zur Hauptseite                                                    Zusammenfassung  2006

Kürzel-Erklärung

Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und
ihre tödlichen Folgen 
2006

 

1. Januar 06

 

Mecklenburg-Vorpommern. In Dranske auf der Insel Rügen dringen um 2 Uhr morgens ca. 20 Jugendliche in den Hof eines Flüchtlingsheimes ein, beschießen das Haus mit Silvesterraketen und brüllen rassistische Parolen, wie "Sieg Heil", "Deutschland den Deutschen" und "Ausländer raus". Es werden Bierflaschen geworfen, wodurch ein auf einem Balkon stehender Armenier eine Platzwunde im Gesicht erleidet.

    Zwei Bewohner gehen daraufhin zu den Jugendlichen hinunter und versuchen, mit ihnen zu sprechen. Dabei zieht einer der Aggressoren ein Messer und fuchtelt unkontrolliert damit herum. Die Flüchtlinge gehen ins Haus zurück, und auch die Angreifer verlassen den Ort.

    Am 18. April 2007 verurteilt das Jugendschöffengericht  im Stralsunder Schwurgericht die z.T. vorbestraften 14 jungen Männer und Frauen aus Dranske, Sagard, Berlin, Bergen und Saßnitz zu Gefängnisstrafen, zu Freiheitsarresten übers Wochenende, zu gemeinnütziger Arbeit oder zur Zahlung von Tagessätzen. Den beiden Männern, die die höchsten Strafen von einem Jahr und neun Monaten mit Bewährung bzw. einem Jahr und sechs Monaten ohne Bewährung erhalten, werden ihre Entschuldigungen, einem auch sein Alkoholentzug zugute gerechnet. Sechs Beteiligte aus Berlin, Bergen, Sagard und Dranske werden freigesprochen.

Rasender Reporter 2.1.06;

LOBBI

 

1. Januar 06

 

Landkreis Muldentalkreis im Bundesland Sachsen. In der Nacht greifen Jugendliche das Flüchtlingsheim in Bahren bei Grimma an, indem sie einen brandflaschen-ähnlichen Gegenstand durch ein Fenster werfen. Der dadurch entstehende Brand kann frühzeitig gelöscht werden, so daß kein Personenschaden entsteht.

    Später erstatten die Geschädigten Anzeige bei der Polizei. Eine extra gebildete Gruppe des Staatsschutzes ermittelt gegen die Täter, die aus Dranske, Saßnitz und Sagard kommen.

AMAL Sachsen

 

1. Januar 06

 

Großkugel in Sachsen-Anhalt. Am Nachmittag erscheinen jugendliche Deutsche vor einem Wohnhaus und bedrohen und beleidigen Flüchtlinge, die hier wohnen. Ein 25 Jahre alter Flüchtling aus Niger wird noch am Boden liegend mit Fäusten traktiert. Er erleidet neben Blutergüssen und einer blutenden Wunde am Fuß auch eine schmerzhafte Verletzung an der Schulter.

    Dann formieren sich die Angreifer vor dem Wohnhaus und schreien "Deutschland den Deutschen!" und "Ausländer raus!" Danach fliegen gezielt mehrere Bierflaschen auf den auf dem Balkon stehenden Flüchtling und seine Freundin.

    Die Ermittlungsverfahren, die die Polizei gegen zwei Täter einleitet, werden von der Staatsanwaltschaft wieder eingestellt wegen nicht hinreichenden Tatverdachts.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

2. Januar 06

 

Bernburg in Sachsen-Anhalt. Der 25 Jahre alte Asylbewerber John B. ist auf dem Weg von seinem Flüchtlingsheim zum Bahnhof, als er um 22.00 Uhr von drei Männern und einer Frau angesprochen wird. Als er versucht auszuweichen, umzingeln sie ihn; ein Mann schlägt mit einem Stock zu und trifft ihn am Knie. John B. flüchtet zurück in Richtung Flüchtlingsunterkunft. In einer Sackgasse stellen ihn seine hinterherhetzenden Verfolger, und jetzt trifft ihn ein Stockschlag derartig am Kopf, daß er das Bewußtsein verliert.

    Als er zu sich kommt, ist er allein und bittet telefonisch einen Freund um Hilfe. Als dieser eintrifft und die Rettungsstelle anruft, muß er erleben, wie der dort Diensthabende den Hörer auflegt, ohne Hilfe zu organisieren. Erst als ein Passant vorbeikommt und Rettungskräfte und die Polizei holt, kommt John B. ins Krankenhaus, wo seine beiden großen Platzwunden am Kopf genäht werden.

    Nach Aussagen der Ausländerbeauftragten des Kreises handelt es sich bei dem Verhalten der Rettungsleitstelle nicht um einen Einzelfall. Es sei schon häufiger vorgekommen, daß bei Notrufen von Personen, die in gebrochenem Deutsch sprechen, nicht adäquat Hilfe geleistet wurde.

MDZ 4.1.06;

BT-Fraktion DIE LINKE 5.1.06

 

4. Januar 06

 

Bundesland Bayern. In der oberfränkischen Ortschaft Wunsiedel beschimpft ein 24 Jahre alter Deutscher aus Selb einen irakischen Flüchtling aus dem Auto heraus zunächst als "Scheiß Kanake" und "Scheiß Ausländer" – dann fährt er weiter. Kurz danach verfolgt er den Asylbewerber zusammen mit einem Freund über den Marktplatz, so daß dieser sich bedroht fühlt und ein Kabel einer Weihnachtsbeleuchtung aus dem Boden reißt und damit versucht, die Deutschen auf Distanz zu halten. Der Mann aus Selb geht zurück zu seinem Wagen, steigt ein und fährt auf den Flüchtling zu. Dieser rettet sich mit einem Sprung auf die Motorhaube, schlägt beim Bremsen gegen die Frontscheibe und fällt anschließend zu Boden. Er verletzt sich am Knie, am Handgelenk und am Rücken.

    Bei der Gerichtsverhandlung vor dem Jugendschöffengericht in Wunsiedel wird die rassistische und rechtsradikale Einstellung des Täters auch vom Richter durchaus erkannt. Trotzdem fallen die Anklagepunkte gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr und gefährliche Körperverletzung aufgrund unterschiedlicher Zeugenaussagen weg. Von einem Sachverständigen wird behauptet, daß der "Iraker zur Seite hätte ausweichen können".

    Der Täter wird letztlich nur wegen Fahrens ohne Führerschein zu sechs Monaten Freiheitsstrafe mit dreijähriger Bewährungszeit und 120 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt.

FrP 24.2.07

 

9. Januar 06

 

Bundesland Bayern. In Nürnberg wird im Flüchtlingsheim in der Silberstraße um 21.10 Uhr über die Brandmeldeanlage ein Notruf ausgelöst. Als die Feuerwehr eintrifft, befinden sich die meisten BewohnerInnen bereits im Freien,  und die restlichen können aus dem Haus gebracht werden. Die Rettungskräfte evakuieren insgesamt 35 BewohnerInnen und versorgen einige Verletzte, die Symptome einer Rauchgasvergiftung aufweisen, noch vor Ort. Das Feuer, das in einem kleinen Zimmer im ersten Stock seinen Brandherd hat, kann schnell gelöscht werden, so daß kein Gebäudeschaden entsteht. Ein 27 und ein 53 Jahre alter Bewohner müssen wegen des Verdachts auf Rauchgasvergiftung ins Krankenhaus Nürnberg. Ein 19-jähriger Libanese, der mit einer Stichverletzung im Bauch gefunden wird, kommt ebenfalls ins Krankenhaus und wird dort umgehend operiert.

    Die polizeilichen Ermittlungen ergeben, daß der 19-Jährige sich umbringen wollte. Er hatte sich die Messerstiche selbst zugefügt und auch den Brand gelegt, um sich selbst zu töten.

Polizei Mittelfranken 10.1.06;

Berufsfeuerwehr Nürnberg 10.1.06;

Polizei Mittelfranken 11.1.06;

Polizei Nürnberg 4.12.06

 

10. Januar 06

 

Bundesland Schleswig-Holstein. Ein 41 Jahre alter kurdischer Flüchtling wird bei einer Vorsprache in der Ausländerbehörde Bad Segeberg festgenommen und in das Abschiebegefängnis Rendsburg gebracht. Hier versucht er, sich in selbsttötender Absicht zu verbrennen, und erleidet eine Brandverletzung.

    Bei der Untersuchung in Haft diagnostiziert der ihn seit 2004 behandelnde Facharzt und Psychotherapeut eine deutliche Verschlimmerung der Posttraumatischen Belastungsstörung und schweren Depressionen des Mannes. Statt einer Entlassung des schwerkranken Mannes werden für die nächsten 28 Tage wegen weiter bestehender Suizidgefahr viertelstündliche (!) Überwachung und Kontrolle des Gefangenen angeordnet.

    Am 21. Februar erfolgt seine Abschiebung in die Türkei.

Landesbeirat – Jahresbericht 2006;

Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 3/2006;

ndr 20.4.06; KN 21.4.06; BT DS 16/9142;

Interkultureller Rat in Deutschland

 

10. Januar 06

 

Ein togoischer Flüchtling wird von Bayern aus abgeschoben und von den drei ihn auf dem Flug begleitenden Bundespolizisten auf dem Flughafen in Lomé direkt der dortigen Polizei übergeben. Er kommt in Haft und wird unter Mißhandlungen verhört.

    Später gelingt ihm die Flucht aus der Haft und dem Land. Ein deutscher Unterstützer trifft ihn im ghanaischen Accra in einem Flüchtlingslager.

SVZ 22.3.06

 

17. Januar 06

 

Bekim und Mirlinda Zenunaj und ihre drei im schwäbischen Wilhelmsdorf aufgewachsenen Kinder werden nach 15 Jahren Deutschland-Aufenthalt in den Kosovo abgeschoben.

    Als am nächsten Tag der Gerichtsbeschluß bekannt wird, daß die Abschiebung aufgrund der krankheitsbedingten Transportunfähigkeit von Mirlinda Zenunaj nicht erfolgen darf, ist die Familie bereits im Kosovo. Nach der Abschiebung geht es der ganzen Familie schlecht.

    Eine 55-köpfige BürgerInnen-Initiative versucht jetzt, eine Rückführung der Familie nach Wilhelmsdorf zu erreichen.

SchwZ 4.2.06

 

28. Januar 06

 

Bundesland Baden-Württemberg. In der JVA Mannheim versucht der Abschiebegefangene M. Y. sich zu töten.

BT DS 16/9142

 

31. Januar 06

 

Bitterfeld in Sachsen Anhalt. Ein 34 Jahre alter Flüchtling aus Burkina Faso wird gegen 20 Uhr von sechs Personen rassistisch angepöbelt und bedroht. Dem Afrikaner gelingt es, in ein Bistro zu flüchten und von dort aus die Polizei zu rufen.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt;

 

10. Februar 06

 

Berlin – Bezirk Mitte. Der Flüchtling B. C. befindet sich auf dem Bahnhof Alexanderplatz, um den Zug nach Werder zu besteigen, als ein Polizist und eine Polizistin auf ihn zutreten, um seine Personalien zu überprüfen. Als B. C. sagt, daß er seine Papiere nicht dabei hat, wird er umgehend in Hand- und Fußfesseln gelegt. Zudem beleidigen ihn die Uniformierten rassistisch und schlagen mit solch einer Massivität auf ihn ein, daß er ohnmächtig wird und ein Krankenwagen gerufen werden muß.

    Der Laptop seiner Freundin, den B. C. bei sich führt, wird ohne Rechtfertigung durch die Polizei durchsucht. Zu privaten Fotos werden anzügliche Kommentare abgegeben.

    B. C. stellt später eine Strafanzeige gegen die BeamtInnen, die wegen fehlender Beweise eingestellt wird. Er selbst hingegen wird wegen Beleidigung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe in Höhe von 1200 Euro verurteilt.

ReachOut Berlin

 

12. Februar 06

 

Neubrandenburg in Mecklenburg-Vorpommern. Nach einem Diskothekbesuch werden zwei ca. 30-jährige Flüchtlinge aus dem Irak von mehreren deutschen Männern und einer Frau zunächst mit "Scheiß-Ausländer" beleidigt und dann tätlich angegriffen. Die Rassisten schlagen und treten auf die Flüchtlinge ein – einem Iraker wird eine Zigarette hinter dem Ohr ausgedrückt, und ihm werden Haare ausgerissen.

LOBBI

 

13. Februar 06

 

Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick. Nachdem die Angestellten des Gefängnisses dem 63 Jahre alten Mazedonier Z. I. die Aufenthaltskosten im Gefängnis (62 Euro pro Tag) präsentierten und ihm auch noch in Aussicht stellten, für die bevorstehende Abschiebung die Kosten tragen zu müssen, versucht sich der unter schweren Depressionen leidende Gefangene mit einem gerollten Bettlaken am Türgitter eines Toilettenraumes zu erhängen. Bedienstete finden ihn um 14.40 Uhr, heben ihn hoch und befreien ihn aus der Schlinge. Er wird notärztlich versorgt und kommt zur stationären Behandlung seiner Verletzungen ins Krankenhaus. Das Krankenzimmer wird von der Polizei bewacht.

    Bereits bei seiner Festnahme vor 71 Tagen war ihm alles Geld abgenommen worden. Seine Rückführung über Tschechien steht unmittelbar bevor.

    Aus Protest und Empörung beginnen noch am gleichen Tag 14 Gefangene der zweiten Etage des Hauses 3 einen Hungerstreik – ab 0.30 Uhr tragen sie Matratzen auf die Flure, setzen sie in Brand und verbarrikadieren die Etage. Mehr als 100 Gefangene müssen wegen der gefährlichen Rauchgasentwicklung verlegt werden.

TS 14.2.06; BM 14.2.06;

Welt 15.2.06; PNN 15.2.06; BM 16.2.06;

BM 17.2.06; jW 20.2.06; JWB 22.2.06;

BT DS 16/9142;

Interkultureller Rat in Deutschland

 

17. Februar 06

 

In einem von Flüchtlingen bewohnten Haus im bayerischen Mellrichstadt – Landkreis Rhön-Grabfeld – bricht um 3.00 Uhr morgens ein Feuer aus. Die 22 Menschen, die sich im Hause befinden, kommen mit dem Schrecken davon. Die Brandursache ist zunächst ungeklärt.

German News 17.2.06;

FrP 18.2.06

 

21. Februar 06

 

Feuer im Hamburger Flüchtlingsheim in Curslack. Die Feuerwehr kann verhindern, daß das Feuer vom Erdgeschoß auf den ersten Stock übergreift. Eine Bewohnerin erleidet eine Rauchgasvergiftung und muß ins Krankenhaus gebracht werden. Die Ursache des Feuers ist zunächst unklar.

HA 22.2.06

 

23. Februar 06

 

Flüchtlingsunterkunft im Transitbereich des Flughafens Frankfurt am Main in Cargo City Süd, Gebäude C 587. Ein 17-jähriger palästinensischer Jugendlicher, der durch einen Fluchthelfer über die Türkei einen Flug in die BRD bekam, wird unmittelbar nach seiner Ankunft in die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie eingewiesen und dort bis zum 2. März ärztlich behandelt.

    Am 3. März beantragt die Bundespolizei Zurückweisungshaft. Auf Beschwerde eines beigeordneten Verfahrenspflegers festigt das Landgericht den Beschluß des Amtsgerichts mit den Worten: "Deshalb komme in Transitfällen für Minderjährige nur die Unterbringung in einer jugendgeeigneten Justizvollzugsanstalt in Betracht."

    Eine weitere Beschwerde wegen der Freiheitsberaubung des Minderjährigen führt schließlich beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main am 15. Mai zu einer Aufhebung der vorherigen gerichtlichen Anordnungen – wegen der "Schwere des Eingriffs" und der besonderen Schutzbedürftigkeit minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge.

OLG Frankfurt am Main 15.5.06

 

24. Februar 06

 

Berlin-Wedding in der Bellermannstraße. Als zwei Zivilbeamte morgens um 7.15 Uhr an der Wohnung der Familie Barbul klingeln, um Herrn Zarko Barbul zur Abschiebung abzuholen, klettert der 32-Jährige in Panik aus dem Fenster der im dritten Stock gelegenen Wohnung. Er steht auf der äußeren Fensterbank und hält sich an einem Kabel einer Satelitenschüssel fest, als die Polizisten ihn laut rufend auffordern, in die Wohnung zurückzukehren. Dann bricht ein Stück Fensterbank herunter und Herr Barbul stürzt 15 Meter in die Tiefe. Mit schweren Knochenbrüchen an beiden Beinen und am rechten Arm bleibt er im Hof liegen. Er kommt zur stationären Behandlung ins Virchow-Krankenhaus.

    Der Rom Zarko Barbul war vor sieben Jahren mit seiner Frau und dem damals 1-jährigen Sohn in die BRD geflohen, weil er sich nicht an dem Krieg der serbischen Armee gegen das Kosovo beteiligen wollte. Ein Jahr später wurde ein zweiter Sohn geboren.

    Herr Barbul ist Teilnehmer an dem sogenannten Equal-Projekt für Roma-Flüchtlinge "Novi Videi – Neue Perspektiven", einer vom Bundesministerium für Arbeit und der Europäischen Union geförderten Qualifikationsmaßnahme. Die Weisung der Innenverwaltung, daß die TeilnehmerInnen dieser Maßnahme bis zur Beendigung vor Abschiebung geschützt sein sollten, wurde vom Sachbearbeiter der Berliner Ausländerbehörde jedoch nicht angewandt.

südost Europa Kultur;

Polizei Berlin 24.2.06;

ND 27.2.06; TS 23.3.06

 

26. Februar 06

 

Bundesland Baden-Württemberg. Ein 33 Jahre alter Syrer aus Villingen-Schwenningen wird nach 7-jährigem Deutschland-Aufenthalt wegen abgelehntem Asyl nach Damaskus abgeschoben. Dort erfolgten seine Übergabe an die Polizei, seine Inhaftierung und Vernehmungen, weil er durch seine Asylantragstellung in der BRD den syrischen Staat beleidigt haben soll.

    Die Verhöre verlaufen unter schwerer und systematischer Folter – oft mit verbundenen Augen. Ihm wird mit einem Kabel auf die Fußsohlen geschlagen (Falaka), er muß lange an einer Wand stehen, er muß sich nackt ausziehen, ihm wird ins Gesicht geschlagen. Die Folterer stecken ihm einen Schlauch in den Mund und pumpen Wasser in ihn hinein. Sie zwingen ihn bei den Verhören vor sie hinzuknien, und er muß Schreie von anderen Gefolterten anhören.

    Er unterschreibt schließlich ein falsches Geständnis und wird dann vom Militärgericht in Damaskus zu einer dreimonatigen Haftstrafe verurteilt.

    Nachdem es seiner Familie gelingt, ihn aus der Haft freizukaufen, flieht er Anfang 2007 erneut in die Bundesrepublik. Durch das Erlebte ist er psychisch schwer gezeichnet – er leidet jetzt an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (Symptomatik 2).

    Sein Asylfolgeantrag vom Februar 2007 wird im März 2009 vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) abgelehnt. Erst nach einer Klageerhebung wird er am 5. April 2011 vom Verwaltungsgericht Freiburg als Asylberechtigter anerkannt.

    Im Gerichtsurteil werden die Mißhandlungen und die schwere Folter aufgrund (!) einer Asylantragstellung in der Bundesrepublik explizit erwähnt.

Refugio Villingen-Schwenningen

 

1. März 06

 

Frankfurt am Main. In einem Toilettenraum der Bundespolizei am Frankfurter Flughafen entzündet um 16.10 Uhr der 34 Jahre alte Iraner A. B. sein T-Shirt, um sich selbst zu verbrennen. Er kommt mit Verbrennungen an Brust und Rücken und mit einer Rauchgasvergiftung ins Krankenhaus Höchst. Der behandelnde Arzt gibt dem Drängen der Polizei nach und erklärt den Patienten nach der Versorgung der Verletzungen für transportfähig.

    Zu dem am folgenden Tag anberaumten Haftprüfungstermin, der im ersten Stock des Gießener Amtsgerichts verhandelt werden soll, muß Herr B. allerdings von zwei Beamten gestützt werden. Auf der Bank vor dem Gerichtszimmer verstärkt sich sein anfängliches Zittern, bis der Mann unter starkem Beben und mit Schaum vor dem Mund zusammenbricht. Zwei Rettungswagen werden gerufen. Die zuständige Richterin ordnet per Eilentscheidung eine Überweisung in das Krankenhaus der JVA Butzbach an. Binnen sechs Wochen soll ein Termin für eine neuerliche "Anhörung" angesetzt werden. Seinem Bruder D., dem einzigen Familienangehörigen in der BRD, wird der Besuch im Krankenhaus untersagt. Einige Tage später wird A. B. in die JVA Kassel verlegt.

    Von dort aus findet der zweite Abschiebeversuch statt. In Krankenhaus-Kleidung und mit Hand- und Fußschellen wird er in eine Lufthansa-Maschine gebracht. Mehrere Beamte halten ihn so stark fest, daß er Angst bekommt, sie könnten ihm seine Handgelenke brechen. Der Pilot bemerkt dies, spricht kurz mit Herrn B. und weigert sich dann, ihn in den Iran auszufliegen.

    Beide Brüder sind Aktivisten der "Arbeiterkommunistischen Partei Irans" (AKP) und der "Föderation iranischer Flüchtlinge". Allein aufgrund dieser exilpolitischen Tätigkeiten droht ihnen mit Gewißheit im Iran Gefangenschaft und Folter und mit hoher Wahrscheinlichkeit die Todesstrafe.

Trotz der Menschenrechtsverletzungen im Iran sieht das

Hessische Innenministerium keinen Bedarf, die Abschiebepraxis in das Land oder die Bewertung der dortigen innenpolitischen Lage zu überdenken. Angesprochen auf die aktuelle Situation meint ein Sprecher der Frankfurter Rundschau gegenüber: "Der Iran hat eine demokratisch gewählte Demokratie."

    Am 4. April wird A. B. mit einer Maschine der russischen Fluggesellschaft TransAero abgeschoben. Fünf Menschen vom Sicherheitspersonal der Fluggesellschaft bringen ihn mit Gewalt ins Flugzeug, legen ihm Hand- und Fußschellen an und drücken seinen Hals so fest herunter, daß er nicht reden oder schreien kann.

    Ein letzter Eilantrag, die Abschiebung auszusetzen, ist vom Verwaltungsgericht Gießen abgelehnt worden, und auch der Petitionsausschuß entschied sich gegen eine Intervention.

Pro Asyl;

FR 3.3.06; GA 3.3.06;

FR 4.3.06; FR 5.3.06;

GA 7.3.06; GAll 10.3.06; GA 10.3.06;

GA 29.3.06; GA 30.3.06; Pro Asyl 4.4.06;

Jugendnetz Wetzlar 4.4.06; GAll 5.4.06

 

1. März 06

 

Bad Wünnenberg im Bundesland Nordrhein-Westfalen. Als ein 36 Jahre alter Bewohner des Flüchtlingsheimes am Zinsdorfer Weg Rauch auf dem Flur bemerkt, alarmiert er umgehend alle BewohnerInnen. Kurze Zeit später erfolgt eine so starke Verpuffung, daß sogar Stühle durch die Fenster geschleudert werden.

    Den Rettungskräften, die mit Löschzügen aus Bad Wünneberg, Fürstenberg und Leiberg eintreffen, gelingt es, das entstandene Feuer im Flur und in den angrenzenden Wohnräumen zu löschen.

    Obwohl es den zehn anwesenden BewohnerInnen gelungen ist, noch vor Eintreffen der Feuerwehren ins Freie zu gelangen, müssen ein junges Mädchen, eine 37-jährige Frau und ein 22-jähriger Mann mit dem Verdacht auf Rauchgasvergiftung in Krankenhäuser nach Büren und Paderborn gebracht werden.

    Das aus Flach- und Satteldachcontainern errichtete Wohnheim wird aufgrund des entstandenen Brandschadens und der extremen Verrußung nicht mehr bewohnbar sein. Die BewohnerInnen werden in einem anderen Wohnheim im Stadtteil Helmern untergebracht.

    Als Brandursache ermitteln Kriminalbeamte der Paderborner Polizei einen Defekt in einer Leuchtstofflampe an der Flurdecke.

NW 2.3.06

 

2. März 06

 

Bundesland Hessen. An einer Uferpromenade in Eltville sitzt ein junger Mann eine Weile auf einer Tasche, steht dann auf, zieht seine Jacke aus und geht in den Rhein. Er schwimmt bis zur Mitte des Flusses und versinkt dann im Wasser. Die von ZeugInnen eingeleiteten Suchmaßnahmen der Polizei bleiben erfolglos. Der Leichnam des Mannes wird erst am 10. April in der Winkeler Bucht am Rheinkilometer 519,59 entdeckt und geborgen.

    Der Mann ist ein Asylbewerber aus Afghanistan und wohnte zuletzt in Geisenheim – er starb im 21. Lebensjahr.

Polizei Wiesbaden 18.4.06;

Main-Rheiner 19.4.06

 

4. März 06

 

Cottbus in Brandenburg. Der Kameruner Chamberlin Wandji betritt an der Bushaltestelle "Stadtpromenade" um 0.46 Uhr einen Bus der Linie N 4. Im Bus trifft er seinen Freund, einen Flüchtling aus dem Tschad, und sie bemerken jetzt beide, daß in den hinteren Reihen acht bis zehn weiße Menschen sitzen, die auffallend militärisch gekleidet sind. Ein Mann aus dieser Gruppe geht auf seinen Freund zu und tritt ihn so heftig, daß er durch die mittlere Bustür auf die Straße fällt. Chamberlin Wandji stellt ihn zur Rede und versperrt ihm den Rückweg zu seiner Gruppe. Dann wird der Flüchtling von Mitgliedern der Gruppe von hinten festgehalten, ins Gesicht geschlagen und mit "Hey schwarzer Neger!" beleidigt. Zwei Frauen schreien Herrn Wandji an.

    Auf Bitten des Herrn Wandji ruft der Busfahrer die Polizei, die schnell eintrifft. Zu ihrer Verwunderung werden allerdings die beiden Opfer der Angriffe mit aufs Revier genommen, während die Angreifer im Bus bleiben.

    Erst nach mehr als dreistündiger Wartezeit im Polizeirevier und bei der Kriminalpolizei können die beiden Afrikaner Anzeige erstatten. Den wiederholten Bitten nach ärztlicher Versorgung der Gesichtsverletzungen des Herrn Wandji wird nicht nachgegangen. Die Verletzungen seien nicht so schlimm, und er könne selber am nächsten Tag zu einem Arzt gehen.

    Am nächsten Tag mußte der Asylbewerber allerdings zunächst einmal zum Sozialamt, um dort einen Krankenschein zu bekommen – erst dann konnte er seine Verletzungen medizinisch versorgen lassen.

    Im November wird der Angriff auf die zwei Asylbewerber vor dem Amtsgericht Cottbus verhandelt.

Opferperspektive; Bericht eines Betroffenen;

PNN 16.3.06; JWB 22.3.06;

LR 17.11.06; Opferperspektive 20.11.06

 

6. März 06

 

Bundesland Sachsen. Im Dresdener Stadtteil Gorbitz betreten um 8.15 Uhr vier Polizeibeamte den Outlaw-Kindergarten am Limbacher Weg. Sie suchen nach dem 3-jährigen Jungen Leandro und seiner angolanischen Mutter Anna de Assis. Da die Mutter nicht anwesend ist, nehmen sie das Kleinkind mit. Als das Kindergartenpersonal protestiert, wird polizeiliche Verstärkung angefordert. Schließlich wird erlaubt, daß wenigstens eine Betreuerin als Vertrauensperson den Jungen begleiten darf.

    Sie fahren zum städtischen Kinder- und Jugendnotdienst und versuchen hier, von dem in Deutschland geborenen Jungen zu erfahren, wo die Mutter sein könnte. Auch versuchen sie weiterhin, die Mutter telefonisch zu erreichen.

    Nachdem der Asylantrag der 31 Jahre alten Anna de Assis im Oktober 2002 und der des Kindes im Juni 2004 abgelehnt worden waren, war die Abschiebung der beiden in die Wege geleitet worden. Die Zentrale Ausländerbehörde (ZAB) in Chemnitz hatte die Dresdener Polizei für diesen Tag um "Vollzugshilfe" gebeten, Mutter und Sohn "aufzugreifen" und die Abschiebung für heute durchzusetzen.

    Als für die Beamten deutlich wird, daß die Abschiebung heute nicht planmäßig stattfinden kann, bringen sie nach vier Stunden "Geiselnahme" (Ausländerbeauftragte Marita Schie-ferdecker-Adolph) den Jungen in den Kindergarten zurück und übergeben ihn einer Betreuerin mit den Worten: "Der hat jetzt Hunger."

    Aus Angst vor einem neuerlichen Zugriff halten sich Mutter und Kind nun an einem unbekannten Ort auf.

    Aufgrund der öffentlichen Empörung über diesen bundesweit einmaligen Fall leitet die Dresdener Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen die drei Polizeibeamten und eine Polizeibeamtin ein und prüft, ob sie sich wegen Nötigung, Entziehung Minderjähriger, Freiheitsberaubung oder

Hausfriedensbruchs vor Gericht verantworten müssen. Ende Juni wird das Verfahren eingestellt, weil eine Schuld der PolizeibeamtInnen nicht nachweisbar sei.

    Die Dresdner Universitätsklinik diagnostiziert bei dem kleinen Leandro eine Posttraumatische Belastungsstörung und Verlustängste als Folge des Polizeieinsatzes. Diese Diagnose wird durch einen Amtsarzt bestätigt. Anfang des Jahres 2007 beginnen Mutter und Kind eine Therapie.

    Ein erneuter Abschiebeversuch scheitert am 30. Januar 07, weil Mutter und Kind von der Polizei nicht in der Unterkunft angetroffen werden. Sie befinden sich später in einem "stillen" Kirchenasyl.

SäZ 17.3.06; mdr 17.3.06; DNN 17.3.06;

DNN 18.3.06; taz 18.3.06;

Telepolis 19.3.06; taz 20.3.06;

SäZ 21.3.06; FP 21.3.06; jW 22.3.06;

SäZ 25.6.06; ddp 28.6.06;

ND 22.7.06; SäZ 30.1.07;

SäZ 31.1.07; ND 31.1.07; SäZ 6.2.07;

FRat Sachsen

 

7. März 06

 

Halle in Sachsen-Anhalt. Ein 24 Jahre alter Flüchtling aus Côte d'Ivoire (Elfenbeinküste) beobachtet, wie drei Männer und eine Frau, dem Äußeren nach wie Neonazis gekleidet, zwei Afrikaner rassistisch beschimpfen und bedrohen. Der Flüchtling schlichtet die Situation verbal, woraufhin die Bedrohten weggehen können.

    Dadurch gerät er jedoch ins Visier der RassistInnen. Sie verfolgen und beschimpfen ihn. Als er auf dem Markt schließlich von einem der Neonazis eingeholt wird, trifft ihn mehrmals dessen Faust. Als der Angreifer eine Bierflasche herausholt, gelingt es dem Flüchtling, dessen Arm beim Ausholen festzuhalten. In diesem Moment schlägt ihm die Frau einen Teleskopschlagstock auf den Hinterkopf.

    Als die Polizei eintrifft, ergreifen die Täter die Flucht. Trotzdem gelingt es kurz danach, die 17-jährige Schlägerin und einen 26-jährigen Mittäter festzunehmen. Gegen diesen liegt bereits ein Haftbefehl wegen Volksverhetzung vor.

    Es werden Ermittlungsverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung und anderer Straftaten gegen vier Verdächtige eingeleitet.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt;

mdr 8.3.06; JWB 15.3.06

 

8. März 06

 

Bad Schwartau in Schleswig-Holstein. Ohne Vorankündigung erscheinen gegen Abend MitarbeiterInnen der Eutiner Ausländerbehörde und in deren Begleitung eine Ärztin und ein großes Polizeiaufgebot, um die fünfköpfige kurdische Familie D. in die Türkei abzuschieben. Frau D. erleidet einen Zusammenbruch, so daß sie auf Anweisung der Ärztin als Notfall in ein Krankenhaus eingeliefert werden muß. Die Abschiebung wird daraufhin abgebrochen

    Die Eheleute D. kamen vor acht Jahren in die BRD, weil sie in der Türkei schwerste Gewalterfahrungen machen mußten. Sie sind schwer traumatisiert, und auch ihre jüngste Tochter ist in psychiatrischer Behandlung. Einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels, der im Januar 2005 gestellt wurde, hatte die Behörde mit der Androhung der Abschiebung beantwortet.

Lübecker Flüchtlingsforum;

FRat SH 14.3.06

 

8. März 06

 

Lebach im Saarland. In den frühen Morgenstunden verläßt der 49-jährige kurdische Flüchtling Fesih Dogan sein Zimmer im Flüchtlingslager und hängt sich in der Scheune eines nahen Bauerhofes auf.

    Nach Auskunft von MitbewohnerInnen hat an diesem Morgen – wie schon öfter – eine Durchsuchung der Zimmer des Lagers stattgefunden. Es wurden sich hier unerlaubt aufhaltende Personen gesucht. Herr Dogan habe diesen Druck sich ständig wiederholendender Razzien nicht mehr ausgehalten.

    Fesih Dogan hatte im Asylverfahren politische Verfolgung angegeben und in diesem Zusammenhang auf eine psychische Erkrankung hingewiesen. Mit der Begründung, daß Herr Dogan sein Verfolgungsschicksal nicht glaubwürdig nachweisen konnte, lehnte das Verwaltungsgericht Saarlouis seine Klage gegen den ablehnenden Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ab.

    Auch bei einem weiteren Verfahren zeichnete sich jetzt ab, daß seine erneute Klage abgewiesen werden wird, denn es war ihm laut Gericht nicht gelungen, die politische Verfolgung als die eigentliche Ursache für seine psychische Erkrankung nachzuweisen.

Bernhard Dahm – Rechtsanwalt;

Saarbrücker Hefte Nr. 97 Sommer 2007

 

9. März 06

 

Ahlen in Nordrhein-Westfalen. Morgens um 3.40 Uhr erscheinen Mitarbeiter der Ausländerbehörde des Kreises Warendorf und Polizeibeamte vor der Tür einer Dachgeschoßwohnung im Amselweg Ecke Knüppelsberg. Die dort wohnende kurdische Familie soll noch heute über den Flughafen Düsseldorf abgeschoben werden.

    Während die Wohnungstür von einem Schlüsseldienst geöffnet wird, flüchten der 46-jährige Mann und seine zwei Jahre jüngere Ehefrau über den Balkon auf das Hausdach. Nur mit Unterwäsche und dünner Nachtwäsche bekleidet, harren sie dort auch im Regen aus und drohen, sich in die Tiefe zu stürzen.

    Einsatzkräfte der Feuerwehr und der Polizei – auch unter Anforderung eines Sondereinsatzkommandos – versuchen, beruhigend auf die Verzweifelten einzuwirken. Um 10 Uhr ist die Frau überredet worden, vom Dach herunterzuklettern. Um 11.15 Uhr gibt auch ihr Mann auf. Wegen starker Unterkühlung werden beide zunächst ins Ahlener St.-Franziskus-Hospital gebracht. Während der 5-jährige Sohn und die 3-jährige Tochter der Eheleute bei Verwandten untergebracht werden, erfolgt die Abschiebung ihres 18-jährigen Sohnes noch am Abend nach Istanbul.

    Bereits im Jahre 1989 hatte der Kurde in der BRD Asyl beantragt und war nach Ablehnung im Jahre 1992 in die Türkei abgeschoben worden. Nach erneuter Einreise im Februar 1997 wurde auch der zweite Asylantrag vier Monate später abgelehnt. Die gegen die Negativentscheidung geführte Klage wurde schließlich vom Verwaltungsgericht Münster im Dezember 2001 abgewiesen. Der Asylantrag seiner Frau, die im August 1999 nach Deutschland kam, wurde noch im gleichen Jahr als "offensichtlich unbegründet" abgelehnt. Zur psychischen Erkrankung der Frau mit möglicher Suizidgefahr, die über Monate stationär behandelt werden mußte, äußerte sich das Bundesamt, daß diese auch in der Türkei behandelt werden könne.

    Nachdem der damals 12-jährige Sohn im Jahre 2000 seinen Eltern in die BRD gefolgt war, wurde auch sein Asylantrag abgelehnt. Seine beiden Geschwister sind in Ahlen geboren.

    Nach dem Drama auf dem Hausdach wird gegen den 46-jährigen Familienvater Abschiebehaft durchgesetzt, und seine Frau wird ins Justizkrankenhaus nach Fröndenberg verlegt.

    Am 18. April erfolgt die Abschiebung von Eltern und Kindern über den Düsseldorfer Flughafen nach Istanbul.

Polizei Warendorf 9.3.06;

FR 10.3.06; AZ 10.3.06; AT 10.3.06;

AT 11.3.06; AZ 14.3.06; AZ 21.4.06

 

12. März 06

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Ein 32-jähriger syrischer Flüchtling besucht morgens um 9 Uhr seine ehemalige Freundin im Eschweiler Krankenhaus, wo sie vor drei Tagen von ihrem gemeinsamen Kind entbunden wurde. Der bewaffnete Mann gießt Benzin im Krankenzimmer aus und nimmt die Frau und das Kind in seine Gewalt. Erst nach siebenstündigen Verhandlungen mit der Polizei, während der er keine Forderungen stellt, ergibt er sich.

    Am 29. September fordert die Staatsanwaltschaft vor dem Aachener Landgericht zehneinhalb Jahre Haft. Das Gericht  verurteilt den Flüchtling zu sechs Jahren Haft und begründet dies damit, daß die Tat zugleich ein "Angstschrei" gewesen sei, da der Mann auf seine Probleme habe aufmerksam machen wollen. Der Mann, der nach abgelehntem Asylantrag und nach der Trennung von seiner Freundin und ihrem gemeinsamen Kind seinen Aufenthalt in Gefahr sah, wollte mit dieser Verzweiflungstat seine vermeintliche Abschiebung verhindern.

Polizei Aachen 13.3.06;

KR 13.3.06;

BM 14.3.06; AaN 15.3.06; WDR 25.9.06

 

15. März 06

 

Morgens um 6 Uhr früh werden die Eheleute S. und ihre Kinder im Alter von 5, 10, 11, 13 und 16 Jahren in ihrer Wohnung in Berlin festgenommen und zum Abschiebegefängnis nach Berlin-Köpenick gebracht. Nach einer Nacht im Gefängnis erfolgt ihre Fahrt mit einem Polizeitransporter zum Flughafen Düsseldorf. Unterwegs wird der Wagen in einen Unfall verwickelt. Frau S. muß sich ständig übergeben.

    Die Eheleute leben seit 12 Jahren in Berlin, und ihre insgesamt sechs Kinder sind alle hier aufgewachsen. Eine behördlich anerkannte Psychologin hat ein Gutachten über Frau S.'s schwere Posttraumatische Belastungsstörung erstellt. Sie kommt zu dem Schluß, daß eine eventuell erzwungene Rückkehr in den Kosovo ein erhebliches Risiko für Leben und Gesundheit von Frau S. sein wird.

    Als besonders skandalös ist aus Sicht des Flüchtlingsrates die Weigerung des Innensenators, einen Antrag bei der Härtefallkommission für die Familie zu behandeln. Damit verstößt der Innensenator gegen die geltende Rechtsverordnung zur Umsetzung der Härtefallregelung in Berlin.

    Noch vor zwei Tagen hatte die Familie bei der Ausländerbehörde vorgesprochen, wo ihre Aufenthaltsbescheinigungen (Duldungen) verlängert wurden. Von einer unmittelbar bevorstehenden Abschiebung wurde ihr nichts mitgeteilt.

    Die gutachterlich bescheinigte Traumatisierung und fehlende Behandlungsmöglichkeiten im Kosovo sind dann auch die Gründe für die UNMIK (United Nation Administration Mission in Kosovo), die Familie in Prishtina nicht einreisen zu lassen und den Rückflug in die BRD zu veranlassen.

    Am 17. März wird die Familie über Podgorica (Montenegro) nach Frankfurt am Main zurückgeflogen. Von Frankfurt erfolgt der Transport per Bus nach Berlin. Hier wird Herr Fadil S. in Abschiebehaft genommen. Dort befindet sich bereits seit dem 16. März der 19-jährige Sohn Driton, der nicht mit ausgeflogen worden war.

    Für den 13. April wird ein neuer Versuch vorbereitet, die Familie abzuschieben. Weil sie für die Polizei nicht auffindbar ist, werden Herr S. und der 19-jährige Sohn direkt aus dem Abschiebegefängnis abgeschoben.

FRat Berlin 21.3.06;

taz 22.3.06; TS 23.3.06;

taz 12.4.06; taz 15.4.06

 

17. März 06

 

Berlin – Hohenschönhausen. Bei einem Brand in einer Flüchtlingsunterkunft werden vier Menschen verletzt. Das Feuer war im vierten Stock im Zimmer eines 23-Jährigen ausgebrochen, der sich selbst aus dem Raum retten konnte.

taz 18.3.06

 

19. März 06

 

Berlin. Eine alleinerziehende Romni wird mit ihren vier Kindern in Polizeigewahrsam genommen und am Abend nach Serbien abgeschoben

TS 23.3.06

 

21. März 06

 

Bundesland Hessen. Weil sich ein Mann bei einer Personenkontrolle in der Nähe des Frankurter Zoos nicht ausweisen kann, wollen ihn drei polizeiliche Zivilkräfte festnehmen. Einer Fesselung widersetzt er sich, und als die Beamten Pfefferspray einsetzen, reißt er sich los und flüchtet mit der an einer Hand angelegten Handfessel. An der Hanauer Landstraße springt er auf eine anfahrende Straßenbahn und klammert sich an die hintere Kupplung. Doch nach ca. 100 Metern haben ihn die Polizeibeamten erreicht und reißen ihn von der Straßenbahn herunter auf das Pflaster. Ihnen gelingt jetzt seine Festnahme mit massiver körperlicher Gewalt. Eine Polizeiärztin attestiert im Polizeipräsidium Schürfverletzungen im Gesicht.

    Der 28 Jahre alte Mann war zur Festnahme wegen seiner Abschiebung in die Türkei ausgeschrieben.

Polizei Frankfurt 21.3.06

 

21. März 06

 

Landkreis Hameln in Niedersachsen. Die Abschiebung ihres 19-jährigen Sohnes nach Georgien treibt seine Mutter, eine kurdische Jesidin, zu einem Selbsttötungsversuch. Die Frau kommt auf die Intensivstation im Krankenhaus Hildesheim.

    Ihr Sohn, der als 8-Jähriger in die BRD gekommen war, wird von seiner im sechsten Monat schwangeren Frau getrennt. Die Ehe wurde von der Ausländerbehörde nicht anerkannt, weil die beiden "nur" nach jesidischem Brauch geheiratet hatten.

GfbV 23.3.06

 

22. März 06

 

Berlin. Die 17-jährige Kurdin Hayriye Aydin wird vom Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland, Horst Köhler, zur Einweihungsfeier seines restaurierten Amtssitzes im Schloß Bellevue wegen ihres politischen und sozialen Engagements geehrt. Der Präsident bedankt sich bei ihr im Namen der Bundesrepublik für ihre ehrenamtliche Tätigkeit zu den Themen Antisemitismus und Völkerverständigung.

    Dies geschieht, während ihre Eltern und ihre Geschwister akut von Abschiebung in die Türkei bedroht sind. Ihre Duldung läuft in wenigen Tagen aus.

    Nachdem die Härtefallkommission sich im Herbst für ein Bleiberecht der 13-köpfigen Familie eingesetzt hatte und dieses vom Innensenator abgelehnt wurde, kommt der Petitionsausschuß bei seiner gestrigen Tagung zu keiner Entscheidung und vertagt das Thema.

    Durch den Protest von SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern der MitschülerInnen wird das Schicksal der Familie weit über die Grenzen Berlins hinaus bekannt.

    Der heute 52 Jahre alte Vater Feyaz Aydin war mit seiner Frau und vier Kindern vor 17 Jahren in die BRD geflohen, weil er als vermeintlicher Unterstützer der PKK verfolgt und gefoltert worden war. Als die Asylanträge im Jahre 1990 abgelehnt wurden, floh die Familie aus Angst vor Abschiebung von Niedersachsen nach Berlin und stellte hier erneut Asylanträge, jedoch mit anderer Identität aus dem Herkunftsland Libanon. Diese Tatsache, die vor 14 Jahren den Behörden bekannt wurde, ist heute der Grund für die drohende Abschiebung eines großen Teils der Familie. Daß Herr Aydin und auch sein 21-jähriger Sohn Mehmet einen unbefristeten Arbeitsplatz haben, wodurch die Familie unabhängig von Sozialhilfe ist, daß die Kinder Musterbeispiele für das Thema "Integration" darstellen, ändert nichts an der Tatsache, daß auch im Februar 2007 die Eltern und vier ihrer Kinder von Abschiebung bedroht sind. Drei Töchtern wird vorläufig der Aufenthalt gewährt, weil sie noch in der Ausbildung sind.

FRat Berlin;

TS 13.3.06; taz 21.3.06; Spiegel 12/2006; BeZ 22.3.06;

TS 22.3.06; taz 22.3.06; ND 22.3.06; BeZ 23.3.06;

 taz 30.5.06; BI 2.6.06; BeZ 30.6.06; taz 1.9.06; BeZ 20.1.07

 

23. März 06

 

Bundesland Brandenburg. Als der Kenianer Joseph M. einer Vorladung bei der Ausländerbehörde Frankfurt (Oder) nachkommt, wird ihm mitgeteilt, daß er – aufgrund seines abgelehnten Asylantrages – sofort abgeschoben wird. Nach einer kurzen Unterredung mit seiner Verlobten geht er auf die Toilette, läuft los und springt dort durch das geschlossene Fenster. Der 30-Jährige stürzt eine Etage hinab, und durch den Aufprall auf den betonierten Boden zieht er sich so schwere Verletzungen zu, daß er umgehend ins Klinikum Markendorf eingeliefert werden muß.

    Joseph M., der im Jahre 1999 in die BRD geflohen war und hier Asyl beantragt hatte, versuchte seit längerer Zeit, seine Verlobte zu heiraten, und hätte, wenn nicht immer wieder "bürokratische Hürden" aufgebaut worden wären, schon aufgrund der Heirat mit einer deutschen Staatsangehörigen einen sicheren Aufenthalt. Zuletzt fehlte für das Standesamt eine schriftliche Bestätigung der Gültigkeit des Reisepasses, obwohl die Ausländerbehörde diesen bereits als gültig anerkannt hatte.

    Jetzt bezahlt der 30-Jährige die Flucht vor der Abschiebung nach Kenia mit einer Querschnittslähmung. Erst nach diesem Drama erklärt der Oberbürgermeister von Frankfurt, Martin Patzelt (CDU): "Ich werde ihm aus humanitären Gründen ein Bleiberecht in Frankfurt gewähren." Dann weist er darauf hin, daß die letzte rechtliche Prüfung noch nicht abgeschlossen ist und daß eine Aufenthaltserlaubnis ausländerrechtlich begründet sein muß.

WB 24.3.06; BM 25.3.06; taz 25.3.06;

Ausländerbeirat FFO 30.3.06;

BeZ 31.3.06; UK 31.3.06;

Robin Kendon – Bündnis90/Die Grünen 6.5.06

 

25. März 06

 

Magdeburg in Sachsen-Anhalt. Als ein 21 Jahre alter Flüchtling aus Burkina Faso um 2.40 Uhr an einer Tankstelle auf dem Weg zum Hasselbachplatz vorbeikommt, wird er von vier Männern und drei Frauen rassistisch beleidigt. "Afrika den Affen" beschimpfen sie ihn und verfolgen ihn. Einer der Deutschen schwingt dabei eine Machete. Dem 21-Jährigen gelingt es zu fliehen, weil er am Café am Hasselbachplatz drei Afrikaner trifft, die ihn schützen. Dann erscheinen Zivil-Beamte, die die Afrikaner kontrollieren.

    Eine Streifenwagenbesatzung findet an der Tankstelle im Wagen eines 57-Jährigen die Machete. Die Polizei ermittelt wegen versuchter Körperverletzung.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

26. März 06

 

Baden-Württemberg. Die drei volljährigen Kinder einer kurdischen Familie, zwei Söhne und eine Tochter, werden über den Flughafen Stuttgart in die Türkei abgeschoben. Damit ist die vor zehn Jahren in die Bundesrepublik geflohene Familie auseinandergerissen. Die kranken Eltern und ihre minderjährigen Kinder sind wegen der fehlenden Einkommen der erwachsenen Kinder nun wieder sozialhilfeabhängig.

    Am Flughafen Istanbul werden der 23-jährige T., seine Schwester und sein Bruder sofort festgenommen, getrennt verhört, wochenlang inhaftiert und vielfacher Gewalt ausgesetzt. Nach Lösegeldzahlungen eines Bekannten der Familie läßt man die Geschwister nach unterschiedlich langer Inhaftierung frei. Es gelingt ihnen im Frühjahr 2007, einzeln wieder in die Bundesrepublik einzureisen.

    Alle drei Geschwister leiden durch die erlittenen Mißhandlungen unter Symptomen des Posttraumatischen Belastungssyndroms und haben große Mühe, ihr zuvor geordnetes Leben wieder aufzunehmen. T. muß in die Psychiatrie eingewiesen werden, um seine traumatischen Erfahrungen bewältigen zu können.

    Für seinen Bruder kommt erschwerend hinzu, daß er nach seiner Wiedereinreise festgenommen und in der Abschiebehaftanstalt Mannheim inhaftiert wird. Auch die Schwester hat

die erlittenen Mißhandlungen noch nicht verarbeitet; es geht ihr weiterhin sehr schlecht. Sie stellt nach ihrer Wiedereinreise einen Asylfolgeantrag.

    Die Mutter hatte immer unter verschiedenen psychosomatischen Krankheiten gelitten und mußte nach der Abschiebung ihrer Kinder in die Psychiatrie eingewiesen werden. Ihr psychischer Zustand ist auch Anfang 2008 weiter sehr instabil. Bis auf T., der im Sommer 2007 seine langjährige deutsche Verlobte geheiratet hat, ist die Zukunft der Familie weiter ungewiß.

Rundbrief Baden-Württemberg 03/2007;

Antirassistische Initiative Berlin

 

27. März 06

 

Bundesland Niedersachsen. Morgens um 4.00 Uhr werden die 48-jährige Tschetschenin A. aus dem psychiatrischen Krankenhaus in Liebenburg und ihre Kinder im Alter von 10, 11, 16 und 23 Jahren aus dem Goslarer Wohnheim abgeholt, mit einem Auto nach Frankfurt (Oder) gebracht und dort den polnischen Behörden übergeben.

    In Polen wird Frau A. in einem Schnellverfahren wegen illegalen Grenzübertritts (von Polen nach Deutschland) zu einer zweijährigen (!) Bewährungsstrafe verurteilt. Die polnischen Behörden weigern sich zunächst, ein Asylverfahren für die Familie durchzuführen, weil sie sich über ein halbes Jahr in Deutschland aufgehalten habe. Mitte April 2006 befindet sich die Familie in einem Flüchtlingslager bei Warschau.

    Frau A. und ihr heute 16-jähriger Sohn R. sind schwer krank. Vor 10 Jahren mußte R. in Tschetschenien die Erschießung seines Vaters mit ansehen. In Deutschland wurde bei Mutter und Sohn eine Posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Auch die beiden jüngeren Kinder sind nicht gesund. Der 10-jährige H. leidet unter Ohnmachtsanfällen, und die 11-jährige S. mußte sich 2001 einer Herzoperation unterziehen.

    Am 15. September 2005 war die Familie von Polen kommend nach Deutschland eingereist. Da Polen als sicherer Drittstaat gilt, wurde ihr in Deutschland gestellter Asylantrag ohne inhaltliche Prüfung abgelehnt.

    Als Frau A. von der bevorstehenden Rückführung nach Polen erfuhr, geriet sie in eine schwere depressive Krise, so daß sie vom 10. bis 17. Februar in der psychiatrischen Klinik behandelt werden mußte. Auch nach ihrer Entlassung war sie nicht in der Lage, ihre Angelegenheiten vernunftgeprägt zu überblicken und für sich und ihre Familie weitreichende Entscheidungen zu treffen.

    Während eines Gespräches mit dem Leiter des Flüchtlingsheimes, in dem es um Vorhaltungen gegen ihren 16-jährigen Sohn ging, kollabierte Frau A. erneut und wurde wieder in die psychiatrische Klinik eingewiesen. Aus diesem Krankenhaus heraus wird Frau A. am 27. März nach Polen zurückgeschoben.

Diakonisches Werk Braunschweig, Regionalbüro Goslar 13.4.06

 

27. März 06

 

Harthausen bei Filderstadt in Baden-Württemberg. Als die Polizei morgens um 5.00 Uhr in der Flüchtlingsunterkunft erscheint, um drei Kinder der elfköpfigen kurdischen Familie Cakir mitzunehmen, entsteht eine große Panik, und Frau Cakir fällt in Ohnmacht.

    Die Familie , die vor acht Jahren nach politischer Verfolgung in die BRD geflohen war, wird durch die Abschiebung der über 18 Jahre alten Kinder Tekin, Sevda und Ergin mit Gewalt getrennt.

Eigenbericht; AK Asyl Stuttgart;

Filder Ztg 18.4.06

 

30. März 06

 

Flüchtlingsunterkunft "Am Bauhof" im niedersächsischen Hittfeld. Der 26 Jahre alte kurdische Flüchtling Hakim H.-M. knüllt Papier zusammen und legt es zusammen mit einem Handtuch auf sein Bett – denn legt er sich dazu und zündet das Papier an. Unter höchster Gefahr rettet ihn sein Mitbewohner, der 24-jährige Afghane Said Fazel S., vor dem Erstickungstod.

    Hakim H.-M., der vor sieben Jahren in die BRD geflohen war, hatte am Morgen einen Wertgutschein im Wert von 25 Euro und zehn Euro in bar von einer Sozialarbeiterin bekom-men. Der Gutschein wurde jedoch im Edeka-Laden von der Kassiererin nicht angenommen, und Herr H.-M. mußte seine Ware wieder in die Regale legen. Er war deprimiert, hatte Hunger, und die ganze Ausweglosigkeit seines Lebens wurde ihm deutlich. Er beschloß zu sterben.

    "Ich dachte, das Leben ist nix wert: keine Arbeit, kein Aufenthalt", begründete er seinen Selbsttötungsversuch ein Jahr später vor Gericht. Er bekam eine Strafe von einem Jahr auf Bewährung.

HA 28.3.07

 

4. April 06

 

Auf dem Bahnhof der bayerischen Stadt Cham. Ein 36 Jahre  alter irakischer Flüchtling wartet abends nach 21 Uhr auf die Weiterfahrt des Zuges zu seinem Wohnort Regensburg, als er von vier jungen kurzhaarigen und schwarz gekleideten Männern gefragt wird, wo er herkomme. Als er aufgefordert wird, "wieder nach Hause" zu gehen, versucht er wegzukommen. Die Provokateure folgen ihm bis in die Bahnhofstraße, einige schlagen auf ihn ein, rauben seinen Rucksack und fahren mit dem Zug davon.

    Der Iraker muß seine schweren Gesichtsverletzungen im Krankenhaus stationär behandeln lassen.

    Drei der vier Täter werden kurz vor Mitternacht im Bereich Roding im Landkreis Cham von der Polizei festgenommen.

dpa 5.4.06;

ChZ 6.4.06; DK 6.4.06; JWB 12.4.06

 

4. April 06

 

Bad Bentheim in Niedersachsen. Nach 16 Jahren Deutschland-Aufenthalt wird die Mahalmi-Familie Coban durch die Abschiebung des Vaters zusammen mit den beiden ältesten Söhnen und seiner Mutter getrennt. Zurück bleiben seine Ehefrau und die 2-, 7-, 8-, 10- und 12-jährigen Kinder.

    Die Abschiebung für die im Jahre 1990 aus dem Libanon geflüchtete Mahalmi-Familie ("Murade") erfolgt in die Türkei, weil den Eltern im Oktober 2005 vom Landkreis Grafschaft Bentheim Identitätsfälschung vorgeworfen wurde und sie somit ihre Aufenthaltsbefugnisse verloren haben.

    Sechs Jahre später ist die Familie immer noch getrennt. Eine Einreise in die Bundesrepublik wird nicht erlaubt, und ein Besuch von Frau Coban in der Türkei ist aus rechtlichen Gründen nicht möglich.

    Die Töchter Cemile und Yasemin und die Söhne Sevim und Karmo haben inzwischen Aufenthaltserlaubnisse für "gut integrierte Jugendliche" erhalten. Die Schulden an den Sozialhilfeträger in Höhe von 83.870 Euro werden abbezahlt, und das erforderliche Einkommen für die Familie können Frau Coban und die Tochter Cemile durch Lohnarbeit aufbringen, weshalb keine Sozialleistungen mehr beansprucht werden müssen. Frau Coban, die Analphabetin ist, kann inzwischen Deutsch sprechen und arbeitet als Reinigungskraft an der Grund- und Hauptschule in Bad Bentheim. Ihre Kinder, die alle hier geboren wurden und aufwuchsen, sind erfolgreich in der Schule und Ausbildung.

    Trotz all dieser Bemühungen über viele Jahre wird der Antrag auf ein Bleiberecht für Frau Coban im Juni 2012 von der Härtefallkommission des Landes Niedersachsen abgelehnt – die Zweidrittel-Mehrheit konnte nicht erreicht werden.

    Aus Protest gegen diese Entscheidung verlassen die zwei evangelischen und der katholische Vertreter die Härtefallkommission.

    Auch im Januar 2013 hat sich an der Situation von Frau Coban nichts geändert.

Dr. Johann Weusmann – Mai 2011;

GN 27.1.12; GN 4.6.12; GN 5.6.12;

FRat NieSa 6.6.12; GN 6.6.12; GN 26.6.12;

Dr. Johann Weusmann – Februar 2013

 

5. April 06

 

Flüchtlingsheim in Fürstenwalde in Brandenburg. Ein 49 Jahre alter Kurde aus der Türkei verletzt sich gegen 20.30 Uhr mit einem Messer mehrmals am Oberkörper und will sich mit Benzin übergießen.

    Nach der medizinischen Erstversorgung durch Rettungskräfte wird er in die Psychiatrie nach Frankfurt (Oder) eingeliefert.

MAZ 6.4.06;

Antirassistische Initiative Berlin

 

10. April 06

 

Nordrhein-Westfalen. Die Nigerianerin Grace O. und ihr 1 ½- jähriger Sohn sollen abgeschoben werden. In ihrer Verzweiflung versucht Grace O., den Abflug der Maschine zu verhindern, indem sie sich entkleidet. Der Pilot weigert sich daraufhin, sie mitzunehmen. Sie kann das Flugzeug verlassen, kommt aber umgehend in Abschiebehaft.

    Nach sechs Wochen wird Grace O. aus der Abschiebehaft in Neuss entlassen. Während der ganzen Zeit ist ihr kleiner Sohn bei einer Pflegefamilie untergebracht.

    Die brutale Trennung von Mutter und Kind über so lange Zeit wird behördlicherseits damit begründet, daß die Tatsache, daß Grace O. sich im Flugzeug schützend über ihr Kind gebeugt hatte, als "Gefährdung" des Kindes gesehen wird: sie habe sich "auf ihr Kind geworfen".

    Das rigorose Vorgehen der Behörden wird nicht nur durch die Trennung von Mutter und Kind deutlich. Diese ignorieren auch, daß das Kind in der BRD geboren wurde und der Vater des Kindes ein Bleiberecht hat.

    Auch die Tatsache, daß bereits am 5. Oktober 2005 das Bundesverfassungsgericht die Gesetzgeber aufgefordert hatte, das Aufenthaltsrecht von in der BRD geborenen Kindern ausländischer StaatsbüberInnen bis zum 31. Dezember 2006 neu zu regeln, spielte für die Behörden keine Rolle.

taz-NRW 22.5.06;

Karl Wiemann – Rechtsanwalt

 

13. April 06

 

Arnstadt in Thüringen. Um 19 Uhr greifen drei Arnstädter Männer zwei Flüchtlinge aus Sierra Leone an, als diese die Rudolfstädter Straße überqueren. Die 20 und 27 Jahre alten Afrikaner werden beleidigt und bedroht, dann werden Bierflaschen nach ihnen geworfen. Sie flüchten in einen nahen Supermarkt und finden hier Schutz. Sie bleiben unverletzt.

    Die gerufene Polizei nimmt die Täter zur Personalienfeststellung mit – einer wird festgenommen, weil gegen ihn ein Haftbefehl vorliegt.

    Die ursächliche Motivation der Täter scheint der Polizei schnell klar zu sein: eine politische Motivation wird behördlicherseits in Frage gestellt. "Die verbalen Äußerungen sind nach bisherigen Erkenntnissen nicht als politisch motivierte Äußerungen zu bewerten", so die Polizeidirektion Gotha. Vielmehr sei den Geschädigten vorgeworfen worden, Straftaten zu begehen, und aus diesem "Wissen" heraus wurden gegen die beiden Afrikaner Bedrohungen ausgesprochen.

TA 15.4.06; Antifaschistische Gruppe Südthüringen 15.4.06;

taz 21.4.06; Left Resistance Arnstadt 2.6.06

 

13. April 06

 

Guben im Bundesland Brandenburg. Ein chinesischer Asylbewerber nimmt sich im Raum Nummer 37 seiner Unterkunft das Leben, weil er die rassistische Behandlung und fortgesetzte Mißachtung der Menschenrechte durch die Behörden nicht mehr erträgt.

    Vor seinem Suizid klagte er MitbewohnerInnen gegenüber: "Ich habe nichts mehr in meinem Leben. Keine Familie, kein Geld, ich bin permanent gefangen in einem 35m² großen Kreis, habe keine Freiheit, kein Leben außer Schulden. Ich muß ständig meinen Anwalt bezahlen. Was für eine Bedeutung hat da dieses Leben?"

Flüchtlingsinitiative Brandenburg

 

13. April 06

 

Bundesland Baden-Württemberg. In der JVA Mannheim versucht der Abschiebegefangene R. A. sich zu töten.

BT DS 16/9142

 

14. April 06

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Um 16.12 Uhr kommt es in Dortmund-Eving in der Bayerischen Straße zu einem Polizeieinsatz, der für den 23 Jahre alten Flüchtling Dominique Kouamadiou aus dem Kongo infolge von zwei Polizeikugeln tödlich endet.

    Der Flüchtling, dem es psychisch schlecht ging, hatte zuvor mit einer Art Brotmesser einen Kioskbesitzer bedroht. Dieser schloß sein Verkaufsfenster und rief die Polizei. Ein Einsatzwagen mit zwei Polizisten und einer Polizistin traf ein. Aus bisher ungeklärten Gründen stach Dominique Kouamadiou auf die Scheibe der Beifahrerseite des Polizeiwagens ein. Der Fahrer und der Beifahrer stiegen aus und als Dominique Kouamadiou auch sie im Abstand von zwei bis zehn Metern (unterschiedliche Aussagen der ZeugInnen) bedrohte, gab der Fahrer zwei Schüsse ab – eine Kugel traf sein linkes Bein, die zweite Kugel traf den Kongolesen ins Herz und verletzte ihn tödlich.

    Dominique Kouamadiou war vor 10 Jahren als minderjähriger, unbegleiteter Flüchtling in der BRD angekommen, lebte im Heim und machte Musik. Er stand kurz vor der Mittleren Reife und hatte eine Ausbildung geplant.

    Am 21. Juni werden die Ermittlungen gegen den 45 Jahre alten polizeilichen Todesschützen mit der Begründung eingestellt, er habe in Selbstverteidigung gehandelt. Die Schwester von Dominique Kouamadiou legt dagegen Beschwerde ein.

    Am 9. Dezember findet eine Demonstration statt, die von einer Vielzahl politischer Initiativen getragen wird. Die Forderungen: "Gerechtigkeit für Dominique" und "Lückenlose Aufklärung". Drei Tage vor dieser Demonstration lehnt die Generalstaatsanwaltschaft Hamm die Beschwerde der Schwester als unbegründet ab.

Polizei Dortmund 14.4.06; Spiegel 14.4.06;

KSA 14.4.06;

Caravane-info 21.4.06;

 taz-NRW 22.4.06; WAZ 23.4.06;

jW 11.10.06; RN 6.12.06; taz 11.12.06

indymedia 15.4.07;

Initiative gegen Rassismus und Ausgrenzung – Dortmund

 

18. April 06

 

Berlin. Dem Rom Miloš Sitz wird in der Ausländerbehörde Nöldnerstraße gesagt, daß seine vier Enkel demnächst nach Bosnien abgeschoben werden: zunächst die bald 16-jährige Dajana und danach "Stück nach Stück" die jüngeren Kinder Milan (14), Angelina (12) und Dusko (9). Und da die Kinder in Bosnien keine Verwandten haben, sollen sie direkt einem Kinderheim übergeben werden.

    Ihre Eltern Tomislav und Hanusa Vasić waren als Bürgerkriegsflüchtlinge seit 1991 mit einer zweijährigen Unterbrechung in der BRD – zwei der Kinder sind in Berlin geboren. Tomislav Vasić hat sich schon vor Jahren von seiner Familie getrennt. Die Mutter Hanusa Vasić wurde am 8. Februar 05 abgeschoben und ist seither verschollen. Sie war schwer an Schizophrenie erkrankt und stark suizidgefährdet. Seit der Erkrankung der Mutter leben die Kinder bei dem Großvater und dessen Lebensgefährtin in Berlin-Neukölln.

    Miloš Sitz, der als deutscher Staatsangehöriger die Vormundschaft für die Kinder hat, beginnt jetzt den Kampf gegen die Ausländerbehörde, um seine Enkel bei sich zu behalten. Ein Sachbearbeiter schlägt ihm vor, daß er doch auch nach Bosnien gehen könne, wenn er seine Enkel nicht allein gehen lassen wolle – ein anderes Mal wird ihm gesagt, daß er mindestens 3000 € monatlich verdienen und eine wesentlich größere Wohnung vorweisen müsse, wenn er seine Chancen erhöhen wolle.

    Miloš Sitz schreibt an den Petitionsausschuß und wendet sich an die Härtefall-Kommission. Er spricht die Presse an und bekommt Unterstützung von vielen Menschen. Kirchen, Gewerkschaften und Jugendorganisationen sprechen sich gegen die Abschiebung seiner Enkel aus. Innensenator Körting bestätigt im November die positive Entscheidung der Härtefall-Kommission. Die Kinder bekommen eine Aufenthaltserlaubnis für die Zeit ihrer Schulzeit und ihrer Ausbildung. (siehe auch: 8. Februar 05)

Bericht des Betroffenen;

taz 19.6.06; taz 4.7.06; BeZ 5.7.06;

PE FRat Berlin – Miloš Sitz 28.7.06;

taz 2.8.06; taz 3.8.06; BeZ 3.8.06; TS 3.8.06;

taz 3.8.06; taz 16.11.06

 

18. April 06

 

Neuruppin in Brandenburg. In der Buslinie 770 – Richtung Alt Ruppin – wird ein 25-jähriger Flüchtling aus dem Tschad um 19.20 Uhr von einem jungen Deutschen beleidigt, angespuckt und mit Schlägen bedroht. An der Haltestelle "Am Rheinsberger Tor" gelingt es dem Attackierten, den Bus zu verlassen und die Polizei zu rufen.

    Obwohl die Pöbeleien des Täters von den vielen Fahrgästen im Bus gehört worden sein müssen, meldete sich nur eine 17-jährige Frau bei der Polizei und führte diese per Handykontakt auch direkt zum Täter, als sie den 19-Jährigen zufällig auf der Straße wiedersah. In einem beschleunigten Verfahren eine Woche später wird dieser wegen Beleidigung und versuchter Nötigung zu drei Monaten Haft verurteilt. Aufgrund seiner Vorstrafen wird keine Bewährung ausgesprochen.

ddp 20.4.06; MAZ 21.4.06;

TS 24.4.06; taz 24.4.06; FR 28.4.06

 

24. April 06

 

Guben im Bundesland Brandenburg. Kurz vor 20 Uhr wird indischer Flüchtling im Beisein seiner Freundin und deren kleiner Tochter mehrmals von drei deutschen Männern mit "Scheiß Ausländer" beleidigt und bedroht. Als er auf die Deutschen zugeht und nach dem Grund der Beschimpfungen fragt, wird er zu Boden geschlagen und dann weiter getreten.

    Als eine Autofahrerin anhält und aussteigt, lassen die Täter von dem Inder ab und fliehen. Der Geschädigte kommt mit einer Verletzung am Daumen und Blutergüssen auf beiden Seiten des Oberkörpers davon.

    Einen "fremdenfeindlichen Hintergrund" bezeichnet die Pressesprecherin der Cottbusser Staatsanwaltschaft als "sehr fraglich", weil die ZeugInnen entweder gar nichts gehört haben oder nur den Ausruf des Inders, der "Ihr Nazis" entgegnete.

    Am 24. Januar 2007 beginnt der Prozeß gegen drei 18 bis 21 Jahre alte Männer wegen gefährlicher Körperverletzung im Amtsgericht Guben. Der Haupttäter wird zu einem Jahr und sieben Monaten – zusammengezogen mit anderen Straftaten – nach dem Jugendstrafrecht verurteilt. Nachdem er in Berufung gegangen ist, wird die Straftat abgetrennt und wegen schwerwiegenderer Straftaten schließlich eingestellt.

    Nach der Schließung der Flüchtlingsunterkunft in Guben und dem Umzug nach Forst ist der Flüchtling auch dort noch zweimal rassistischen Angriffen ausgesetzt.

(siehe auch: 17. September 06)

Opferperspektive;

LR 31.5.06

 

24. April 06

 

Hildesheim in Niedersachsen. Zur Vorbereitung der Abschiebung wird die albanische Flüchtlingsfamilie Bytyqi aus dem Kosovo von den Behörden auseinander gerissen. Einen Tag, nachdem Naser Bytyqi zur ambulanten Weiterbehandlung aus dem Landeskrankenhaus entlassen ist, erscheint die Polizei, um die Familie abzuschieben. Herr Bytyqi ist nicht anwesend, stattdessen wird seine Frau Sevim mitgenommen und kommt mit ihrem 14-jährigen Sohn Ibrahim, der von der Polizei aus dem Schulunterricht geholt wurde, in Abschiebehaft nach Hannover-Langenhagen. Die beiden Kleinkinder Endijona (14 Monate alt) und Endrit (zweieinhalb Jahre alt) werden in Pflegefamilien untergebracht.

    Bei dem 36-jährigen Naser Bytyqi haben die Ärzte des Landeskrankenhauses Hildesheim wegen des Verdachtes auf paranoide Schizophrenie infolge einer Posttraumatischen Belastungsstörung eine Reiseunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit attestiert. Sein 14-jähriger Sohn, der laut Ausländerbehörde "auf eigenen Wunsch" in Abschiebehaft bleibt, um seiner Mutter nahe zu sein, hat ein zerebrales Anfallsleiden.

    Nach fast drei Wochen Abschiebehaft werden Frau Bytyqi und ihr Sohn entlassen, damit die Familie am 27. Mai "freiwillig" ausreisen kann.

    Die Eheleute und Ibrahim waren vor elf bzw. dreizehn Jahren in die BRD geflohen.

    In den letzten drei Jahren vor seiner Flucht wurde Naser Bytyqi im Kosovo über lange Zeit von der Polizei brutal geschlagen und mißhandelt, weil er sich nicht als Serbe erklärt hatte. Diese Mißhandlungen fanden zeitweise drei- bis viermal pro Woche statt – und zwar tags und auch nachts. Er mußte mit ansehen, wie die Polizisten seinem Bruder Arm und Bein brachen und Freunde von ihm erschlugen. Er hatte dabei intensive Todesangst, tauchte schließlich unter und verließ das Land.

FRat NieSa;

 WoZ 29.4.06; BrZ 29.4.06

 

24. April 06

 

Landkreis Waldeck-Frankenberg in Hessen. Der 35 Jahre alte Hassan Rifi wird aus dem Wohn- und Pflegeheim des Zentrums für Soziale Psychiatrie in Haina-Kloster abgeholt und über Frankfurt nach Marokko abgeschoben.

    Hassan Rifi ist aufgrund schwerer Schizophrenie, Halluzinationen und Epilepsie zu 100% behindert und lebt seit fünf Jahren im Heim. Er hat heute seinen 35. Geburtstag – allerdings "das Denken eines 10-jährigen Kindes", so seine Schwester. Er kann ohne Hilfe nicht leben und braucht ständig Medikamente. Als die Polizei ihm 20 Minuten Zeit zum Packen seiner Sachen gibt, packt er seinen Walkman und seinen Fußball ein. Er freut sich, denn er denkt, er mache einen Ausflug.

    Zu den Vorhaltungen seiner Familie und seiner Rechtsanwältin den Behörden gegenüber argumentiert die Ausländerbehörde, daß Hassan Rifi gemeinsam mit seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Rachid abgeschoben worden ist. Daß die Familie seit vielen Jahren gar keinen Kontakt zu Rachid hatte, spielt für die Behörde keine Rolle.

    Ein Sprecher des Innenministeriums allerdings erklärt im Gegensatz dazu den Angehörigen, daß die Deutsche Botschaft in Marokko einen Bruder ausfindig gemacht hat, der in Nador lebt und sich um seinen behinderten Bruder kümmern soll. Zwei Wochen nach der Abschiebung fliegt der in Rödermark (Kreis Offenbach) lebende Vater nach Casablanca. Er findet weder seinen Sohn Hassan noch dessen Bruder Rachid.

FR 29.4.06; HesA 2.5.06;

HNA 3.5.06; FR 9.5.06

 

25. April 06

 

Hamburg – Flughafen Fuhlsbüttel. Es ist kurz nach Mitternacht, als die letzte Maschine in dieser Nacht von der Rollbahn abhebt. Die Aussichtsplattformen sind längst geschlos-

sen und die Hallen verwaist. In der Maschine mit den 167 Sitzplätzen befinden sich 24 afrikanische Männer, die von ca. 70 BundespolizistInnen bewacht werden. Mit im Flugzeug: Mitarbeiter der Ausländerbehörde, zwei Ärzte und ein Dolmetscher.

    Diese Massendeportation, die unter der Federführung der Hamburger Ausländerbehörde und in Zusammenarbeit mit den Bundesländern Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg stattfindet, ist die zweite dieser Art. Sie wurde geheim vorbereitet, die Öffentlichkeit wird erst im nachhinein informiert. Es werden 20 Menschen aus Hamburg und vier aus den anderen Bundesländern ausgeflogen. Alle kommen aus Abschiebe- oder Strafhaft oder gelten behördlicherseits als "renitent oder gewalttätig".

    Die Maschine fliegt neben Guinea (10 Gefangene) und Benin (8 Gefangene) auch die afrikanische Diktatur Togo (6 Gefangene) an.

    Eine Protest-Kundgebung von Flüchtlings- und MigrantInnen-Organisationen in der Abflughalle wird bereits kurz vor 20 Uhr am 24. April von Polizei und Flughafen-Security unter Einsatz von Hunden aufgelöst.

    Der 21-jährige Hamed Mohamed Traoré, der nach Benin abgeschoben werden soll, wehrt sich gegen die Abschiebung und wird in Hand- und Fußschellen gelegt. Dann wird er am Sitz fixiert und bekommt zudem einen weißen Motorradhelm übergezogen. Als einer der Ärzte ihm eine Spritze geben will, verbittet er sich dies, kann die Injektion allerdings nicht verhindern. Für Hamed Mohamed Traoré ist es sicher, daß er ein Beruhigungsmittel injiziert bekam, denn nach einer Weile erbricht er sich und verliert das Bewußtsein.

    Einige Tage nach der Abschiebung gelingt es ihm, zu seiner ehemaligen Betreuerin von der EQUAL-Entwicklungspartnerschaft "Fluchtort Hamburg" (von Bund, Ländern und EU geförderte Initiative zur Berufsqualifikation von bleiberechtsungesicherten Flüchtlingen) Kontakt aufzunehmen. Er berichtet, daß er während des gesamten Fluges an Händen und Füßen gefesselt war, und beschreibt, was ihm auf dem Flug widerfahren ist (siehe oben). In Cotonou war er von den deutschen Beamten den örtlichen Beamten übergeben worden und dann zwei Tage lang in Haft gewesen.

    Sein Rechtsanwalt sieht in der Verabreichung von Narkotika ohne gesundheitliche Überwachung und gegen den Willen seines gefesselten Mandanten den Straftatbestand der Körperverletzung und stellt Strafanzeige. "Mein Mandant wurde unter Bedingungen abgeschoben, die zum Transport von Schlachtvieh unzulässig wären."

Bericht des Betroffenen;

Tay Eich – Rechtsanwalt;

Innensenat Hamburg 25.4.06;

FR 25.4.06; taz-Nord 26.4.06;

Karawane 29.4.06; FRat HH 6.6.06;

dpa 7.6.06; FLUCHTort HAMBURG 8.6.06;

 jW 9.6.06; ndr 90,3 12.6.06

 

25. April 06

 

Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick. Das ältere Ehepaar Emine und Salih R., 58 und 64 Jahre alt, wird aus der Haft heraus nach Prishtina abgeschoben. Es ist das dritte Mal, daß das Paar zwecks Abschiebung in Haft saß – jetzt seit dem 13. April. Beim ersten Mal – am 15. März – mußte Herr R. wegen des Verdachtes auf einen Herzinfarkt ins Krankenhaus entlassen werden. Bei der zweiten Festnahme am 12. April bescheinigte ein Polizeiarzt im Gewahrsam Tempelhofer Damm den Eheleuten, daß sie – aufgrund erheblicher gesundheitlicher Risiken – nicht reisefähig seien. Sie mußten entlassen werden – wurden allerdings am nächsten Tag in der Ausländerbehörde Nöldnerplatz wieder festgenommen und kamen in

Abschiebehaft nach Köpenick. Die Sachbearbeiterinnen der Behörde schrieben von – in Anführungsstrichen – "Kranken" und von "Gefälligkeitsgutachten" des Polizeiarztes – und behielten sich vor, gegen diesen Anzeige zu erstatten.

    Um erneut die Abschiebung voranzutreiben, wurden den seelisch völlig zerrütteten Eheleuten im Abschiebegefängnis Papiere vorgelegt, die sie unterschreiben sollten. Es war weder ein Dolmetscher zugegen, noch waren die R.s in der Lage, die Inhalte in Ruhe zu lesen – geschweige denn zu verstehen. Sie waren vor allem nicht in der Lage, sich dem von den Beamten aufgebauten Druck zu widersetzen (Inaussichtstellung weiterer Haft), und unterschrieben die beiden Formulare. Damit hatte die Ausländerbehörde ihre Einwilligung zu der bevorstehenden Abschiebung ("Freiwilligkeitserklärung" – LEA IV B 225) und ihren Verzicht auf die Einlegung weiterer Rechtsmittel und die Zurücknahme bereits eingelegter Rechtsmittel ("Rücknahmeerklärung – LABO 4394 c).

    Frau R. ist durch die Kriegserlebnisse traumatisiert, was sich durch Apathie und schwere Depressionen äußert. Auch körperlich leidet sie unter Atemnot und kann aufgrund von Gelenk-, Kopf-, Nacken- und Brustschmerzen kaum laufen. Herr R. – ebenfalls kriegstraumatisiert – ist ein aufgrund einer Schilddrüsen-Operation und Hormonmittel-Therapie sehr adipöser Mensch, der mit Diabetes, Bluthochdruck und Herzproblemen leben muß.

    Die beiden werden sozusagen ins Nichts abgeschoben. Sie sind Ashkalis aus Vucitrrn (Vushtri), und bei einer Rückkehr müssen sie mit neuerlicher Vertreibung rechnen. Im März 2004 mußten die bis dahin zurückgekehrten Roma und Ashkali wegen massiver Bedrohung, Verfolgung und Angriffen von Kosovo-Albanern erneut fliehen. Daraufhin riegelte die KFOR die Straßen regelrecht ab und "sicherte" die Wohngebiete für sogenannte Minderheiten mit NATO-Stacheldraht. Diese Areale werden auch bewacht.

    Ein Leben hier ist schon für gesunde Menschen nicht zumutbar. Die Behandlung der chronischen Erkrankungen von Herrn und Frau R. ist hier nicht gewährleistet. Viel dramatischer ist allerdings die Tatsache, daß die Eheleute jetzt von ihren sechs Kindern und 20 Enkelkindern getrennt sind.

    Sie waren 1999 zusammen mit allen ihren Kindern und Enkeln aus dem Kosovo geflüchtet, nachdem sie dort aufgrund der akuten Verfolgung und nach der völligen Zerstörung ihres Hauses nicht mehr leben konnten. Weitere Enkelkinder wurden in der BRD geboren. Einige haben bereits Aufenthaltserlaubnisse; die Familie des Sohnes in Berlin, bei der sie lebten, bekommt Duldungen.

    Am 30. August 2007 bestätigt das Landgericht Berlin, daß die Verhängung der Abschiebehaft rechtswidrig war.

FFM 23.4.06; FFM 25.4.06;

taz 25.4.06;

FRat Berlin 21.9.07; BM 22.9.07

 

25. April 06

 

Wismar in Mecklenburg-Vorpommern. Auf dem Rudolf-Karstadt-Platz in der Innenstadt wird der 39 Jahre alte togoische Flüchtling Kudzo Agbevohia um 22.45 Uhr von drei deutschen Männern umstellt und angepöbelt. Sie stoßen ihn "wie einen Ball" herum und schlagen auf ihn ein, bis er "wie ein gefällter Baum" zu Boden geht. Jetzt treten die Täter mit Stiefeln gegen seinen Kopf. Als zwei Frauen dem Opfer zu Hilfe kommen, fliehen die drei Deutschen.

    Diese, sie sind 19, 22 und 23 Jahre alt, werden Stunden später von der Polizei festgenommen. Die beiden Älteren werden in der Nähe des Tatortes gestellt, als sie dort noch einmal "die Blutlache" des Opfers "begutachten" wollen.

    Der Togolese, der seit 1997 als Asylbewerber in der BRD ist, kann nach zweiwöchigem stationärem Aufenthalt das Krankenhaus verlassen. Seither leidet er unter Kopfschmerzen und Gedächtnisstörungen. An den Überfall kann er sich nicht erinnern.

    Am 28. November spricht das Amtsgericht Wismar die Urteile gegen die drei Täter: acht bis zehn Monate auf drei Jahre Bewährung mit der Auflage, zwei Jahre lang den Weisungen eines Bewährungshelfers zu folgen und 150 bis 200 Stunden gemeinnützige Arbeit zu leisten. Zudem muß der heute 24-jährige Täter dem Opfer 2500 Euro Schmerzensgeld für einen Tritt gegen den Kopf und das daraus entstandene schwere Schädel-Hirn-Trauma bezahlen. Das Gericht kommt zudem zu dem Ergebnis, daß ein rassistisches Motiv für die Tat nicht nachgewiesen werden kann, obwohl sich mindestens einer der Täter der rechtsradikalen Szene zurechnet. (siehe auch: 11. Mai 07)

Spiegel 26.4.06; SVZ 27.4.06;

jW 28.4.06; reuters 28.4.06; taz 28.4.06;

HA 28.4.06; LN 28.4.06; taz 29.4.06;

LN 8.9.06; taz-Nord 18.10.06; LN 29.11.06

 

25. April 06

 

Bundesland Niedersachsen. Ein 21 Jahre alter Flüchtling aus dem Kosovo wird aus seinem Wohnort Göttingen abgeholt und in einem zivilen VW-Bus in Richtung Hannover gefahren. Er soll abgeschoben werden. Der VW-Bus bleibt jedoch mit einem Motorschaden an der Autobahnausfahrt Hildesheim liegen. Während die Beamtin die Gefahrenstelle absichert und ihr Kollege nach einer Pannenhilfe telefoniert, flüchtet der an den Händen gefesselte Gefangene. Er rennt trotz der ihm entgegen kommenden Fahrzeuge auf die Autobahnausfahrt zurück und überquert auch die Ausfahrtstraße Einem ohne Rücksicht auf seine eigene Person. Dann flieht er über ein Feld in Richtung der Ortschaft Achtum.

    Mehrere Funkstreifenbesatzungen aus Hildesheim und der Polizeihubschrauber aus Hannover beginnen dann die Jagd auf den Flüchtenden. Durch einen Hinweis eines Mannes aus Achtum wird er dann um 18.50 Uhr in einem Garten festgenommen.

Polizei Hildesheim 26.4.06

 

26. April 06

 

Mit den Worten: "Manuel, die schöne Zeit in Deutschland ist vorbei" wird der Gefangene Manuel Antonio Prospeiro um 22.00 Uhr aus dem Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick abgeholt und zum Flughafen Schönefeld gebracht.

    Dort gelingt es ihm, mit seinem Handy noch einmal seine Ehefrau zu erreichen, und er schreit verzweifelt: "Die reißen mir das Handy weg, ich kann nicht mehr reden, meine Füße sind schon gefesselt, ich kann mich nicht mehr bewegen, die tragen mich hier weg wie einen Hund, wie ein Tier, ich bin kein Mensch mehr, die wollen mir meinen Mund zukleben, kommt schnell, kommt schnell, helft mir ..." (Übersetzung aus Lingala).

    Manuel Antonio Prospeiro ist an Beinen und Armen gefesselt und Brust und Becken sind mit Gürteln und Gurten am Sitz fixiert. Als das Flugzeug anrollt, beginnt er laut um Hilfe zu schreien. Ein Beamter steckt ihm ein Tuch in den Mund, ein anderer hält ihm die Augen zu, er wird auch gewürgt. Dann gelingt es ihm, das Tuch, das ihm die Luft nimmt, mit der Zunge aus dem Mund herauszudrücken und aus Leibeskräften erneut zu schreien. Nach Intervention von anderen Passagieren entscheidet jetzt der Flugkapitän der Aeroflot-Maschine, daß er den Gefangenen nicht mitnimmt.

    Manuel Antonio Prospeiro wird in den Gewahrsamsraum des Flughafens gebracht. Dann werden ihm die Arme mit großer Brutalität nach hinten verschränkt, und er wird auf eine Bank geschleudert, wobei er mit dem Gesicht gegen die Bank prallt. Im Transporter zurück zum Abschiebegefängnis liegt er gefesselt auf dem Boden und wird mit Tritten und Faustschlägen malträtiert. Am nächsten Tag erstattet er Anzeige gegen Polizeimitarbeiter wegen gefährlicher Körperverletzung und reicht Dienstaufsichtsbeschwerden ein.

    Manuel Antonio Prospeiro war als Mitglied der FLEC (Frente para Libertação do Exclave de Cabinda = Front für die Befreiung der Exklave Cabinda) in Angola inhaftiert und gefoltert worden. Bei einem Transport zu einem anderen Gefängnis konnte er fliehen – und später gelang ihm auch die Flucht in die BRD. Das war vor 14 Jahren. Am 27. März 2006 erfolgte seine Festnahme in Berlin und sein Transport zum Abschiebegefängnis Köpenick. Alle Asylanträge sind abgelehnt. Trotz einer positiven Entscheidung der Härtefall-Kommission entschied Innensenator Körting die Abschiebung des Angolaners.

I.A.A.D.H. 31.3.06;

Pro-Afrika 25.4.06;
Pro-Afrika 27.4.06; Polizei Berlin 27.4.06;

BM 29.4.06; taz 29.4.06;

BeZ 4.5.06; taz 6.5.06; I.A.A.D.H. 10.5.06

 

28. April 06

 

Stuttgart. Gegen 6 Uhr holen Polizisten Vithusan (17 Jahre), Niruyala (16 Jahre) und Janesan (13 Jahre) Vasanthakumaran aus dem Eduard-Pfeiffer-Heim ab. Die drei srilankischen Kinder tamilischer Volkszugehörigkeit werden im vergitterten Polizeibus zum Frankfurter Flughafen gebracht und sollen mit Dutzenden anderer Flüchtlinge nach Sri Lanka ausgeflogen werden, ohne daß die Behörden den Aufenthaltsort der Eltern kennen. Herr und Frau V. wurden im August 2005 verhaftet und ohne ihre Kinder abgeschoben (siehe 24. August 05). Sie sehen für sich keine Perspektive in Sri Lanka und wollen lieber getrennt von ihren Kindern leben, als sie den Gefahren im neu aufgeflammten Bürgerkrieg auszusetzen. Auch ihre drei Kinder wollen in Stuttgart bleiben, die Schule besuchen, Ausbildungen absolvieren.

    Die Abschiebung der Geschwister kann schließlich nur dadurch gestoppt werden, daß ihr Rechtsanwalt, Stefan Gräbner aus Berlin, das Verwaltungsgericht Stuttgart umgehend von der Festnahme informiert und dieses die Abschiebung vorläufig aussetzt. Bereits im März 2006 wurde ein Eilrechtsschutzantrag beim Verwaltungsgericht Stuttgart gestellt. Trotzdem wurde die Abschiebung weiter betrieben.

    Am frühen Morgen des 28. April 2006 werden die Kinder ohne Information des Gerichts und des Anwalts zum Flughafen Frankfurt/M gefahren. Die Abschiebung kann nur verhindert werden, weil die Vormünderin den Anwalt und dieser das Gericht informiert. Nur weil das Gericht eine Zwischenverfügung erläßt, wird die Abschiebung vorläufig bis zum 10. Juni 2006 untersagt.

    Die Härtefallkommission entscheidet schließlich den Antrag der Kinder positiv. Sie werden Aufenthaltserlaubnisse erhalten, sobald sie srilankische Reisepässe vorlegen.

Stefan Gräbner – Rechtsanwalt

StZ 9.5.06

 

April 06

 

Eine kurdische Asylbewerberin soll mit ihrem Sohn im Morgengrauen von der Polizei festgenommen werden, um dem türkischen Konsulat vorgeführt zu werden. Dabei spielen sich dramatische Szenen ab. Nur mit Mühe kann verhindert werden, daß die Frau in Panik aus dem Fenster springt. Nach der Konsulatsvorführung werden Mutter und Sohn getrennt in Abschiebehaft genommen; der Abschiebetermin wird für den Mai festgesetzt.

    Allein aufgrund der Bemühungen der Rechtsanwältin, der NachbarInnen, UnterstützerInnen und MitschülerInnen kommen Mutter und Sohn wieder frei und werden vorübergehend geduldet.

    Die Asylbewerberin ist seit vielen Jahren Witwe. Aufgrund der politischen Aktivitäten ihres älteren Sohnes wurde sie in der Türkei verfolgt, mehrmals verhaftet, auch vergewaltigt, um sie zur Preisgabe des Aufenthaltsortes ihres Sohnes zu zwingen. Mit ihrem jüngeren Sohn war sie im Jahre 2000 in die BRD geflohen und hatte Asyl beantragt. Da sie aufgrund ihrer Traumatisierung bei den amtlichen Befragungen bestimmte Daten, Fristen und Details nicht präzise genug nennen konnte, wurde ihr Asylantrag abgelehnt. Sie wurde zur Ausreise aufgefordert.

    Zahlreiche ärztliche Stellungnahmen belegen, daß sie durch die Gewalterfahrungen in der Türkei und durch die langjährige Angst, dorthin zurückgeschickt zu werden, psychisch krank, traumatisiert und extrem suizidgefährdet ist. Immer wieder mußte sie in psychiatrischen Kliniken behandelt werden. Jede Konfrontation mit einer Rückkehr in die Türkei führte zu einem erneuten Zusammenbruch und machte alle Therapieerfolge zunichte. UnterstützerInnen berichten von mehrfachen Suizidversuchen. So ist bekannt, daß sie sich in einer Klinik die Treppe hinunterstürzen wollte und sich Schnittverletzungen am Unterarm zufügte.

    Dies ignorierend wird die schwer kranke Frau im Sommer 2007 zur amtsärztlichen Untersuchung bestellt    vermeintlich zur Überprüfung der vorliegenden ärztlichen Gutachten, die ihre psychische Erkrankung und schwere Traumatisierung bescheinigen. Tatsächlich handelt es sich jedoch um eine Reisefähigkeitsprüfung, die von anwesenden UnterstützerInnen als heimtückisch und sehr belastend für die Kranke geschildert wird.

    Nach drei Stunden Befragung sinkt sie ohnmächtig zusammen und wird mit einem Krankenwagen in ein Krankenhaus gebracht. Erst nach etwa einer halben Stunde kommt sie wieder zu sich, wird medizinisch versorgt und dann in die Psychiatrie eingeliefert.

    Im Herbst 2007 ist ein Termin beim Verwaltungsgericht. Sie ist psychisch nicht in der Lage, dort zu erscheinen, und legt ein ärztliches Attest vor. Im Januar 2008 wird die Härtefallkommission angerufen.

Antirassistische Initiative Berlin

 

Frühjahr 06

 

Niedersachsen. Der 27 Jahre alte Rom Bojan Jovanovic geht wegen absoluter Aussichtslosigkeit seiner Aufenthaltschancen in der BRD "freiwillig" nach Serbien zurück und wird kurz danach zum Militär eingezogen. Wenige Wochen später wird er tot auf seiner Pritsche gefunden. Als Todesursache wird von offizieller Seite zunächst "Vergiftung durch Alkoholkonsum" angegeben. Danach heißt es "Tod durch Drogen", und später soll Bojan Jovanovic an Essen erstickt sein. Angehörige wissen, daß Bojan Jovanovic der dritte Mann ist, der in dieser Kaserne "ohne Gewalteinwirkung" innerhalb kürzester Zeit zu Tode kommt. Er ist der Vierzehnte, der in diesem Militärbezirk mit gleichem Befund starb.

    Bojan Jovanovic war mit 12 Jahren, also vor 15 Jahren,  zusammen mit seinem Vater und der Großmutter in die BRD gekommen. Er lebte von 1991 bis 2002 in Stadthagen, trieb Sport und plante, eine Ausbildung zu beginnen. Mehrere Asylanträge wurden abgelehnt. Im Jahre 2002 reiste er von sich aus nach Serbien, kam nach einigen Monaten zurück und wollte auch mit seinem engsten Freund und Cousin nicht über die Dinge sprechen, die er dort erlebt hatte. Eines ist jedoch für seine Angehörigen klar: Er fühlte sich bedroht und hatte große Angst vor einer weiteren Rückkehr. Am 27. Oktober 2005 wird er aus der Abschiebehaft Langenhagen heraus abgeschoben, kehrt dann aber auch wieder in die BRD zurück. Eine neue Ablehnung des Asylantrages zwingt ihn schließlich zu dem verhängnisvollen Schritt, erneut "freiwillig" nach Serbien zu gehen.

SN 12.6.06

 

Frühjahr 06

 

Landkreis Göttingen in Niedersachsen. Nach der Ablehnung ihres Asylantrages und aus Angst vor der Abschiebung versucht die 40 Jahre alte Tschetschenin A., sich mit Tabletten tödlich zu vergiften. Sie kommt in die psychiatrische Abteilung des Landeskrankenhauses Göttingen, das sie nach zwei Wochen stationärer Behandlung wieder verlassen kann.

    Frau A. war im Jahre 2003 mit ihrer Mutter, ihrem Bruder und dessen Frau in die BRD geflohen, nachdem es gelungen war, den Bruder aus russischer Haft freizukaufen. Der Bruder war von russischen Soldaten verschleppt und dann wochenlang in einer mit Wasser gefüllten Erdgrube festgehalten, systematisch gefoltert und vergewaltigt worden.

    Frau A. selbst berichtete erst im Laufe des Asylverfahrens von einer Vergewaltigung durch einen russischen Polizisten. Diese Erinnerung löste eine traumatische Reaktion aus, so daß eine Therapie eingeleitet wurde.

GfbV März 2006;

GfbV Dezember 2006

 

1. Mai 06

 

Fünf Männer zwischen 16 und 21 Jahren attackieren das Flüchtlingsheim im sächsischen Gelenau im Erzgebirge. Sie treten die Eingangstür ein und zerstören Fenster und Rolläden.

ZZ 13.5.06

 

1. Mai 06

 

Nordrhein-Westfalen. Im Flüchtlingsheim von Königswinter, im Stadtteil Stieldorf, brennt es im ersten Obergeschoß des Flüchtlingsheimes. Nachdem BewohnerInnen vergeblich versucht haben, den Brand mit Feuerlöschern zu stoppen, wird um 18.55 Uhr die Feuerwehr informiert. Den eintreffenden Rettungskräften gelingt es, 17 Erwachsene und 15 Kinder in Sicherheit zu bringen. Acht Personen werden mit Rauchgasvergiftungen in umliegende Krankenhäuser gebracht. Als das Feuer gelöscht ist, wird deutlich, daß ein Wohnraum, eine Küche und Teile des Daches schwer beschädigt sind.

GA 2.5.06

 

2. Mai 06

 

Abschiebegefängnis auf dem Gelände der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber des Landes Brandenburg in Eisenhüttenstadt (ZABH). Ein russisch sprechender Gefangener verletzt sich selbst mit einem scharfen Gegenstand an der Kehle. Nach einem zweitägigen Krankenhausaufenthalt wird er ins Gefängnis zurückverlegt.

Bericht eines Mitgefangenen

 

3. Mai 06

 

Hochsauerlandkreis im Bundesland Nordrhein-Westfalen. In Marsberg werden morgens um 4 Uhr Frau Rustemi und ihre fünf Kinder – Vlora (20 Jahre), Labinot (18 Jahre), Lirie (16 Jahre), Vfosa (12 Jahre) und Leonora (7 Jahre) – aus den Betten geholt. Über den Flughafen Düsseldorf erfolgt ihre Abschiebung nach Prishtina.

    Zunächst kommen sie bei ihren Eltern in Bujanovac unter, einer kleinen Stadt in Südserbien, wo sie sich allerdings nicht mit rechtlichem Status anmelden können.

    Familie Rustemi war 1993 vor dem Bürgerkrieg geflohen und wohnte seitdem in Marsberg. Der heute 50-jährige Vater hatte seine Frau und seine Kinder jahrelang sexuell mißbraucht und seine Gewalttaten auf Videofilmen und Fotos festgehalten. Nachdem die älteren Kinder ihn dafür angezeigt hatten, wurde er zu neun Jahren Haft verurteilt, die er zur Zeit in einem Gefängnis in Nordrhein-Westfalen absitzt. Da er selber im Gerichtssaal und seine Angehörigen im Kosovo deswegen Blutrache geschworen haben, tauchte sein 26-jähriger Sohn Valon, der die Anzeige aufgegeben hatte, kurz vor der Abschiebung unter. Aber auch die übrigen Familienmitglieder leiden jetzt unter der Bedrohung. Diese Gefahr war den Behörden vor der Abschiebung ebenso bekannt wie die Notwendigkeit einer längerfristigen medizinischen Betreuung wegen der schweren Traumatisierung von Mutter und Kindern durch die Taten des Vaters. Diese notwendige Behandlung ist im Kosovo nicht durchführbar.

    Ende August 2006 wird Frau Rustemi mit den Kindern durch serbische Behörden zwangsweise nach Preshevo umgesiedelt, weil die älteren Kinder dort geboren wurden. Damit verstärkt sich wieder die große Angst vor einem Racheakt, denn sie müssen jetzt im selben Dorf leben wie die Familie des Vaters.

    Ein sehr aktiver Unterstützerkreis versucht seitdem, eine Rückkehr der Familie zu erreichen, deren körperliche und psychische Verfassung zunehmend desolater wird. Der Petitionsausschuß des Landtages in Nordrhein-Westfalen hat sich inzwischen einstimmig für die Wiedereinreise der Rustemis ausgesprochen – ein bislang einmaliger Fall. Landrat und Ausländerbehörde verwiesen auf angefallene Abschiebungskosten von € 10.000, die zunächst erstattet werden müßten. Durch Spendensammlungen gelingt es den Marsberger BürgerInnen, diese Summe zusammen zu bekommen.

    Doch jetzt argumentiert die Ausländerbehörde mit einer unbefristeten Wiedereinreisesperre, die für abgeschobene Flüchtlinge gelte. Nach intensiven Bemühungen des Unterstützerkreises und der Kirchengemeinde Arnsberg wird erreicht, daß die Wiedereinreisesperre auf fünf Jahre reduziert wird – aber auch diese Zeit ist für die Mutter und die Kinder trotz regelmäßiger Geldüberweisungen aus Marsberg kaum zu überstehen. Dagegen könnte ihr Lebensunterhalt nach einer Rückführung durch Mittel aus dem Opferentschädigungsgesetz bestritten werden; der Hochsauerlandkreis wäre also von finanzieller Unterstützung befreit. Zudem haben die UnterstützerInnen bereits das Geld für den Rückflug gesammelt, eine Wohnung angemietet und für die zwei ältesten Kinder Lehrstellen gefunden.

    Im Oktober 2007 wird bekannt, daß eines der Kinder an akuter Blinddarmentzündung leidet. Erst nach Bezahlung der Operationskosten, die die Rustemis nicht aufbringen können, sei eine Krankenhausaufnahme möglich. Sofort sammeln die FreundInnen und die UnterstützerInnen und überweisen den benötigten Betrag in der Hoffnung, daß er die Familie rechtzeitig erreicht.

    Erst ein Bericht der Sozialbehörde im serbischen Preshevo an die Deutsche Botschaft bringt Ende Oktober die Wende. Nachdem serbische Beamte die Unterbringung der Familie Rustemi in Augenschein genommen haben, kommen sie zu dem Ergebnis, daß dort eine erfolgversprechende Therapie der psychisch erkrankten Mutter und ihrer fünf Kinder nicht zu gewährleisten sei. Am 31. Oktober geben Landrat und Ausländerbehörde in einer Pressemitteilung bekannt, daß die Familie ohne Auflagen oder Bedingungen wieder einreisen dürfe. Am 8. November 2007 kommt die Familie zurück und erhält eine Aufenthaltserlaubnis.

taz NRW 11.1.07; www.kirchenkreis-arnsberg.de;

FRat NieSa 19.12.07

 

4. Mai 06

 

Bundesland Hessen. Der kurdische Flüchtling und abgelehnte Asylbewerber M. Ö. wird zusammen mit seiner schwangeren Frau und zehn Kindern in die Türkei abgeschoben. Fünf deutsche Polizeibeamte in Zivil begleiten sie auf dem Flug nach Istanbul.

    Nach der Ankunft am frühen Nachmittag wird die Familie der türkischen Flughafenpolizei übergeben. Ein Verhör der Eltern – getrennt voneinander – schließt sich an. Der Inhalt der Fragen konzentriert sich auf den Grund ihres Aufenthaltes und ihre politischen Aktivitäten in Deutschland.

    Nach der Freilassung gehen alle in Richtung Busbahnhof, um von dort in ihr Heimatdorf zu fahren. Ein PKW hält an, und zwei Männer in Zivil steigen aus. Mit den Worten: "Wir sind mit Dir noch nicht fertig" packen sie den Vater, schleppen ihn in ihren Wagen und fahren fort. Seither ist Herr Ö. verschwunden. Auch im Februar 2007 gibt es keinerlei Lebenszeichen von ihm.

    Die Eheleute Ö. waren im Jahre 1992 in die BRD geflohen, weil sie ins Visier der türkischen Verfolgungsorgane geraten waren. Drei Monate nach ihrer Ankunft in Deutschland wurde ihr erstes Kind geboren.

Antirassistische Initiative Berlin

 

7. Mai 06

 

Abschiebehafthaus für Frauen der JVA Düsseldorf in Neuss. Die 57 Jahre alte Chinesin Xiao Zhu erhängt sich in der Mittagsstunde mit einer selbstgefertigten Wollkordel an einem Pfosten ihres Doppelstockbettes. Als sie um 13.50 Uhr vom Seelsorger der Anstalt gefunden wird, erfolgen sofortige Reanimierungsversuche durch einen Krankenpfleger. Der gerufene Notarzt setzt die Maßnahmen fort, so daß Frau Zhu um 14.35 Uhr zur weiteren Behandlung ins Johanna-Etienne-Krankenhaus gebracht werden kann. Dort erliegt sie in den frühen Morgenstunden ihren Verletzungen.

    Die aus Shanghai stammende Frau war am 21. Januar 2006 in einem Bochumer China-Restaurant von Zivilbeamten festgenommen worden, weil sie keine gültige Aufenthaltserlaubnis vorlegen konnte. Ihr in Haft gestellter Asylantrag war am 28. März vom Bundesamt abgelehnt worden. Als Frau Zhu am 20. April im Amtsgericht Neuss ihren Abschiebebeschluß erfuhr, brach sie in Tränen aus, kniete sich auf den Boden und betete. Für den 16. Mai war ein Vorführtermin beim chinesischen Generalkonsulat in Frankfurt geplant, um einen für die Abschiebung notwendigen Paßersatz zu bekommen.

    Im Gegensatz zu offiziellen Verlautbarungen, die die Rundum-Betreuung der gefangenen Frauen vor allem nach dem Suizid von Frau Zhu besonders hervorheben, äußert sich eine Mitgefangene: "Es gibt keine Dolmetscher im Knast, keine Hinweiszettel ...., die Frauen wissen nicht Bescheid. Sie haben keine Ahnung, sie müssen warten."

Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren 10.6.06;

no-racism.net 23.11.07;

LT NRW Vorlage 14/575;

BT DS 16/9142

 

9. Mai 06

 

Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. In der JVA Bützow versucht der Abschiebegefangene L. B. sich zu töten.

BT DS 16/9142

 

10. Mai 06

 

Löbau im Bundesland Sachsen. Der 21-jährige Flüchtling George C. aus Guinea wird von sieben deutschen Männern rassistisch beleidigt ("Nigger, was machst du hier?"), dann

zusammengeschlagen und – noch am Boden liegend – getreten. Dabei erleidet der Angegriffene Schürfwunden und Prellungen an Armen, Beinen, Rücken und Auge sowie eine Schnittverletzung am Unterarm.

    Als George C. am nächsten Tag Anzeige erstatten will, nehmen die Beamten ihm seine Kleidung ab, und er wird – nur mit einer Unterhose bekleidet – für sieben Stunden in einen Raum gesperrt.

    Als Mitarbeiter der Opferberatungsstelle AMAL am nächsten Tag den Vorfall im Revier aufzuklären versuchen, wird ihnen von den Beamten mitgeteilt, daß der Mann deshalb so behandelt wurde, weil er irrtümlicherweise verdächtigt worden war, jemanden bedroht zu haben. Der Überfall auf den Mann aus Guinea sei lediglich als "Beleidigung" registriert worden.

AMAL Sachsen 16.5.06;

LR 18.5.06; SäZ 18.5.06

 

11 Mai 06

 

Glückstadt in Schleswig-Holstein. Der 41 Jahre alte syrische Flüchtling Takosken A. übergießt sich um 14.45 Uhr im Rathaus in Gegenwart seiner Sachbearbeiterin mit Benzin und kündigt ihr an, sich anzuzünden, wenn sie ihm nicht mehr Geld geben würde. Da die Frau die Ernsthaftigkeit der Situation nicht erkennt und ihre Arbeit am Computer unbeirrt fortsetzt, geht der Syrer auf den Flur, übergießt sich erneut mit Benzin, nimmt das Feuerzeug in die Hand und droht wieder, sich zu entzünden.

    Einem Rathaus-Mitarbeiter gelingt es schließlich, ihn zu beruhigen und ihn auf die Toilette zu bringen, wo er sich der benzin-getränkten Kleidung entledigt. Die gerufene Polizei bringt ihn später in die Psychiatrie des Krankenhauses Itzehoe.

Polizei Itzehoe 11.5.06;

NR 12.5.06

 

11. Mai 06

 

Im sächsischen Löbau wird ein 27 Jahre alter Flüchtling aus Pakistan von zwei unbekannten Tätern überfallen und niedergestochen. Der Verletzte muß mit schweren Stichverletzungen in eine Dresdener Klinik eingeliefert werden.

    Weil dem Mann 190 Euro Bargeld entwendet wurden, geht die Polizei davon aus, daß eine rassistische Motivation für die Tat ausgeschlossen werden kann.

SäZ 14.5.06; AMAL Sachsen 16.5.06;

SäZ 18.5.06

 

15. Mai 06

 

Stendal in Sachsen-Anhalt. Um 6 Uhr morgens klingelt es an einer Wohnungstür im Flüchtlingsheim am Möringer Weg. "Abschiebung sofort!" heißt es, und Nurten Aksoy wird gefesselt. Dann wird sie mit ihrem Mann und den drei Kindern (8, 10 und 16 Jahre alt) in die Türkei abgeschoben.

    Die Türkin Nurten Aksoy leidet unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung – sie ist akut suizidgefährdet. Da dies auch den Abschiebebehörden bekannt ist, kommen die Beamten ohne Vorankündigung und fixieren Frau Aksoy umgehend, damit sie sich nichts antun kann. Über Bremen erfolgt um 15 Uhr die Abschiebung der Familie in die Türkei.

    Nurten Aksoy, die mit einem Kurden verheiratet ist, war in der Türkei vergewaltigt und gefoltert worden. Sie bekommt akute Panikattacken, wenn sie Menschen in Uniform begegnet und war mehrmals in stationärer Behandlung. Nach mehreren Selbsttötungsversuchen sollte sie jetzt im Zentrum für Folteropfer behandelt werden.

    Nach dem Abschiebeflug wird Herr Aksoy festgenommen und dann, eine Woche später, frei gelassen. Nurten Aksoy geht es zunehmend schlechter. Sie leidet unter unerträglichen Kopfschmerzen und bekommt so starke Schmerzmittel, daß sie entweder schläft oder im Wachzustand vor Schmerzen schreit. Der örtliche Arzt empfiehlt dringend einen Krankenhausaufenthalt, doch dafür fehlt der Familie das Geld.

    Einer Mitarbeiterin vom Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt gelingt es im Herbst, Kontakt zur abgeschobenen Familie zu bekommen. Von Deutschland aus beschafft sie einen für die Familie kostenlosen Therapieplatz in einem Behandlungszentrum in Antalya. Dieser Platz kann nicht wahrgenommen werden, weil es der Familie nicht gelingt, die Fahrt nach Antalya zu organisieren. Der Kontakt nach Deutschland reißt danach ab.

VM 16.5.06; VM 17.5.06; VM 21.5.06;

Oda Jentsch – Rechtsanwältin

 

18. Mai 06

 

Bundesland Baden-Württemberg. In der JVA Mannheim versucht der Abschiebegefangene A. Y. sich zu töten.

BT DS 16/9142

 

21. Mai 06

 

Nordrhein-Westfalen. Die Ausländerbehörde Coesfeld setzt erstmals die Abschiebung eines Ehepaares mit drei Kindern (10, 7 und 3 Jahre) nach Afghanistan durch.

    Daß die Abschiebung an einem Sonntag durchgeführt wird, wo juristische Interventionsversuche nicht möglich sind, und daß die Familie keinerlei Telefonat führen darf, bis sie am Frankfurter Flughafen im Flugzeug sitzt, bezeichnet der Dachverband der afghanischen Hindus und Sikhs als eine eklatante Mißachtung der Menschenrechte.

    Als Angehörige des Hinduismus gerät die Familie durch die Abschiebung in direkte Gefahr der Verfolgung durch die islamische Regierung und islamistische Kräfte.

    In Kabul kommt die Familie in einem Raum in einer Tempelruine unter – die Kinder erkranken schwer; Geld für medizinische Behandlung ist nicht vorhanden. Dann flüchtet die Familie weiter nach Indien, um dem Druck der religiösen Verfolgung zu entgehen.

Afghan Hindu-Sikh Verband in Deutschland

 

22. Mai 06

 

Rathenow in Brandenburg. Ein 31 Jahre alter togoischer Flüchtling ist mit dem Fahrrad auf dem Weg vom "Kaufland" zurück zu seiner Unterkunft. Als er sich um 19.50 Uhr am Birkenweg auf dem Gelände des ehemaligen Betonwerkes befindet, fährt ein mit drei Männern besetzter BMW mehrmals auf ihn zu, offensichtlich in der Absicht, ihn zu überfahren. Der Togoer weicht aus und kann sich schließlich mit einem Sprung zur Seite retten.

    Ihm gelingt es, sich im Unterholz so lange zu verstecken, bis der PKW verschwindet.

    Der am nächsten Tag ermittelte deutsche Fahrer des Wagens erklärt, daß er seinen neu erworbenen BMW ausprobieren wollte. Von einem rassistischen Hintergrund könne bisher keine Rede sein, so auch die Polizei.

    Der Flüchtling erfährt infolge dieses Angriffes eine Posttraumatische Belastungsstörung und befindet sich auch im Januar 2007 noch in therapeutischer Behandlung.

Opferperspektive;

MAZ 23.5.06

 

25. Mai 06

 

Bundesland Hessen. Im mittelhessischen Wohratal soll eine Georgierin in Abschiebehaft genommen werden. Als sie die

Tür öffnet und erfährt, warum die Polizisten aus Stadtallendorf gekommen sind, flieht sie in ein Zimmer, zieht aus dem Hosenbund zwei Rasierklingen und steckt diese in den Mund. Eine weitere zieht sie hervor, um sich äußerlich zu verletzen. Wegen der hohen Verletzungsgefahr ziehen sich die Polizisten zurück.

    Als die Frau allerdings am 29. Mai ein Gebäude in Kirchhain verläßt, wird sie von den auf sie wartenden Polizisten festgenommen. Bei ihrer Durchsuchung werden erneut Rasierklingen in ihrer Unterhose gefunden.

Polizei Mittelhessen 1.6.06

 

25. Mai 06

 

Im thüringischen Arnstadt wird am "Herrentag" ein Flüchtling aus Sierra Leone von fünf Männern der Freiwilligen Feuerwehr beleidigt und unter anderem als "Affe" beschimpft. Er flieht in den Hof des Flüchtlingsheimes, wird dorthin verfolgt, geschlagen und noch am Boden liegend getreten.

    Das Amtsgericht Arnstadt spricht am 22. Juni 2008 die Angeklagten vom Vorwurf der gefährlichen gemeinschaftlichen Körperverletzung frei, weil es die Aussage der Angeklagten, der Flüchtling hätte die fünf deutschen Männer provoziert, ebenso für möglich hält.

FW 23.6.08

 

27. Mai 06

 

Der 48 Jahre alte Dursun Güner aus der Türkei wird an der schweizerisch-deutschen Grenze aufgrund eines bestehenden internationalen Haftbefehls festgenommen und in Untersuchungshaft genommen. Er kommt in die JVA Lörrach. Drei Tage später stellen die türkischen Justizbehörden ein Auslieferungsersuchen für den in der Schweiz lebenden Flüchtling.

    Die Türkei wirft dem ehemaligen Mitglied der in der Türkei verbotenen Partei Türkiye Komünist Partisi und dem ehemaligen Mitglied des Vereins Emekder drei Morde aus den Jahren 1978 bis 1981 vor.

    Diese Vorwürfe sind sowohl den schweizerischen als auch den italienischen Behörden seit der Asylantragstellung bekannt; sie wurden jeweils für haltlos befunden. Italien hatte Dursun Güner politisches Asyl gewährt, nachdem er 1998 auch dort verhaftet worden war. Seit drei Jahren lebte er mit seiner Frau und der 21-jährigen Tochter in der Schweiz.

    Am 12. Februar 2007, also achteinhalb Monate nach der Verhaftung, wird Dursun Güner aufgrund eines Beschlusses des Oberlandesgerichts Karlsruhe aus der Auslieferungshaft entlassen.

indymedia 2.11.06;

SOSF 12.2.07; OLG Karlsruhe 12.2.07

 

Mai 06

 

Sangerhausen in Sachsen-Anhalt. Der 23 Jahre alte Boureima T., Flüchtling aus Burkina Faso, wird im Bahnhof von einer Gruppe rechter Jugendlicher massiv angepöbelt und später angegriffen. (siehe auch: November 06 und Dezember 06)

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

Mai 06

 

Bundesland Thüringen. Einem Flüchtling aus Sierra Leone wird seit geraumer Zeit von drei stadtbekannten Neonazis aufgelauert. Er wird bedroht, beschimpft, beleidigt und geschlagen. Der Flüchtling erstattet Anzeige.

THO Chronik (Ausländerbeirat Erfurt)

 

4. Juni 06

 

Bundesland Bayern. Am Abend um 20.34 Uhr des Pfingstsonntags geht ein Notruf bei den Feuerwehren in Unterdürrbach und Würzburg ein. Im ersten Stock des Flüchtlingsheimes in der Veitshöchheimer Straße brennt es.

Main Post 6.6.06

 

16. Juni 06

 

Ludwigsfelde in Brandenburg. Ein Flüchtling aus Liberia wird um 2.00 Uhr nachts in der Brandenburgischen Straße von zwei 20- und 21-jährigen Rechten rassistisch beschimpft und bedroht. Als die Aggressoren Sturmhauben über die Köpfe ziehen und ihn verfolgen, gelingt ihm die Flucht.

Opferperspektive

 

19. Juni 06

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. In der JVA Büren versucht der Abschiebegefangene L. R. sich zu töten.

BT DS 16/9142

 

24. Juni 06

 

Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Auf dem Bahnhof der Stadt Grimmen wird ein 29 Jahre alter kurdischer Flüchtling aus der Türkei von zwei deutschen Männern rassistisch beleidigt und beschimpft. Dann wird er von einem der Täter festgehalten, und der zweite versucht, auf ihn zu urinieren.

Danach schlagen sie auf den Kurden ein und verletzen ihn im Gesicht. Er muß sich in ambulante Behandlung begeben.

    Der Polizei gelingt es, die beiden Täter kurze Zeit später im Stadtgebiet zu stellen und vorläufig festzunehmen.

Polizei Mecklenburg-Vorpommern;

e110 26.6.06; ddp 26.6.06;

jW 27.6.06; taz 27.6.06; JWB 5.7.06; LOBBI

 

25. Juni 06

 

Bundesland Niedersachsen. Beim Löschen eines Zimmerbrandes in einem Braunschweiger Flüchtlingsheim erleidet der Hausmeister eine Rauchgasvergiftung. Er kommt ins Krankenhaus.

    Ein 28-jähriger Georgier wird verdächtigt, sein Bett angezündet zu haben, wodurch der Zimmerbrand entstand. Der Mann gilt als psychisch krank und hatte mit Selbsttötung gedroht. Er wird am 24. Oktober im Rahmen des Dublin-II-Verfahrens nach Belgien überstellt.

BrZ 26.6.06;
StA Braunschweig

 

26. Juni 06

 

Bundesland Brandenburg. Als der togoische Flüchtling Abdoul-Marouf Issa-Gobitaka beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Eisenhüttenstadt einen Asylfolgeantrag stellen will, wird er auf Veranlassung der Ausländerbehörde Rathenow festgenommen und kommt in Abschiebehaft. Dies geschieht, obwohl sein Rechtsanwalt der Ausländerbehörde mitgeteilt hat, daß sein Mandant aufgrund seiner schweren seelischen und körperlichen Krankheiten einen Folgeantrag stellen wird, um hier weiter behandelt werden zu können. Und dies geschieht rechtswidrig, zumal überhaupt kein Haftbefehl vorliegt.

    Beim Haftprüfungstermin am 30. Juni wird die Politik der Ausländerbehörde Rathenow offenbar. Alle von ihr aufgeführten Haftgründe können aufgrund ihres unwahren Gehaltes vom Rechtsanwalt umgehend durch Fakten widerlegt werden. Trotzdem verhängt der Richter vom Amtsgericht Eisenhüttenstadt eine Inhaftierung des Schwerkranken für einen Zeitraum von drei Monaten.

    Herrn Abdoul-Marouf Issa-Gobitaka geht es schon lange gesundheitlich sehr schlecht. Unlängst mußte er sich sieben Wochen lang in der Psychiatrie der Berliner Charité behandeln lassen. Neben einer psychischen Erkrankung leidet er unter anderem auch an einer Hepatitis C.

    Einige Stunden nach dem Haftprüfungstermin muß er aus der Haft in die Notaufnahme eines Krankenhauses transportiert werden.

    Im Mai 2007 wird das Ermittlungsverfahren wegen Freiheitsberaubung gegen den verantwortlichen Sachbearbeiter "mangels hinreichenden Tatverdachts" von der Staatsanwaltschaft Potsdam eingestellt.

DANBB;

Antirassistische Initiative Berlin

 

30. Juni 06

 

Es ist 22.00 Uhr in Chemnitz in Sachsen nach dem Weltmeisterschaftsspiel Argentinien-Deutschland. Als zwei 21 und 23 Jahre alte kurdische Flüchtlinge aus Syrien, die deutsche Nationalfahne schwenkend, durch die Stadt gehen, lösen sich aus einer 30-köpfigen Gruppe Deutscher ca. 10 Personen und beschimpfen die Flüchtlinge mit "Türken raus!", "Ausländer raus!" und anderen Parolen. Dann greifen sie die Kurden tätlich an und schlagen auf sie ein. Einer der Flüchtlinge wird dabei im Gesicht verletzt.

AMAL Sachsen

 

Juni 06

 

Flughafen Frankfurt am Main. Herr und Frau S. und ihre beiden fünf und zehn Jahre alten Kinder sollen mit fünf Begleitbeamten und einem Arzt nach Sri Lanka abgeschoben werden. Herr S. zeigt bei der Ankunft am Flughafen akute Krankheitssymptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Er hat Todesangst und klammert sich an seine Familie. Da er kein Deutsch spricht und keine ÜbersetzerInnen vor Ort sind, muß seine 10-jährige Tochter übersetzen.

    Als Herr S. sich auf dem Flugfeld weigert, den Polizeiwagen zu verlassen, wird er die Flugzeugtreppe hinaufgetragen. Kurze Zeit später wird er blutüberströmt die Treppe wieder heruntergetragen und ins Dienstfahrzeug der Bundespolizei gesetzt. Er hat sich an diesem Tag ein zweites Mal den Kopf aufgeschlagen.

    Die 10-jährige Tochter wird erneut genötigt, dem Vater die "Alternativen" zu übersetzen, die die Polizei ihnen bietet: entweder die Mutter und Kinder werden ohne den Vater nach Colombo abgeschoben, oder er geht "freiwillig" mit. Das kleine Mädchen bricht in Tränen aus – muß aber weiter übersetzen.

    Da deutlich wird, daß auch die Fluggesellschaft Herrn S. in seinem Zustand nicht mitnehmen wird, kommt die Familie in die Flughafenklinik. Sie müssen mehrere Male um etwas zu essen und zu trinken fragen, weil sie seit der Festnahme vor 12 Stunden nichts zu sich nehmen konnten. Sie bekommen ein Glas Wasser – Essen ist nicht vorhanden.

    Wieder in den Räumen der Bundespolizei zeigt Herr S. eine Überlastungsreaktion: er kann weder laufen noch sitzen oder stehen.

    Die Abschiebeabsichten werden schließlich aufgegeben, und die Familie wird zu ihrem Wohnort zurückgebracht. Gegen Herrn S. wird Strafanzeige wegen Widerstands erhoben.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2007

 

Juni 06

 

Flughafen Frankfurt am Main. Nach 15-jährigem Deutschland-Aufenthalt soll Herr M. ohne Geld und ohne Gepäck nach Ghana abgeschoben werden. Er hat ausschließlich seine Krankenakte bei sich, in der steht, daß ihm ein Gehirntumor operativ entfernt worden ist, daß eine plastische Operation noch ansteht, daß er unter hohem Blutdruck leidet und daß er nicht flugreisefähig ist. Die Ausländerbehörde überreicht der Bundespolizei allerdings eine Bescheinigung, die in einem Satz feststellt, daß Herr M. flugreisetauglich sei.

    Der für die Abschiebung vorgesehene Begleitarzt bietet einen Tablettenvorrat für 14 Tage an – die Ausländerbehörde macht das Angebot, dem Ghanaer ein Handgeld mitzugeben, mit dem er sich Tabletten für mehrere Wochen besorgen könnte. Ob er diese lebensrettenden Blutdruck-Medikamente in Ghana bekommen würde, kann nicht geklärt werden.

    Herr M. lehnt diese "Angebote" ab, und die Bundespolizei beendet die Abschiebung.

    Der Begleitarzt jedoch bittet die Polizei, noch weiter mit dem Mann verhandeln zu dürfen. Er verhält sich aufdringlich und droht dem Mann, daß er das nächste Mal in Fesseln ins Flugzeug gebracht werde und zudem Ärger mit den Behörden in Ghana bekäme. Der Mitarbeiterin der Abschiebungsbeobachtung FFM gegenüber sagt er, daß man bei Afrikanern gesundheitliche Klagen nicht allzu ernst nehmen solle. Das sei zum größten Teil Show. Als klar wird, daß die Abschiebung nicht stattfinden wird, beklagt der Arzt seinen Verdienstausfall und meint, daß es ihm noch nicht passiert sei, daß seine "Überredungskünste" nicht geholfen hätten.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2007

 

3. Juli 06

 

In der Kölner Ausländerbehörde an der Brückenstraße spielen sich am Vormittag dramatische Szenen ab. Gegen 10.05 Uhr erscheint ein 68-jähriger Kroate und bittet die Beamtin um die Klärung eines "ausländerrechtlichen Problems". Als diese ihn an den Gruppenleiter verweist, zieht er aus einer Tüte eine Plastikflasche, öffnet diese und gießt den Inhalt über die Beamtin. Die Flüssigkeit riecht nach Benzin, und die Frau beginnt, laut um Hilfe zu schreien.

    Der Kroate läuft aus dem Raum, verläßt das Gebäude und springt etwa 200 Meter von der Bastei entfernt in den Rhein.

    Ein zufällig vorbeigehender Passant sieht den im Wasser treibenden Körper, springt hinterher und zieht den Kroaten ans Ufer. Beide kommen vorerst in ein Krankenhaus.

    Die Motivation für die Tat des Kroaten ist unklar. Bei der ersten Vernehmung sagt er, daß er der Beamtin einen "Denkzettel verpassen" und sich dann anschließend umbringen wollte.

    Einerseits ist er behördlicherseits mehrmals aufgefordert worden, seinen Paß im Amt vorzulegen, damit "die Etikette zum dauerhaften Bleiberecht" eingeklebt werden könne,
andererseits soll er Probleme mit seinem Duldungsstatus haben. Aufgrund seines Verwirrtheitszustands wird er später als schuldunfähig eingestuft.

Polizei Köln 3.7.06;

KStA 4.7.06; rundschau-online 4.7.06; e 110 4.7.06

 

4. Juli 06

 

Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. In einem Geschäft in Bad Doberan wird eine junge Frau von einem Rassisten beleidigt und beschimpft, weil der Vater ihres Kindes ein albanischer Flüchtling ist. Als dieser seiner Freundin zur Hilfe kommt, schlägt der Täter mehrmals auf ihn ein.

    Dabei erleidet der Albaner leichte Gesichtsverletzungen und muß sich in ambulante Behandlung begeben.

LOBBI

 

5. Juli 06

 

Nordrhein-Westfalen. Saban Maloki nimmt einen Termin bei der Düsseldorfer Ausländerbehörde wahr. Der Anlaß des Besuches ist ein Brief von der Behörde, in dem folgende Passage steht: "Nach eingehender Prüfung der Sach- und Rechtslage sehe ich mich in der Lage, Ihnen und Ihrer Familie Aufenthaltserlaubnisse gem. Paragraph 25, Abs. 5  AufenthG  zu erteilen." Nach 15 Jahren in Deutschland scheint dieser Brief der Familie Maloki nun endlich den ersehnten Aufenthalt zu versprechen. Die dafür notwendigen Pässe für ihn selbst, seine Frau Shemsije und seine drei Kinder Rajmond (14), Kastriot (12) und Erdona (7) hatte Saban Maloki mühselig und für insgesamt 1200 Euro Gebühren erstanden.

    Als dem 44-Jährigen dort allerdings ein Formular vorgelegt wird, daß er dem Verlassen der BRD bis zum 4. August zustimmt, verliert er die Selbstkontrolle. Saban Maloki schlägt seinen Kopf auf den Tisch und gegen die Wand. Er will aus dem Fenster springen, was ein Beamter verhindern kann. Er versucht, sich mit seinem Feuerzeug anzuzünden, und wird schließlich vom Rettungsdienst in die geschlossene Psychiatrie im Landeskrankenhaus in Grafenberg gebracht. Auch hier noch versucht er, sich mit einem Telefonkabel auf der Toilette zu erhängen.

    Saban Maloki leidet an einer Posttraumatischen Belastungsstörung und befindet sich seit einem ersten Selbsttötungsversuch vor fünf Jahren in ärztlicher Behandlung.

WZ 24.7.06

 

6. Juli 06

 

Bundesland Baden-Württemberg. In der JVA Rottenburg versucht der Abschiebegefangene S. L. sich zu töten.

BT DS 16/9142

 

10. Juli 06

 

Bundesland Hessen. In der Flüchtlingsunterkunft des Ortes Lohra "Auf dem Hundsacker" kommt es um Mitternacht zu einem Brand durch einen defekten Deckenlüfter im Badezimmer. Durch das schnelle Eingreifen der BewohnerInnen und der Feuerwehr kann größerer Schaden verhindert werden. Niemand wird verletzt.

Polizei Mittelhessen 10.7.07

 

10. Juli 06

 

Viersen in Nordrhein-Westfalen. Ein 22-jähriger Asylbewerber aus dem Kongo wird gegen 23.00 Uhr in der neuen Park- und Teichanlage an der Greefsallee wegen seiner Herkunft aus Afrika rassistisch beleidigt. An einer kleinen Brücke greifen ihn dann die vier betrunkenen Männern tätlich an.

    Es gelingt dem Kongolesen, sich erfolgreich zu wehren und dann zu fliehen. Er erstattet am nächsten Tag bei der Polizei Anzeige. Der Staatsschutz der Mönchengladbacher Kriminalpolizei nimmt Ermittlungen wegen Beleidigung und gefährlicher Körperverletzung auf.

    Der Asylbewerber lebt seit 12 Jahren in der Bundesrepublik.

Polizei Mönchengladbach 12.7.06;

ddp 12.7.06; JWB 19.7.06; WZ 19.7.06;

Polizeilicher Staatsschutz Mönchengladbach 13.2.08

 

13. Juli 06

 

Freienbessingen in Thüringen. Drei maskierte Männer schlagen vor der Gemeinschaftsunterkunft für AsylbewerberInnen mit Holzknüppeln auf geparkte Autos ein und zertrümmern die Front- und Heckscheiben. Die Polizei nimmt die Täter fest.

MOBIT (Polizei Nordhausen)

 

16. Juli 06

 

Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Bei einem Feuerwehrfest in der Ortschaft Niepars werden ein 22- und ein 25-jähriger irakischer Flüchtling von mehreren Rassisten belei

digt, beschimpft und aufgefordert, das Fest zu verlassen. Die Angegriffenen bleiben zunächst auf dem Fest, aber als eine größere, ca. 15-köpfige Gruppe bedrohlich auf sie zukommt, fliehen sie.

    Im Eingangsbereich eines Wohnhauses werden sie von den Verfolgern heftig geschlagen. Dabei erleiden beide Iraker Prellungen und Blutergüsse – der 25-jährige zudem einen Nasenbeinbruch. Als es ihnen gelingt, in eine Wohnung zu flüchten, versuchen die Angreifer, diese Wohnung zu stürmen, indem sie gegen die Wohnungstür rammen. Dabei wird eine junge Frau aus Dänemark verletzt, die sich in der Wohnung aufhält.

    Die Polizei nimmt zunächst einen 19-jährigen als Hauptverdächtigen fest, der am nächsten Tag wieder freikommt. Der Staatsschutz nimmt die Ermittlungen auf.

ddp 16.7.06; jW 17.7.06; JWB 26.7.06;

 e110 1.8.06; LOBBI (OZ)

 

19. Juli 06

 

Das Amtsgericht Berlin-Schöneberg entscheidet bei einem Haftprüfungstermin, daß die Haft des seit neun Monaten in Abschiebehaft sitzenden 41-jährigen Liberianers Juluous Denes nicht noch einmal verlängert wird. Noch während der Flüchtling seine Sachen packt, entscheidet dasselbe Gericht unter Vorsitz desselben Richters, daß einem neuen Haftantrag gegen dieselbe Person umgehend stattgegeben wird. Mit der Begründung, der Häftling hätte seine Identität verschleiert, lautet der aktuelle Haftbefehl jetzt auf den Namen Bamiro Babatunde Ayodele, der u.a. auch versucht habe, seine Abschiebung zu verhindern.

    Der eigentliche Haftverlängerungsantrag der Ausländerbehörde war bei Gericht verloren gegangen und tauchte erst nach der Gerichtsentscheidung wieder auf, so daß die Ausländerbehörde einen neuen Haftantrag stellen mußte, um den Flüchtling weiter in Haft zu halten. Versuche der Behörde, ihn nach Nigeria und Liberia abzuschieben, waren an fehlenden Identitätspapieren gescheitert.

    Bei dem neuerlichen Haftprüfungstermin am 27. Juli kann die Ausländerbehörde keinen geplanten Abschiebetermin nennen, woraufhin der Gefangene freigelassen wird.

taz 25.7.06; taz 29.7.06

 

19. Juli 06

 

Landkreis Wittmund in Niedersachsen. Morgens um 5 Uhr beginnt die Abschiebung der armenischen Familie Mamojan. Frau Mamojan und die erwachsene Tochter sind psychisch schwer krank. Ein Amtsarzt hatte sowohl schwere Erkrankungen, als auch die "Reisefähigkeit" festgestellt, ohne auch nur mit den Frauen gesprochen zu haben.

    Die Festnahme löst bei Frau Mamojan einen Zusammenbruch aus, so daß sie ins Landeskrankenhaus gebracht werden muß. Die Abschiebung der Tochter kann im letzten Moment auf dem Flughafen Frankfurt durch eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Oldenburg gestoppt werden, das in einem sofort angestrengten Eilverfahren die Rechtswidrigkeit der Abschiebung festgestellt hat.

    Herr Mamojan wird jedoch mit drei minderjährigen Kindern um 15 Uhr nach Armenien abgeschoben.

FRat NieSa 19.7.06

 

21. Juli 06

 

Bundesland Rheinland-Pfalz. Als die Polizei – zusammen mit einem Vollzugsdienst – um 5.30 Uhr in Otterberg an der Wohnung eines abgelehnten Asylbewerbers erscheint, um ihn in den Sudan abzuschieben, springt dieser aus dem Fenster. Ob der 31-Jährige sich bei dem Sturz aus dem 2. Stock verletzt hat, ist unbekannt, denn es gelingt ihm die Flucht, und er gilt für die Behörden als "untergetaucht".

Polizei Westpfalz 24.7.06;

Kreisverwaltung Kaiserslautern 11.12.06

 

23. Juli 06

 

Bundesland Brandenburg. Weil ein Potsdamer im Wohngebiet am Schlaatz sich beim Fernsehen durch Straßenlärm gestört fühlt, bedroht er eine vierköpfige Flüchtlingsfamilie aus Nigeria mit einer Axt und fordert sie auf zu verschwinden.

    Das Ermittlungsverfahren, das nach einer Anzeige der Bedrohten eingeleitet wird, endet mit einem Vergleich und der Zahlung einer Geldstrafe für den Potsdamer.

PNN 5.8.06; Opferperspektive

 

26. Juli 06

 

Abschiebelager Bramsche-Hesepe in Niedersachsen. Der 31 Jahre alte Michael Yakoub Hana, abgelehnter Asylbewerber aus Palästina, klettert um 9.00 Uhr auf den Schornstein eines Gebäudes der Zentralen Aufnahmestelle und Ausländerbehörde (ZAAB) und droht, sich in die Tiefe zu stürzen. Erst

nach einer schriftlichen Versicherung der Ausländerbehörde, daß seine "Umverteilung" nach Oldenburg-Blankenburg aufgehoben ist, klettert der Palästinenser nach drei Stunden in den Rettungskorb der Feuerwehrleiter und läßt sich wieder herunterfahren. Er kommt in die Psychiatrie nach Osnabrück.

    Er ist einer von den Flüchtlingen, die die menschenverachtenden Zustände im Abschiebelager auch öffentlich gebrandmarkt haben. So sieht er die ultimative Aufforderung der Behörde, der "Umverteilungsanordnung" nach Oldenburg innerhalb von 48 Stunden nachzukommen, als eine Willkür- und Disziplinierungsmaßnahme. Vor kurzem sind noch andere politisch aktive Flüchtlinge aus dem Lager weggebracht worden.

    Trotz der schriftlichen Zusage der Behörde und nach einer Nacht in der Psychiatrie in Osnabrück wird der Flüchtling am nächsten Morgen unter Schlägen, Würgen und mit einer straffen Fesselung der Hände durch drei Beamte der Ausländerbehörde nach Oldenburg gebracht. Ihren Wortbruch begründet die Behörde damit, daß unter Umständen der Nötigung eine solche Vereinbarung keine Rechtskraft erlangen könne.

    Michael Yakoub Hana beginnt einen Hungerstreik und kehrt nach Bramsche zurück, um hier in der Innenstadt gegen seine Umverteilung zu demonstrieren. Am Ende der Kundgebung erleidet er einen Kreislaufzusammenbruch und kommt ins Johanniter-Hospital Bramsche. Danach erfolgt seine Verlegung in die Psychiatrie nach Osnabrück.

    Nach seiner Entlassung wird er erneut gegen seinen Willen nach Oldenburg-Blankenburg gebracht, wogegen er wieder mit einer demonstrativen Rückkehr nach Bramsche-Hesepe protestiert. Letztendlich wehrt er sich – von Oldenburg aus – vor allem juristisch gegen die willkürliche Umverteilung und gegen den Wortbruch der Behörden.

no lager bremen;

BN 27.7.06; taz-Nord 28.7.06; BN 31.7.06

 

28. Juli 06

 

Auf der Bahnfahrt von Erfurt nach Weimar werden acht Mädchen und Jungen aus dem Flüchtlingsheim in Weimar von zwei deutschen Männern beleidigt und bedroht. Erst durch das Eingreifen eines couragierten Mitreisenden wenden sich die Rassisten von den Kindern ab, greifen allerdings jetzt den Verteidiger an und schlagen auf ihn ein. Am Bahnhof Weimar beendet dann die Polizei die Auseinandersetzung.

TLZ 1.8.06; JWB 9.8.06

 

29. Juli 06

 

Bernburg in Sachsen-Anhalt. Ein 36 Jahre alter Flüchtling aus Burkina Faso wird von vier "rechtsextrem aussehenden Personen" aus einem Auto heraus verbal bedroht. Als einer der Provokateure aussteigt, dem Flüchtling nachläuft, dabei mehrfach den sogenannten Stinkefinger zeigt und laut "Hau ab!" und "Ho, ho, ho" ruft, flüchtet der Afrikaner in Todesangst in eine nahe gelegene Polizeistation.

    Die Beamten stellen zwar fest, daß der Tatverdächtige einschlägig als Rechtsextremist bekannt ist, weigern sich allerdings zunächst, die Anzeige aufzunehmen.

    Erst mit Hilfe einer Rechtsanwältin werden zwei Monate später die Ermittlungen aufgenommen.

    Am 6. September 2007 verurteilt das Amtsgericht Bernburg den Haupttäter zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 20,00 Euro. Eine Verurteilung wegen Nötigung, wie die Staatsanwaltschaft beantragte, erfolgt nicht, weil der Beweis für den Vorsatz der Tat nicht erbracht werden kann. Beide Seiten gehen in Berufung.

    28. September 2008 verurteilt das Landgericht Magdeburg den Täter zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten auf Bewährung. Zwei Zeugen, die in dieser Berufungsverhandlung für den Angeklagten ausgesagt hatten, werden am 23. Januar 2009 wegen uneidlicher Falschaussage zu je 100 Arbeitsstunden verurteilt.

(siehe auch: 24. September 06)

TS 14.6.07; ap 14.6.07; ddp 14.6.07;

ad-hoc-news.de 14.6.07;

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

30. Juli 06

 

Karlsruhe in Baden-Württemberg. Im ersten Obergeschoß eines Gebäudes der Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge (LASt) sind morgens um 7.30 Uhr aus unbekannter Ursache im Flur abgestellte Gegenstände in Brand geraten. Die BewohnerInnen retten sich über Notausgänge, so daß niemand verletzt wird .

KaN 31.7.06

 

1. August 06

 

Bundesland Brandenburg. Um 23.30 Uhr kommt ein vollbesetzter 3er BMW mit 180 Stundenkilometern in einer Linkskurve kurz vor Dannenreich von der Straße ab und rast in drei Bäume hinein. Der Wagen wird durch den Aufprall zerrissen und fängt Feuer. Direkt am Unfallort sterben vier Flüchtlinge. Es sind die Frauen Nguyên Thi Lan (25), Dang Thi Thê (47) und die Männer Gioan Nguyên Duc Chinh (24) und Vinh X. (29). Zudem kommt der 56 Jahre alte vietnamesische Fahrer Nguyên Van Tôn zu Tode. Im Krankenhaus erliegt ein 31 Jahre alter Mitfahrer aus Tschechien seinen Verletzungen.

    Die 36 Jahre alte Vietnamesin Nguyên Thi Hat überlebt mit schwersten Verletzungen, die durch die immense Erschütterung ihres Körpers infolge des Aufpralls entstanden sind. Sie hatte sich zum Zeitpunkt des Aufpralls hockend im Fußraum des Wagens befunden. Sie kommt auf die Intensiv-Station des Cottbusser Krankenhauses. Ihr Mitfahrer Thang Xuan Cao – ebenfalls schwerstverletzt – wird ins Krankenhaus von Bad Saarow transportiert. Der 18-Jährige hat diverse Verletzungen der inneren Organe und muß mehrmals operiert werden.

    Es stellt sich schnell heraus, daß es sich bei dem Unfall um das Ende einer polizeilichen Verfolgungsjagd handelt, einer Maßnahme, die unter der Führung der Bundespolizei innerhalb eines Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Leipzig gegen den Vietnamesen Nguyên Van Tôn aus Leipzig durchgeführt wird. Die Ermittlungen gegen diesen Mann, der bei dem Unfall ums Leben kommt, werden wegen des Verdachtes auf Fluchthilfe seit zwei Monaten geführt.

    Die Bundespolizei hatte einen Transporter mit vietnamesischen Flüchtlingen bereits ab der tschechischen Grenze beobachtet und zunächst über die Autobahn A13 verfolgt. Bei der Abfahrt Ragow in Brandenburg stiegen mindestens sechs Personen in einen BMW, der dann in Richtung Berlin weiterfuhr. Als die Bundespolizei versuchte, den mit insgesamt acht Personen völlig überladenen BMW zu stoppen, konnte der Fahrer ausweichen und durch zunehmende Geschwindigkeit zunächst flüchten, wurde aber weiter verfolgt. Zwölf Minuten später kam es kurz vor der Ortschaft Dannenreich zu dem folgenschweren Unfall.

    Nach sechs und sieben Wochen Krankenhaus-Aufenthalt können die beiden Überlebenden des Unfalles die Krankenhäuser verlassen. Durch Intervention ihrer Rechtsanwältinnen kann ihnen ein längerer Aufenthalt in der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber des Landes Brandenburg in Eisenhüttenstadt (ZASt) erspart bleiben, und sie kommen gemeinsam in einem Heim in der Nähe von Berlin unter.

FRat Brbg; Antirassistische Initiative Berlin;

TS 2.8.07; taz 2.8.07

 

4. August 06

 

Berlin. Bei dem Versuch, die 51-jährige Kurdin Celele K. und sechs ihrer Kinder abzuschieben, bricht die chronisch kranke Frau zusammen und muß mit einem Notarztwagen in ein Krankenhaus gebracht werden. Zwei ihrer minderjährigen Söhne, Ramadan (16) und Asraf (17), und der volljährige Saban (19) werden festgenommen und kommen ins Abschiebegefängnis Köpenick.

    Frau K. lebt seit 1989 in Berlin und ist seit langer Zeit von ihrem Mann getrennt. Sie ist Mutter von 12 Kindern.

    Im Jahre 1999/2000 beantragte die Familie eine Aufenthaltsbefugnis nach der damals geltenden Altfallregelung. Zu der Zeit lebten noch neun Kinder im Haushalt der Mutter. Gegen die Meinung des Sozialamtes und obwohl der Alleinerziehenden das alleinige Sorgerecht zugesprochen worden war, bestand die Ausländerbehörde auf dem Nachweis einer Erwerbstätigkeit von Frau K.

    Während im Laufe der Jahre die volljährig gewordenen Kinder Aufenthaltsbefugnisse bekamen, erhielten Frau K. und die minderjährigen Kinder weiterhin Duldungen.

    Heute haben fünf ihrer älteren Kinder feste Aufenthaltsrechte und zwei von ihnen die deutsche Staatsangehörigkeit erworben.

    Frau K. hatte vor ihrer Flucht in die BRD überwiegend im Libanon gelebt und spricht demzufolge nur Arabisch und Deutsch. Ihre Familie lebt heute noch im Libanon, Familienangehörige in der Türkei existieren nicht. Aber dorthin, so plant die Ausländerbehörde, soll Frau K. nach 17 Jahren Deutschland-Aufenthalt abgeschoben werden.

FRat 14.8.06

 

6. August 06

 

Bad Doberan in Mecklenburg-Vorpommern. Ein junger Flüchtling aus dem Irak wird von einer Gruppe Deutscher angegriffen. Er wird mit einer Flasche beworfen, und dann schlagen zwei Täter auf ihn ein, andere halten seine Freundin fest, die ihm helfen will. Als die Angreifer für einen kurzen Moment die Attacken gegen ihn einstellen, kann er flüchten.

    Mit seinen Verletzungen geht der Iraker ins Krankenhaus, und ein erlittener Nasenbeinbruch muß operiert werden. Dieser Behandlung schließt sich eine langwierige ambulante Therapie an.

    Das Amtsgericht Bad Doberan verurteilt einen der Angreifer am 4. September 07 zu einer Haftstrafe von einem Jahr und zwei Monaten. Wenige Tage vor der Verhandlung gegen den zweiten Schläger, die am 31. März 08 stattfindet, reist der Iraker "freiwillig" aus, um der seit langem drohenden Abschiebung zu entgehen. Damit beendet er gezwungenermaßen nach neun Jahren seinen Aufenthalt in der BRD, die dem irakischen Christen keinen Schutz gewähren wollte.

LOBBI

 

8. August 06

 

Bundesland Baden-Württemberg. Der anerkannte politische Flüchtling Muzaffer Ayata wird auf dem Hauptbahnhof Mannheim festgenommen. Die Bundesanwaltschaft wirft dem 50-jährigen Kurden vor, "Rädelsführer" und somit Teil des "Funktionskörpers" der in Deutschland als "kriminelle Vereinigung" eingestuften PKK zu sein. Durch seine Tätigkeit habe er dazu beigetragen, den "organisatorischen Zusammenhang" zu festigen.

    Muzaffer Ayata war aufgrund seiner politischen Tätigkeit im März 1980 in der Türkei festgenommen und zum Tode verurteilt worden. Dieses Urteil wurde später zu einer 40-jährigen Freiheitsstrafe umgewandelt. Nach über 20 Jahren Haft in türkischen Gefängnissen erfolgte im September 2000 die Entlassung aus Bursa. Im Mai 2001 verließ er die Türkei und beantragte in der BRD Asyl. Von der erlittenen Verfolgung und der Folter hat Muzaffer Ayata heute bleibende körperliche Schäden, und er leidet zudem unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung.

    Sein Antrag auf politisches Asyl wurde abgelehnt, jedoch bekam er am 21. März 05 Abschiebeschutz zugesprochen.

    In der BRD ist Muzaffer Ayata Ansprechpartner für die kurdische Partei HADEP/DEHAP bzw. deren Nachfolgeorganisation Demokratik Toplum Partisi (DTP). Seit Jahren setzt er sich in zahlreichen Beiträgen, Analysen und Kommentaren für einen Dialog und eine friedlich-politische Lösung des kurdisch-türkischen Konfliktes ein.

    Seit dem 24. Mai 2007 steht Muzaffer Ayata vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichtes Frankfurt wegen mutmaßlicher Mitgliedschaft in der PKK/KONGRA-GEL (§ 129 StGB).

    Im Dezember 2007 fordert das türkische Justizministerium seine Auslieferung und begründet dies – entsprechend einer Akte der Oberstaatsanwaltschaft Diyarbakir – mit dem Verdacht, daß Muzaffer Ayata für die Finanzen der PKK in Europa zuständig sei und als Vorsitzender des Vereins kurdischer Arbeitgeber (KARSAZ) 500 Firmen koordinieren würde.

Obwohl Muzaffer Ayata sich bereits in Haft befindet, erläßt das Oberlandesgericht Frankfurt im März 2008 die Anordnung der Auslieferungshaft. Sechs Monate später wird der Widerspruch dagegen vom Oberlandesgericht akzeptiert, weil die türkische Staatsanwaltschaft keinerlei Beweise für ihr Ersuchen vorgelegt hat.

    Am 10. April 2008 wird Muzaffer Ayata zu drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Das Oberlandesgericht sieht es als erwiesen an, daß der kurdische Politiker in der Funktion als Sektorleiter Süd führendes Mitglied und Rädelsführer einer "kriminellen Vereinigung" (§ 129 StGB) ist. Im Revisionsverfahren vor dem Bundesgerichtshof wird am 10. November dieses Urteil aufgehoben.

    Das Oberlandesgericht kommt in der Neuverhandlung am 9. März 2009 zu einem Urteil mit einem um vier Monate reduzierten Strafmaß. Die Revision Muzaffer Ayatas gegen dieses Urteil wird schließlich am 7. Juli 2009 vom Bundesgerichtshof bestätigt. Am 17. Oktober 09 wird er nach verbüßter Strafe aus der JVA Weiterstadt entlassen.

    Weil das Regierungspräsidium Stuttgart seine Ausweisung verfügt hat, hat Muzaffer Ayata nur noch den Status einer Duldung. Er muß sich täglich (!) bei der Polizei melden und darf das Stadtgebiet von Stuttgart nicht verlassen. Im Februar 2012 untersagt das Ordnungsamt dem inzwischen 56-jährigen kurdischen Exilpolitiker jede politische Betätigung "zu Gunsten" der PKK/Kadek/Kongra-Gel/KKK und KCK und Yek-Kom (Förderation der kurdischen Vereine in Deutschland). Im Gegensatz zu den erstgenannten Organisationen ist Yek-Kom in der BRD nicht verboten. Der Maulkorberlaß gilt für "politische Reden, Pressekonferenzen und schriftliche Veröffentlichungen". Mit einer akribisch geführten Liste, in der die Orte, die Zeiten und die Inhalte der mündlichen und schriftlichen Äußerungen von Muzaffer Ayata dokumentiert sind, versucht die Behörde, die Maßnahme zu begründen.

ISKU 14.8.06;

AZADI 19.12.06; ISKU 6.12.07;

AZADI – infodienst Nr. 61 Dezember 2007;

NüNa Dezember 2007;

AZADI – infodienst Nr. 64 März 2008; AZADI 10.4.08;

AZADI – infodienst Nr. 65 April 2008; jW 6.6.08;

AZADI – infodienst Nr. 71 Oktober 2008:

AZADI – infodienst Nr. 72 November 2008;

AZADI – infodienst Nr. 73 Dezember 2008; AZADI 9.3.09;

AZADI – infodienst Nr. 79 Juli 2009; jW 7.10.09; jW 15.5.10;

AZADI – infodienst Nr. 110 Febr. 12;

AZADI – infodienst Nr. 115 Juli 12

 

11. August 06

 

Flughafen Frankfurt am Main. Es ist der dritte Abschiebeversuch für den 20 Jahre alten Kurden Serif Akbulut. Er ist mit Klettbändern so stark gefesselt, daß seine Hände schmerzen und blau angelaufen sind. Wie bei den vorherigen Abschiebungsversuchen wehrt er sich, indem er um Hilfe ruft und laut protestiert. Der Pilot der Lufthansa-Maschine sagt ihm, daß er ihn trotz des Protestes ausfliegen wird. Áls Serif Akbulut sich weigert, sich zu setzen, wird er von Beamten der Bundespolizei geschlagen und schließlich wieder aus dem Flugzeug herausgebracht. Mit Hämatomen am Hals und an den Fingern kommt er zurück in die JVA Wiesbaden.

    Wegen Verfolgung und Folter waren seine Eltern 1998 mit ihrem damals 12-jährigen Sohn Serif aus der Türkei geflohen und hatten in der BRD Asylanträge gestellt.

    Fatma Akbulut ist schwer traumatisiert – ihr Mann Ali Akbulut (63) leidet unter schwerem Asthma. Seit den ersten Abschiebeankündigungen hat sich die psychische Erkrankung von Fatma Akbulut deutlich verschlechtert. Es gibt inzwischen 18 ärztliche Bescheinigungen von der behandelnden Psychiaterin  und Neurologin, 12 Bescheinigungen der Main-Kinzig-Kliniken in Schlüchtern und mehrere Berichte des Psychiatrischen Notdienstes Schlüchtern, in denen die ausgeprägten Depressionen, die Panikattacken, die dissoziativen Anfälle und ihre Suizidalität beschrieben werden.

    Seit seinem 15. Lebensjahr hat sich ihr jüngster Sohn Serif intensiv um sie gekümmert und sämtliche Belange der Familie geregelt.

    Am 7. Juli morgens um 6.30 Uhr war Serif Akbulut zu Hause in Schlüchtern abgeholt worden und befand sich um 11.45 Uhr bereits in einer Maschine der Turkish Airlines. Er wehrte sich, woraufhin sich der Pilot weigerte, ihn mitzunehmen. Serif Akbulut kam in die JVA Preungesheim in Abschiebehaft.

    Am 15. Juli brach seine Mutter Fatma Akbulut aufgrund der Inhaftierung ihres Sohnes und aufgrund der Abschiebedrohung gegen sie selbst mehrmals zusammen und kam in eine Klinik. Als sie zwei Tage später Polizisten auf den Gängen sah, bekam sie weitere Panikattacken und floh aus der Klinik. Sie war verwirrt und desorientiert.

    Auch bei dem zweiten Abschiebeversuch am 8. August war es Serif Akbulut gelungen, den Piloten der slowenischen Adria Air zu überzeugen, daß er nicht mitfliegen wolle. Er kam zurück in Haft – diesmal in die JVA Wiesbaden.

    Die Unterstützung für die Familie Akbulut war groß. Mit Demonstrationen, Petitionen und Offenen Briefen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen und vieler Einzelpersonen wurde mit zunehmender Intensität ein Bleiberecht für die Familie gefordert. Dies blieb erfolglos.

    Daß der vierte Anlauf, Serif Akbulut abzuschieben, den Behörden gelingt, liegt an dem unumstößlichen Abschiebewillen der Verantwortlichen. Am 5. September 2006 wird Serif Akbulut zum Flughafen Leipzig/Halle geschafft und dort in ein Kleinflugzeug der FSH Luftfahrtunternehmen GmbH in Schkeuditz gebracht. Der 20-Jährige ist mit der Spezialfesselung, dem Bodycuff, während der Zeit am Flughafen und während des Fluges verschnürt und wird von zwei mitfliegenden Bundespolizisten und einem Arzt bewacht. Um 11.30 Uhr startet die Maschine in Richtung Türkei.

    Im Februar 2007 hat Serif Akbulut seine deutsche Freundin in der Türkei geheiratet und hofft auf eine Rückkehr zu seiner Familie. Das Regierungspräsidium schickte inzwischen die Rechnung zu den drei Abschiebeversuchen, der Abschiebung und zwei Monaten Abschiebehaft. Die Summe, die Serif Akbulut zu zahlen hat, beläuft sich auf 21.018,76 Euro.

(siehe auch: 13. Februar 07)

Bündnis für Bleiberecht Hanau;

KiN 8.7.06; NRhZ 12.7.06; FR 13.7.06; KiN 15.7.06;

 NRhZ 18.7.06; FR 19.7.06; KiN 19.7.06; KiN 22.7.06;

KiN 27.7.06; FR 28.7.06; FR 2.8.06; KiN 3.8.06;

KiN 10.8.06; KiN 11.8.06; KiN 12.8.06; KiN 15.8.06;

KiN 24.8.06; KiN 26.8.06; KiN 30.8.06; jW 30.8.06;

FRat Hessen 5.9.06; HR-online 5.9.06; FR 5.9.06; KiN 5.9.06;

indymedia 5.9.06; hr-online 5.9.06;

FR 6.9.06; Main-Echo 6.9.06; KiN 6.9.06;

freiheit-fuer-serif.tk 4.2.07;

Abschiebungsbeobachtung FFM 2007

 

12. August 06

 

Lünen in Nordrhein-Westfalen. Die seit über sechs Wochen auf dem Marktplatz (Willy-Brandt-Platz) vor dem Rathaus von Lünen protestierenden iranischen Flüchtlinge werden morgens um 2.30 Uhr von fünf angetrunkenen Deutschen rassistisch beschimpft und tätlich angegriffen. Einer uriniert an das Zelt der Flüchtlinge, ein anderer droht, es anzuzünden. Sie werfen mit vollen Bierflaschen und rufen "Heil Hitler!". Einer der Täter trägt eine Gürtelschnalle mit einem Hakenkreuz. Das Zelt der Flüchtlinge bricht zusammen. Einer der Flüchtlinge wird am Fuß verletzt und muß im Krankenhuas behandelt werden. Die Polizei findet im nachhinein ein Messer am Tatort.

    Cherag Ansari, Khanpurd Said, Davoud Razavi und Amir Tajrishi begannen ihre Aktion am 20. Juni, nachdem sie aus ihrer 3-Zimmer-Wohnung durch die Stadt zwangsgeräumt wurden. Sie, die zum Teil seit neun Jahren in Lünen leben, protestieren jetzt Tag und Nacht gegen die Unterbringung in einem sogenannten Übergangsheim in Lünen-Alstedde in einem 24 Quadratmeter großen Vier-Bett-Zimmer. Sie protestieren gegen ein Heim, in dem Personen- und Anwesenheitskontrolle als normal gelten.

    Alle Verhandlungsversuche der UnterstützerInnen der Flüchtlinge und von PolitikerInnen scheitern an der vermeintlichen Rechtschaffenheit der Behörden. "Es gibt nichts zu diskutieren", sagt Stadtsprecher Urner. "Wir halten uns nur an die Gesetze."

    Am 5. Juni 2007 spricht das Amtsgericht Lünen die fünf rassistischen Gewalttäter wegen Mangels an Beweisen frei, weil nicht einwandfrei nachgewiesen werden kann, welche der Männer die Flaschen auf die Flüchtlinge geworfen haben.

taz-NRW 23.6.06; RN 1.8.06;

Polizei Dortmund 12.8.06; ddp 12.8.06;

HeA 14.8.06; HeA 15.8.06;

RN 6.6.07

 

13. August 06

 

In der Abschiebezelle des Flughafens München rammt der 36-jährige Chinese Xiang Zhong Chen mit voller Wucht seinen Kopf gegen die Wand, um sich umzubringen. Er zieht sich dadurch schwere Kopfverletzungen zu.

    Der inzwischen endgültig abgelehnte Asylbewerber war vor 12 Jahren in die BRD gekommen und hatte die letzten Jahre in Hof gelebt. Seine Lebensgefährtin ist im sechsten Monat schwanger.

    Am 27. September lehnt auch der Petitionsausschuß des Bayerischen Landtages einen Aufenthalt ab. Seine Freundin, die ihn in Abschiebehaft besuchte, sagt: "Er ist weiter bereit, sich lieber umzubringen als nach China zurückzugehen."

Hamburger Initiativenzeitung 17.8.06;

FrP 28.9.06; JWB 4.10.06

 

15. August 06

 

Pinneberg in Schleswig-Holstein. Als Frau B. in der Beratungsstelle des Diakonievereins Migration von ihrer geplanten Abschiebung am 7. September erfährt, bricht sie zusammen, muß von einem Notarzt erstversorgt werden und kommt anschließend zur ambulanten Behandlung ins Klinikum Pinneberg. Wegen ihres anhaltend schlechten und zum Teil lebensbedrohlichen Gesundheitszustandes und akuter Suizidalität erfolgt am 29. August ihre stationäre Aufnahme zur psychiatrischen Behandlung im Klinikum Elmshorn. Erst nach mehreren Wochen Aufenthalt kann Frau B. wieder entlassen werden.

    Sie hat einen langen Leidensweg hinter sich. In einer fachpsychiatrischen Stellungnahme ihrer behandelnden Ärztin vom 27. Januar werden acht psychische Erkrankungen aufgrund schwerer Traumatisierung diagnostiziert, die eine medikamentöse Therapie und eine Psychotherapie an einem sicheren Ort erforderlich machen. Im Falle einer zwangsweisen Rückführung sei mit einer Verstärkung der schwerwiegenden Krankheitssymptome und Suizidalität zu rechnen.

    Diese Stellungnahme wurde allerdings von der "Vertragsärztin" Frau G. mit den Worten kolportiert: "Es bestehen keine Erkrankungen, die Kontraindikationen für eine Rückführung auf dem Luftwege in das Heimatland darstellen."

    Am 29. August 2006 spricht das Verwaltungsgericht Schleswig Frau B. in einem Eilverfahren vorläufigen Abschiebeschutz aus gesundheitlichen Gründen zu.

Diakonieverein Migration – Pinneberg

 

16. August 06

 

Ausreisezentrum Halberstadt in Sachsen-Anhalt. Nachts um 2.00 Uhr läuft Thibaut Antonie Lassarat entsetzt durch die Gänge der ehemaligen Kaserne der Nationalen Volksarmee und schreit: "Die wollen mich nach Guinea abschieben." Sechs Polizisten überwältigen den schmächtigen Mann und schleppen ihn zum Wagen. Es wird ihm verwehrt, persönlichen Besitz mitzunehmen. Selbst die Medikamente, die er wegen einer Überfunktion seiner Schilddrüse täglich einnehmen muß, werden ihm abgenommen.

    Während den Freunden von Thibaut Antonie Lassarat wegen angeblichen Datenschutzes jegliche Auskunft verwei-gert wird, erfährt sein Anwalt, daß er mit einer Maschine der Air France, Flugnummer FNR 1419, abgeschoben wird.

    Erst drei Wochen nach der Abschiebung gelingt es Freunden aus Sachsen-Anhalt, den Aufenthaltsort von Thibaut Antonie Lassarat auszumachen. Er befindet sich seit der Abschiebung in Polizeihaft. Durch die Intervention einer Menschenrechtsorganisation in Guinea kommt er frei und taucht unter. Wenig später bittet er seine deutschen FreundInnen um Geld, damit er sich in einem Krankenhaus wegen der Verschlechterung seiner Schilddrüsenerkrankung behandeln lassen kann. Für die Hormonpräparate, die er wieder nehmen muß, schicken die FreundInnen fortan Geld nach Guinea.

    Thibaut Antonie Lassarat hatte 15 Jahre lang in der BRD gelebt. Die letzten vier Jahre in dem "Modellprojekt" Halberstadt, um seine Mitwirkungspflicht an seiner eigenen Abschiebung zu erpressen und seine eigentliche Identität für die Behörden zu klären. Dies bedeutete für ihn und die anderen LagerinsassInnen: häufige Verhöre, Residenzpflicht für Halberstadt, keinen Cent Bargeld und Fertigessen aus Großküchen.

    Zunächst wurde ihm die Elfenbeinküste (Côte d'Ivoire) als Herkunftsland zugeschrieben. Thibaut Antonie Lassarat wurde zweimal der berüchtigten Guinea-Delegation vorge-führt, und schließlich erklärte ihn die Botschaft von Guinea vor einigen Wochen zu einem Bürger dieses Staates, so daß die Abschiebung behördlicherseits durchgeführt werden konnte.

indymedia 20.8.06;

jW 22.8.06;

no lager halle November 06

 

16. August 06

 

Regierungsbezirk Unterfranken. Eine Armenierin zwischen 30 und 35 Jahren soll nach abgelehntem Asylantrag zusammen mit ihrem 8-jährigen Sohn – aber ohne ihren Mann – abgeschoben werden. Die traumatisierte Frau ist sehr verängstigt und gerät in panische Angst. Als sie sich heftig wehrt, trägt sie durch die Zwangsmaßnahmen Blutergüsse

    Auf dem Flughafen in Frankfurt wird die Asylbewerberin durch die Bundespolizei von ihrem Kind getrennt. Als sie ohnmächtig wird und vom Stuhl fällt, erfolgt ein Stop der Abschiebung, und die Polizei bringt die Frau mit ihrem Sohn zum Flüchtlingsheim zurück. Ihr Zimmer ist jedoch schon wieder neu belegt, und Mutter und Sohn müssen eine Nacht in einer Zelle einer Polizeiinspektion verbringen.

    Der Ehemann ist Iraner, hatte in Armenien gearbeitet und dort seine Frau kennengelernt. Ihretwegen war er zum Chri

stentum konvertiert, wurde jedoch trotzdem verfolgt. Weil das Ehepaar keine Möglichkeit sah, in Armenien gemeinsam zu leben, versuchten sie es im Iran. Hier mußte er jedoch seine Konversion geheim halten, und seine Frau wurde als "Ungläubige" verfolgt. Als sich herausstellte, daß sie weder in Armenien noch im Iran zusammenleben können, entschlossen sie sich zur Flucht.

    Das Ehepaar konnte nicht gemeinsam fliehen; die Armenierin erreichte mit ihrem Sohn zwei Jahre früher die BRD. Deshalb behaupteten die Behörden trotz entsprechender Dokumente, daß sie nicht verheiratet wären und der Iraner nicht der Vater des Kindes sei, und wollten die getrennte Abschiebung durchsetzen.

    Anfang 2008 ist weiter unklar, wo die Familie eine Perspektive für eine gemeinsame Zukunft hat. Inzwischen hat der Rechtsanwalt die Behörden zwar von der Rechtmäßigkeit der Ehe überzeugen können, doch wird nun argumentiert, daß die

Familie in Armenien leben könne. Eine Einreiseerlaubnis liegt bereits vor – inwieweit der Iraner auf Dauer ein Aufenthaltsrecht erhält, ist jedoch vollkommen ungeklärt.

Fränkischer Tag 23.8.06;

Caritasverband Diözese Würzburg

 

17. August 06

 

Bundesland Hessen. Ein kurdisches Ehepaar soll mit seinen drei Töchtern im Alter von 9, 5 und 2 Jahren in die Türkei abgeschoben werden. Da der Vater mit den zwei älteren Mädchen gerade Verwandte besucht, ist die im vierten Monat schwangere Mutter mit dem jüngsten Kind allein zu Hause. Sie bekommt einen Schock, als die Polizisten sie ohne die übrige Familie zur Abschiebung nach Frankfurt bringen und in das Flugzeug setzen. Da ihr Zustand äußerst beängstigend ist, wird sie in das Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/Main eingeliefert.

    Die Kurdin wird nach Marburg verlegt und muß acht Wochen stationär in der Psychiatrie bleiben. Anschließend ist sie – wie auch ihr Ehemann – weiter in ambulanter Behandlung. Das vierte Kind wird im Februar 2007 geboren.

    Alle zwölf Geschwister des Familienvaters leben mit Aufenthaltstiteln in der Bundesrepublik. Die Asylanträge dieser Familie, die seit sechs Jahren in Hessen wohnt, sind jedoch abgelehnt worden. Seitdem ist sie ständig von Abschiebung bedroht.

    Anfang 2008 ist eine Petition anhängig. Bei Duldungsverlängerungen machen die MitarbeiterInnen der Ausländerbehörde deutlich, daß sie nach deren Beantwortung unverzüglich abschieben werden.

Attac Frankfurt/Main Rückblick 2006;

Antirassistische Initiative Berlin

 

17. August 06

 

Bundesland Sachsen. An der Autobahnraststätte Auerswalder Blick (A 4) bei Chemnitz entdeckt die Autobahnpolizei 31 Personen in dem geschlossenen Laderaum eines Sattelaufliegers. Es handelt sich um sechs Männer und sechs Jugendliche, neun Frauen und zehn Kinder, darunter auch Säuglinge. Eine Frau ist hochschwanger. Alle haben weder Einreise- noch Aufenthaltspapiere. Es sind Flüchtlinge aus Tschetschenien.

    Wegen akuten Flüssigkeitsmangels werden die Frauen, Kinder und Jugendlichen in Chemnitzer Kliniken gebracht und medizinisch versorgt. Einige Tage später bringt die schwangere Frau ihr Kind zur Welt.

    Die Flüchtlinge werden später im Asylbewerberheim Mobendorf im Landkreis Mittweida untergebracht.

LVZ 17.8.06; MM 17.8.06;

Sachsen Fernsehen 18.8.06;

SäZ 18.8.06; taz 19.8.06;

Sachsen Fernsehen 25.9.06

 

19. August 06

 

Pinneberg in Schleswig-Holstein. Die 60 Jahre alte Frau V. versucht, sich mit einer Überdosis Tabletten zu vergiften, nachdem sie aus einem Schreiben der Ausländerbehörde erfahren hat, daß sie am 30. August abgeschoben werden soll. Sie kommt auf die Intensivstation des Klinikums Pinneberg und nach Überwindung der körperlichen Krise in die Klinik für Psychiatrie nach Elmshorn.

    Frau V. war vor neun Jahren aus dem Kosovo in die BRD geflüchtet, nachdem zunächst ihr Mann und dann ihre beiden Töchter mit deren Familien in den Kriegswirren verschollen sind. Seither ist sie seelisch krank, und die über lange Jahre existierende Aufenthaltsunsicherheit bringt sie immer wieder in psychische Krisensituationen. Sie leidet unter schweren depressiven Episoden und ihre "Selbsttötungsgedanken in konkreter Ausformung" konnten bisher durch stationäre Aufenthalte im Klinikum Elmshorn abgewendet werden.

    Während ihres letzten Klinik-Aufenthaltes, der vom Oktober 2005 bis zum Januar 2006 notwendig war, wurde auch der Verdacht auf eine Posttraumatische Belastungsstörung geäußert. Bei ihrer Entlassung bekam Frau V. neben einem Antidepressivum und einem Beruhigungsmittel zusätzlich drei weitere Herz-Kreislauf-Medikamente verschrieben.

    Die fortschreitende Verschlechterung ihres Zustandes äußerte sich darin, daß sie nicht mehr in der Lage war, Termine, wie z.B. Arztbesuche, alleine wahrzunehmen; auch die verantwortungsvolle Einnahme der Medikamente gelang ihr nicht mehr. Trotzdem hatte in der Flugtauglichkeitsbescheinigung der Ausländerbehörde der Satz gestanden: "Es bestehen keine Kontraindikationen für eine Rückführung auf dem Luftwege in das Heimatland. Die gängige medikamentöse Therapie und gelegentlich stattfindende Arztbesuche können dort fortgesetzt werden."

    Im Kosovo hätte Frau V. niemanden – in der Bundesrepublik hat sie ihren Sohn und ihre Schwiegertochter, die sich um sie kümmern und sie versorgen. Ab Januar 2007 wird ihr Sohn vom Amtsgericht zu ihrem Betreuer für bestimmte Lebensbereiche bestellt.

Diakonieverein Migration – Pinneberg

 

22. August 06

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Gegen die Flüchtlingsunterkunft in der Bünder Straße in Löhne wird zwischen 1.00 und 2.00 Uhr ein Brandanschlag verübt. Ein Molotow-Cocktail wird vom Innenhof aus gegen das Fenster des Zimmers 21 geworfen. Die Scheibe des Fensters hält stand; der Brandsatz fällt in einen Lichtschacht und brennt dort aus, ohne größeren Schaden anzurichten. Die 39 Bewohner kommen mit dem Schrecken davon.

    Kurze Zeit vor dem Angriff verteilte die Löhner-Bürger-Allianz Flugblätter an die Haushalte, in denen u.a. folgendes stand: "Die pastorale und propagandistische Betreuung der Drogendealer und ihrer Mitbewohner wird hingegen einfühlsam und kompetent vom Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche, Kirchenkreis Herford, wahrgenommen."

    Zwei Tage zuvor hatten drei oder fünf Vermummte versucht, mit einer Leiter ins Haus einzusteigen. Als sie entdeckt wurden, waren sie geflohen.

    Nachdem die rechts-terroristischen Aktivitäten des NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) im Herbst 2011 ins Licht der Öffentlichkeit kommen, wird auch dieser "Altfall" vom Staatsschutz erneut recherchiert.

(siehe auch: 15. September 06)

NW 24.8.06; NW 31.8.06;

taz 1.9.06; NW 23.9.06;

NW 30.11.11

 

23. August 06

 

Frankfurt am Main. Der 36 Jahre alte Yusuf Karaca wird nach einem 90-tägigen Hungerstreik aus der Haft entlassen. Er kommt umgehend in das Universitätsklinikum zur lebensrettenden Behandlung. Einen Tag zuvor hatte sich das Oberlandesgericht Frankfurt gegen eine Auslieferung des Mannes ausgesprochen.

    Yusuf Karaca, der aufgrund seiner Verfolgungsgeschichte Abschiebeschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG bekommen hatte, war aufgrund eines Auslieferungsbegehrens der Türkei am 2. Mai in deutsche Auslieferungshaft genommen worden.

    Am 23. Mai bestätigte das Oberlandesgericht die weitere Haft mit der Fluchtgefahr des Gefangenen. Bemerkenswert ist

die Begründung des Gerichts, denn gerade die von Yusuf Karaca angeführte Angst vor Folter, die er tatsächlich jahrelang erleiden mußte und aufgrund derer er Abschiebeschutz hat, sei der "Anreiz" für ihn, sich einer Auslieferung durch Flucht zu entziehen. Das Gericht fordert zudem die Zusicherung des türkischen Staates, daß Herr Karaca seine Reststrafe in der Türkei (20 Jahre) in einem Gefängnis des Typs F fortsetzt und daß die Deutsche Botschaft Gelegenheit erhält, den Inhaftierten aufzusuchen und sich über die konkreten Haftbedingungen zu informieren.

    Yusuf Karaca begann jetzt einen unbefristeten Hungerstreik mit der Forderung nach seiner sofortigen Freilassung. Mitte Juli wurde er vom Gefängnis Weiterstadt in die Krankenabteilung der JVA Kassel gebracht. Der Gefangene hatte über 25 kg Körpergewicht verloren, die Gefängnisärzte hielten ihn jedoch weiterhin für haftfähig, weil er gesüßte Flüssigkeit zu sich nahm.

    Yusuf Karaca war am 10.12.1996 vom staatlichen Sicherheitsgericht in der Türkei wegen Mitgliedschaft in der verbotenen Organisation TKPML-TIKKO (kommunistisch-maoistische Kaderorganisation) zum Tode verurteilt worden. Aufgrund eines durch Folter erpreßten Geständnisses wurde die Strafe dann in eine lebenslange Zuchthausstrafe umgewandelt.

    In Haft war er unzählige Male mit Elektroschocks an den Geschlechtsorganen, der Zunge und den Ohren gequält worden. Mehrmals wurde er am "Palästinensischen Haken" aufgehängt, mehrere Tage mußte er ohne Schlaf und nackt an kalten Stellen verbringen, ihm wurde der Kopf unter Wasser gehalten, nachdem ihm die Folterer die Nasenlöcher zugestopft hatten. Er wurde zu einsamen Orten gebracht und mit dem Tode bedroht. Ihm wurde angedroht, daß auch seine Familienangehörigen festgenommen und gefoltert werden würden. Er befand sich während seiner Haft auch in einem Gefängnis des Typs F. Als er am sogenannten Todesfasten teilnahm und seine Haft für medizinische Maßnahmen unterbrochen wurde (Wernicke-Korsakow-Syndrom), gelang ihm

nach 10 Jahren Gefangenschaft die Flucht aus der Türkei in die BRD. Am 28. September 2005 wurde er als politischer Flüchtling anerkannt.

    Als Herr Karaca Ende August 2006 das Krankenhaus verläßt, ist seine "amtliche" Existenz in der BRD bereits gelöscht: seine Wohnung in Hanau ist gekündigt, und krankenversichert ist er auch nicht mehr. Das Krankenhaus, das ihn nach dem 90-tägigen Hungerstreik medizinisch versorgte, fordert die Kosten von ihm. Herr Karaca, ohnehin durch die letzten Monate psychisch schwer angeschlagen, kommt in eine schwere depressive Krise. "Diese Situation kostet mehr Kraft als 90 Tage Hungerstreik", sagt er.

Pro Asyl 6.6.06;

FR 8.6.06; FR 9.6.06; taz 10.6.06;

FR 1.8.06; FR 4.8.06; HNA 9.8.06;

FRat Hessen 18.8.06;

OLG Frankfurt am Main 23.8.06;

Bericht eines Freundes

 

28. August 06

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. In der JVA Büren versucht der Abschiebegefangene N. T. sich zu töten.

BT DS 16/9142

 

30. August 06

 

In einer Straßenbahn in Frankfurt (Oder) werden zwei 17 und 19 Jahre alte irakische Flüchtlinge von zwei deutschen Rassisten mit "Ihr Scheiß-Mafia!" und "Ihr Drogenhändler!" beleidigt und provoziert. Als sie auch körperlich angegriffen wer-den, mischen sich Fahrgäste ein und verhindern Schlimmeres. Bei der Auseinandersetzung werden die Flüchtlinge leicht verletzt.

Opferperspektive;

e110 1.9.06

 

30. August 06

 

Bundesland Hessen. Der anerkannte kurdische Flüchtling Memet Taskali wird aufgrund eines Auslieferungsantrages der Türkei in Frankfurt am Main von der Polizei festgenommen und einen Tag später dem Haftrichter vorgeführt. Die Vorwürfe gegen den Flüchtling beziehen sich ausschließlich auf seine Tätigkeit als Mitglied im "Kurdischen Exilparlament". In der Interpol-Meldung ist angegeben, daß die Höchststrafe für das Memet Taskali vorgeworfene Delikt 22 Jahre und sechs Monate betragen würde.

Anerkannte Flüchtlinge in Auslieferungshaft – AZADI

 

August 06

 

Flughafen Frankfurt am Main. Frau Ö. soll mit ihrer 3-jährigen Tochter, aber ohne ihren Mann, der sich der Festnahme durch Untertauchen entzogen hat, nach Istanbul ausgeflogen werden. Sie ist schwanger und befindet sich schon so lange in den Räumlichkeiten der Bundespolizei, daß sie einem Haftrichter vorgeführt werden muß, um ihren Gewahrsam in den Händen der Ausländerbehörde formal-juristisch weiterhin abzusichern.

    Grund für den langen Aufenthalt am Frankfurter Flughafen ist die Tatsache, daß die Bundespolizei die Abschiebung der sich weigernden Frau Ö. abgelehnt hatte – die Ausländerbehörde allerdings innerhalb weniger Stunden einen neuen Flug, zwei Begleitbeamte der Landespolizei und eine begleitende Ärztin organisierte.

    Auf Einwände und Fragen der Mitarbeiterin der Abschiebebeobachtung FFM antworten die Polizisten, daß sie die Frau "nicht um jeden Preis" gewaltsam abschieben werden. Man werde sie "stramm am Arm führen" und die Abschiebung bei Widerstand abbrechen.

    Auf dem Weg zum Flugzeug beginnt Frau Ö. zu schreien, stemmt sich mit ihrem Gewicht gegen den Druck der Beamten, versucht, sich am Türrahmen festzuhalten. Die Beamten zerren sie weg, schieben und schleifen sie. Als Frau Ö. versucht, eine Bundespolizistin zu beißen, bekommt sie einen Schlag auf den Arm. Im Polizeifahrzeug wird sie mit polizeilichen Zwangsmaßnahmen ruhig gehalten, es wird laut auf sie eingeredet – sie wird angeschrieen. Dann zerren die Beamten die Frau die Flugzeugtreppe hinauf.

    Kurz danach wird Frau Ö. wieder herausgeführt, weil der Gruppenleiter der Bundespolizei die Abschiebung abgebrochen hat. Er hatte beobachtet, wie die Begleitbeamten der Landespolizei Frau Ö. in den Flugzeugsitz hineinpreßten und dabei ihre Bauchregion berührten.

    Die Begleitärztin ignoriert den Gesundheitszustand der Frau Ö. und bezeichnet sie sogar als "verantwortungslose Schauspielerin". Sie setzt sich immer wieder aktiv dafür ein, daß die Abschiebung stattfindet, und gibt den Begleitbeamten Anweisungen, wie sie mit Frau Ö. umzugehen haben.

    Auch als Frau Ö. über Unterleibsschmerzen klagt, bedarf es der mehrmaligen (!) Aufforderung der Mitarbeiterin der Abschiebebeobachtung FFM und der Bundespolizei, bis sie ihrer ärztlichen Pflicht nachkommt und sich der Patientin zuwendet.

    Die Bundespolizei beschwert sich später über das Verhalten der Ärztin bei der zuständigen Ausländerbehörde, zumal bereits seit längerer Zeit Beschwerden gegen sie vorliegen.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2007

 

August 06

 

Demmin im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Hazim Khalif H. stellt bei der Ausländerbehörde einen Antrag auf die Erlaubnis, in einer Wohnung leben zu dürfen. Er ist schwer krank, leidet unter großen Schmerzen und Depressionen.

    Die dreimonatige Frist, innerhalb derer Anträge bei Behörden bearbeitet werden müssen, verstreicht. Es wird Winter, es gibt tagelang kein warmes Wasser im Heim, zur Toilette muß sich Hazim Khalif H. in das nächste Stockwerk schleppen.

    Erst im März – 7 Monate nach Antragstellung – leitet die Ausländerbehörde den Antrag an das Gesundheitsamt weiter. Auch im August 07 hat der kranke Flüchtling noch keine Wohnung bekommen.

    Der Leiter der Ausländerbehörde, Rainer Plötz, rechtfertigt sich einer Journalistin gegenüber mit den Worten "enge personelle Situation".

taz 10.8.07

 

4. September 06

 

Nachdem er vor drei Tagen festgenommen und in der JVA Augsburg in Abschiebehaft genommen wurde, soll der abgelehnte Asylbewerber Felleke Bahiru Kum heute über Frankfurt am Main mit einer Lufthansa-Maschine nach Äthiopien abgeschoben werden. Drei Bundespolizisten und zwei Begleiter in Zivil bringen den 32-Jährigen zum Flughafen, fesseln seine Hände unter Überspreizung der Finger so stark, daß schmerzhafte Schwellungen entstehen, und drücken seinen Kopf nach unten. Über seinen Kopf ist eine schwere Decke gelegt, so daß er geführt werden muß. Herr Bahiru Kum protestiert und schreit laut, daß er nicht mitfliegen will. Als der Pilot die Beförderung ablehnt, wird Herr Kum unter Beschimpfungen und Schmerzandrohung in die JVA Augsburg zurückgebracht. Dort attestiert die Amtsärztin am nächsten Tag die immer noch schmerzenden, von der Fesselung herrührenden offenen Schürf- und Schnittwunden an seinen Handgelenken.

    Die Abschiebung soll jetzt am 12. Oktober 2006 über München mit einer KLM-Maschine erfolgen. Als der an den Händen mit einem Gürtel gefesselte Felleke Bahiru Kum sich weigert, das Flugzeug zu betreten, wird er verhüllt, von drei Beamten getragen und in einen Sitz in der letzten Reihe gedrückt. Ein Gespräch mit dem Piloten wird ihm verweigert. Erst als er nach Leibeskräften schreit, wird die Abschiebung abgebrochen. Unter verbalen Drohungen wird er an den Händen gefesselt und zurück in die Abschiebehaft nach Augsburg gebracht (Beispiele der Äußerungen der Polizisten: "Du hast keine Ahnung, was nächstes Mal passiert. ..... Du wirst dein restliches Leben bereuen, daß Du diese gute Chance verpaßt hast ..... Du wirst dann gleich bei den äthiopischen Behörden abgeliefert ..... Beim nächsten Mal bekommst du Betäubungsspritzen und einen Sturzhelm über den Kopf").

    Die Planung eines weiteren Abschiebeversuchs in Begleitung von Beamten der Bundespolizei am 23. November von München über Amsterdam nach Addis Abeba wird abgebrochen, als Felleke Bahiru Kum nach Stellung eines Asylfolgeantrags am 20. November aus der Haft entlassen werden muß.

    Felleke Bahiru Kum ist seit langem im Visier der athiopischen Machthaber. Als Mitglied des Kreisverwaltungsrates und Leiter eines öffentlichen Gesundheitsdienstes in Oromiya hatte er die Aufgabe, Kinder und Jugendliche für den Krieg gegen Eritrea zu gewinnen und zu mustern. Stattdessen hatte er bei über der Hälfte der Personen eine Wehrtauglichkeit abgelehnt, weil sie zu jung, zu krank oder zu alt waren. Jetzt begannen die Repressionen, und ihm wurde "Verschwendung von Geldern" vorgeworfen.

    Während des Krieges zwischen Äthiopien und Eritrea wurde er als Sanitäter zur Armee abgestellt. Als er sich – zusammen mit anderen – über die schlechte medizinische Versorgung der Soldaten (viele Kindersoldaten) beschwerte, geriet er immer mehr unter Druck. Als dann auch noch sein Cousin spurlos verschwand, flüchtete er aus dem Land und stellte im Jahre 2000 einen Asylantrag.

    Nach Ablehnung des Antrags lebte er mit einer Duldung in Donauwörth (Donau-Ries-Kreis). Er bekam Kontakt zur äthiopischen Exil-Opposition und besuchte Veranstaltungen der Oromo Liberation Front (ORF). Hierüber liegen der äthiopischen Botschaft Fotos vor. Als er auf dem Afrika-Festival in Würzburg über Krieg und Hunger in Äthiopien informierte, wurde er von zwei Männern gefilmt, von denen sich einer bei anderen Äthiopiern als Botschafts-Angehöriger zu erkennen gab.

    Aufgrund einer Anweisung des Amtes für "Diaspora-Angelegenheiten" beim äthiopischen Außenministerium, die an alle äthiopischen Botschaften und Konsulate erging, hat sich die Abschiebepolitik der deutschen Behörden schlagartig geändert. Während es bis dahin fast unmöglich war, Reisepapiere bei den Botschaften zu erhalten, wurden jetzt ganze Namenslisten von abgelehnten Flüchtlingen an die Botschaften weiter gereicht und entsprechende "Laissez-Passer"-Papiere ausgestellt.

    Ziel der Machthaber in Addis Abeba ist es, der Exil-Oppositionellen habhaft zu werden und sie in Äthiopien wegen "ethnischen Säuberungen und Unterschlagung von Staats- und Volksbesitz" anzuklagen. Durch diese Anweisung mit dem Titel "Richtlinie für den Aufbau der Wählerschaft" wird das Spitzelsystem in der äthiopischen oppositionellen Community systematisch erweitert.

    Felleke Bahiru Kum ist einer der ersten, der aufgrund dieser neuen "diplomatischen" Zusammenarbeit zwischen der BRD und Äthiopien abgeschoben werden sollte.

    Aufgrund eines Asylfolgeantrags, der am 21. November – kurz vor dem dritten Abschiebetermin – gestellt wird, beschließt die Ausländerbehörde Donauwörth, die Abschiebung auszusetzen und Herrn Behiru Kum aus der Haft zu entlassen.

    Am 19. Dezember 07 steht er als Angeklagter vor dem Amtsgericht Frankfurt, weil er während des Abschiebeversuches vor einem Jahr "Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte" geleistet haben soll. Der Prozeß, zu dem als einzige Zeugen die drei Polizeibeamten (keine Passagiere oder Bordpersonal) geladen sind, wird aufgrund "unzureichender Aktenführung" von der Richterin auf unbestimmte Zeit vertagt.

    Erst am 28. April 09 wird dieses Verfahren gegen Felleke Bahiru Kum auf Kosten der Staatskasse eingestellt. Die Richterin entschied, daß die Bearbeitungsdauer des Asylverfahrens von mittlerweile zwei Jahren für die "Ernsthaftigkeit der Fluchtgründe" spreche. Zudem sei bei dem Abschiebeversuch in der Lufthansa-Maschine kein Vollstreckungsbeamter verletzt worden.

    Felleke Bahiru Kum wird im August – zusammen mit der 19-jährigen staatenlosen Nissrin Ali – der Menschenrechtspreis der Stiftung Pro Asyl verliehen, weil er sich während seines inzwischen über neun Jahre dauernden Aufenthalts in deutschen Flüchtlingslagern unermüdlich für die Rechte der BewohnerInnen eingesetzt hat. Die beiden Ausgezeichneten haben der bayerischen Sozialministerin eine Petition mit insgesamt 3000 Unterschriften persönlich überreicht. Zusammen mit dem Bayerischen Flüchtlingsrat startete Felleke Bahiru Kum die Aktion "Wohnungen statt Flüchtlingslager".

FRat Bayern 21.11.06; FRat Bayern 23.11.06;

 jW 25.11.06; Hinterland Dezember 2006;

FRat Bayern 18.12.07; jW 18.12.07;

FRat Bayern 19.12.07;

FRat Bayern 20.12.07; jW 20.12.07;

Aktionsbündnis gegen Abschiebung Rhein-Main 20.12.07;

AAZ 21.12.07;jW 27.12.07;

FRat Bayern; Bericht des Betroffenen;

AA 29.4.09; jW 29.4.09; Pro Asyl 17.8.09; AA 7.9.09

 

9. September 06

 

Magdeburg in Sachsen-Anhalt. Als ein 22 Jahre alter Flüchtling aus Benin um 20.00 Uhr an der Haltestelle "Theater" auf dem Breiten Weg wartet, bemerkt er, daß aus einer angekommenen Straßenbahn vier Männer aussteigen und zielgerichtet auf ihn zukommen. Nachdem sie ihn rassistisch beleidigt haben, rufen sie selbst die Polizei und melden, daß sie von einem "Ausländer" angegriffen worden sind. Als die Polizei eintrifft, befinden sich nur noch der Flüchtling und der Anrufer vor Ort. Als die Beamten den Anrufer mitnehmen wollen, greift dieser die Polizisten an und schlägt auf den Funkwagen ein.

    Unterdessen kommen die Provokateure zurück und beleidigen den Afrikaner erneut. Dann schlagen und treten sie auf ihn ein. Mit Blutergüssen am ganzen Körper kommt er ins Krankenhaus, wo er ambulant behandelt wird.

    Die Polizei ermittelt gegen die 16 bis 26 Jahre alten Täter, von denen drei verurteilt werden; für den vierten steht der Prozeß im Januar 2007 noch aus.

ddp 10.9.06; VM 12.9.06;

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

9. September 06

 

Bundesland Thüringen. Ein 35 Jahre alter kurdischer Asylbewerber wird in Weimar von einem Spezialkommando der Polizei festgenommen. Die Verhaftung erfolgt aufgrund eines internationalen Haftbefehls aus der Türkei wegen angeblicher PKK-Mitgliedschaft und Mordverdacht. Mit diesen Tatvorwürfen war der Flüchtling in der Türkei in Abwesenheit zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden.

    Am 18. Oktober lehnt das Oberlandesgericht Jena das Auslieferungsverfahren wegen ungenügender Unterlagen ab, und der Flüchtling kommt nach 40 Tagen Gefangenschaft frei. Sein Asylantrag, den er im Jahre 2002 gestellt hat, ist noch nicht entschieden.

dpa 17.10.06;

AZADI infodienst Nr. 47 Oktober 06;

Ludwig Müller-Volck – Rechtsanwalt

 

12. September 06

 

Die 29 Jahre alte Frau D. aus dem Irak bricht bei der Anhörung zu ihrem Asylantrag beim Bundesamt zusammen, verliert das Bewußtsein und muß im Krankenhaus Karlsruhe behandelt werden.

    Da sich die Fragen, die ihr gestellt wurden, vor allem um den Reiseweg durch Europa drehten, war ihr zunehmend deutlicher geworden, daß das Bundesamt sie nach Tschechien zurückschieben will. Damit wäre die jahrelange Vorbereitung auf die Flucht in die BRD zunichte gemacht worden. Denn ihr Mann, der durch einen Bombenanschlag beide Beine verloren hatte, war schon Jahre zuvor in die BRD geflohen. Durch die Nachreise von Frau D. mit den 15- und 10-jährigen Kindern wäre die Familie wieder zusammen gewesen.

    Erst durch massive Intervention von Pro Asyl kann schließlich erreicht werden, daß das Asylverfahren in der BRD durchgeführt wird.

    Herr D. erhält schließlich im Sommer 2007 einen positiven Bescheid nach § 60 Abs. 1 AufenthG und bekommt eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG. Elf Tage später erhalten auch seine Frau und die Kinder den Flüchtlingsstatus.

Flüchtlinge im Verschiebebahnhof EU;

Pro Asyl

 

13. September 06

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Im Flüchtlingsheim in der Kölner Vorgebirgstraße erscheinen Polizeibeamte und durchsuchen die Wohnung der Roma-Familie S. Als sie dabei den Reisepaß von Herrn S. finden, erklären sie ihm, daß er jetzt abgeschoben wird. Herr S. gerät in Panik, weil er denkt, daß er sofort in Abschiebehaft kommt und von seiner Frau und seinen acht Kindern (1½ bis 17 Jahre alt) getrennt wird. Einer der Polizisten höhnt: "So, jetzt geht's ab nach Jugoslawien" und holt die Handschellen heraus. In Panik springt Herr S. aus dem Fenster der im zweiten Stock gelegenen Wohnung. Bei dem Sturz aus vier Metern Höhe fällt er auf die Betoneinfassung eines Gitterfensters zum Keller an der Stirnseite des Hauses. Er bricht sich beide Schienbeine und verletzt sich an der Schulter. Obwohl aus seiner Hose zwei gesplitterte Knochen herausragen und er offensichtlich bewegungsunfähig ist, traktieren ihn die heruntergeeilten Polizisten zunächst mit Pfefferspray und treten mindestens einmal auf ihn ein. Der Schwerverletzte brüllt vor Schmerzen.

    Herr S. kommt ins Universitätskrankenhaus und wird umgehend operiert. Nach vierwöchiger Behandlung erfolgt seine Verlegung ins Gefängniskrankenhaus Fröndenberg.

    Am 18. Januar 2007 soll er –  noch im Rollstuhl sitzend – ohne seine Familie nach Montenegro abgeschoben werden. Die Abschiebung an diesem Tag kann dadurch verhindert werden, daß die Familie einen "Teilerfolg" aushandelt. Sie erklärt sich bereit, "freiwillig" auszureisen, wenn sie erstens zusammenbleiben kann und zweitens Herr S. weitgehend gesund geworden ist. In Montenegro hätte Herr S. als Rom keine Chance auf eine medizinische Versorgung, und die schulische Ausbildung der Kinder würde abrupt unterbrochen. Die Abschiebung wird um einige Monate verschoben.

Rundbrief des Rom e.V. Nr.2 (September 2006);

Rom e.V. 18.1.07

 

13. September 06

 

Der anerkannte politische Flüchtling Dervis Orhan wird in seiner Berliner Wohnung verhaftet. Aufgrund eines Auslieferungsbegehrens der Türkei kommt er in die JVA Moabit. Ein Auslieferungsbefehl existiert nicht. Das Berliner Kammergericht äußert sich später dazu, daß es keines ausdrücklichen Beschlusses bedürfe; es genüge eine faktische Anordnung und das Ausfüllen des Formulars.

    Dies geschieht, obwohl ein für die Polizei tätiger Arzt kurz vorher festgestellt hat, daß im Falle einer Inhaftierung mit schweren psychischen Krisen des Betroffenen zu rechnen sei und dem Bereitschaftsrichter Atteste der psychotherapeutischen Beratungsstelle XENION und eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eines Amtsarztes der Arbeitsagentur vorgelegt wird.

    Das Auslieferungsbegehren der Türkei bezieht sich auf dasselbe Urteil eines türkischen Militärgerichts, aufgrund dessen dem PKK-Aktivisten im Jahre 2005 in der BRD Asyl gewährt wurde.

    Dervis Orhan war in den 90er Jahren wegen Mitgliedschaft in der PKK zu einer lebenslangen Haft verurteilt worden. Er hat 11 Jahre in türkischen Gefängnissen verbracht – drei davon in Einzelhaft. Er ist mehrfach schwer gefoltert worden, beim ersten Mal war er 16 Jahre alt. Durch lange

Hungerstreiks gegen die Haftbedingungen (bis zu 150 Tage mit Unterbrechungen) und durch den damit verbundenen Vitamin B1-Mangel bekam er schwere Gehirnveränderungen (Wernicke-Korsakow-Syndrom). Aus diesem Grunde wurde er im Jahre 2003 vorübergehend aus der Haft entlassen und nutzte dies zur Flucht in die BRD. Dervis Orhan leidet heute noch an einer schweren Posttraumatischen Belastungsstörung, die ihn im Alltag schwer behindert.

    Unmittelbar nach seiner Festnahme in Berlin beginnt der 37-Jährige einen Durst- und Hungerstreik. Die Anstaltsleitung reagiert mit verschärften Haftbedingungen. Vom Vormittag des 14. bis zum Mittag des 18. September ist Dervis Orhan im sogenannten Kriseninterventionsraum der JVA Moabit – einem Kellerraum der dortigen Krankenhausabteilung – an beiden Beinen und der rechten Hand in Rückenlage mit metallenen Fesseln an die Pritsche gefesselt. Auch für den Gang zur Toilette werden seine Fesseln nicht entfernt. Es dauert zudem fünf Tage, bis sein Anwalt zu ihm gelassen wird.

    Als Herr Orhan am 19. September von einem Anstaltsarzt erstmalig untersucht wird, stellt dieser fest, daß durch die Inhaftierung eine schwere Retraumatisierung (Dekompensation) eingetreten ist und ein lebensbedrohlicher Zustand kurzzeitig erreicht ist. Wegen Haft- und Verwahrunfähigkeit wird er entlassen und kommt danach umgehend in ein Krankenhaus, wo er weiter versorgt wird.

    Im Beschluß vom 10. Januar 2007 erklärt das Berliner Kammergericht das türkische Auslieferungsersuchen für unzulässig, weil offensichtliche Zweifel an der Fairneß und Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens des Staatssicherheitsgerichtes der Türkei bestehen und weil Herr Orhan dauerhaft haftunfähig ist. Die Fesselungen des Gefangenen hält es allerdings für rechtmäßig. Gegen diesen Beschluß legt Herr Orhan Verfassungsbeschwerde ein.

    Am 16. September 09 stellt das Bundesverfassungsgericht Karlsruhe fest, daß die Inhaftierung ohne einen richterlichen Beschluß des Kammergerichts rechtswidrig war.

    Fünf Jahre nach der Beschwerde wegen der Mißhandlungen in Gefangenschaft, am 8. September 11 legt der Berliner Verfassungsgerichtshof dem Kammergericht schwerste Verletzungen seiner Aufklärungs- und Prüfungspflichten zur Last. Eine derartige und tagelange Fesselung sei nicht nur eine schwerwiegende Verletzung des Freiheitsgrundrechts, sondern auch eine nicht zu rechtfertigende Mißachtung der Menschenwürde. Das Verfassungsgericht verweist die Sache zur erneuten Entscheidung an das Kammergericht und hält die Befassung eines anderen Senats für angezeigt.

    Die juristische Aufarbeitung des Falles ist auch im Februar 2012 noch nicht beendet.

taz 21.9.06;

Direkte Aktion 29 Nr. 178 November/Dezember 06;

Anerkannte Flüchtlinge in Auslieferungshaft – AZADI;

Jahresbericht über den Anarchismus in der Türkei;

political-prisoners.net 2.7.07;

Thomas Moritz – Rechtsanwalt

 

14. September 06

 

Bundesland Saarland. Der kurdische Flüchtling Sirac Ö. wird in Saarbrücken verhaftet und in Auslieferungshaft genommen.    In seinem Falle hatte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge im Jahre 2003 Abschiebungshindernisse gemäß § 51 Abs. 1 Ausländergesetz festgestellt, weil Sirac Ö. bei einer Rückkehr in die Türkei mit Mißhandlung oder Folter zu rechnen habe. Die türkischen Behörden werfen ihm Unterstützung der PKK vor und beziehen sich hierbei auf angeblich gemachte Aussagen von mutmaßlich in bestimmte Straftaten verwickelte Aktivisten, die als "flüchtige Angeklagte" auf der Fahndungsliste geführt werden.

Anerkannte Flüchtlinge in Auslieferungshaft – AZADI

 

15. September 06

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Um 0.17 Uhr wird die Polizei zur Flüchtlingsunterkunft in der Bünder Straße in Löhne gerufen. Die Beamten finden Scherben einer Kornflasche und Steine im Hinterhof des Gebäudes. Die Täter haben offenbar die Scheiben des Heimes mit Steinen und einem Molotow-Cocktail beworfen. Da die Scheiben den Würfen jedoch standhalten, kommen auch dieses Mal die Bewohner mit dem Schrecken davon.

    Es ist der zweite Anschlag auf das Heim innerhalb von drei Wochen. Die Polizei vermutet einen Streit in der Drogenszene als Hintergrund für die Anschläge – hierfür gibt es allerdings "noch keine weitergehenden Erkenntnisse", so der Polizeisprecher. (siehe auch: 22. August 06)

NW 24.8.06; NW 31.8.06; taz 1.9.06;

NW 23.9.06

 

17. September 06

 

Guben in Brandenburg. Ein indischer Flüchtling, der sich in Begleitung seiner Freundin befindet, wird von vier behelmten Motorradfahrern angegriffen. Drei Männer halten ihn fest und ein vierter schlägt zu. "Scheiß Kanake" hört er, und dann nimmt ihm der Schläger das Handy weg.

    Als er es zurückverlangt, zieht der Angreifer ein Messer und versucht, den Flüchtling damit am Hals zu treffen.

(siehe auch: 24. April 06)

Opferperspektive

 

18. September 06

 

Pinneberg in Schleswig-Holstein. Nach einem von der Ausländerbehörde geforderten Untersuchungstermin bei einer sogenannten "Vertragsärztin" verschlechtert sich der Gesundheitszustand der Georgierin Frau T. eklatant, und sie versucht sich zu töten. Daraufhin kommt sie ins Regio-Klinikum Elmshorn zur stationären psychiatrischen Behandlung.

    Die Frau befindet sich bereits seit ihrer Ankunft in der Bundesrepublik in psychiatrischer Behandlung. In einer Stellungnahme der Fachärztin aus dem Klinikum Elmshorn vom 10. Juni werden eine Posttraumatische Belastungsstörung, cerebrale Krampfanfälle (Epilepsie) und schwere depressive Störungen diagnostiziert – bei einer Abschiebung sei mit schweren gesundheitlichen Schäden zu rechnen.

    Die von der Ausländerbehörde bestellte "Vertragsärztin" Frau G. erstellt ihr Gutachten am 23. Juni allerdings ausschließlich über die Befragung der Mutter von Frau T. mit dem Ergebnis: Flugreisefähigkeit in ärztlicher Begleitung.

    Tatsächlich ist es so, daß Frau T. völlig belastungsunfähig ist und von ihren Eltern betreut wird.

    Die Ausländerbehörde Pinneberg verschickt für den

1. Februar 2007 einen erneuten Untersuchungstermin zur Prüfung der Flugfähigkeit von Frau T. Schon beim Lesen dieses Briefes bekommt sie einen epileptischen Anfall. In ihrer großen Angst vor dem Termin bittet sie einen Flüchtlingsberater, als Beistand mitzukommen. Die "Vertragsärztin" verweigert die Untersuchung in Anwesenheit des Beistands, wodurch die Untersuchung nicht stattfindet. In ihrer Stellungnahme bescheinigt sie wie auch schon vorher: "Lufttransportfähigkeit mit ärztlicher Begleitung."

Diakonieverein Migration – Pinneberg

 

18. September 06

Hamburger Flughafen Fuhlsbüttel. In den Abendstunden wird hier eine europaweite Sammelabschiebung durchgeführt, die erste, deren Organisation in deutscher Hand liegt. Sie wurde unter großer Geheimhaltung vorbereitet.

    13 Flüchtlinge aus Hamburg, 12 aus anderen Bundesländern, jeweils zwei aus der Schweiz, aus den Niederlanden, Malta und ein Flüchtling aus Frankreich sollen nach Guinea, Togo und Benin abgeschoben werden.

    Mit im Flugzeug sind Vertreter der Hamburger Ausländerbehörde und der Polizeiführung, Dolmetscher, Polizisten, Sanitäter und Beobachter der europäischen Grenzschutzbehörde FRONTEX und offizielle Beobachter aus Frankreich, den Niederlanden, Malta, der Schweiz, Polen, Österreich, Tschechien und Italien.

    Um sieben Uhr abends beobachten einige Flüchtlinge im Terminal, wie ein schreiender Afrikaner von Polizisten zu Boden gedrückt wird. Später sitzt er mit einer Platzwunde am Kopf im Flugzeug.

    Um 23.00 Uhr startet die Hello mit der Flugnummer FHE 6842 ihren Flug nach Afrika.

HA 19.9.06;

Zeit Magazin Leben Nr 3 – 21.1.08;

Hamburgische Bürgerschaft DS 18/5027

 

18. September 06

 

Sammelabschiebeflug vom Flughafen Hamburg Fuhlsbüttel. Im Flugzeug befindet sich der 28-jährige H. B. aus Niger, der unter starken Kopfschmerzen leidet. In den frühen Morgenstunden, als Polizisten ihn aus der Zelle der Abschiebehaft holten, war er heftig geschlagen und schließlich zu Boden geworfen worden. Beim Fesseln hatte er die Stiefel der Beamten in seinem Nacken gespürt.

    Vor einer Woche, als er seine Duldung verlängern lassen wollte, hatte ihn der Sachbearbeiter der Ausländerbehörde mit den Worten "Game over" begrüßt, und er war in Abschiebehaft gekommen. Durch die Abschiebung wird er von seiner deutschen Verlobten getrennt. Ihre Heirat war in Vorbereitung.

    Ein knappes Jahr später befindet sich H. B. wieder in Hamburg. Seine Verlobte war ihm drei Wochen nach der Abschiebung nachgereist, sie hatten in Niamey (Niger) im Kreise von H.'s Familie geheiratet, und es war ihnen gelungen, gegen eine Anzahlung von 3000 Euro bei der Ausländerbehörde Hamburg eine Wiedereinreise zu erreichen. Offen sind jetzt noch ca. 7000 Euro, die die Abschiebung von H. gekostet haben soll.

Zeit Magazin Leben Nr 3 – 21.1.08

 

18. September 06

 

Bundesland Hessen. Morgens um 5 Uhr erscheinen Polizisten in der Schulstraße 8 im Marburger Vorort Cölbe, um die 11-köpfige Familie Kpakou nach 13 Jahren Deutschland-Aufenthalt abzuschieben. Die Familie bekommt 30 Minuten Zeit, um die Koffer zu packen. Bei dieser Maßnahme wird die Familie von der Behörde gewaltsam und beabsichtigt getrennt.

    Der Vater, Christopher Kpakou, wird mit den vier volljährigen und zwei minderjährigen Kindern nach Hamburg gebracht, wo eine Sammelabschiebung von Flüchtlingen aus verschiedenen europäischen Ländern nach Westafrika vorbereitet wird (Flug FHE 6842).

    Aufgrund der gefährlich hohen Blutdruck-Werte stoppt ein Polizei-Arzt die Abschiebung von Herrn Kpakou. Die Abschiebung seiner Kinder erfolgt trotzdem ungebremst. Rebecca, Celestine, Belinda, Joyce, Richie und Kokou sind damit endgültig von beiden Eltern getrennt.

    Rejoyce De Souza-Kpakou, die Mutter der Kinder, wird mit dem jüngsten, 6-jährigen Sohn Panajotis, mit ihrer 22-jährigen Tochter Rejoice und ihrem 2-jährigen Enkelkind Naomi, der Tochter ihrer ältesten Tochter Gertrud, zu einem Linienflug nach Frankfurt transportiert. Der Widerstand, den die beiden Frauen am Flughafen Frankfurt den Bundespolizisten entgegensetzen, veranlaßt den Piloten der Linienmaschine, ihre Mitnahme zu verweigern. Die Frauen kommen in Abschiebehaft, die Kinder zunächst in ein Kinderheim – später in eine Pflegefamilie.

    Zwei Tage nach der Abschiebung seiner Kinder erwacht Christopher Kpakou nach einem Ohnmachtsanfall im Univer-

sitätsklinikum Marburg-Lahnberge. Er liegt auf dem Gang, sieht das Fenster und versucht, sich hinunterzustürzen. Er kommt in die Psychiatrie ins nahe Ortenberg.

    Am 2. Oktober um 5.30 Uhr werden der 6-jährige Sohn von Frau De Souza-Kpakou und die 2-jährige Enkelin von drei Beamten aus der Pflegefamilie abgeholt und zum Frankfurter Flughafen gebracht. Hier begegnen sie ihren Müttern wieder, die – beide in Handschellen – direkt aus der Abschiebehaft kommen. Um 8.00 Uhr hebt eine offenbar ausschließlich für die vier Personen gecharterte Maschine vom Rhein-Main-Flughafen in Richtung Lomé ab.

    In Deutschland bleibt einzig der Vater, der nach seinem Suizidversuch nicht reisefähig ist. Als er erfährt, daß auch seine Frau, sein kleiner Sohn, seine Tochter und sein Enkelkind abgeschoben wurden, unternimmt er einen zweiten Selbsttötungsversuch, bei dem er sich mit einem Messer an Kopf und Bauch Verletzungen zufügt. Er kommt daraufhin zur stationären Behandlung in die psychiatrische Abteilung der Universitätsklinik Marburg.

    Die abgeschobenen Kinder berichten, daß sie bei einem Freund ihres Vaters, einem 73-jährigen Mann, in einem 15 qm großen Zimmer untergekommen sind, wo sie mit fünf Erwachsenen leben. Sie schlafen zu dritt auf einer feuchten Matratze in einer winzigen Kammer mit Lehmboden und undichtem Dach. Sie bekommen alle Durchfall vom trüben Brunnenwasser und eitrigen Ausschlag von den Milben aus der Matratze. Und sie bekommen Malaria. Die 300 €, die eine Angestellte der Deutschen Botschaft ihnen nach der Landung für Impfungen (!) gegeben hatte, wurden ihnen von ihrem "Onkel" abgenommen.

    Belinda, 17 Jahre alt und in Deutschland aufgewachsen, geht in ihrer Not zur Deutschen Botschaft und bittet um Hilfe. Die Antwort: "Du bist in Deiner Heimat .... finde dich damit ab. Wenn du dich beschweren willst, wende dich an deinen Sachbearbeiter in der Ausländerbehörde Gießen."

    Drei Monate später halten die Kpakous es bei dem "Onkel" nicht mehr aus und ziehen in ein kleines Haus, in dem sie zu zehnt leben.

    Zwei Jahre nach der Abschiebung ist die Familie fast zerfallen. Christopher Kpakou lebt schwerstkrank und an der Situation der Trennung von der Familie zerbrechend in einer Einzimmerwohnung in Cölbe. Seine Frau Rejoyce wurde von Angehörigen verstoßen, weil sie ohne Geschenke und völlig verarmt nach Afrika zurückkam. Sie zog mit den jüngeren Kindern und Richie nach Ghana. Hier wird Englisch gesprochen, und sie erhofft sich für die Kinder nicht so große Schwierigkeiten in der Schule. Die älteren Kinder bleiben in Lomé. Ohne Französisch oder die Stammessprache zu sprechen, von den Eltern getrennt, ohne Geld und mit dem Trauma der abrupten Trennung von ihren FreundInnen und NachbarInnen fällt es ihnen schwer, sich zurechtzufinden.

    Allein durch die finanzielle Unterstützung von FreundInnen und UnterstützerInnnen in Cölbe kann die Familie in Togo und Ghana überleben. Die deutschen FreundInnen bezahlen die Miete, den Strom, das Essen und die Ausbildungsplätze der Kinder. So können Celestine, Rejoice und Rebecca den Beruf der Näherin, Gertrud das Friseurhandwerk und Kokou Automechanik erlernen, und Richie und die kleineren Kinder können weiter zur Schule gehen. Die mittlerweile 18-jährige Belinda, die die Lebenssituation in Lomé nicht mehr erträgt, ist eines Tages ohne Abschied und ohne Nachricht verschwunden. Sie besucht kurz ihre Großmutter im ghanaischen Keta, verschwindet auch dort und verabschiedet sich von ihrem Bruder Kokou telefonisch mit den Worten, sie sei jetzt in Nigeria sei, und sie nicht mehr nach ihr suchen sollen.

    Christopher Kpakou, der einst als politisch Verfolgter kam, ist jetzt im Besitz einer vorläufigen Aufenthaltserlaubnis nach der Altfallregelung. Sollte dieser Status gefestigt werden, dann könnte seine Frau mit den beiden minderjährigen Kindern theoretisch in die BRD zurückkommen. Voraussetzung wäre dafür, daß der mittlerweile schwerkranke und arbeitsunfähige Herr Kpakou die Abschiebekosten der Familie bezahlt. Diese belaufen sich allein für diese drei Personen auf 39.000 Euro – eine Summe, die zur Zeit weder Herr Kpakou noch der Freundeskreis aufbringen können.

    Die Klage der Familie gegen die Festsetzung dieser Abschiebekosten für drei Familienmitglieder wird vom Verwaltungsgericht Gießen negativ entschieden. Als ein Grund hierfür wird die fehlende Postanschrift in Afrika angeführt. Die Familie geht in Berufung.

    Erst im Dezember 2010 bekommt Herr Kpakou nach langen Bemühungen seiner Anwältin aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes eine Aufenthaltserlaubnis, so daß die Bedrohung durch eine Abschiebung nicht mehr besteht.

    Dem Kreis der UnterstützerInnen der Familie Kpakou in Deutschland gelingt es auch vier Jahre nach der Abschiebung, die Abgeschobenen und Herrn Kpakou weiter zu untersützen.

    Frau Rejoyce De Souza-Kpakou, die mit ihrer Tochter Gertrud, ihrem Enkelkind Naomi und den Söhnen Kakou, Richie und Panajotis in Accra (Ghana) lebt, konnte einen kleinen Laden eröffnen, der ihnen den Lebensunterhalt sichern soll. Trotzdem müssen die Schul- und Ausbildungsgelder für alle Kinder vom UnterstützerInnenkreis aufgebracht werden. Gertrud hat ihre Friseurlehre inzwischen erfolgreich beendet, eine Anstellung gefunden und ist damit nicht mehr von den Spenden abhängig.

OP 19.9.06; OP 20.9.06; OP 21.9.06; OP 22.9.06; OP 25.9.06;

MNZ 25.9.06; Pro Asyl 27.9.06; ngo-online 27.9.06;

MNZ 28.9.06; OP 28.9.06; OP 4.10.06; GA 4.10.06;

Abschiebungsbeobachtung FFM 2007;

Zeit-Magazin Leben Nr 3 – 21.1.08;

taz 17.12.08; ZDF "Die Weggeworfenen" 18.12.08; SD 27.3.09;

Internationaler Kontaktkreis Asyl;

www.familie-kpakou.net;

www.familie-kpakou.blogspot.com

 

23. September 06

 

Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. In einer Diskothek in Schwerin-Süd wird ein afrikanischer Asylbewerber von einem Mann angegriffen und im Gesicht verletzt.

LOBBI

 

24. September 06

 

Bernburg in Sachsen-Anhalt. Ein 36 Jahre alter Flüchtling aus Burkina Faso wartet am Abend vor einer besetzten Telefonzelle, als ihn plötzlich die Frau in der Zelle anschreit, mehrfach als "Scheiß Neger" bezeichnet und ihn auffordert zu verschwinden. Als der Betroffene geht, verspürt er einen plötzlichen Schmerz im Rücken, dreht sich um und sieht, wie die Frau einen zweiten Stein aufhebt, um auch diesen auf ihn zu werfen. Dieser Stein verfehlt sein Ziel, und als ein dritter Stein aufgehoben wird, fordert er die Frau auf, es zu unterlassen, und schlägt ihr mit der flachen Hand ins Gesicht, um die Attacke zu unterbinden. Dann nimmt er die beiden Steine mit und geht weg.

    Wenige Stunden später suchen Polizisten den Afrikaner in seiner Unterkunft auf und befragen ihn zu dem Vorfall, weil die Angreiferin inzwischen Anzeige gegen ihn erstattet hat. Er zeigt den Beamten die zwei Steine, die auf ihn geworfen wurden und die Verletzung des Rückens, die durch den Steinwurf entstanden ist. "So was passiert eben", erwidern die Beamten.

    Als der 36-Jährige zwei Tage später zu einer Anhörung wegen einer rassistischen Beleidigung vom 29. Juni (siehe auch dort) im Polizeirevier Bernburg ist, stellt sich heraus, daß wegen der Körperverletzung durch die Steinattacke bis dato keine Ermittlungen von Amts wegen eingeleitet sind. Erst jetzt nimmt ein Staatsschützer der Direktion Dessau die Anzeige des Flüchtlings auf.

    Am 19. Mai 2008 steht der Flüchtling selbst wegen des Vorwurfs der gefährlichen Körperverletzung vor Gericht. Dieses Verfahren wird am 11. August eingestellt. Stattdessen wird Anklage gegen die Angreiferin erhoben.

TS 14.6.07; ap 14.6.07;  ddp 14.6.07;

ad-hoc-news.de 14.6.07;

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

1. Oktober 06

 

Flughafen Frankfurt am Main. Es ist der zweite Versuch der Behörden, den 35 Jahre alten F. M. nach Afghanistan abzuschieben. Zwei Polizisten führen ihn gegen 18 Uhr die Treppe zu einer Maschine der Pakistan International Airlines hinauf, doch bevor er oben von zwei Flüchtlingsbegleitern in Empfang genommen werden kann, springt er über die Brüstung und fällt aus fünf Metern Höhe auf den Beton. Mit zersplitterten und gebrochenen Fuß- und Fußgelenksknochen bleibt er liegen und kommt mit dem Notarztwagen ins Krankenhaus. "Ich wollte mich umbringen", sagt er hier einer Journalistin.

    Da er seine Selbsttötungsabsichten weiterhin äußert, wird er nach der operativen Behandlung von der Orthopädischen Universitätsklinik Frankfurt in das Klinikum Höchst überwiesen – zunächst für fünf Tage in die geschlossene Abteilung, danach wird er in andere Stationen verlegt. Erst am 23. November 2006 kommt er zurück in seinen Wohnort. Eine Rehabilitationsbehandlung wird vom Sozialamt Lippe abgelehnt. Herr M. sitzt im Rollstuhl, den er erst im Sommer 2007 gegen einen Rollator und Gehhilfen austauschen kann.

    F. M. war vor fünf Jahren in die BRD geflohen, nachdem seine Eltern bei einem Bombenangriff gestorben waren und auch sein Bruder das Land verlassen hatte.

    Er wohnte in der Flüchtlingsunterkunft einer kleinen Ortschaft in Nordrhein-Westfalen und hatte zwei Jahre lang eine Arbeit, wodurch er seinen Unterhalt selbst finanzieren konnte.

    Im April 2006 bekam er die Ablehnung seines Asylantrags und floh aus Angst vor der Abschiebung nach Italien. Als er dort auch einen Antrag stellen wollte und von einem Dolmetscher hörte, daß dies nicht möglich wäre, fuhr er zurück nach Deutschland. Vor dem Bahnhof von Offenbach stellten ihn zwei Polizisten, überprüften die Papiere und nahmen ihn fest. Er kam in Abschiebehaft nach Mannheim.

    Als er das erste Mal am 8. oder 9. September ausgeflogen werden sollte, und – an den Händen gefesselt – aus dem Polizeiwagen stieg, hatte er gesagt: "Ich gehe überhaupt nicht. Ich will mich umbringen." Die Beamten ließen ihn wieder einsteigen und brachten ihn zurück in die JVA Mannheim.

    Im November 2007 bekommt F. M. einen Brief von der Bundespolizei Mitte. Es ist eine Rechnung über 122,50 €

 "Heilungskosten" und 2216,25 € "Dienstbezüge für die vorfallsbedingte Dienstunfähigkeit vom 02.10.06 – 20.10.06" für einen Beamten, der sich beim Sprung von Herrn M. "eine Prellung der Brustwirbelsäule/Lendenwirbelsäule, eine Zerrung im rechten Schulterbereich sowie eine Prellung des rechten Unterarmes" zugezogen habe.

FR 21.11.06; Pro Asyl 23.11.06;

Spiegel 25.12.06;

FRat BaWü Rundbrief 3/2007;

Antirassistische Initiative Berlin

 

5. Oktober 06

 

Bundesland Sachsen. Ein 28 Jahre alter Flüchtling aus Tschetschenien erhängt sich in einem Heim, in dem er vorübergehend untergebracht worden ist.

    Die Ungewißheit seines Asylverfahrens – seit dreieinhalb Jahren wartete er auf die Erstentscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge – und die Isolation an einem Ort, an dem die Mitglieder seiner Familie die einzigen tschetschenischen Flüchtlinge waren, hatten den ohnehin bestehenden psychischen Druck durch Kriegserlebnisse und Heimatverlust so verschärft, daß dies sich auch auf seine familiäre Situation auswirkte.

    Der Mann hinterläßt seine Frau und vier Kinder – das jüngste ist wenige Monate alt.

Deutsch-Kaukasische Gesellschaft

 

5. Oktober 06

 

Bundesland Baden-Württemberg. Die 34 Jahre alte Kosovo-Albanerin Zejnep O. wird mit ihrer 7-jährigen Tochter und dem 3-jährigen Sohn früh morgens aus ihrer Mannheimer Wohnung von der Polizei abgeholt und festgenommen. Die unter Posttraumatischen Belastungsstörungen leidende Frau bricht völlig zusammen. Sie wird trotzdem umgehend nach Prizren abgeschoben.

    Zejnep O. war 1999 aus dem Kosovo in die BRD geflohen, nachdem ihr Vater und ihr Großvater umgebracht worden waren. Sie selbst erlebte auf einem Flüchtlingstreck Mißhandlungen und Vergewaltigungen, die sie schwer traumatisierten. Die Kinder der alleinstehenden Frau wurden in Deutschland geboren.

    Schon der erste Abschiebeversuch, der auf dem Flughafen durch einen Eilantrag des Rechtsanwaltes gestoppt werden konnte, verschlechterte den Gesundheitszustand von Frau O. immens. Der zweite Abschiebeversuch wurde von der UNMIK zurückgewiesen, weil dort den Attesten des behandelnden Arztes und des psychosozialen Zentrums der Universität Heidelberg geglaubt wurde.

    Nach der Abschiebung ist Frau O. überhaupt nicht in der Lage, ihre Situation zu realisieren. Sie ist völlig alleine und irrt herum. Auch die Rückkehr in den Ort ihrer Kindheit ist nicht möglich, weil sie als Mutter von unehelichen Kindern Schande für die sie eventuell aufnehmende Familie bedeuten würde.

    In Peja trifft sie zufällig auf Familie B., mit der sie weitläufig verwandt ist. Die Eheleute B. sind bereit, sie in ihr Haus aufzunehmen, was einen gewaltigen Kraftakt für alle bedeutet. Das Haus hat eine Gesamtfläche von 35 Quadratmetern, in denen die Eheleute B. mit ihren sieben Kindern ohnehin beengt leben. Da der strenge Sittenkodex auch in diesem Dorf gilt, muß Herr B. als Gastgeber im größeren der beiden Zimmer alleine schlafen und die anderen elf Personen im kleineren Zimmer. Zudem besteht bei allen die Angst, daß bekannt wird, daß Zejnep O. nicht verheiratet ist. An dieser Situation hat sich auch im Januar 2007 noch nichts geändert.

FRat BaWü Rundbrief 1/2007; StZ 5.2.07

 

11. Oktober 06

 

BewohnerInnen aus dem niedersächsischen Flüchtlingslager Blankenburg bestreiken heute bereits seit sieben Tagen die Essensannahme. Sie protestieren gegen das schlechte Fertigessen, die mangelnde medizinische Versorgung und die menschenverachtende Behandlung im Lager. Sie fordern Geld- statt Sachleistungen, um sich selbst versorgen zu können. Viele haben überhaupt kein Bargeld – andere bekommen maximal 38,18 Euro pro Monat.

    Die Situation im Lager ist angespannt. Nicht zuletzt, weil die Lagerleitung jetzt fast täglich die Polizei ruft. Heute fahren 20 Einsatzwagen vor, und Polizisten mit Hunden fordern die Lagerinsassen auf, in ihre Zimmer zu gehen. Der Flüchtling Mustafa A. weigert sich und wird daraufhin von drei Beamten an seiner Kleidung gepackt, um ihn in eines der Einsatzfahrzeuge zu schleppen. Mustafa A. beginnt zu

schreien, entledigt sich seiner Kleidung und versucht zu fliehen. Jetzt wird er allerdings von zehn Beamten festgehalten, und ihm werden Hand- und Fußschellen angelegt. Als er sich an der Tür des Polizeifahrzeugs festhält, beginnen die Beamten, mit Schlagstöcken auf ihn einzuschlagen, werfen ihn zu Boden und zerren ihn dann in das Wageninnere.

    Zwei weitere Bewohner, die eine Auseinandersetzung miteinander hatten, werden ebenfalls mitgenommen. Einer von ihnen wird nach Braunschweig und Mustafa A. nach Bramsche umverteilt.

Antirassistisches Plenum Oldenburg

 

17. Oktober 06

 

Warendorf in Nordrhein-Westfalen. Das tamilische Ehepaar Menaka und Kiddinan Thadchanamoorthy wird in Abschiebehaft genommen. Während Herr Thadchanamoorthy direkt in die JVA Büren gebracht wird, kommt seine Frau, die infolge von Mißhandlungen in Sri Lanka an einer Posttraumatischen Belastungsstörung leidet, in das Gefängniskrankenhaus der JVA Fröndenberg. Damit werden die Eltern von ihren drei kleinen Kindern gewaltsam getrennt.

    Der 6-jährige Apsian, die 3-jährige Apirami und die acht Monate alte Apinaeja (sie wird von ihrer Mutter noch gestillt) werden der Verantwortung des Kreisjugendamtes Warendorf übergeben. Ein Besuch der Kinder bei ihren inhaftierten Eltern wird behördlicherseits nicht erlaubt.

    Herr Thadchanamoorthy war vor zwölf Jahren in die BRD eingereist und hatte Asyl beantragt. Dieser Antrag wie auch der seiner Frau, die 1999 nach Deutschland kam, und die Anträge der Kinder wurden allesamt abgelehnt.

    Am 25. Oktober wird die Familie über Frankfurt nach Colombo (Sri Lanka) abgeschoben – dem Vernehmen nach in Begleitung einer Ärztin oder eines Arztes.

    Nachdem Herr Thadchanamoorthy die Familie über lange Zeit durch seine Arbeit selbst unterhalten konnte, bekommen sie jetzt bei der Abschiebung 100 Euro und ein Visum in die Hand gedrückt. Ihre persönliche Habe, Kleidung, notwendige Medikamente und vor allem ihre Personalpapiere und die Geburtsurkunden der in Warendorf geborenen Kinder werden ihnen vorenthalten. Die jüngste Tochter, die unter Asthma-

Anfällen leidet und in Deutschland bisher in medizinischer

Behandlung war, hat jetzt keine Medikamente mehr. Alle Kinder werden ohne den notwendigen Impfschutz abgeschoben.

    Ohne Ausweispapiere kann sich die Familie in dem Bürgerkriegsland Sri Lanka nicht registrieren lassen. Ein Aufenthalt in Colombo ist lebensbedrohlich, weil sie bei Straßenkontrollen durch das Militär unter den Verdacht geraten können, Mitglieder oder Unterstützer der tamilischen Rebellen zu sein. Davon abgesehen reichen die 100 Euro für die Familie in einer heruntergekommenen Herberge für 14 Tage. Dann müssen sie weg, weil sie kein Geld mehr haben. Sie sind auf sich allein gestellt; ihre Angehörigen leben verstreut in europäischen Ländern oder wurden im Bürgerkrieg massakriert.

    Im September 2007 gibt es die Nachricht von der Familie, daß es vor allem Frau Thadchanamoorthy und dem

7-jährigen Apsian psychisch sehr schlecht gehe. Die für die Arbeitssuche wichtigen Ausweispapiere sind immer noch nicht bei der Familie angekommen, so daß Herr Thadchanamoorthy keine Arbeit suchen kann. Die durch Handarbeiten von Frau Thadchanamoorthy erwirtschafteten 30 Euro im Monat reichen zum Leben nicht aus, so daß finanzielle Hilfe von deutschen UnterstützerInnen weiterhin notwendig ist.

    Am 30. April 2008 wird Herr Thadchanamoorthy auf offener Straße verhaftet und kommt ins Gefängnis, weil er keine Identitätskarte vorlegen kann. Zwölf Tage später wird er entlassen.

ai 23.10.06;

Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren 9.11.06;

GWR Dezember 06; WN 27.9.07;

abgeschoben-waf.de

 

26. Oktober 06

 

Bundesland Bayern. In der JVA Stadelheim erhängt sich der 32 Jahre alte Flüchtling Asseged Admaso. Obwohl er schnell gefunden wird und reanimiert werden kann, erliegt er drei Tage später seinen Verletzungen im Kreiskrankenhaus Perlach.

    Den Grund für die Selbsttötung sehen Freunde und UnterstützerInnen in einem kurz zuvor übergebenen Brief von der Ausländerbehörde, bei dem es sich wahrscheinlich um eine schriftliche Anhörung zur Abschiebung gehandelt hat.

    Herr Admaso hatte am Abend des 16. September einem äthiopischen Mitbewohner im Flüchtlingsheim Dachau während eines heftigen Streites ein Küchenmesser in den Bauch gerammt. Am nächsten Tag stellte er sich der Polizei und befand sich seither in Untersuchungshaft. Ihn plagten schwere Schuldgefühle. Auch die Tatsache, daß der durch den Messerstich Verletzte überlebt hatte und auf dem Weg der Besserung war, konnte ihn nicht beruhigen, so der Pfarrer der äthiopisch-orthodoxen Gemeinde, der ihn einmal besuchen durfte.

    Asseged Admaso war mit einer Deutschen verlobt und hatte bis dato als Küchenhilfe gearbeitet.

Polizei Fürstenfeldbruck 17.9.06;

SZ 2.11.06; SZ 4.11.06;

Antirassistische Initiative Berlin

 

31. Oktober 06

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Morgens um 7 Uhr wird die afghanische Familie M., die seit fünf Jahren in der Gemeinde Olsberg im Hochsauerlandkreis lebt, von der Polizei zur Abschiebung aus der Wohnung geholt. Noch am

5. Oktober war ihre Duldung für sechs Monate verlängert worden. Da die Eheleute Arbeit haben, hatten sie auch eine Aufenthaltserlaubnis beantragt und die dafür nötigen Gebühren bezahlt.

    Der Flug mit den Eltern und den drei Kindern im Alter von ein, drei und zehn Jahren endet in Islamabad in Pakistan. Als sich Herr M. von dort beim Diakonischen Werk in Meschede telefonisch meldet, berichtet er, daß sie alle erkrankt sind und es den Kindern besonders schlecht gehe. Er plane nun die Weiterreise in den Iran.

    Diese Abschiebung ist die bundesweit erste Abschiebung von afghanischen Flüchtlingen. Sie findet völlig unbemerkt von der Öffentlichkeit statt.

FRat NRW Schnellinfo 17.1.07;

Abschiebungsbeobachtung FFM 2007

 

31. Oktober 06

 

Koblenz in Rheinland Pfalz. Um 6.45 Uhr fahren Polizeifahrzeuge vor die St.-Peter-Kirche im Stadtteil Neuendorf. Ca. 30 Beamte in Zivil und Uniform sind dafür abgestellt, die dort seit einigen Tagen lebende kurdische Familie Yildirim aus dem Kirchenasyl herauszuholen, um sie nach zehn Jahren Deutschland-Aufenthalt in die Türkei abzuschieben. Die 34-jährige Nafiye Yildirim leistet Widerstand, der von einem Beamten mit einem Schlag auf den Kopf gebrochen wird. Eine Unterstützerin wird vor der Kirche an die vordere Stoßstange eines Polizeiautos gefesselt.

    Während der Abschiebung wird der Vater und Ehemann Ali Yildirim von seiner Frau Nafiye und seinen vier, sieben und zehn Jahre alten Kindern Emine, Cebreil und Serhat getrennt.

    Um 13.00 startet die Maschine vom Flughafen Frankfurt am Main, und als sie um 16.00 Uhr in Istanbul landet, erfolgt die umgehende Verhaftung von Ali Yildirim. Er kommt in Haft und wird verprügelt. Bei seiner Entlassung nach zwei Tagen Haft wird dem 41-Jährigen der Paß abgenommen, wodurch er sich bei eventuellen Kontrollen nicht mehr ausweisen kann. Er taucht unter und hat auch keinen Kontakt zu seiner Familie, die bei seiner Mutter in Nusaybin unterkommt.

    Vier Wochen nach der Abschiebung leidet Nafiye unter einem Hörsturz, und Emine und Serhat sind krank. Die Familie bekommt keinerlei staatliche Unterstützung, hat noch keine "grüne Karte", so daß sie eine medizinische Versorgung selbst bezahlen müßte, was sie nicht kann.

    Das Verwaltungsgericht Koblenz weist am 13. Februar 07 die Klage der Familie ab, den Asylantrag noch einmal zu verhandeln. Das Gericht erachtet die vorgelegten Papiere, unter anderem einen Haftbefehl aus der Türkei, als plumpe Fälschungen.

    Im Januar 2007 haben Frau Yildirim und die Kinder immer noch keine grüne Versicherungskarte von den türkischen Behörden ausgestellt bekommen, so daß sie von medizinischer Versorgung ausgeschlossen sind. Herrn Yildirim steht ein Prozeß wegen Verweigerung des Militärdienstes vor dem Strafgericht in Diyarbakir bevor.

Unterstützerkreis der Familie Yildirim;

Gemeinde St. Peter Koblenz-Neuendorf und -Wallersheim;

swr 31.10.06; FRat Hessen 31.10.06;

Initiative Zukunft 8.11.06;

 ddp 21.2.07;

Initiative Zuflucht 2.3.07

 

Oktober 06

 

Flughafen Frankfurt am Main. Das Ehepaar P. und ihre zwei kleinen Kindern sollen nach Sri Lanka abgeschoben werden. Frau P. leidet unter einer reaktiven Depression und wird zur Abschiebung aus dem Krankenhaus der JVA abgeholt, wo sie sich in Abschiebehaft befand. Wichtige Medikamente hat sie nicht dabei. Mehrere Gutachten sprechen sich gegen eine Abschiebung der Frau ins Krisengebiet aus.

    Eine Kommunikation kann vor Ort nicht stattfinden, weil keine ÜbersetzerInnen zur Verfügung stehen. Da noch keine aktuelle Flugreisetauglichkeitsbescheinigung vorliegt, geht der für die Abschiebung vorgesehene Begleitarzt zu Frau P. und fragt sie, wie es ihr geht. Ihr Nicken reicht dem Arzt, die für die Behörden nötige Bescheinigung per Hand auszustellen. Eine Untersuchung findet nicht statt. Die Frage der Mitarbeiterin der Abschiebebeobachtung FFM, auf welcher medizinischen Basis diese Bescheinigung ausgestellt wurde, läßt der Arzt unbeantwortet.

    Die Familie wird abgeschoben. Am nächsten Tag ist auf der Internetpräsenz der Ausländerbehörde eine Stellungnahme

für die Öffentlichkeit zu lesen, in der es heißt, daß Frau P. kein Deutsch spricht und daher auch nicht unter die Bleiberechtsregelung fallen würde.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2007

 

Oktober 06

 

Herr F. wird mit seinem 16-jährigen Sohn zum Flughafen in Frankfurt am Main gebracht. Er leidet unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung und Depressionen. Er steht unter Psychopharmaka, wirkt abwesend und ist kaum ansprechbar. Ein Orthopäde (!) begleitet den schwerkranken Mann und dessen Sohn in einem Einzelcharter nach Istanbul. Damit ist die Familie getrennt, denn Frau F. und drei Töchter bleiben in der BRD.

    Bereits im August sollte die gesamte Familie abgeschoben werden. Durch den lautstarken Widerstand – vor allem der weiblichen Familienmitglieder – mußte die Abschiebung am Flughafen Frankfurt damals abgebrochen werden.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2007

 

 

Oktober 06

 

Demmin im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Bei einem Besuch in der Ausländerbehörde entdeckt der armenische Flüchtling Marat W. zwischen Aktenordnern und Papierstapeln eine schwarze Pistole. Die Frage nach der Echtheit der Waffe wird von dem Sachbearbeiter bejaht.

    Als er einen Monat später wieder im Wartezimmer der Behörde sitzt, passiert es, daß zwei Angestellte die Tür mit einem Fußtritt öffnen und ihn barsch auffordern, seine Tasche zu öffnen. Sie tragen schwarze Handschuhe mit Nieten an den Fingern. Als er sie fragt, ob sie ihn verprügeln wollten, antworten sie: "Dann würdest Du jetzt schon am Boden liegen". Zwei Betreuerinnen einer Beratungsstelle für MigrantInnen, die den Raum betreten, bemerken ebenfalls die Behördenmitarbeiter mit den schwarzen Handschuhen in Gegenwart des "schweißüberströmten, offensichtlich verängstigten" Mannes.

    Im Beisein einer Mitarbeiterin der Beratungsstelle für MigrantInnen wird Marat W. später mitgeteilt, daß die Behörde rechtlich gegen ihn vorgehen werde, sollte er sich mit seinen Erlebnissen an die Öffentlichkeit wenden. Und das, drohte der Leiter der Ausländerbehörde Rainer Plötz, würde sich nicht positiv auf seinen Aufenthaltsstatus auswirken.

    Als Marat W. sich im August 07 tatsächlich an die Presse wendet, bestätigt Rainer Plötz, daß seine Mitarbeiter Schußwaffen tragen: "Wenn einer denkt, er ist sicher, wenn er so eine Pistole hat, dann, sag ich, ist das seine Entscheidung." Zumal es "nur" Gas- oder Schreckschußpistolen seien. Er habe aber vorsorglich untersucht, ob die betreffenden Angestellten auch Waffenscheine besäßen. Er könne die Mitnahme von Waffen in die Behörde nicht grundsätzlich verbieten: "Das ist Privatrecht".

    Aufgrund der öffentlichen Kritik untersagt Plötz den Mitarbeitern schließlich fortan, die Schußwaffen sichtbar zu tragen.

    Marat W. und seiner Familie droht Ende Dezember 2007 akut die Abschiebung, denn obwohl er eine positive Entscheidung der Härtefall-Kommission hat, verweigert die Demminer Ausländerbehörde immer noch die Aufenthaltsgenehmigung.

    Im Oktober 2008 wird Rainer Plötz wegen versuchter Nötigung vom Amtsgericht Demmin zu einer Geldstrafe von 5400 Euro verurteilt. In einem Berufungsverfahren wird dieses Urteil jedoch wieder aufgehoben.

Zeit 13.8.07; taz 10.8.07;

Human Place Heft 3/08;

Heft der Flüchtlingsräte Januar 2012

 

 

Oktober 06

 

Heilbronn in Baden-Württemberg. Ein kurdischer Asylbewerber wird nach Anatolien abgeschoben. Damit ist er von seiner Frau und seinen acht Kindern, die ein bis 15 Jahre alt sind, getrennt. Es geht ihm nach der Abschiebung zunehmend schlechter, so daß er 2008 ins Krankenhaus gebracht werden muß.

    Die Familie kam bereits 1996 in die Bundesrepublik und beantragte Asyl. Als dies abgelehnt wurde, ging sie in die Niederlande. Seit 2003 lebte sie wieder in Heilbronn als geduldete Asylbewerber. Wegen der Unterbrechung ihres Aufenthalts greift für sie die Altfallregelung von 2006 nicht, nach der Asylbewerber-Familien mit Kindern in Schule und Kindergarten, die länger als sechs Jahre ununterbrochen hier sind, Bleiberecht bekommen können.

    Die Kinder sind zum Teil in der Bundesrepublik geboren und sprechen alle nur Deutsch und ein wenig Kurdisch, nicht Türkisch. In der Türkei ist zudem die kurdische Sprache verboten, wodurch der Schulbesuch oder eine Ausbildung schwierig bis unmöglich wären. Daher setzt sich ein UnterstützerInnenkreis für die Familie ein. Im September 2008 wird ihre Petition im Stuttgarter Landtag abgelehnt. Im April 2009 macht auch die Entscheidung des Stuttgarter Landtags die Hoffnungen der Familie auf ein Bleiberecht zunichte – die CDU-FDP-Mehrheit stimmt für die Abschiebung der Familie.

HSt 19.9.08; HSt 23.9.08; HSt 25.9.08;

L-TV 24.4.09; Heilbronner Stimme 24.4.09;

Antirassistische Initiative Berlin

 

5. November 06

 

Flüchtlingsunterkunft im Transitbereich des Flughafens Frankfurt am Main in Cargo City Süd, Gebäude C 587. Als ihre Mutter ins Krankenhaus eingewiesen werden muß, bleibt die 5-jährige Enolia aus Nigeria fünf Nächte lang allein im Transitbereich zurück. Das für die Unterbringung zuständige Sozialministerium vertritt die Auffassung, die Anwesenheit einer weiblichen Person vom Sicherheitspersonal sei für das Kind ausreichend. Dann wird das Kind für die Zeit des weiteren Krankenhaus-Aufenthaltes zur Mutter gebracht, wo beide, da sie noch nicht "eingereist" sind, unter Bewachung leben müssen.

    Einige Monate zuvor waren bereits unbegleitete minderjährige Flüchtlinge über längere Zeit hinweg im Transitbereich untergebracht worden.

Pro Asyl;

Pro Asyl Newsletter Nr. 118

 

9. November 06

 

Wilhelmshaven in Niedersachsen. Morgens gegen 3.00 Uhr erscheinen zwei Mitarbeiter der Ausländerbehörde und drei Polizisten an der Wohnungstür in der Grenzstraße, um die Familie Mucaj in den Kosovo abzuschieben. Als sie bemerken, daß ausschließlich Fadil Mucaj anwesend ist, fesseln sie ihn und verschaffen sich Zugang zu der Wohnung des Schwagers der Ehefrau, die zwei Stockwerke tiefer liegt.

    Hier finden sie die Söhne von Herrn Mucaj vor. Den schreienden Donjed, der sich an seine Großmutter klammert, und Leutrim, der stumm und blaß daneben steht. Der Mutter Arifete Mucaj gelingt es, aus dem Fenster der im ersten Stock gelegenen Wohnung zu springen und sich im Hof zu verbergen. Eine Beamtin trennt Donjed von seiner Großmutter, die daraufhin in Ohnmacht fällt.

    Die Jungen werden mitgenommen, und der Anblick ihres gefesselten Vaters schockiert die 7- und 10-Jährigen. Mit zwei Einsatzwagen werden sie fortgefahren, der Vater in das Abschiebegefängnis Hannover-Langenhagen, und die Kinder kommen in staatliche Obhut. Damit ist die Familie getrennt.

    Der Albaner Fadil Mucaj war vor 15 Jahren als 19-Jähriger aus der serbischen Armee desertiert und in die BRD

geflohen. Seine Frau Arifete, die der ethnischen Gruppe der Ashkali angehört, war drei Jahre später nach Deutschland gekommen – im Jahre 1994. Sie befindet sich seit längerer Zeit in ärztlicher Behandlung, und auch ihr 10-jähriger Sohn war schon – aufgrund einer Posttraumatischen Belastungsstörung – in psychologischer Behandlung.

    Bereits am 19. Januar hatte es einen Abschiebeversuch gegeben, der am Flughafen Düsseldorf durch das Verwaltungsgericht Oldenburg nach Intervention des Rechtsanwalts abgebrochen werden mußte.

    Am 17. November wird Fadil Mucaj aus der Haft entlassen und darf wieder bei seinen Kindern sein. Die Familie hat einen großen und engagierten UnterstützerInnenkreis, der mit intensiver Öffentlichkeitsarbeit und vielen weiteren Aktivitäten versucht, gegen die immer noch anstehende Abschiebung ein Bleiberecht durchzusetzen.

AntiFaschistisches Bündnis Wilhelmshaven;

Landtagsfraktion Bündnis90 / Die Grünen

 

10. November 06

 

Berlin-Mitte. Als ein 23-jähriger Flüchtling aus Sierra Leone in der Alten Schönhauser Straße abends um 22.40 Uhr von zwei deutschen Männern mit "Scheiß-Neger" beschimpft und beleidigt wird, wechselt er die Straßenseite. Die Männer verfolgen ihn und schlagen ihm derart ins Gesicht, daß er zu Boden geht. Dann treten sie dem Flüchtling mit ihren Stiefeln ins Gesicht.

    Ein Passant oder eine Passantin verständigt die Polizei. Als diese eintrifft und der Verletzte auf Englisch sagt, daß die Täter schon weg seien, fährt die Polizei wieder davon, ohne sich um den Verletzten zu kümmern.

    Der Flüchtling kommt schließlich in ein Krankenhaus, wo seine Gesichtsverletzungen, unter anderem ein mehrfacher Unterkieferbruch, stationär behandelt werden müssen.

ReachOut Berlin

 

14. November 06

 

Bundesland Niedersachsen. Der 26 Jahre alte Ashkali Faruk X. wird in den Kosovo abgeschoben und ist damit von seiner 1-jährigen Tochter getrennt.

    Er war 17 Jahre in der Bundesrepublik und hat im Kosovo keine Familie. Seine Mutter ist tot, und sein Vater lebt in Deutschland.

    Er erzählt später, daß er aufgrund seiner dunklen Hautfarbe in Pec von maskierten Polizisten in einem Keller verprügelt wurde.

Bericht des Betroffenen;

Schattenbericht ASYL / 646

 

15. November 06

 

Bundesland Niedersachsen. Der seit zehn Jahren von der BRD anerkannte Flüchtling Süleyman Sahin wird in seiner Wohnung in Hildesheim festgenommen und kommt in die JVA Sehnde in Untersuchungshaft. Dies geschieht aufgrund eines Übergabegesuches der türkischen Regierung in Zusammenarbeit mit Interpol. Der 43-Jährige befindet sich damit in Auslieferungshaft.

    Aufgrund seiner politischen Arbeit in der Türkei war Süleyman Sahin mehrmals inhaftiert und gefoltert worden. Nachdem er 1996 fliehen mußte, wurde er noch im selben Jahr in der BRD als Asylberechtigter anerkannt.

    Nach seiner Flucht war er von einem türkischen Gericht zunächst zum Tode verurteilt worden. Diese Strafe wurde später zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe mit anschließender Sicherheitsverwahrung umgewandelt.

    Aufgrund der intensiven Nachforschungen der türkischen Regierung war er schon 1998 in Holland und zwei Jahre später in Tschechien in Auslieferungshaft genommen worden, mußte aber aufgrund der Rechtslage wieder frei gelassen werden.

    Am 21. Dezember hebt auch das Oberlandesgericht Celle den Haftbefehl gegen Süleyman Sahin auf, nachdem die Generalstaatsanwaltschaft dies beantragt hatte. Sie hatte Informationen über die Teilnahme eines Militär-Richters an dem früheren Prozeß bekommen. "Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und einhelliger Auffassung bundesdeutscher Oberlandesgerichte bestehen allein deshalb Zweifel am Gebot rechtsstaatlicher Fairness." Süleyman Sahin kommt frei.

StA Celle 22.12.06;

ATIK 24.11.06; ATIK 28.12.06

 

15. November 06

 

Bundesland Niedersachsen. Der türkische Flüchtling Mustafa Atalay wird in der Rehabilitätionsklinik in Bad Bevensen auf Befehl der Generalbundesanwaltschaft verhaftet. Dem Journalisten wird "Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung" (gemeint ist die türkische Organisation DHKP-C) nach § 129b  StGB vorgeworfen.

    Dem heute 50-Jährigen war im Jahre 2000 das "Kleine Asyl" (Abschiebeschutz) zugesprochen worden. Jetzt ist Mustafa Atalay schwer krank. Erst vor 26 Tagen mußte er sich einer Bypass-Operation in Berlin unterziehen. Er leidet zudem unter Bluthochdruck, Diabetes mellitus und an einer Posttraumatischen Belastungsstörung.

    Sieben Monate nach der Verhaftung sitzt Mustafa Atalay immer noch in Einzelhaft in der JVA Hannover. Nur vier Besucher durfte er bisher empfangen. Gegen ein Vorstandsmitglied der Gefangenenhilfsorganisation Tayad wurde vom Ermittlungsrichter ein Besuchsverbot erwirkt, weil die Besuche "zur verdeckten Nachrichtenübermittlung" dienen könnten. Die Tatsache, daß die 30-minütigen Besuche bei Überwachung durch Beamte des LKA und in einem Raum mit einer Trennscheibe stattfinden, zeigt die Absurdität der Begründung.

    Der Gesundheitszustand von Mustafa Atalay hat sich im Juli 2007 lebensgefährlich verschlechtert. Zwei der Bypässe sind wieder verstopft, und der Haftarzt lehnt die weitere medizinische Verantwortung ab. Mustafa Atalay kann sein bescheidenes Recht auf eine Stunde Hofgang wegen der Belastung nicht wahrnehmen. Im November erfolgt seine Verlegung in die JVA Freiburg. Im Februar 2008 kommt er nach einer weiteren Bypass-Operation zurück in die Justizvollzugsanstalt.

    1980 war Mustafa Atalay aufgrund seiner politischen Tätigkeit in der Türkei verhaftet worden, wurde gefoltert und kam erst nach 20 Jahren Gefangenschaft wieder frei. Erst nach seiner Entlassung war ihm die Flucht in die BRD gelungen.

    Im Juni 2009 befindet sich Mustafa Atalay immer noch in U-Haft (Stuttgart-Stammheim). Der Prozeß gegen ihn und fünf weitere Angeklagte hat vor dem Oberlandesgericht Stuttgart begonnen. Mustafa Atalay leidet aufgrund der erlittenen Folter unter Schlafstörungen, Albträumen, Flash-Back-Erlebnissen – ein vom Gericht bestellter Gutachter stellte bei ihm ein schweres Posttraumatisches Belastungssyndrom fest. Drei Anträge auf Haftentlassung des schwerkranken Mannes sind abgelehnt worden.

    Eine zusätzliche besondere Belastung stellt die Tatsache dar, daß einer der Hauptbelastungszeugen in dem Prozeß sowohl für den türkischen Geheimdienst MIT als auch für den Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz gearbeitet hat. Zudem sollten von der Anklage Aussagen in den Prozeß eingebracht werden, die in der Türkei durch Folter entstanden sind.

Tayad Komitee 3.7.07;

Brief von Mustafa Atalay 4.7.07;

Yeni Özgur Politika 4.7.07;

 jW 12.7.07; ND 5.10.07;

 Heinz-Jürgen Schneider – Rechtsanwalt;

indymedia 29.6.09

 

19. November 06

 

Kürten-Waldmühle in Nordrhein-Westfalen. Ein um 16.45 Uhr ausgelöster Feueralarm im Flüchtlingsheim Wipperfürther Straße setzt ein Großaufgebot an Rettungskräften in Gang: Elf Löschzüge bringen 75 Feuerwehrleute vor Ort, dazu kommen vier Rettungswagen, Notärzte und die Polizei. Aus den baracken-ähnlichen Wohncontainern schlagen dicke Rauchwolken.

    Von den insgesamt 24 BewohnerInnen sind zu dieser Zeit acht Personen im Haus, die sich selbst ins Freie retten können. Als Brandursache wird ein technischer Defekt der Deckenbeleuchtung festgestellt.

    Da die Flüchtlingsunterkunft nach dem Löschen unbewohnbar ist, werden die BewohnerInnen zunächst im Obdachlosenheim am Halfenberg untergebracht – später kommen einige in privaten Wohnungen unter.

Rhein-Berg-Online.de 19.11.06;

Rhein-Berg-Online.de 20.11.06;

KStA 20.11.06

 

19. November 06

 

Landkreis Aue-Schwarzenberg im Bundesland Sachsen. In der Lessingstraße in Lößnitz versperren drei Deutsche morgens um 3.30 Uhr einem 31-jährigen kurdischen Flüchtling aus dem Iran und einem 25-jährigen Bosnier den Weg und äußern rassistische Beleidigungen. Ein Schlichtungsversuch des Iraners mißlingt; die jugendlichen Provokateure ziehen demonstrativ ihre Jacken aus und schlagen und treten dann los. Mit Messern verletzen sie den Kurden an der Hand und den Bosnier am Bein.

    Ein Ermittlungsverfahren gegen die polizeibekannten Täter wird eingeleitet.

AMAL Sachsen

 

26. November 06

 

Uhingen in Baden-Württemberg. Die kurdische Familie Sapkiran soll in die Türkei abgeschoben werden. Als die Polizisten gegen 4.30 Uhr an der Tür klingeln, nimmt die schwerkranke Frau Sapkiran in ihrer Verzweiflung Tabletten, um der Abschiebung zu entgehen. Nach Aussagen eines Psychologen ist sie keinesfalls transportfähig.

    Die 24-jährige Tochter ist durch die Pflege ihrer Mutter nach vielen schlaflosen Nächten völlig entkräftet. Sie wird zum Flughafen gebracht und nach Istanbul geflogen, wo sie von der Polizei in Empfang genommen und verhört wird. Schließlich tritt sie die Reise zu ihrem Vater und Bruder an, die schon vor einiger Zeit "freiwillig" ausgereist waren.

    Der 21-jährige Sohn Ali wird festgenommen und kommt in Abschiebehaft, bis Reisedokumente für ihn beschafft sind. Er besuchte das Gymnasium; sein Aufenthaltsort war den Behörden zuletzt nicht bekannt, weshalb das Gericht Abschiebehaft anordnete.

    Die Familie lebte mit ihren vier Kindern seit 1994 in der Bundesrepublik. Nach der Ablehnung der Asylanträge wurde sie zur Ausreise aufgefordert und fand zeitweilig Zuflucht im Kirchenasyl in Holzhausen. Trotz des zwölfjährigen Aufenthalts – "jedoch mit Unterbrechungen" laut Regierungspräsidium Stuttgart – bekommt sie kein Bleiberecht. Herr Sapkiran und ein Sohn entschieden sich wegen des Ausreisedrucks zur "freiwilligen" Ausreise – ein anderer Sohn wurde abgeschoben.

    Nach Alis Festnahme kämpfen LehrerInnen, SchülerInnen und Eltern des Gymnasiums erfolgreich dafür, daß er aus der Haft entlassen wird und sein Abitur noch in Deutschland ablegen kann. Nach der im Juli 2007 bestandenen Prüfung muß er jedoch mit seiner kranken Mutter ausreisen.

    Einigen unermüdlichen UnterstützerInnen gelingt es entgegen sämtlicher Widerstände, daß Ali Sapkiran bereits im Oktober wieder legal einreisen darf, um an der Berufsakademie Maschinenbau zu studieren. Im Jahre 2011 wird er nach erfolgreichem Abschluß bei einem Autoteile-Hersteller als Versuchsingenieur angestellt.

NWZ 29.11.06;

NWZ 5.1.07; NWZ 5.7.07;

SWP 23.3.11

 

26. November 06

 

Forst in Brandenburg. In einer Gaststätte wird ein pakistanischer Flüchtling von dem Personal rassistisch beschimpft und geschlagen. Als der Angegriffene sich dieser bedrohlichen Situation durch Weggehen entziehen will, verfolgen ihn eine Person aus diesem Kreis und Begleiter noch durch die Stras-sen. Sie schlagen ihn, und als er zu Boden geht, treten sie mit Füßen auf ihn ein. Er erleidet Verletzungen am Rücken, am Knie, an der Hand und im Gesicht.

Opferperspektive

 

27. November 06

 

Berlin-Tempelhof. Ein 30-jähriger Russe wird aus dem Abschiebegefängnis Köpenick in die Sammelstelle der Polizei nach Tempelhof gebracht. Hier legen ihm Beamte Hand- und Fußfesseln an, die seitlich am Körper miteinander verbunden sind. Als der Gefangene bittet, seinen Rechtsanwalt und amnesty international sprechen zu können, schreit ihn einer der Beamten an und springt auf seine Fußfesseln, so daß der Russe gegen die Wand stürzt. Er kommt zurück in die Abschiebehaft und kurz darauf ins Krankenhaus.

    Durch diese Mißhandlung durch einen Bundespolizeibeamten wurde ein Verfahren unterbrochen, mit dem die Bundespolizei versucht, Menschen unklarer Identität oder Staatsangehörigkeit außer Landes zu bringen. Der Russe sollte nach Minsk in Weißrußland geflogen werden, damit die dortigen Behörden seine Identität feststellen. Für den Fall, daß die weißrussischen Behörden dieses positiv entschieden hätten, wäre der Flüchtling dort geblieben. Dieses Verfahren, das rechtlich fragwürdig ist, wurde bereits mit Menschen aus Georgien, Moldawien und Weißrußland praktiziert.

Jesuiten-Flüchtlingsdienst;

Thomas Krautzig – Rechtsanwalt

 

29. November 06

 

Bundesland Baden-Württemberg. Die Kurdin B. A. soll mit ihren Kindern, dem 7-jährigen C., dem 5-jährigen B. und der 3-jährigen A., in die Türkei abgeschoben werden. Auf dem Flughafen Istanbul verweigern die türkischen Behörden die Einreise, weil die beiden in der Bundesrepublik geborenen jüngeren Kinder nicht in den türkischen Melderegistern eingetragen sind. Alle werden deshalb noch am gleichen Tag zurückgeschickt.

    Die kurdische Familie war in der Türkei bereits in der zweiten Generation ständigen Repressionen ausgesetzt. Herr A. war verhaftet, gefoltert und schwer verletzt in einsamer Gegend ausgesetzt worden. Als er gezwungen werden sollte,

als "Dorfschützer" für die türkischen Behörden zu arbeiten, war er im Frühjahr 2001 in die BRD geflüchtet, wo bereits mehrere Familienangehörige lebten.

    Nach der Flucht des Mannes wurde Frau A. terrorisiert. Fast täglich kam türkische Polizei, fragte nach dem Aufenthaltsortes des Mannes. Obwohl sichtbar schwanger wurde sie bedroht und geschlagen.

    Frau A. gelang Ende Juni 2001 die Einreise in die BRD mit einem Besuchervisum. Sie war krank und hochschwanger. Im September 2001 gebar sie ihren Sohn, im Juli 2003 ihre Tochter. Nach der Ablehnung der verschiedenen Asylanträge und wiederholter Ausreiseaufforderungen ging Herr A. Anfang 2006 in die Illegalität.

    Frau A. ist durch ihre Verfolgungsgeschichte und jahrelange Aufenthaltsunsicherheit schwer traumatisiert und leidet unter verschiedenen psychischen und somatischen Erkrankungen. Durch die häufig miterlebten Festnahmen in den Sammelunterkünften und die existentiellen Ängste der Eltern sind inzwischen auch die Kinder traumatisiert.

    Im Mai 2006, nach dem Umzug in eine eigene Wohnung, stabilisiert sich die Situation innerhalb der Familie, doch nach der gescheiterten Abschiebung geht es Frau A. so schlecht, daß sie zweimal für einige Wochen in eine psychiatrische Klinik aufgenommen werden muß, da sie mit Suizid droht und stets ein Messer bei sich trägt. Das Behandlungszentrum für Folteropfer in Ulm behandelt sie nach anfangs unregelmäßigen Terminen seit dem Jahreswechsel 2007/08 regelmäßig.

    Erzieherinnen, LehrerInnen, ÄrztInnen, NachbarInnen und UnterstützerInnen setzen sich für die Alleinerziehende und ihre Kinder ein. Über die Härtefallkommission kann erreicht werden, daß Frau A. Anfang 2008 eine zunächst auf ein Jahr befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.

NWZ 29.11.06;

Unterstützernetzwerk

 

30. November 06

 

Bundesland Bayern. Die Mobile Kontrollgruppe (MKG) Waidhaus vom Hauptzollamt Regensburg stoppt auf der Autobahn A6 einen Lastwagen und unterzieht ihn einer Zollkontrolle bei Wittschau. Der Verdacht, daß sich Menschen auf der Ladefläche befinden, wird durch eine anschließende Röntgenkontrolle in Wernberg bestätigt.

    Die Beamten finden auf der Ladefläche 14 Flüchtlinge aus dem Irak, drei aus Ägypten und jeweils eine Person aus der Türkei, Indien und Algerien. Unter ihnen sind fünf Frauen und zwei Kinder im Alter von acht und zwölf Jahren.

    Da eine 54-jährige Irakerin über starke Schmerzen klagt, wird sie ins Kreiskrankenhaus nach Weiden gebracht, wo ein Armbruch festgestellt wird.

    Der tschechische Fahrer wird in Haft genommen, und die 20 Flüchtlinge werden tschechischen Grenzbeamten übergeben.

Polizei Niederbayern/Oberpfalz 4.12.06

 

November 06

 

Bundesland Sachsen-Anhalt. In Sangerhausen greifen mehrere Rechte das Flüchtlingsheim an. Dabei wird auch die Wohnung des 23-jährigen Boureima T. beschädigt. Er und die anderen BewohnerInnen kommen mit dem Schrecken davon.

(siehe auch: Mai 06 und Dezember 06)

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

November 06

 

Bundesland Bayern. Der 21 Jahre alte Samir Zazay wird in Nürnberg von der Polizei aus der Wohnung seines Cousins geholt und in Abschiebehaft genommen. Aus Angst vor der Abschiebung verletzt er sich in Selbsttötungsabsicht am Handgelenk.

    Er war im Jahre 1999 als 14-jähriger unbegleiteter Flüchtling aus dem Krieg in Afghanistan in die BRD geflohen. Innerhalb von drei Jahren erreichte er den qualifizierten Hauptschulabschluß. Danach bekam er eine Ausbildung als Teilezurichter, die er mit der Gesellenprüfung erfolgreich beendete. In den sieben Jahren Deutschland-Aufenthalt wurde Nürnberg sein Lebensmittelpunkt. In Afghanistan hat er keine Familie und niemanden, an den er sich wenden könnte.

    Am 12. Dezember 2006 – nach sechs Wochen Abschiebehaft – wird er in Begleitung von zwei Polizisten nach Afghanistan ausgeflogen.

    Dort beginnt Samir Zazay die Suche nach seinen Eltern oder anderen Verwandten – ergebnislos. Mit der Zusage, daß er zwei Wochen bleiben könne, kommt er in einem Zimmer der International Organisation for Migration (IOM) unter. Aufgrund seines europäischen Erscheinens wird er auf der Straße ständig um Geld erpreßt und beraubt und flieht schließlich nach fünf Tagen mit zwei anderen Abgeschobenen nach Pakistan. Bei dem gefährlichen Grenzübertritt entgehen sie nur knapp einem Bombenattentat.

    Als er im Jahre 2008 in der Bäckerei eines Hilfprojekts in Peschawar arbeitet, lernt er Ulla B. aus Lörrach kennen, die dort für drei Wochen als Lehrerin arbeitet. Sie verlieben sich und beschließen, zusammenzubleiben und zu heiraten.

    Weil die Nürnberger Ausländerbehörde sich – trotz ihres Ermessensspielraums – auf keinen Fall auf eine Ratenzahlung einläßt, gelingt es seiner Freundin und dem Nürnberger UnterstützerInnenkreis im Juli 2009, die gesamte Summe der Abschiebekosten in Höhe von 7535,62 Euro und weitere 6000 Euro für die Beschaffung seiner Papiere in Afghanistan zusammen zu bringen, so daß Samir Zazay Ende September 2009 in die BRD zurückkehren kann. Am 10. Oktober heiratet er seine Freundin Ulla B.

Alternativer Menschenrechtsbericht 2007;

Süddeutsche.de Redaktionsblog 23.5.07;

NN 13.5.09; NN 23.10.09;

Alternativer Menschenrechtsbericht 2009;

Bündnis Aktiv für Menschenrechte Nürnberg

 

4. Dezember 06

 

Als der Bananenfrachter "Regal Star" am Schuppen 44 des Hamburger Hafens entladen wird, finden die Arbeiter um 13.09 Uhr in der vierten Ladeluke einen toten Mann. Der Mann liegt unter einer Bananenkiste. Die gerufene Polizei durchsucht das 150 Meter lange Schiff und findet in einer anderen Ladeluke einen zweiten Toten. Die Ermittlungen ergeben, daß es sich bei den Männern um den 35 Jahre alten Wilson O. und den 33-jährigen Justiano A. handelt. Die beiden Kolumbianer hatten versucht, als "blinde Passagiere" nach Europa zu kommen, starben dann offensichtlich an den Gasen, die während der Überfahrt zur Konservierung der Bananen in den Frachtraum eingeleitet wurden und jeglichen Sauerstoff verdrängten.

    Der Frachter mit Kühlcontainern (13,2° C) war von Kolumbien über Costa Rica und Lissabon nach Hamburg gekommen.

ndr 5.12.06; HA 5.12.06; Welt 5.12.06;

HA 6.12.06; Grosse-Seefahrt.de 6.12.06;

ag Blinde Passagiere HH 7.12.06

 

6. Dezember 06

 

Die Kurdin Frau Y. wird morgens um 8.30 Uhr von Polizeibeamten aus ihrer Berliner Wohnung geholt und mit ihrem zweieinhalb Monate alten Baby abtransportiert. Sie soll dem türkischen Konsulat vorgeführt werden.

    Den Vorschlag der Polizisten, ihr Baby doch allein Zuhause zu lassen, lehnt sie mit der Begründung ab, daß sie das Kind noch stille. Sie wird in den Polizeigewahrsam nach Tempelhof gebracht und dort gezwungen, sich im Rahmen einer polizeilichen Durchsuchung nackt auszuziehen und sich auch im Intimbereich untersuchen zu lassen. Dann nehmen die Beamten ihr die Wickeltasche ab und sperren sie mit ihrem Baby in eine kalte, zugige Zelle. Auf ihr Klingeln und Rufen wird nicht reagiert, so daß sie ihr inzwischen nasses und schreiendes Kind nicht versorgen kann. Erst um 13.30

Uhr wird sie zum türkischen Konsulat gefahren. In der Stunde, die sie auch hier warten muß, ist es ihr weder möglich, das Kind zu wickeln, denn sie bekommt ihre Wickeltasche nicht – noch zu stillen, denn es sind männliche Bewacher bei ihr. Erst als sie nach der Konsulatsvorführung entlassen wird, bekommt sie ihre Wickeltasche zurück.

FRat Berlin

 

12. Dezember 06

 

Bundesland Niedersachsen. Der kurdische Flüchtling G. Y. beendet sein Leben durch eigene Hand. Das Personal einer psychiatrischen Klinik findet ihn erhängt in einer Toilette auf. Er hat im wahrsten Sinne den Kampf um sein Leben in der BRD aufgegeben. Ein Leben, das ihm, dem in der Türkei politisch Verfolgten und Gefolterten, auch in der BRD behördlicherseits nie zugestanden wurde. Er hinterläßt seine Frau und neun Kinder.

    1995 war er mit seiner Frau und sechs Kindern in die BRD geflüchtet. Asylanträge wurden allesamt abgelehnt, und seit Jahren war die inzwischen neunköpfige Familie ausreisepflichtig. Der lange Kampf um einen Aufenthalt in Sicherheit hat die Familie zermürbt und unmittelbar krank gemacht. G. Y. verbrachte die letzten zweieinhalb Jahre wegen schwerer Depressionen im Landeskrankenhaus.

    Als der Familie im Jahre 2004 akut die Abschiebung drohte, gingen die Eheleute mit einem Teil ihrer jüngeren Kinder für sechs Monate ins Kirchenasyl.

    Die Familie wurde danach von den Behörden massiv unter Druck gesetzt, um eine "freiwillige" Ausreise zu erreichen. Die für Anfang November 2005 von den Behörden eingeleitete Abschiebung der Familie mußte abgebrochen werden, weil Herr Y. sich in einem psychiatrischen Krankenhaus in Behandlung befand und Frau Y. untergetaucht war.

    Die zweitälteste Tochter, die wie ihre ältere Schwester wegen Krankheit einen Abschiebeschutz hat, betreute ihre minderjährigen Geschwister. Als wieder einer ihrer Brüder volljährig wurde, mußte auch er in die Illegalität. Die minderjährigen Geschwister waren an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gekommen, so daß einige in psychiatrische Behandlung mußten.

    Nach Bekanntwerden des Todes von Herrn Y. und der öffentlichen Proteste gegen die Behördenwillkür wird bekannt, daß "die untergetauchten Familienmitglieder aus der Fahndung genommen wurden", um sich angemessen von dem Vater zu verabschieden. Dann wolle die Ausländerbehörde den Kontakt suchen, um zu erfahren, "wie es weitergehen kann".

    Im Dezember 2007 gelingt es, für die gesamte Familie eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23a AufenthG (Härtefallentscheidung) zu erwirken.
(siehe auch: 3. November 05)

MNZ 15.12.06; OP 15.12.06; HNA 15.12.06;

GA 16.12.06; Antirassistische Initiative Berlin

 

13. Dezember 06

 

Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick. Eine 35 Jahre alte Gefangene aus Ghana kommt mit einer schweren Blutvergif-tung ins DRK-Krankenhaus Köpenick und muß hier sofort operiert werden, weil eine Thrombose im Bein so weit fortgeschritten ist, daß die akute Gefahr besteht, daß das Bein abstirbt. Nach 14-tägigem Aufenthalt in der Intensivstation wird sie in die Abteilung Gefäßchirurgie verlegt, und erst nach sechs Wochen kann sie das Krankenhaus wieder verlassen.

    Die Ghanaerin befand sich seit viereinhalb Monaten in Abschiebehaft. Nachdem sie sich bei ihrem Freund in Berlin polizeilich angemeldet hatte, kam die Polizei in die Wohnung und nahm sie fest. Seither hatte sie in der Haft zunehmend starke Schmerzen und machte auch immer wieder darauf aufmerksam.

Jesuiten-Flüchtlingsdienst;

Antirassistische Initiative Berlin

 

14. Dezember 06

 

Pasewalk im Bundesland Brandenburg. Vor einem Supermarkt werden Flüchtlinge von einer Gruppe rechter Deutscher rassistisch beschimpft, mit einem Messer bedroht und schließlich tätlich angegriffen. Die Flüchtlinge kommen unverletzt davon.

LOBBI

 

14. Dezember 06

 

Der 31 Jahre alte Kurde A. A. wird festgenommen und in einem beschleunigten Verfahren zu einem Jahr Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt. Die Haft im Gießener Gefängnis wird wahrscheinlich durch eine Abschiebung in drei Monaten beendet werden. Damit ist es Herrn A. wieder einmal nicht gelungen, mit seiner Frau und den vier Kindern zusammenzuleben.

    Die Eheleute M. (damals 16 Jahre alt) und A. A. (damals 18 Jahre alt) gehören der Gruppe der Zaza-Kurden an und waren 1993 mit ihrer damals 1-jährigen Tochter F. in die BRD eingereist. Da sie nur nach religiösem Ritus geheiratet hatten, wurden die Asylanträge gesondert behandelt.

    Nach der Ablehnung seines Asylantrages wurde Herr A. dann im Jahre 1997 ohne seine Familie in die Türkei abgeschoben. Dort erfolgte umgehend seine Festnahme, und nach einer dreitägigen polizeilichen Überprüfung in Haft wurde er frei gelassen. Er war dann gezwungen, seinen zweijährigen Militärdienst abzuleisten. 1999 gelang ihm erneut die Flucht in die BRD – er wurde dann allerdings am 16. Februar 2001 wieder in die Türkei abgeschoben, während seine Frau und die Kinder inzwischen eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung erwirkt hatten.

    Viele Versuche von Herrn A., im Rahmen der Familienzusammenführung offiziell in die BRD reisen zu können, scheiterten an den immer wieder ablehnenden und unterschiedlich begründeten Bescheiden der Deutschen Botschaft in Ankara.

    Der vorerst letzte Versuch, mit seiner Frau und der 14-jährigen Tochter F., dem 9-jährigen Sohn F. und den 6-jährigen Zwillingen S. und F. zusammenleben zu können, endet heute mit seiner Verhaftung. Vor einer Woche war er erneut in die BRD eingereist.

    Im Januar 07 befindet er sich immer noch in Untersuchungshaft in der JVA Limburg.

Jugendnetz Wetzlar

 

Mitte Dezember 06

 

Flughafen Frankfurt am Main. Frau F. soll zusammen mit ihrem 4-jährigen Sohn nach Teheran abgeschoben werden. Sie war wegen Diebstahls festgenommen worden und befand sich dann in Abschiebehaft in der JVA Frankfurt. Ihr Mann ist weiterhin in Haft, ihr kleiner Sohn war während der letzten vier Monate in einem Kinderheim untergebracht.

    Beim ersten Zusammentreffen mit der Mutter wirkt der Junge verschreckt und verstört. Er redet zunächst überhaupt nicht mit ihr.

    Als sich herausstellt, daß kein gültiger Paß vorliegt, kommt die Mutter zurück in Abschiebehaft und der Sohn zurück ins Kinderheim. Frau F. ist verzweifelt. Während Strafgefangene in der JVA ihre Kinder bei sich haben dürfen, gilt dies für Abschiebegefangene nicht. Erst im Januar 2007 kommen Mutter und Sohn wieder zusammen.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2007

 

20. Dezember 06

 

Bad Pyrmont im Bundesland Niedersachsen. Morgens um 4.00 Uhr werden der Kurde Abdul Seyyar und seine sechs Kinder im Alter von zehn bis zwanzig Jahren aus dem Schlaf aufgeschreckt. Polizisten brechen die Tür auf und schreien, daß sie ihre Sachen packen sollen, sie würden abgeschoben. Es sind insgesamt etwa 50 Polizisten. Alle, bis auf den ältesten Sohn Hidir, sollen abgeschoben werden.

    Zeitgleich holen Polizisten die 40-jährige Hanife Seyyar aus dem Landeskrankenhaus Hildesheim ab, nachdem sie vor die Entscheidung gestellt wurde, entweder vorerst im Krankenhaus zu bleiben und damit von ihrer Familie getrennt zu sein oder "freiwillig" auszureisen. Bei dieser Aktion wird weder das Eintreffen der Oberärztin abgewartet noch von Seiten der Beamten Rücksicht auf eine schwer traumatisierte Mitpatientin genommen.

    Der Transport der Familie zum Flughafen Düsseldorf verläuft nach Aussagen des Sohnes Hidir "unglaublich brutal": trotz Erbrechens von Mutter und Kindern und hygieni-scher Bedürfnisse sei die fünfstündige Fahrt nicht unterbrochen worden. Zwei der Kinder nässen ein. Als Hanife Seyyar vor dem Flugzeug kollabiert, werten die Polizisten dies als Widerstand und legen ihr Hand- und Fußschellen an. Diese werden erst nach der Landung in Istanbul wieder entfernt. Im Flugzeug wird sie zwischen zwei Polizisten gesetzt – getrennt von ihrer Familie. In Istanbul wird die Familie von den deutschen Beamten an türkische Polizisten übergeben.

    Nach mehrstündigem Aufenthalt in einer Polizeistation mit erkennungsdienstlicher Erfassung werden sie in einen Bus nach Viransehir gesetzt. Als sie dort aussteigen, ist ihr Geld bereits aufgebraucht.

    Ihre Wohnung in Bad Pyrmont wird umgehend von der Ausländerbehörde geräumt und das verbliebene Eigentum der Familie entsorgt. Der Wunsch des ältesten Sohnes Hidir, sich darum kümmern zu dürfen, wird ignoriert.

    Frau Seyyar hatte sich im Landeskrankenhaus in stationärer Behandlung befunden, weil sie zum wiederholten Male versucht hatte, sich zu töten. Sie hatte Tabletten geschluckt, weil sie den Druck der seit langem angedrohten Abschiebung nicht ertragen konnte. Der von Nachbarn gerufene Notarzt hatte daraufhin zunächst die Einlieferung der nicht ansprechbaren Frau ins St.-Georg-Krankenhaus Pyrmont veranlaßt, von wo aus sie dann ins Landeskrankenhaus gekommen war.

    Die kurdische Familie war seit elf Jahren in der BRD; die Asylanträge wurden alle abgelehnt. Durch die Abschiebung werden Halil (10), Serap (11), Ömer (12), Süleyman (14), Ramazan (15) und Mehmet (17) abrupt aus ihrem vertrauten Lebensumfeld gerissen.

    Der Landkreis kann die öffentliche Kritik an der Abschiebung der Familie Seyyar nicht nachvollziehen: "Der Familie war seit Juli bekannt, daß sie Deutschland verlassen muß .... Dieser Aufforderung ist sie nicht nachgekommen", so ein Sprecher auf Anfrage. "Anders als ihr ältester Sohn Hidir hat die Familie die elf Jahre ihres Aufenthaltes in Deutschland nicht genutzt, um sich hier wirtschaftlich und sozial zu integrieren." Dieser Polemik stehen die Aussagen vom Leiter des Schulzentrums und einer Mitarbeiterin des Kinderschutzbundes, die die Kinder und Eltern seit Jahren kennen, diametral gegenüber.

    Im März 2007 besuchen die Ärztin Dr. Gisela Penteker und ihr Kollege Dr. Ernst Ludwig Iskenius (Pädiater) die Familie im Dorf Sergenköy bei Viransehir. Die Familie lebt in einem Stall, dessen Wände aus Lehm sind, dessen Dach undicht ist und dessen winziges Fenster wenig Licht einläßt. Die Brettertür ist brüchig, so daß tagsüber Hunde hereinkommen, die die Kinder und Erwachsenen ständig anspringen und auch schon gebissen haben. Nachts dringen Hühner und Katzen ein. Der hintere Teil des Lehmbodens ist mit einem dünnen Stück Teppichboden abgedeckt. Der Elektrokocher ist an einer offenen Leitung angeschlossen – eine Steckdose gibt es nicht. Vor dem Stall steht ein Tankwagen mit platten Reifen, mit dem aus dem nahe gelegenen Fluß Wasser geholt werden kann. Die Familie hat wenig zu essen, die Kinder sammeln Grünpflanzen, und die Nachbarinnen haben erklärt, wie daraus Suppe zu kochen ist.

    Der 11-jährige Halil erzählt, daß er aufgrund seiner Nierenschmerzen, seiner Übelkeit und der Probleme beim Wasserlassen einmal im Krankenhaus in Viransehir war. Die Nachbarn hatten Geld gesammelt, damit dies möglich wurde. Die dortigen ÄrztInnen lehnten eine Untersuchung und Behandlung ab, weil türkische Übersetzungen der Befunde aus Deutschland nicht vorgelegt werden konnten. Der 13-jährige Ömer hat seit der Abschiebung Durchfall und Bauchschmerzen. Ein alter Mann aus dem Dorf hat Ramazan Metallstifte aus dem linken Daumen entfernt, die nach einer Fraktur in Deutschland hineinoperiert worden waren. Diese Prozedur fand ohne Narkose oder Desinfektionsmittel statt. Um den Schmerz zu unterdrücken, war dem Jungen eine Zwiebel in den Mund geschoben worden. Süleyman hat krustige Einstiche rund um die Augen, die mit Nadeln von Spritzen vorgenommen worden waren, um die Sehstörungen und Kopfschmerzen des 14-Jährigen zu lindern. Die Mutter ist apathisch und gebrochen. Die Medikamente, die sie in Deutschland bekommen hatte, sind schon lange aufgebraucht. Ihre 13-jährige Tochter führt alleine den Haushalt.

    Der Psychiatrie-Ausschuß des Landes Niedersachsen, ein Gremium von Experten und Politikern, beurteilt im nachhinein die Abschiebung von Frau Seyyar sehr kritisch und

bezweifelt die "Freiwilligkeit" der Ausreise der kranken Frau. Auch legt der Ausschuß den Bericht zweier Ärzte vor, die Frau Seyyar in der Türkei besuchten. "In dem Bericht wird in erschütternder Weise deutlich, daß die abgeschobene Patientin psychisch schwerst erkrankt ist und keine adäquate Behandlung erhält. Die Abschiebung hat bei bestehender psychischer Störung zu einer außergewöhnlichen Schädigung durch Verstärkung des Krankheitsbildes geführt." Und weiter: unbehandelt werde die Patientin "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein qualvolles Leben führen müssen".

    Auch ein Jahr nach der Abschiebung ist die Familie völlig auf finanzielle Unterstützung von ihrem in Deutschland studierenden Sohn Hidir und vor allem von den UnterstützerInnen angewiesen.

PyN 28.12.2006;

FRat NieSa; HiZ 21.7.07;

IPPNW AK Flüchtlinge und Asyl;

Unterstützerkreis der Familie Seyyar

 

Dezember 06

 

Bundesland Sachsen-Anhalt. In Sangerhausen greifen mehrere Rechte das Flüchtlingsheim an. Dabei wird auch die Wohnung des 23-jährigen Boureima T. beschädigt. Er und die anderen BewohnerInnen kommen mit dem Schrecken davon.

(siehe auch: Mai 06 und November 06)

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

Dezember 06

 

Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Der Bewohner des Flüchtlingsheimes Jürgenstorf Emad Rahim Mohammed leidet unter starken Bauchschmerzen. Er bittet die Heimleiterin Inge Porath mehrmals (!), einen Krankenwagen zu rufen. Sie lehnt dies jedesmal ab.

    Schließlich bringt ein Bekannter den Kranken in seinem privaten Wagen ins Krankenhaus, wo dieser sofort operiert wird – er hat einen Blinddarmdurchbruch erlitten.

    Die Heimleiterin rechtfertigt sich mit den Worten: Sie habe nicht wissen können, daß es ihm so schlecht ging. Schließlich sei er doch noch herumgelaufen. Hätte er sich nicht mehr bewegt, hätte sie ihm einen Arzt gerufen.

taz 10.8.07

 

 

 

 

Im Jahre 2006

 

Der aus der BRD abgeschobene Rom Hasan Krasniqi wird im Kosovo bei einer rassistischen Attacke durch Albaner von einem Auto angefahren und schwer verletzt. Seine Farbe sei das Problem, sagt er später BesucherInnen aus Deutschland.

    Auch erzählt er, daß seine zwei Kinder ständig krank sind und er weder Arbeit noch Sozialhilfe hat, um sie medizinisch versorgen zu lassen.

alle bleiben! - Reisebericht 9.9.11

 

 

Im Jahre 2006

 

Bundesland Baden-Württemberg. Morgens um drei Uhr klingelt es an der Wohnung der Familie Mofi / Mawa in Neckarweihingen bei Ludwigsburg. Polizisten wollen das Ehepaar, Gerard Mofi und Hotence Mawa, nach Bonn zur Botschaft der Demokratischen Republik Kongo bringen, damit dort Pässe ausgestellt werden. Weil Herr Mofi zur Zeit nicht anwesend ist, vergewissert sich eine Polizistin bei ihrer Dienststelle, ob sie tatsächlich die Mutter mitnehmen und die beiden Schulkinder allein in der Wohnung lassen sollen. So geschieht es schließlich: die weinenden Kinder, Exause und Ivone, bleiben voller Angst zurück. Ihr 56 Jahre alter Vater erzählt später, daß sie seither traumatisiert sind. Sobald sie eine Polizeisirene hören oder eine Uniform sehen, laufen sie weg und verstecken sich.

    Gerard Mofi hatte 1993 den Kongo verlassen, weil er aufgrund seiner oppositionellen Tätigkeit ins Gefängnis gekommen war und dort gefoltert wurde. Nur durch ein Bestechungsgeld kam er frei und verließ das Land. Seine Frau mußte er zunächst zurücklassen. Sie folgte ihm später in die BRD.

    Die beiden Kinder wurden dann geboren, und Herr Mofi arbeitete sechs Jahre lang bei einer Reinigungsfirma, bis er aus Rationalisierungsgründen entlassen wurde. Da die Aus-länderbehörde ihm dann keine Arbeitserlaubnis mehr erteilte, muß die Familie von Sozialhilfe leben. Ihre Asylanträge sind schon lange abgelehnt – sie leben mit Kettenduldungen.

Staatsanzeiger 13.11.06

 

 

Im Jahre 2006

 

Mehrere Abschiebeankündigungen und eine Inhaftierung in Abschiebehaft bringen eine junge Iranerin in eine derartige psychische Krise, daß sie einen Selbsttötungsversuch unternimmt. Sie kommt in psychotherapeutische Behandlung.

    Ihr Asylantrag wurde abgelehnt, und bei einer eventuellen Abschiebung droht ihr eine hohe Haftstrafe.

    Aufgrund der in der Haft entstandenen psychischen Erkrankung erhält die Frau später ein Aufenthaltsrecht.

DE 28.3.2007;

Antirassistische Initiative Berlin

 

 

Im Jahre 2006

 

Bundesland Schleswig-Holstein. In der Jugendhaftanstalt Neumünster befanden sich 10 Jugendliche (zwischen 16 und 18 Jahren) bei einer mittleren Haftdauer von 28,2 Tagen und einem Maximum von 58 Tagen in Abschiebehaft.

    Davon abgesehen, daß der Landesbeirat für den Vollzug der Abschiebehaft die Inhaftierung von jugendlichen Flüchtlingen generell für unverhältnismäßig und rechtswidrig hält, kritisiert er auch die regelmäßige Unterbringung der Jugendlichen in Strafhaftanstalten, wo die Jugendlichen mit jungen Straftätern gemeinsam inhaftiert sind.

Landesbeirat – Jahresbericht 2006

 

 

Im Jahre 2006

 

Bundesland Schleswig-Holstein. Im Abschiebegefängnis Rendsburg haben sich drei Gefangene selbst verletzt.

    Einer von ihnen, ein traumatisierter, suizidgefährdeter Gefangener, wurde über einen Zeitraum von insgesamt 41 Tagen in der Beobachtungszelle viertelstündlich kontrolliert.

    Ein anderer Fall ist hier unter dem 10. Januar 06 dokumentiert.

Landesbeirat – Jahresbericht 2006

 

 

Im Jahre 2006

 

Im Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick gab es nach Auskunft des Senators für Inneres auf die Anfrage der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen zwei Suizidversuche von männlichen Gefangenen. Zu dem am 13. Februar in dieser Dokumentation erwähnten Suizidversuch wird der Selbsttötungsversuch eines Libanesen (Haftdauer 174 Tage) genannt.

Abgeordnetenhaus Berlin DS 16/10839;

Abgeordnetenhaus Berlin DS 16/11578

 

 

Im Jahre 2006

 

Im Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick befanden sich 68 Minderjährige in Haft: ein 14-Jähriger (11 Tage), ein 15-Jähriger (1 Tag), acht 16-Jährige (bis 31 Tage) und 58

17-Jährige (bis 162 Tage).

BT DS 169142

 

 

Im Jahre 2006

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. In Abschiebehaft befanden sich 24 unbegleitete Minderjährige über eine durchschnittliche Dauer von 40 Tagen.

BT DS 169142

 

 

In den Jahren 2005 bis 2006

 

Bundesland Niedersachsen. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage wird bekannt, daß es einen Suizidversuch in der Abteilung Langenhagen der JVA Hannover (Abschiebehaft) gegeben hat.

LT Niedersachsen DS 15/3688