten.

    Die Staatsanwaltschaft Potsdam nimmt die Ermittlungen auf.

    Ende Februar werden schließlich der Polizeihauptmeister Udo R. (42) und der Polizeimeister Michael R. (27) festgenommen.

    Es wird ermittelt, daß die Täter in Uniform bewaffnet und durch Schläge bzw. unter Androhung von Schlägen mindestens 13 Männer beraubten. Dabei stahlen sie Geld in Höhe von 3 bis 300 Euro und die Handys ihrer Opfer. Ein Mann wurde zu Boden geschlagen, als er sich das Nummernschild des Polizeiautos merken wollte. Dann wurde er ins Berliner Umland gebracht und nahe dem S-Bahnhof Zeuthen ausgesetzt.

    Ihnen sei es nicht ums Geld gegangen, sondern um Macht, geben die Beamten vor Gericht an.

    Am 6. Juli 10 werden der Haupttäter Udo R. vom Landgericht Berlin zu einer Gefängnisstrafe von vier Jahren und neun Monaten, sein Kollege Michael R. zu drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Sie werden beide aus dem Polizeidienst entlassen.

    Die Beamten, Alexander W. (35) und Thomas W. (30), die Cao Van T. am 17. Februar 10 demütigten und mißhandelten, werden im August 2010 vom Amtsgericht Tiergarten in einem sehr kurzen Prozeß freigesprochen, weil "kein einziger der Vorwürfe nachweisbar" sei, so das Gericht. Dies wird behauptet, trotz der belastenden Aussagen der beiden Augenzeuginnen, die den Krankenwagen und die Brandenburger Polizei gerufen hatten und trotz der dokumentierten Verletzungen des Opfers. Herr Cao Van T., der wichtigste Zeuge in diesem Verfahren, wurde gar nicht mehr zum Prozeß geladen – er ist bereits nach Vietnam abgeschoben worden.

taz 18.2.10; TS 18.2.10; TS 19.2.10; MAZ 19.2.10; taz 26.2.10;

TS 24.6.10;  jW 2.7.10; TS 2.7.10; TS 7.7.10; taz 7.7.10;

 ai 8.7.10; stern 23.7.10; BeZ 11.8.11

 

5. oder 6. Dezember 09

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Ein Abschiebegefangener versucht, sich in seiner Zelle zu erhängen. Ein Mitgefangener findet ihn und hängt ihn ab, wodurch er ihm das Leben rettet.

    Anschließend kommt der Verletzte ins Krankenhaus und später in die Psychiatrie. Hier erfolgt seine Entlassung aus der Abschiebehaft.

FRat Berlin

 

6. Dezember 09

 

Bundesland Sachsen. Am ehemaligen polnisch-deutschen Autobahn-Grenzübergang in Görlitz kontrollieren Zollbeamte einen BMW, der von zwei Russen gefahren wird. Im Fond befinden sich eine 35 Jahre alte Frau aus Tschetschenien und ihre 15-jährige Tochter. Im Fußraum hinter den Fahrer- und Beifahrersitzen entdecken die Beamten eine 3-jährige Tochter und einen 5-jährigen Sohn. Die Frau erhält eine Anzeige wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz und wird dann mit ihren Kindern für einige Stunden in Gewahrsam genommen. Sie sind jedoch alle in einem derart schlechten Gesundheitszustand, daß sie ins Görlitzer Krankenhaus gebracht werden.

    In Tschetschenien hatte die Familie im Wald gelebt und Widerstandskämpfer unter sozialem Druck mit Lebensmitteln versorgt. Dadurch hatten sie die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich gezogen. Nachdem ihr Mann dreimal verhaftet worden und nach der dritten Festnahme nicht mehr zurückgekommen war, entschied sich die Frau zur Flucht. Zunächst nach Polen, wo sie Asylanträge stellte. Wegen der schlechten Aussicht auf Erfolg suchte sie den Weg in die BRD. Ihre kleine Tochter leidet an einer Krebserkrankung (Neuroplastom), deren Heilungschancen um so größer sind, je früher das Kind behandelt wird. Auch dies war für sie ein Grund, nicht in Polen abzuwarten.

    Nach dem Krankenhausaufenthalt in Görlitz kommt die Familie in ein Krankenhaus nach Dresden. Neben der Krebserkrankung der 3-Jährigen sehen die ÄrztInnen auch die verfolgungs- und kriegsbedingten Traumata der anderen Familienmitglieder als dringend behandlungsbedürftig an und leiten therapeutische Maßnahmen ein.

    Zwischen Weihnachten und Neujahr verläßt allerdings die Familie das Krankenhaus – dann verliert sich ihre Spur.

BuPo Ludwigsdorf 7.12.09;

Oliver Nießing - Rechtsanwalt

 

7. Dezember 09

 

Katzhütte im Bundesland Thüringen. Um 0.30 Uhr bemerken die BewohnerInnen des Flüchtlingslagers in der Oelzer Straße eine starke Rauchentwicklung, die von einem brennenden Sessel ausgeht. Ein 20 Jahre alter Flüchtling und ein 30-Jähriger versuchen, die Flammen zu löschen, und verletzen sich dabei. Sie kommen mit einer Rauchgasvergiftung ins Krankenhaus.

    Den Feuerwehren aus Katzhütte, Oelze, Oberschweißbach und Meura gelingt es dann in kurzer Zeit, das Feuer zu löschen. Die Ursache des Brandes bleibt unklar.

Polizei Saalfeld 7.12.09;

ddp 7.12.09

 

8. Dezember 09

 

Flughafen Frankfurt am Main. Eine armenische Familie aus Nordrhein-Westfalen soll nach Eriwan abgeschoben werden. Die Polizei bringt allerdings nur den Vater mit einem Kind zum Flughafen. Ein zweiter Sohn darf aufgrund einer vor kurzem stattgefundenen Blinddarm-Operation nicht fliegen, und weil er minderjährig ist, bleibt seine Mutter bei ihm. Ein dritter Sohn war bei der Abholung durch die Polizei nicht im Hause. Die Abschiebung findet statt, wodurch die Familie getrennt ist.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2010,

Pro Asyl

 

8. Dezember 09

 

Wilhelmshaven im Bundesland Niedersachsen. Als Polizisten um ca. 5.00 Uhr an einer im zweiten Stock gelegenen Wohnung im Hansaviertel klingeln, wird ihnen nicht geöffnet. Sie lassen daraufhin die Tür durch einen Schlüsseldienst öffnen und sehen beim Betreten der Wohnung, wie sich ein junger Mann aus dem Fenster des Schlafzimmers stürzt. Nach dem Fall aus sechs Metern Höhe bleibt der 23-jährige Angolaner Lala Domingo regungslos liegen.

    Der Verletzte wird mit einem Hubschrauber in das Nordwest-Krankenhaus Sanderbusch nach Sande geflogen. Hier diagnostizieren die Ärzte eine schwere Verletzung des Fersenbeines, die operativ behandelt werden muß.

    Die Polizei hatte aufgrund eines Beschlusses des Amtsgerichts Wilhelmshaven den Auftrag, den Mann zur Abschiebung festzunehmen. Im Krankenhaus werden Lala Domingo seine Papiere und seine Kleidung weggenommen. Er selbst wird unter polizeiliche Bewachung gestellt, die auch während der medizinischen Untersuchungen andauert.

    Lala Domingo lebt seit acht Jahren in der BRD und hat zwei Kinder.

Polizei Wilhelmshaven 8.12.09;

NWZ 9.12.09;

Antirassistische Initiative Berlin

 

9. Dezember 09

 

Ein Rom aus Niedersachsen soll mit seiner jüngeren Tochter über den Flughafen Frankfurt am Main nach Prishtina abgeschoben werden. Seine Frau liegt zu dieser Zeit im Krankenhaus, und zwei weitere Kinder waren nicht zu Hause, als die AbschiebebeamtInnen sie abholten.

    Über einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht kann die Abschiebung gestoppt werden. Vater und Tochter werden aus dem Flugzeug geholt, dessen Türen bereits geschlossen waren.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2010;

Pro Asyl

 

9. Dezember 09

 

Bundesland Hessen. In Eschwege wird der kurdische Flüchtling Herr Hasanov mit seinem 16-jährigen Sohn Jamal aus der Wohnung geholt und nach siebenjährigem Deutschland-Aufenthalt nach Armenien abgeschoben. Damit ist die Familie getrennt, denn der jüngere Alik, der 14-jährige Sohn, liegt wegen einer Blinddarm-Operation im Krankenhaus, und die Mutter darf solange bleiben, bis er reisefähig ist. Der älteste Sohn Vito hält sich versteckt.

    Im September zuvor war Jamal Hasanov als Klassenbester der Anne-Frank-Schule mit einem START-Stipendium der Hertie-Stiftung ausgezeichnet worden.

    Nach der Abschiebung des Stipendiaten scheinen die Passagen aus der Rede der hessischen Kulturministerin Dorothea Henzel (CDU) von der Preisverleihung, der Realität der bundesdeutschen Integrationspolitik hohnzusprechen. Zitat: "Durch Euer gesellschaftliches Engagement bereichert Ihr die Gesellschaft und seid Vorbild Eurer Mitmenschen .... Ihr ... seid die Botschafter einer erfolgreichen Integration – da sind wir alle stolz auf Euch, denn genau solche Persönlichkeiten braucht unsere Gesellschaft."

    Am 18. Dezember demonstrieren ca. 480 SchülerInnen, LehrerInnen, Eltern und andere Menschen gegen die Abschiebung und Trennung der Familie Hasanov.

    Aufgrund der Initiative der Flüchtlingsberatung des Diakonischen Werkes des Kreises gelingt es im Sommer 2010 über die Härtefallkommission, einen Aufenthalt für Frau Hasanov und ihren Sohn Atik zu erwirken. Ihr ältester Sohn Vito bekommt als Vater eines deutschen Kindes ebenfalls einen Aufenthalt.

    Vor allem aufgrund des weiteren Engagements des Rektors der Anne-Frank-Schule, der den Landrat des Werra-Meißner-Kreises bittet, beim hessischen Innenministerium einen Antrag auf Einzelfall-Entscheidung zu stellen, wird letztlich entschieden, daß Jamal Hasanov aus humanitären Gründen zurückkehren darf.

    Am 16. August 10 wird Jamal Hasanov von seinen MitschülerInnen und LehrerInnen in seiner Schule willkommen geheißen.

www.youtube.com 18.12.09; Jugendnetz Wetzlar;

hr-online.de 18.12.09;

jW 22.12.09; HNA 10.2.10; HNA 22.2.10;

FR 12.8.10; hr-online.de15.8.10;

FR 22.11.10; Victor Pfaff – Rechtsanwalt;

Bernd Waldmann-Stocker – Rechtsanwalt

 

14. Dezember 09

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Die herzkranke Romni Servete Dallashaj wird mit ihren zwei Söhnen, dem 13-jährigen Kujtim und dem 16-jährigen Ibrahim, aus Borken im Rahmen einer der zweimal wöchentlich stattfindenden Sammelabschiebungen in den Kosovo abgeschoben. Beide Kinder sind in der BRD geboren und aufgewachsen – Frau Dallashaj lebte 17 Jahre in Deutschland, vor zwei Jahren starb ihr Mann.

    Nach der Abschiebung kommen sie in der Nähe von Peć bei ihrer Schwester und ihrem Schwager unter, die aber selbst neun Kinder haben. Sie leben unter ärmlichsten Bedingungen, haben nicht genügend zu essen und müssen nachts alle zusammen in zwei winzigen Zimmern schlafen.

    Mehrfach werden Servete Dallashaj und ihre Söhne von Albanern angegriffen und mißhandelt.

    Sie sind alle verzweifelt. Kujtim sagt in eine Fernseh-Kamera: "Das ist nicht mein Land, ich kann hier nicht leben."

Er hat versucht, sich an seinem 14. Geburtstag umzubringen.

    Im Dezember 2010 kommen die beiden in Deutschland geborenen Brüder zurück. Sie berichten, daß sie von ihrer Mutter auf der Flucht getrennt wurden. Die Familie ihres Cousins, die im Landkreis Wesermarsch lebt, nimmt sie auf.

    Die Minderjährigen wenden sich ans Jugendamt, aber anstatt sie in Obhut zu nehmen, schickt das Jugendamt die beiden direkt zur Ausländerbehörde, wo sie von der Polizei festgenommen werden. Nur durch die sofortige Intervention des Rechtsanwalts kann Abschiebehaft verhindert werden.

    Die von der Ausländerbehörde am 19. Januar 11 geplante Abschiebung der Brüder scheitert daran, daß einer von beiden nicht zu Hause ist. Am 14. Februar 2011 untersagt das Verwaltungsgericht Münster schließlich dem Landkreis die Abschiebung der beiden minderjährigen und unbegleiteten Flüchtlinge.

    Im April verpflichtet das Verwaltungsgericht das BAMF zur Feststellung von Abschiebehindernissen nach § 60 Abs. 7 AufenthaltG zugunsten der Jugendlichen, da die beiden ".... bei einer Rückkehr in den Kosovo in eine vollkommen ungewisse Situation geraten würden, in der weder die Unterbringung noch ihre Gesundheitsvorsorge und erst recht nicht ihr Existenzminimum als gesichert angesehen werden kann."

zdf – Mona Lisa 17.1.10;

FRat NieSa 24.2.11; KrZ Wesermarsch 25.2.11;

Schattenbericht ASYL / 646;

NWZ 20.5.11;

FRat NieSa Nr. 134/2011

 

15. Dezember 09

 

Bezirksklinikum Regensburg in Bayern. Als der Patient X. Y. erfährt, daß demnächst zwei Polizeibeamte in der Klinik erscheinen werden, um ihn in die Flüchtlingsunterkunft nach Cham zu transportieren, verläßt er das Arztzimmer, fällt zu Boden und bleibt einige Minuten bewußtlos. Danach besorgt er sich eine Rasierklinge und schneidet sich die Pulsadern auf. Daraufhin wird der 31 Jahre alte Äthiopier in die geschlossene Station verlegt.

    Hier geht es ihm auch nach fünf Tagen nicht besser: Er ist völlig verstört und ängstlich, kauert auf dem Boden, starrt vor sich hin, weint und zittert am ganzen Körper. Bei Geräuschen zuckt er in Panik zusammen. Er hat große Angst vor einer Abschiebung – auch vor einer Umsiedlung nach Cham.

    X. Y. war als 15-Jähriger aus Äthiopien geflohen, weil er mit ansehen mußte, wie Freunde und Verwandte als Oppositionelle erschossen wurden. Diese Erlebnisse haben ihn schwer traumatisiert.

    Als Minderjähriger kam er in das Regensburger Heim "Don Bosco", ging zur Schule, machte seinen Hauptschulabschluß und bezog danach eine eigene Wohnung. Dann suchte er sich eine Arbeit und konnte so seinen Lebensunterhalt bestreiten.

    Doch Angstzustände, Schlaflosigkeit, Depressionen und Panikattacken trieben ihn zu einem ersten Selbsttötungsversuch, und er kam für drei Wochen in eine geschlossene Station in der Psychiatrie.

    Seine psychische Situation verschlimmerte sich noch mehr, als der Asylantrag abgelehnt wurde. Immer wieder wies er sich selbst in den folgenden Jahren in das Bezirksklinikum ein.

    Er begann zu trinken – wurde wegen versuchten sexuellen Mißbrauchs seiner Freundin zu einem Jahr und sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.

    Im Januar 2007 zeigte ihn wieder eine Freundin mit demselben Vorwurf an. Das Gericht verurteilte ihn jetzt zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten.

    In der JVA Regensburg versuchte er erneut, sich zu töten und wurde daraufhin in das psychiatrische Gefängnis nach Würzburg verlegt. Aufgrund der strafrechtlichen Verurteilungen verlor er die Aufenthaltserlaubnis ‑ eine Duldung wurde ausgestellt und die baldige Abschiebung betrieben.

    Nach seiner Entlassung am 2. Juli 09 ging er wieder ins Bezirkskrankenhaus Regensburg. Die ÄrztInnen diagnostizierten bei ihm zum wiederholten Mal schwere Depressionen sowie eine emotional-instabile, dissoziative und dissoziale Persönlichkeitsstörung infolge schwerster psychischer Traumatisierung.

    Obwohl das Gesundheitsamt zweimal attestierte, daß X. Y. weder ausgewiesen noch umgesiedelt werden darf, erließ das Verwaltungsgericht Regensburg den Beschluß, daß er aus der Bezirksklinik Regensburg heraus in die Flüchtlingsunterkunft nach Cham umsiedeln soll. Das bedeutet, daß der Schwerkranke jederzeit – auch gegen seinen Willen, also mit Gewalt – nach Cham gebracht werden kann. Unter dem Druck, seinen Lebensmittelpunkt in Regensburg und somit sein soziales Umfeld nach 15 Jahren zu verlieren, bricht X. Y. zusammen (siehe oben).

    Die Ausländerbehörde bekundet im Februar 2010 erneut, an dem Ausweisungsbescheid gegen X. Y. festzuhalten, weil er weiterhin zur Ausreise verpflichtet sei. Denn er habe bewiesen, daß er seit 1996 nicht die Bereitschaft zeige, seiner Mitwirkungspflicht bei der Beschaffung von Papieren nachzukommen.

Regensburger Flüchtlingsforum

 

20. Dezember 09

 

Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick. Der 27. Jahre alte H. H. aus dem Libanon fügt sich selbst Schnittverletzungen am Bauch und am Hals zu. Die Wunden werden ambulant behandelt.

BT DS 17/10596; BT DS 17/10597;

Abgeordnetenhaus Berlin DS 17/11577

 

21. Dezember 09

 

Bundesland Sachsen. Als ein 31 Jahre alter Algerier um 1.30 Uhr an der Radebeuler Haltestelle Johannesbergstraße die Straßenbahn verläßt, wird er von sechs Deutschen angegriffen.

    Vier von ihnen werfen ihn zu Boden – danach schlagen und treten sie auf ihn ein. Eine junge Frau schleudert eine Bierflasche in seine Richtung, die seinen Kopf streift und auf dem Fußweg zersplittert. Der Algerier verliert das Bewußtsein und kommt erst wieder zu sich, als ihn eine ältere Frau "wach" rüttelt.

    Seine Verletzungen (Blutergüsse, Nierenprellung) müssen im Krankenhaus behandelt werden.

    Die Täter, die zwischen 18 und 22 Jahre alt sind und entweder Glatzen oder sehr markante Frisuren tragen, werden von der Polizei z.T. per Phantombild gesucht.

Polizei Osterzgebirge 11.3.09;

Bild-Ztg 11.3.09;

RAA Sachsen

 

28. Dezember 09

 

Abschiebegefängnis Rendsburg in Schleswig-Holstein. Ein algerischer Abschiebegefangener verschluckt aus Protest gegen seine Inhaftierung einen halben Löffel.

BT DS 17/10596;

BT DS 17/10597

 

 

 

 

Im Jahre 2009

 

Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick. Durch Verschlucken von Kleinteilen (Kunststoff), oberflächliche Schnittverletzungen oder Selbstausübung stumpfer Gewalt    (Tür/Wand/Gitter) haben sich sechs Gefangene verletzt.

(Eine Selbstverletzung ist bereits dokumentiert)

BT DS 17/10597

 

 

Im Jahre 2009

 

In einer Hamburger Abschiebehafteinrichtung verletzt sich ein Gefangener, indem er mit dem Kopf gegen eine Tür schlägt.

 

BT DS 17/10597

 

 

Im Jahre 2009

 

Im Bundesland Bayern befanden sich 37 minderjährige Flüchtlinge in Abschiebehaft.

BT DS 17/10597

 

 

Im Jahre 2009

 

Im Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick befanden sich 36 minderjährige Flüchtlinge in Abschiebehaft – davon waren vier Personen jünger als 16 Jahre alt.

    Drei minderjährige Flüchtlinge waren länger als drei Monate in Gefangenschaft.

    Eine Jugendliche aus Vietnam wurde nach Rumänien zurückgeschoben, da sie dort schon einen Asylantrag gestellt hatte.

Jesuiten-Flüchtlingsdienst;

BT DS 17/10596;

BT DS 17/10597

 

 

Im Jahre 2009

 

Im Bundesland Brandenburg befanden sich 13 minderjährige Flüchtlinge in Abschiebehaft.

    Ein minderjähriger Flüchtling war länger als sechs Monate in Gefangenschaft.

BT DS 17/10596;

BT DS 17/10597

 

 

Im Jahre 2009

 

In Bremen befanden sich zwei minderjährige Flüchtlinge in Abschiebehaft.

BT DS 17/10597

 

 

Im Jahre 2009

 

In Hamburg befanden sich vier minderjährige Flüchtlinge in Abschiebehaft.

    Ein minderjähriger Flüchtling war länger als drei Monate in Gefangenschaft.

BT DS 17/10596;

BT DS 17/10597

 

 

Im Jahre 2009

 

Im Bundesland Hessen befanden sich sieben minderjährige Flüchtlinge in Abschiebehaft – davon war eine Person jünger als 16 Jahre alt.

BT DS 17/10597

 

 

Im Jahre 2009

 

Im Bundesland Niedersachsen befanden sich zwei minderjährige Flüchtlinge in Abschiebehaft.

(Eine Inhaftierung ist bereits dokumentiert)

BT DS 17/10597

 

 

Im Jahre 2009

 

Im Bundesland Nordrhein-Westfalen befanden sich drei minderjährige Flüchtlinge in Abschiebehaft.

BT DS 17/10597

 

 

Im Jahre 2009

 

Im Bundesland Rheinland-Pfalz befand sich ein minderjähriger Flüchtling in Abschiebehaft.

BT DS 17/10597

 

 

Im Jahre 2009

 

Im Bundesland Sachsen befanden sich 20 minderjährige Flüchtlinge in Abschiebehaft.

BT DS 17/10597

 

 

Im Jahre 2009

 

Bundesland Schleswig-Holstein. Im Abschiebegefängnis Rendsburg befanden sich 17 minderjährige Flüchtlinge (zwischen 16 und 18 Jahren) bei einer mittleren Haftdauer von 49,88 Tagen. Ein Jugendlicher wurde nach 91 Tagen Haft nach Schweden abgeschoben.

Landesbeirat – Jahresbericht 2009;

BT DS 17/10597