zur Hauptseite                                                     Zusammenfassung  2002

Kürzel-Erklärung

Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und
ihre tödlichen Folgen 
2002

 
1. Januar 02

 

Bei einem Brand in einem Flüchtlingsheim in Remscheid werden vier Menschen durch Rauchvergiftungen leicht verletzt. Sie werden ambulant behandelt. 80 weitere Personen müssen evakuiert werden.

ngo-online.de 2.1.02

 

6. Januar 02

 

Potsdam in Brandenburg. Ein 25 Jahre alter Flüchtling aus Sierra Leone wird morgens um ein Uhr im Wohngebiet Stern an der Straßenbahn-Haltestelle Johannes-Kepler-Platz von drei deutschen Männern angegriffen. Nach anfänglichen rassistischen Beschimpfungen werden die Täter handgreiflich. Sie schlagen und treten auf den Afrikaner ein, schleudern Schottersteine auf ihn und verletzen ihn mit einem Messer.

    Der Angegriffene wird mit schweren Verletzungen an Kopf, Schultern und Beinen ins Krankenhaus eingeliefert. Die drei 20-jährigen Täter sind flüchtig.

FR 8.1.02; BeZ 8.1.02; PNN 8.1.03;

JWB 16.1.02; Opferperspektive

 

8. Januar 02

 

Das Flüchtlingsheim im hessischen Groß-Zimmern im Kreis Darmstadt-Dieburg wird von zwei Männern überfallen. Mit Besenstielen schlagen sie auf zwei 54-jährige Bewohner aus Pakistan und Afghanistan ein – dann flüchten sie. Die beiden Flüchtlinge werden mit Kopfverletzungen ins Krankenhaus eingeliefert.

    Die Polizei schließt einen rechtsradikalen Hintergrund aus, weil die Täter "gezielt" gegen die beiden Bewohner vorgegangen seien und keine Nazi-Parolen verbreitet worden seien.

FR 9.1.02

 

12. Januar 02

 

Diskothek "Index" im niedersächsischen Schüttorf. Als der Asylbewerber K. sich morgens um 4 Uhr im Eingangsbereich mit einem Freund spielerisch knufft, weil der Freund gehen will, K. aber noch bleiben möchte, schubst und schlägt einer der Türsteher ohne Ansprache die beiden so heftig auseinander, daß K. in die Ecke schlägt und heftiges Nasenbluten bekommt. Als K. sich wehren will, kommt ein zweiter Türsteher und nimmt ihn – zusammen mit seinem Kollegen – in den "Schwitzkasten". Freunde und Freundinnen von K. mischen sich ein und versuchen, die Situation zu beruhigen.

    K. wird zur Kasse gezerrt, er wird gezwungen, sein Sweatshirt auszuziehen, wird nach Waffen durchsucht, aufgefordert zu zahlen und die Diskothek zu verlassen. Der Gedemütigte weigert sich, denn er will auf die Polizei warten und Anzeige erstatten.

    Daraufhin versuchen die immer aggressiver werdenden Türsteher, ihn ins Büro zu bringen. Obwohl es den Freundinnen und Freunden von K. gelingt, dies zu verhindern, müssen sie mit ansehen, wie K. dann mit Hilfe eines dritten Türstehers in einer Raumecke brutal zusammengeprügelt wird. Sie hören die Worte: "Du bist ein dreckiger Neger." Als die Schläger endlich von ihm ablassen, ist sein rechter Oberarm zersplittert.

    Die Freunde führen K. aus der Diskothek – draußen sackt er in sich zusammen.

    Die endlich eintreffenden Polizisten müssen von den FreundInnen mit Nachdruck aufgefordert werden, einen Krankenwagen zu rufen.

    Im Matthias-Stift in Rheine wird der komplizierte Splitterbruch des Oberarms sofort operativ versorgt.

Osnabrücker Bündnis gegen Abschiebungen 14.1.02

(Augenzeugenbericht)

 

13. Januar 02

 

Halberstadt in Sachsen-Anhalt. Um 10.05 Uhr wird ein

27 Jahre alter indischer Flüchtling von drei Jugendlichen auf dem Fischmarkt mit Faustschlägen angegriffen. Als sich ein 79-jähriger Mann einmischt und die Deutschen auffordert, von dem Inder abzulassen, bekommt auch er Faustschläge. Erst als ein Rentner-Ehepaar zu Hilfe kommt, flüchten die Täter. Die beiden Geschlagenen kommen ins Krankenhaus, können aber nach kurzer Untersuchung wieder entlassen werden. (siehe auch: 29. März 04)

Polizei Halberstadt Nr. 058/02;

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

15. Januar 02

 

Feuer in dem dreigeschossigen Block C des Flüchtlingsheimes in der Herrenberger Straße 85 in Tübingen. Als der Brand morgens um 2.30 Uhr entdeckt wird, ist vielen der 80 BewohnerInnen der Weg über das Treppenhaus durch den dichten Qualm bereits versperrt. 21 Menschen flüchten auf das Dach.

    Die schon nach wenigen Minuten eintreffenden Feuerwehren gehen mit schwerem Atemschutzgerät gegen den Brandherd im Keller vor. Es dauert 40 Minuten bis die frierenden Menschen mit Streckleitern vom Dach gerettet sind. Drei Notärzte versorgen die sechs Verletzten, von denen zwei Personen ins Krankenhaus gebracht werden müssen. Insgesamt 140 Personen werden evakuiert und kommen vorübergehend in eine Turnhalle.

    In den drei Häusern (Block A, B, C) des ehemaligen Pharma-Auslieferungslagers in der Herrenberger Straße, ist die Kapazität zur Unterbringung von Flüchtlingen, entsprechend der Flüchtlingen zugestandenen Wohn- und Schlafflächen von 4,5 Quadratmetern pro Person, fast ausgeschöpft. Von den 240 Wohnplätzen sind 230 belegt.

    Ein Defekt in einem Hauptverteilerkasten im Keller wird als Brandherd ermittelt.

    Auch nach der Beseitigung der Brandschäden bleiben die Wohnbedingungen für die 230 Flüchtlinge unzumutbar und gefährlich. Zu viele Menschen auf engem Raum, schimmelige Wände, zu wenige Duschen, Toiletten und Kochgelegenheiten – eine alte Dampfheizung, die sich in den Zimmern nicht regulieren läßt, so daß vor allem Kinder in der Gefahr sind, sich zu verbrennen.

SchT 16.1.02; RGA 16.10.02;

SchT 14.2.02; Bündnis Herrenberger Straße 1.5.02

 

15. Januar 02

 

In der mecklenburg-vorpommerschen Ortschaft Waren wird ein 29 Jahre alter Flüchtling aus Togo von einem NPD-Mitglied angegriffen. Der Rassist schlägt den Afrikaner mit einer Krücke und wirft ihm eine Flasche hinterher. Der Angegriffene kommt mit Blutergüssen davon.

LOBBI

 

17. Januar 02

 

Vier Mazedonier geraten in München in eine Polizeikontrolle. Während es Dreien gelingt wegzulaufen, wird ein 27 Jahre alter Asylbewerber von einem Polizisten festgehalten. Dann legt der Beamte dem Flüchtling die Handschellen so fest um die Gelenke, daß dieser meint, vor Angst und den starken Schmerzen ohnmächtig zu werden. Dabei droht der Polizist dem Gefangenen: "Sag, wo sind Kollegas, oder willst Du Schmerzen?"

    Für diese Gewaltanwendung zur Erzwingung einer Aussage wird der Dienstgruppenleiter im September zu einer 10-monatigen Bewährungsstrafe und zu einer Geldstrafe von 1000 Euro verurteilt.

SZ 3.9.02

 

18. Januar 02

 

Hamburg-Langenhorn. Am frühen Morgen wird der 16 Jahre alte Flüchtling Sangare Jalloh aus Sierra Leone mit schweren Kopfverletzungen auf einem Grünstreifen des Gehlengrabens von einer Fußgängerin gefunden. Neben ihm liegen sein Fahrrad und die Jacke des Schülers. Im Krankenhaus wird mit einer Notoperation vergeblich versucht, sein Leben zu retten. Drei Tage später erklären die Ärzte ihn für tot.

    Im März werden zwei Drogenabhängige festgenommen, die gestehen, daß sie Sangare Jalloh zunächst mit einem Baseballschläger niederschlugen und ihn dann ausraubten. Sangare Jalloh hatte mit Drogen gehandelt.

HA 19.1.02; HA 6.3.02;

FRat HH 16.3.03;

off limits Nr. 35 10/02

 

19. Januar 02

 

Halle in Sachsen-Anhalt. Ein 42 Jahre alter Flüchtling aus Kuwait hat sich in einer Gaststätte gerade ein Bier bestellt, als er von einem Deutschen mit der Faust ins Gesicht geboxt wird. Fast zeitgleich tauchen zwei weitere Männer auf und schlagen ebenfalls auf ihn ein. Danach wird er am Revers gepackt und aus der Kneipe befördert. Draußen wird er hart gegen ein Eisengeländer geschleudert und dann mit Handschellen daran festgemacht. Der erste Angreifer, er sieht aus wie ein Mitarbeiter einer Security-Firma, macht den Flüchtling erst wieder los, als die Polizei eintrifft.

    Mit einer Notfallambulanz kommt der Verletzte ins Krankenhaus und wird hier ambulant versorgt. Noch lange nach dem Überfall leidet er unter großen Schmerzen in der Rippen- und Nierengegend.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

22. Januar 02

 

Die 48-jährige Kurdin Nebiha El-Zein wird auf der Bremer Ausländerbehörde nach ihrem Sohn Abdulkadir gefragt. Nachdem sie sagt, daß er Zuhause sei, ergeht die Aufforderung an sie, "draußen Platz zu nehmen".

    Kurze Zeit später klingeln vier Polizeibeamte an ihrer Wohnungstür im Buntentorsteinweg und nehmen den 15 Jahre alten Abdulkadir in Abschiebehaft. Als Frau El-Zein davon erfährt, bricht sie zusammen und kommt zur stationären Behandlung ins Zentralkrankenhaus Ost.

    Der Familie El-Zein, die aus dem Libanon vor 14 Jahren in die BRD geflüchtet war, droht schon seit längerem die Abschiebung in die Türkei. Drei der Kinder sind in Bremen geboren, eines kam im Alter von zwei Monaten nach Deutschland, Abdulkadir im Alter von einem Jahr.

    Aus Angst vor der Abschiebung tauchen der Vater und die Söhne Hamit und Mehmet unter. Aufgrund der intensiven Fahndung der Polizei (Wohnungsdurchsuchungen von FreundInnen und Bekannten der Familie) werden Herr El-Zein und sein 16-jähriger Sohn Hamit nach zwei Tagen gefaßt und in Abschiebehaft genommen. Nun erst kommt Abdulkadir aus der Haft frei.

    Am 6. Februar werden Eltern und Kinder in die Türkei abgeschoben. Alle sprechen ausschließlich arabisch oder deutsch. Verwandte in der Türkei gibt es nicht.

    Allein der 19-jährige Mehmet El-Zein bleibt weiter in Deutschland, weil er sich der Abschiebung durch Flucht entzog. Die Polizei fahndet nach ihm.

    Die ersten Tage nach der Abschiebung schlafen die El-Zeins in einer aus Tüten gebastelten Notunterkunft im Wald. Dann gelingt es Herrn El-Zein mit dem letzten Geld, eine Wohnung zu mieten. Nach und nach finden Vater und Söhne Arbeit zu Dumping-Löhnen, die Mädchen gehen putzen. Zur Schule kann keines der Kinder gehen, weil dafür kein Geld

da ist.

taz 5.1.02; taz 23.1.02; taz 26.1.02; taz 31.1.02; taz 6.2.02;

Kurdistan-Rundbrief Nr. 1, Jg. 15, 15.2.2002;

mailingliste coyote (WK)

 

23. Januar 02

 

Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick. Der 16 Jahre alte Algerier Mohamed L. wird nach siebenmonatiger Abschiebehaft aus dem Gefängnis entlassen.

    Mit zunehmender Haftdauer hatte sich sein psychischer Zustand dramatisch verschlechtert. Er litt an Streß-Symptomen wie Kopfschmerzen, Zittern am ganzen Körper, Hautrötungen, Juckreiz und Schlaflosigkeit. Ab Dezember verweigerte er das Essen, verfiel in Weinkrämpfe, blieb im Bett liegen und wurde zunehmend apathisch.

    Seine Haft war mehrmals verlängert worden, weil ihm unterstellt wurde, nicht an der Paßbeschaffung mitzuwirken. Am 21. Dezember wurde Mohamed L. einer sogenannten Altersfeststellung unterzogen, die ihn zusätzlich unter seelischen Druck gesetzt hat. In einem Gutachten des Universitätsklinikums Benjamin Franklin – Zahn- und Kieferheilkunde an der Freien Universität – wurde sein Alter aufgrund einer Gebiß-und einer Handwurzel-Röntgen-Untersuchung auf "20 Jahre oder älter" festgelegt. Als jedoch die Rechtsanwältin von Mohamed L. dieses Gutachten anfocht und forderte, die begutachtende Professorin selbst vor Gericht zu hören, äußerte sich diese schriftlich mit den Worten: "Somit ist der Patient kaum jünger als 18 plus-minus 1 Jahr, aber auf jeden Fall älter als 20 Jahre."

Pfarrer D. Ziebarth

 

24. Januar 02

 

Flüchtlingsheim Schneckenstein in Thüringen – Obervogtland. Zwei Stunden nach Mitternacht wird Mohammad Hussein Tamana in der Dusche der Flüchtlingsunterkunft erhängt aufgefunden. Der 23 Jahre alte iranische Flüchtling hatte vorher zu einem Mitbewohner gesagt: "Ich werde morgen früh abgeholt."

    Nachdem Mohammad Hussein Tamana im Iran aus politischen Gründen drei Jahre lang im Gefängnis gesessen hatte, war ihm vor viereinhalb Monaten die Flucht in die BRD gelungen. Am 20. November 2001 war sein Asylantrag abgelehnt worden.

    Eine für den 26. Januar geplante Demonstration auf dem Auerbacher Neumarkt, mit der die AsylbewerberInnen auf die schlechten Lebensbedingungen im Vogtland und auf die skandalösen Zustände im Flüchtlingsheim Schneckenstein aufmerksam machen wollten, wird jetzt in einen Schweigemarsch zum Gedenken an Mohammad Hussein Tamana umgewandelt. Eine Sprecherin der Organisatoren: "Mohammad Hussein Taman hatte keine Chance, im Iran zu leben. Er hatte aber auch kein Geld, keinen Anwalt und so keine Chance, sich gegen seinen Ablehnungsbescheid zu wehren."

FP 28.1.02; jW 28.1.02; jW 2.2.02;

ND 13.2.01; JWB 20.2.02

 

24. Januar 02

 

Gera in Thüringen. Zwei irakische Flüchtlinge stehen am Zentralen Omnibus Bahnhof und warten auf ihren Bus. Einer von ihnen, ein 18-Jähriger, wird plötzlich von einer Gruppe Rechtsradikaler angepöbelt, so daß beide beschließen wegzulaufen. Doch die Rechten folgen ihnen, und es entsteht eine regelrechte Hetzjagd. An dieser Jagd beteiligen sich bis zu

20 Personen.

    Während dem 18-Jährigen die Flucht gelingt, wird sein Bekannter in eine Tiefgarage getrieben. Dort wird er von fünf oder sechs Angreifern geschlagen, getreten und gewürgt. Auch als die vom 18-Jährigen alarmierte Polizei eintrifft, malträtieren die Täter ihr Opfer immer noch.

ABAD Thüringen

 

24. Januar 02

 

Ein 16-jähriger indischer Flüchtling ist mit zwei Jungen aus seinem Kinderheim nachmittags im thüringischen Erfurt unterwegs. Auf dem Anger wird die kleine Gruppe von zwei deutschen Männern angepöbelt. Der 16-Jährige wird festgehalten, und ihm wird direkt ins Gesicht geschlagen. Er muß ins Krankenhaus, um seine gerissene Lippe nähen und seine zersplitterten Zähne versorgen zu lassen.

    Die Täter werden im Schnellverfahren verurteilt. Das Urteil gegen einen 20-Jährigen lautet: ein Jahr Freiheitsstrafe; ein 19-Jähriger bekommt 7 Monate auf Bewährung und

150 Arbeitsstunden.

ABAD Thüringen

 

25. Januar 02

 

Eine im sächsischen Plauen lebende Asylbewerberin aus Afghanistan versucht, sich mit Tabletten und Chemikalien umzubringen. Die Mutter zweier Kinder kommt verletzt ins Krankenhaus und überlebt.

jW 2.2.02; ND 13.2.02

 

27. Januar 02

 

Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick. Nach 31 Tagen Hungerstreik und außerordentlich geschwächt wird der Flüchtling E. nach Togo abgeschoben. Seither fehlt von E. jedes Lebenszeichen, obwohl ein telefonischer Kontakt mit der Initiative gegen Abschiebehaft vereinbart worden war.

    E. war in Togo aktives Mitglied der oppositionellen Union des Forces pour le Changement (UFC). Nachdem sein Vater, auch UFC-Aktivist, im April 1995 von der Militärpolizei abgeholt worden war und nie wieder auftauchte, beschloß E., aus Togo zu fliehen.

    Anfang 2001 wurde ihm auf der Ausländerbehörde Eisenberg im Saale-Holzland-Kreis ein Text vorgelegt, zu dem ihm erklärt wurde, daß dies ein "Antrag auf eine ständige Aufenthaltsgenehmigung" sei. E., der nur wenig Deutsch kann, unterschrieb und hat wahrscheinlich damit seinen Asylantrag unwissend zurückgezogen.

    Angaben, die E. im Asylfolgeantrag zu seiner Verfolgung in Togo machte, wurden nun nicht mehr berücksichtigt.

Initiative gegen Abschiebehaft Berlin

 

30. Januar 02

 

Ausreiselager Bramsche-Hesepe in Niedersachsen. Aufgrund einer Vorladung der Ausländerbehörde geht der 17 Jahre alte kongolesische Flüchtling K. M. in das Haus 10b. Hier teilt ihm die Beamtin mit, daß er jetzt nach Hause geschickt werde, weil er nicht freiwillig ginge. "Warum soll ich nach Hause, ich bin geflohen, weil meine Eltern umgebracht worden sind." Die Beamtin ignoriert diesen Einwand und sagt, daß jetzt sein Paß fertig sei, er sofort abgeholt werden würde und nach ca. einer Woche Abschiebehaft in die Demokratische Republik Kongo ausgeflogen werden würde.

    Als die beiden vor dem Raum wartenden Zivil-Polizisten die Eingangstür verschließen, gerät K. M. in Panik. Er schreit, daß er lieber hier sterben wolle als zurück zu müssen, und springt mit einem Kopfsprung durch die große Scheibe der Eingangstür. Hinter der Tür bleibt er ohnmächtig liegen. Die Beamten und auch die BewohnerInnen, die hinzukommen, sind hilflos. Obwohl ein Arzt aus Bramsche sich zu dieser Zeit im Lager aufhält, wird er nicht gerufen.

    Es dauert 20 Minuten, bis ein Krankenwagen kommt und K. M. mit einer Gehirnerschütterung und einer Beinverletzung ins Krankenhaus bringt. BesucherInnen erleben ihn am nächsten Tag apathisch und völlig desillusioniert. Am Abend flieht der 17-Jährige aus dem Krankenhaus. Seine wenigen Freunde aus dem Lager Bramsche-Hesepe haben bislang noch nichts von ihm gehört.

FRat NieSa Heft 93/94 April 2003 – Sonderheft Projekt X

 

31. Januar 02

 

Hauptbahnhof Halle in Sachsen-Anhalt. Als der 28-jährige Asylbewerber den Regionalexpreß von Halle nach Eisenach besteigen will, wird er von zwei angetrunkenen Skinheads, die einen Staffordshire-Terrier-Mischling bei sich führen, von der Waggonkante gestoßen. Der Zug fährt ab, und er bleibt verletzt zurück.

    Die Täter setzen ihre Angriffe fort.

(siehe nächster Textblock)

FR 1.8.02

 

31. Januar 02

 

Der 31 Jahre alte Flüchtling Jonas T. aus Äthiopien wird am Abend um 21.20 Uhr im Regionalzug von Halle nach Eisenach von zwei angetrunkenen Skinheads zunächst angepöbelt und als "Nigger" und "Motherfucker" beleidigt. Als der Äthiopier wegrennen will, zieht einer der beiden Angreifer sein Butterfly-Messer und ruft: "Maulkorb ab, jetzt geht es los!" Der 20 kg schwere Staffordshire-Terrier-Mischling seines Kumpanen springt den Afrikaner an, stößt ihn zu Boden und verbeißt sich in dessen Unterschenkel. Jetzt schlagen und treten die Skins auf den am Boden Liegenden ein: gegen den Rücken, gegen den Bauch, ins Gesicht und gegen den Kopf. Jonas T. blutet stark. Als einem der Angreifer das Messer herunterfällt, und der Verletzte danach greifen kann, lassen sie von ihm ab, ziehen den Hund von Jonas T. weg und gehen durch den nächsten Waggon weiter.

    Der Schaffner des Zuges veranlaßt einen Zwischenstop in Halle-Ammendorf, wo die Täter durch BGS-Beamte festgenommen werden und der Äthiopier ins Krankenhaus gebracht werden kann. Er hat schwere Bißverletzungen, Prellungen und Blutergüsse.

    Nach der Vernehmung und nach einem Alkoholtest dürfen die Täter mit ihrem Hund wieder gehen. Auf Nachfrage

erklären die BGS-Beamten, daß sie die Tat als "nicht so schwerwiegend" einschätzten.

    Erst 14 Tage nach dem Überfall wird Haftbefehl gegen die wegen gefährlicher Körperverletzung und Propaganda-Delikten vorbestraften bzw. unter Bewährungsstrafe stehenden Nazis erlassen. Sie kommen in Untersuchungshaft.

    Im Februar 2002 werden die Täter zu je viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Der Richter des Landgerichts Halle geht von einer "rassistisch motivierten Tat" aus und bewertet sowohl die Springerstiefel als auch den Hund als "gefährliche Waffen".

    Jonas T., der durch den Überfall auch seelisch traumatisiert wurde und sich nur noch unter großen Ängsten auf die Straße traut, stellt einen Antrag auf Verlegung in eine Unterkunft in einem westlichen Bundesland. Dieser Antrag wird abgelehnt. Psychotherapeutische Behandlung ist in Sachsen-Anhalt für Flüchtlinge derzeit nicht möglich.

taz 19.2.02; TS 19.2.02; FR 19.2.02;

jW 19.2.02; BeZ 19.2.02; MDZ 19.2.02;

taz 20.2.02; taz 26.2.02;

Brothers Keepers und

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt 26.2.02;

taz 1.8.02; FR 1.8.02; LR 1.8.02; MDZ 1.8.02;

Antifaschistisches Infoblatt Nr. 57 Herbst 2002

 

4. Februar 02

 

Ilmenau in Thüringen. Nach einem Disko-Besuch am frühen Morgen wollen drei Flüchtlinge aus Sierra Leone und Indonesien mit einem Taxi zu ihrer Unterkunft fahren. Plötzlich kommen neun z.T. glatzköpfige Rechtsradikale auf sie zu, hindern sie am Einsteigen, beschimpfen sie rassistisch und greifen sie tätlich an. Die Flüchtlinge versuchen, sich mit Steinen und Messern zu wehren.

    Als die von dem Taxi-Fahrer gerufene Polizei eintrifft, erstatten die Angreifer Anzeige gegen die Flüchtlinge, so daß diese festgenommen werden.

    Im Krankenhaus werden bei einem der Angegriffenen, einem Mann aus Sierra Leone, Rippenprellungen diagnostiziert.

ABAD Thüringen; JWB 13.2.02

 

5. Februar 02

 

Abschiebegefängnis auf dem Gelände der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber des Landes Brandenburg in Eisenhüttenstadt (ZABH). In dem sogenannten Ruhigstellungsraum mit der Nr. 2007 wird ein 29 Jahre alter Gefangener für zwei Stunden und 50 Minuten mit einem besonderen Gurtsystem "komplett" fixiert. Die Bewegungsfreiheit des Gefangenen ist damit maximal eingeschränkt.

    Am nächsten Tag passiert ihm dasselbe für drei Stunden und am 5. März wird er abermals für 20 Minuten "komplett" fixiert.

Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage der PDS-Fraktion

Drucksache 3/7237

 

6. Februar 02

 

Nahe der sächsischen Ortschaft Lößnitz werden zwei iranische Flüchtlinge auf offener Straße überfallen. Die Iraner sind auf dem Wege von einer Tankstelle zu ihrem Wohnheim, als ein Auto neben ihnen anhält und vier Männer aussteigen. Diese schlagen auf sie ein und attackieren sie mit einem Messer und Flaschen. Dann fahren sie mit dem Auto davon.

    Beide Iraner kommen ins Krankenhaus und müssen stationär behandelt werden. Während bei dem einen eine Schädelfraktur diagnostiziert wird, hat sein Begleiter nur leichte Verletzungen. Dieser kann den Angriff allerdings psychisch nicht überwinden. Er leidet unter Alpträumen und Angstzuständen, so daß ihm auch im April 2002 noch Psychopharmaka verordnet werden müssen.

    Die Sonderkommission Rechtsextremismus des sächsischen Landeskriminalamtes übernimmt die Ermittlungen.

AMAL Dresden; LKA-Sachsen 7.2.02; jW 8.2.02;

BeZ 8.2.02; FR 8.2.02; BeZ 12.2.02; JWB 13.2.02

 

9. Februar 02

 

Hüseyin Vurucu, kurdischer Flüchtling aus der Türkei, tötet sich, indem er sich auf die Schienen im Bahnhof des hessischen Stadtallendorf legt und sich von dem einfahrenden Zug überrollen läßt.

    Damit setzt der 40-jährige Hüseyin Vurucu seinem langen, schweren Leidensweg ein zu erwartendes Ende.

    Hüseyin Vurucu war Mitte der neunziger Jahre mit seiner Familie in die BRD geflohen, nachdem er in der Türkei verfolgt und gefoltert worden war. Obwohl mehrere psychiatrische Gutachten seine schweren Posttraumatischen Belastungsstörungen belegten, lehnte das Verwaltungsgericht den Asylantrag ab. Die erlittene Folter wurde ihm nicht geglaubt; eine in Abwesenheit gegen ihn verhängte Gefängnisstrafe von einem türkischen Gericht wurde ignoriert.

    Allein die Tatsache, daß er durch seine schwere psychische Erkrankung nicht reisefähig war, bewahrte ihn und seine Familie über lange Zeit vor der Abschiebung – eine Duldung wurde immer wieder verlängert.

    Seine Situation verschärft sich im Sommer 2001, als ein Cousin und ein Schwager in der Türkei zu Tode kommen. Hüseyin Vurucu schluckt 50 Tabletten eines Medikamentes, um sich umzubringen. Seine Frau und ein Schwager finden ihn gerade noch rechtzeitig. Er kommt vorübergehend in die Psychiatrie.

    Wenige Tage vor seiner Selbsttötung erscheint Hüseyin Vurucu in der örtlichen Polizeistation und erklärt, daß er krank sei, verrückt werde, und bittet die Beamten, ihn ins Krankenhaus zu bringen. Diese schicken ihn jedoch wieder weg.

    Mit dem Tod des Ehemannes und des Vaters droht jetzt der an Diabetes leidenden Ehefrau Sultan Vurucu und ihren sechs Kindern die Abschiebung, weil ihr Aufenthalt ausschließlich an Hüseyin Vurucus Duldung gekoppelt war. Die beiden ältesten Söhne sind schon vor geraumer Zeit untergetaucht, weil ihnen die Abschiebung drohte.

    LehrerInnen und SchülerInnen der Landgräfin-Elisabeth-Schule und der Georg-Büchner-Schule, an denen die Söhne Baris und Serkan Schul- bzw. Klassensprecher sind, setzen sich in der folgenden Zeit für ein Bleiberecht der Familie ein, machen den Fall öffentlich, sammeln 1200 Unterschriften und schreiben an den Hessischen Landtag, den Bundestag und den Bundespräsidenten. Im März 2005 lehnt das Verwaltungsgericht Gießen Asylfolgeanträge der Familie und auch ein Abschiebeverbot ab.

Mehmet Tanriverdi – Kurdische Gemeinde in Deutschland;

Oberhessische Presse 23.2.02; FR 27.2.02;

JWB 6.3.02; Express Online 7.3.02;

Gießener Express 8.3.02;

Antifaschistisches Cafe / Internationales Cafe Gießen 17.3.02;

MNZ 21.5.03;

FR 5.2.04; OP 19.12.04;

OP 6.2.05; FR 15.2.05;

JWB 30.3.05

 

11. Februar 02

 

Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick. Der 17-jährige Nasim F. aus Algerien versucht, sich mit einem Bettlaken an einem Gitter zu erhängen. Er wird bewußtlos von Mitgefangenen gefunden.

    Nach einem zweistündigen Aufenthalt im DRK-Krankenhaus Köpenick kommt er zurück in die Abschiebehaft.

    Dann beginnt er einen Hungerstreik, den er nach 22 Tagen körperlich äußerst geschwächt beenden muß.

    Am 22. September 2001 war Nasim F. bei einer Polizeikontrolle in Hamburg verhaftet worden und kam in Abschiebehaft.

    Entlassen wird der Minderjährige nach achteinhalb Monaten Haft am 4. Juni 2002.

Initiative gegen Abschiebehaft Berlin;

Jesuiten-Flüchtlingsdienst

 

12. Februar 02

 

Abschiebehaft in der JVA Mannheim. D. K., Asylbewerber aus Rußland, verletzt sich nach ca. fünf Monaten Haft mit einer Rasierklinge am Unterarm. Danach muß der 18-Jährige weitere Wochen in Abschiebehaft ausharren, bevor er mit einer Duldung entlassen wird und sich in Behandlung beim Zentrum für Folteropfer in Ulm begeben kann.

    Durch ein Schreiben des VG Karlsruhe war der Justizvollzugsanstalt D. K.’s Problem bekannt. In seinem Asylantrag hatte er den sexuellen Mißbrauch durch Männer geltend gemacht. Das Verwaltungsgericht wertete dies als asylrechtlich unerheblich, wies jedoch auf die Möglichkeit von Duldung und Petition auf Grund der besonderen Situation hin.

    D. K.’s Rechtsanwalt bat daraufhin die JVA Mannheim um eine psychologische Untersuchung. Nach zwei weiteren Aufforderungen um Stellungnahme, weil zunächst gar keine Reaktion erfolgte, wird dies abgelehnt mit der Begründung, daß nach Ansicht der Anstaltspsychologen eine Therapie in deutscher Sprache wegen mangelnder Sprachkenntnisse nicht möglich sei. Das Problem ließe sich durch eine Abschiebung nach Moskau und dortige Behandlung lösen. Für die Selbstverletzung des Asylbewerbers kann keine Erklärung gegeben werden.

AG für Menschen in Abschiebehaft Mannheim

 

13. Februar 02

 

Flüchtlingsunterkunft Jena-Forst in Thüringen. Ein Angehöriger des Sicherheitsdienstes kommt in das Zimmer von Constance Etchu und fordert sie auf, ihre Sachen zu packen, weil sie ins Flüchtlingsheim Gera gebracht werden soll. Die Kamerunerin erklärt, daß sie schon am Vortage in Gera war und ihr die HeimbewohnerInnen dort erzählt hätten, daß vor allem schwarze Menschen wegen der starken Nazi-Szene dort extrem gefährdet seien. Daraufhin sei sie wieder nach Jena zurückgekehrt. Sie würde gerne in ein anderes Heim gehen – jedoch nicht nach Gera.

    Der Sicherheitsdienst ruft die Polizei, die in Person eines Mannes in Zivil – allerdings mit Pistole – erscheint. Constance Etchu wird aus ihrem Zimmer geholt und in das Büro des Sicherheitsdienstes eingesperrt. Nach ca. 20 Minuten erscheinen eine Polizistin und ein Polizist im Büro, drehen Frau Etchu die Arme auf den Rücken und legen ihr in dieser Position Handschellen an.

    Als Constance Etchu sich weigert, in den Polizeibus zu steigen und die Polizisten weiter drängeln, fällt sie in den Schlamm zu Boden. Während ein Polizist mit dem Fuß auf ihr Gesicht tritt, setzt ein anderer seinen Fuß auf ihren Bauch, später auf ihre Brust. Die Polizistin tritt ihr mit den Füßen gegen den Kopf.

    Die gegen diese Mißhandlung protestierenden HeimbewohnerInnen werden von Angehörigen des Sicherheitsdienstes mit "Arschloch", "Penner", "Fuck you", "Black Monkeys" beleidigt.

    Constance Etchu wird hochgezerrt, ein Polizist legt schützend Plastiktüten auf die Sitze, und die völlig verschmutzte Constance Etchu wird unter Fausthieben gegen ihren Bauch ins Polizeiauto gezwungen. Damit sie ihren Oberkörper auch im Wagen nach vorne beugt, wird ihr mehrmals gegen den Kopf geboxt.

    Mit auf dem Rücken gefesselten Händen, mit gebundenen Beinen und heruntergedrücktem Kopf wird Constance Etchu nach Gera gefahren. Ihre persönlichen Sachen hat ein Wachmann in Abwesenheit der Besitzerin in eine Plastiktüte eingepackt und die Tüte in ein zweites Polizeiauto geworfen.

    Nach der Ankunft im Flüchtlingsheim in Gera weigert sich Constance Etchu, den Wagen zu verlassen. Die Beamten lösen ihre Fußfesseln und schleifen sie deshalb solange über den Boden, bis sie aufgibt und selbst geht.

    Am 27. Juni wird Frau Etchu die Auszahlung der monatlichen 40 Euro und die Aufladung der Chipkarte verweigert. Diese Sanktionsmaßnahme begründet die Ausländerbehörde damit, daß sie eine Strafe von 20 Euro wegen zweitägiger Abwesenheit zu zahlen habe.

    Im Flüchtlingsheim zurück schreit Frau Etchu ihre Wut heraus und trommelt auf einen Topf. Polizei und Ambulanz werden gerufen. Constance Etchu läuft in ihr Zimmer und schließt die Tür zu. Die Polizisten brechen die Tür auf, pakken sie an beiden Armen, legen ihr Handschellen an, ketten sie zusätzlich an das Fahrzeug der Ambulanz und fahren sie anschließend ins Waldklinikum.

(siehe auch: 28. Juni 02 und 14. April 03)

FRat Thüringen 13.2.02;

The VOICE 18.2.02;

(Bericht von sieben ZeugInnen; Bericht der Betroffenen);

antira@verdi.de 2.6.02

 

15. Februar 02

 

Die 74-jährige yezidische Asylbewerberin Frau B. H. erhängt sich mit einem Gürtel am Fenster ihres Zimmers im Flüchtlingsheim "Stieg" bei Albbruck in Südbaden. Frau H. war Mitte des Jahres 2000 in die BRD gekommen, nachdem sie

13 Jahre lang in Syrien gelebt hatte. Ursprünglich stammt sie aus der Region Sinja im nördlichen Irak.

    Ihr Sohn, der mit seiner Frau und sechs Kindern in derselben Unterkunft lebt, beschreibt einen Zusammenhang zwischen den Depressionen seiner Mutter und der Unterbringung in dem völlig abseits gelegenen Lager.

Die Aussichtslosigkeit und die menschenunwürdigen Verhältnisse haben maßgeblich dazu beigetragen, daß B. H. sich das Leben nahm.

    Nach Bekanntwerden der Selbsttötung von Frau H. protestieren ca. 60 der insgesamt 180 BewohnerInnen erneut gegen die schlechten Bedingungen in "Stieg". Zerstörungsaktionen finden statt, und zwei kurdische Bewohner beginnen einen Hunger- und Durststreik. Ziel der Protestierenden ist der Transfer in eine andere Unterkunft.

    Am 22. Februar muß einer der Durststreikenden in die Klinik gebracht werden.

    Reaktion der Aufsichtsbehörde auf die Selbsttötung und auf die Proteste gegen die skandalösen Lebensbedingungen der Flüchtlinge: Verstärkung des Wachpersonals und vermehrte Routinekontrollen durch die Polizei.

SAGA 21.2.02; SAGA 23.2.02;

Schwarzwälder Bote 25.2.02;

graswurzelrevolution Nr. 269 Mai 2002

 

16. Februar 02

 

Bundesland Brandenburg. Der 30 Jahre alte Ahmed K., Palästinenser aus dem Libanon, joggt in den Morgenstunden, bis er um 10 Uhr auf einem Feldweg zwischen Waßmannsdorf und Schönefeld von vier Männern angehalten wird. Die zum Teil glatzköpfigen Deutschen fragen ihn, ob er Ausländer sei, und schlagen dann mit einem Brett, einer Flasche, einem Hammer und anderen Gegenständen auf ihn ein. Der Angegriffene kann zweimal weglaufen und wird zweimal wieder eingeholt. Auch als er am Boden liegt, wird er weiter mit Tritten der Stahlkappenstiefel traktiert.

    Ein Wachmann des nahe gelegenen Flüchtlingsheims findet den Schwerverletzten. Ahmed K. kommt mit einem Schädelhirntrauma, einem Nierenriß und schweren Prellungen ins Krankenhaus.

    Zwei Täter werden am 23. Mai vom Amtsgericht Königs-Wusterhausen zu Jugendstrafen von zwei Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt. Gegen einen Dritten spricht das Gericht eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten aus.

    Ahmed K. muß sich wegen seiner schweren Schlafstörungen, Depressionen und Alpträume, unter denen er seit dem Überfall leidet, in psycho-therapeutische Behandlung begeben. Als ihm die Abschiebung für den 20. November 2003 angekündigt wird, taucht er unter und versucht, ohne Papiere und ohne Behandlung zu überleben.

BM 20.2.02; BeZ 20.2.02;

 ND 20.2.02; taz 20.2.02;

JWB 27.2.02; MAZ 24.5.02;

BM 5.6.02; BeZ 5.6.02;

Opferperspektive 28.8.02;

VS-Bericht Brbg 2002;

taz 16.12.03; JWB 24.12.03

 

20. Februar 02

 

Der 23 Jahre alte Flüchtling Kodjovi Agbelessessy aus Togo wird im brandenburgischen Perleberg von Skinheads geschlagen und bestohlen. Aufgrund der Drohung der Schläger "wiederzukommen" gelingt es Herrn Agbelessessy, eine Umverlegung in ein Heim in Potsdam zu erwirken.

(siehe auch: 25. Mai 02)

Opferperspektive 26.7.02; MAZ 28.5.02

 

23. Februar 02

 

Nihat Aydogmus trifft in Deutschland ein, um sich einer medizinischen Behandlung zu unterziehen – er wird sofort verhaftet und in die Abschiebehaftanstalt Büren gebracht.

    Nihat Aydogmus hatte als TKP ML-Gefangener im türkischen Ümraniye und danach im F-Typ-Isolationsgefängnis in Kandira 138 Tage an dem Todesfasten gegen die F-Typ-Gefängnisse teilgenommen. Nachdem sich sein Gesundheitszustand kritisch verschlechtert hatte, wurde er bedingt freigelassen.

    In Büren leidet er unter Epilepsie und wird oft ohnmächtig; sein Gesundheitszustand ist nach wie vor kritisch.

    Nach einer Abschiebung droht ihm unmittelbar die erneute Verhaftung durch die türkische Polizei , denn in der Türkei war er zu einer zwölfjährigen Haftstrafe verurteilt worden.

Özgür politika 28.2.02;

TAYAD Komitee Deutschland 28.2.02

 

26. Februar 02

 

Das Amtsgericht Grimmen in Mecklenburg-Vorpommern verurteilt einen Asylbewerber aus Armenien zu acht Monaten Gefängnis und seine Frau zu vier Monaten Gefängnis auf Bewährung. Das Vergehen: wiederholtes unerlaubtes Verlassen des ihm zugewiesenen Landkreises (Verletzung der Residenzpflicht).

    Das Argument der angeklagten Frau, daß ihr Mann medizinische Hilfe brauche, kontert der Richter mit den Worten: "Ich habe diese Ausreden schon oft gehört."

JWB 6.3.02

 

Februar 02

 

Rheinland-Pfalz. Ein afrikanischer Flüchtling versucht, sich mit Tabletten umzubringen. Der abgelehnte Asylbewerber befindet sich seit langem in einer psychischen Ausnahmesi

tuation, weil ihm seitens der Ausländerbehörde einerseits eine fehlende Mitwirkung bei seiner Abschiebung unterstellt wird, andererseits die Botschaft seines Herkunftslandes ihm keine Papiere ausstellen will.

Antirassistische Initiative Berlin

 

5. März 02

 

Im brandenburgischen Bernau wird ein 12-jähriges afghanisches Mädchen von zwei 13 und 14 Jahre alten Brüdern rassistisch beschimpft, geschlagen und getreten. Es erleidet leichte Verletzungen.

    Am nächsten Tag wird Haftbefehl gegen den 14-jährigen Schüler erlassen. Er gibt zu, mit seinem jüngeren Bruder aus rassistischen Motiven heraus zugeschlagen zu haben

taz 6.3.02; Opferperspektive (BeZ 6.3.02); taz 7.3.02

 

5. März 02

 

In der Hamburger JVA Glasmoor begeht ein 30 Jahre alter Abschiebegefangener aus der Türkei einen Suizidversuch.

Hamburgische Bürgerschaft DS 18/188;

Hamburgische Bürgerschaft DS 20/469

 

6. März 02

 

Spremberg in Brandenburg. Ein 29 Jahre alter Flüchtling wird beim Joggen abends um 22 Uhr überfallen. Aus einem hinter ihm anhaltenden Auto steigen vier oder fünf Personen aus und beschimpfen ihn mit "Scheiß Ausländer". Sie verfolgen ihn und greifen ihn dann mit einem Gegenstand an. Auf der Polizeiwache wird eine Schnittverletzung an seinem Oberarm festgestellt. Der Asylbewerber muß sich in ärztliche Behandlung begeben.

nhz April 02 (LR 8.3.02)

 

6. März 02

 

Das Flüchtlingsheim im sächsischen Niesky wird durch einen Brand vollständig vernichtet. Die 43 BewohnerInnen aus Sri Lanka, Bulgarien, Jugoslawien und Vietnam können alle unverletzt evakuiert werden.

    Abends um 22 Uhr werden die ersten Flammen entdeckt, und als die Feuerwehr eintrifft, brennt der Dachstuhl lichterloh. Trotz des Einsatzes von 60 Feuerwehrleuten aus den umliegenden Orten kann nicht verhindert werden, daß das aus Holz gebaute Gebäude vollständig verbrennt. Auch die wenigen Besitztümer der Flüchtlinge sind damit vernichtet.

    Brandstiftung als Ursache des Feuers wird zunächst völlig ausgeschlossen. Fast fünf Monate später geht die Polizei allerdings von Brandstiftung aus.

LR 8.3.02; LR 23.7.02

 

6. März 02

 

Jüchen bei Neuss in Nordrhein-Westfalen. Um 22 Uhr bricht im Flüchtlingsheim ein Feuer aus. Zwei Personen erleiden Rauchvergiftungen.

taz 8.3.02

 

7. März 02

 

Wiesbaden – Philippsring 16a. Um 4.30 Uhr klingelt es Sturm an der Tür der Familie Mogos. Als Herr Marin Mogos die Tür öffnet, wird er von rund einem Dutzend Männer und Frauen in Zivil zur Seite gedrängt. Die seit 13 Jahren in Deutschland lebende Familie hat die Abschiebung seit Wochen erwartet, st dennoch nicht vorbereitet. Die Kinder, die 18-jährige Gabriela, der 17-jährige Gheorghe und die 15-jährige Dorina folgen den Aufforderungen, ihre Sachen zu packen. Frau Anisoara Mogos ist nicht anwesend. Sie leidet seit Jahren unter Depressionen, geht dann oft in schlaflosen Nächten am Rhein spazieren.

    Die BeamtInnen legen den Familienmitgliedern Handschellen an und warten noch bis 7.30 Uhr auf die Rückkehr von Frau Mogos. Dann fordern sie Marin, Gabriela und Gheorghe auf mitzukommen. Herr Mogos gerät in Panik und

schreit: "Wir müssen auf meine Frau warten!" Eine an seinen Kopf gehaltene Pistole läßt ihn verstummen. Die drei werden jetzt in Begleitung von acht BeamtInnen zum Münchener Flughafen gebracht und – weiterhin mit Handschellen gefesselt – mit einer Lufthansa-Maschine nach Bukarest geflogen.

    Vier PolizistInnen warten mit Dorina Mogos in der Wohnung auf ihre Mutter. Als diese um 10.30 Uhr erscheint, wird auch sie gleich gefesselt. Sie bricht zusammen, wird ohnmächtig und wacht erst nach einigen Minuten wieder auf. Eine Untersuchung oder Behandlung der Frau wird abgelehnt, sie wird mit ihrer Tochter zum Frankfurter Flughafen gebracht. Die beiden werden durchsucht und 1000 Euro werden ihnen mit der Bemerkung weggenommen: äKriegt Ihr später wiederä.

    Um die beiden gefesselten Frauen angesichts der am Flugzeugeingang der Lufthansa-Maschine wartenden rumänischen FlugbegleiterInnen zur Ruhe zu bringen, ziehen die BGS-Beamten ihre Schußwaffen und drohen, wenn sie nicht ruhig würden, dann "passiere etwas". Um 16.25 Uhr landet die Maschine in Bukarest.

    In der Transitzone des Flughafens Otopeni treffen sich die Mogos wieder. Sie sind Roma, hatten nach ihrer Flucht in die BRD ihre Entlassung aus der rumänischen Staatsangehörigkeit beantragt und sind somit heute staatenlos. Da die BRD-Behörden ihnen allerdings niemals Staatenlosenpässe ausstellten, erhielten sie über die Jahre hinweg nur Duldungen.

    Herr Mogos war vom ehemaligen Geheimdienst Securitate verfolgt worden, er wurde verhaftet, geschlagen und gefoltert. Auch seine damals schwangere Frau war nicht verschont worden, sie hatte durch die brutalen Mißhandlungen ihr Kind verloren. Sie hatten sich nach ihrer Flucht geschworen, nie wieder rumänischen Boden zu betreten.

    Sie verweigern auch jetzt nach der Abschiebung die Einreise und müssen deshalb in der von rumänischer Grenzpolizei bewachten Baracke des Transitbereiches ausharren. Täglich wird unter Drohungen versucht, sie zur Einreise zu bewegen. Nahrungsmittel und Medikamente werden ihnen von behördlicher Seite verweigert; die Mogos müssen sie selbst finanzieren. Dem zuckerkranken Marin Mogos gehen demnächst die Insulin-Präparate zuende, und die Antidepressiva von Anisoara Mogos sind nach einigen Tagen verbraucht.

    Als die Mogos am 1. April dem Mitgefangenen Roma Mihai Ion zur Hilfe eilen, als er gewaltsam aus dem Transitbereich geholt wird, werden sie als "dreckige Zigeuner", "Schlampen" und "Huren" beschimpft, und Frau Mogos wird eine Vergewaltigung angedroht. Die 15-jährige Dorina bekommt daraufhin einen Schock und ist lange nicht mehr ansprechbar.

    Auch im November 2004 hat sich die Situation der Mogos nicht verändert. Eine Klage vor dem Wiesbadener Verwaltungsgericht ist gescheitert. Die Hoffnung der Familie richtet sich nun auf den Ausgang ihres Prozesses am Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg. Im Juni 2005 wird die Klage der Mogos gegen die BRD einstimmig abgewiesen. Familie Mogos klagt zudem gegen den rumänischen Staat, weil Grenzbeamte Frau Mogos geschlagen haben und ihr Sohn Gheorghe von ihnen gegen eine Tür geschmettert wurde. Die Entscheidung dieser Klage steht im April 2007 noch aus.

    Am 17. März 2007 wird Marin Mogos von Grenzbeamten morgens um 6 Uhr in einem ungenutzten Raum der Baracke tot aufgefunden. Er hat sich mit einer Wäscheleine erhängt.

Am Abend zuvor hatte er sich noch bei der rumänischen Anwältin der Familie gemeldet und gesagt: "Ich bitte Sie, passen Sie auf meine Kinder und meine Ehefrau auf."

KMii 3.4.02; AZM 13.4.02;

analyse und kritik 19.4.02; FRat Wiesbaden 3.6.02; RMP 11.2.03;

stern tv 10.10.04; WT 7.5.05; AZM 25.6.05;

dpa 17.3.07; TS 18.3.07;

WT 19.3.07; FR 26.3.07; TS 11.4.07

 

8. März 02

 

Flüchtlingsheim "Stieg" bei Albbruck in Südbaden. Im Hausflur des ersten Stockwerks brennt es. Als ein Flüchtling aus dem Kosovo das Feuer in unmittelbarer Nähe seines Zimmers um 3 Uhr morgens entdeckt, springt er in Panik aus dem Fenster. Bei dem Fall aus 3-4 Metern Höhe verletzt er sich das Knie.

SAGA 11.3.02;

graswurzelrevolution Nr. 269 Mai 2002

 

11. März 02

 

Ein 18 Jahre alter Flüchtling aus Sierra Leone wird in einer Straßenbahn in Frankfurt (Oder) von drei deutschen Jugendlichen attackiert. Sie beschimpfen ihn, reißen ihm seine Mütze vom Kopf, ziehen ihn an den Haaren, schlagen ihn gegen die Brust und bedrohen ihn mit brennenden Feuerzeugen.

    Durch das gemeinsame Eingreifen einer Gruppe StudentInnen der Viadrina und des Straßenbahnfahrers gelingt es, den Angriff zu stoppen. Der Fahrer stoppt die Bahn, schaltet das Licht an und verriegelt die Türen, damit die Täter nicht fliehen können. Als nach wenigen Minuten die Polizei eintrifft, können die Rassisten abgeführt werden.

BeZ 13.3.02; BeZ 15.3.02;

JWB 20.3.02

 

12. März 02

 

Bundesland Brandenburg im polnisch deutschen Grenzgebiet. An der Neiße-Oder-Mündung nahe der Ortschaft Wellmitz wird eine männliche Person auf polnischer Seite aus der Oder geborgen. Die Identität ist nicht bekannt.

BPol Frankfurt (Oder) 20.2.08

 

14. März 02

 

Mecklenburg-Vorpommern. In der Ortschaft Friedland bei Neubrandenburg werden drei kurdische Flüchtlinge vor einem Imbiß von einem Rechten beleidigt und angegriffen. Die Polizei nimmt die drei Angegriffenen in Haft und einige Beamten drohen mit Abschiebung.

LOBBI

 

15. März 02

 

Halle in Sachsen-Anhalt. Ein irakischer Flüchtling wird vor und in seiner Wohnung von ca. 13 Personen rassistisch beleidigt und geschlagen. Er muß seine Verletzung am linken Ohr und seine vielen Prellungen im Gesicht, an Ellenbogen und Fingern im Elisabeth-Krankenhaus stationär behandeln lassen.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

25. März 02

 

Konstanz in Baden-Württemberg. Unbekannte legen morgens um 4 Uhr im Sammellager in der Gustav-Schwab-Straße zwei Brände, indem sie in den Fluren des ersten und zweiten Stockwerkes Benzin ausgießen und anzünden. Ein im Eingang des Hauses abgestellter Kinderwagen wird ebenfalls mit Benzin übergossen, jedoch nicht angezündet. BewohnerInnen entdecken die Feuer und können sie selbst löschen. Von den in diesem Haus lebenden 30 BewohnerInnen aus dem Kosovo, China, Afghanistan, Iran und afrikanischen Ländern kommt niemand zu Schaden.

    Die Polizei und Staatsanwaltschaft gehen nicht von "politischen oder ausländerfeindlichen Motiven" für die schwere Brandstiftung aus.

SK 26.3.02;

JWB 3.4.02;

indymedia (von Warning 2.4.02)

 

28. März 02

 

Staßfurt in Sachsen-Anhalt. Abends um 23 Uhr schleudern zwei Jugendliche im Alter von 15 und 16 Jahren einen Brandsatz durch ein geschlossenes Fenster des Flüchtlingsheimes und setzen damit ein zur Zeit leerstehendes Zimmer in Brand. Die Feuerwehr kann den Brand schnell löschen, so daß von den 25 Menschen, die sich an diesem Abend im Heim aufhalten, niemand verletzt wird.

    Die beiden Rechtsextremisten werden schnell gefaßt und legen Geständnisse ab.

Polizei Halberstadt Nr. 057/02;

BeZ 2.4.02; taz 2.4.02; JWB 10.4.02

 

28. März 02

 

Bundesland Sachsen-Anhalt. In der Nacht werfen jugendliche Nazis Brandflaschen gegen das Flüchtlingsheim in Aschersleben. Nachdem es den BewohnerInnen nicht gelingt, das Feuer zu löschen, rufen sie die Feuerwehr. Die circa hundert BewohnerInnen aus der Türkei, Vietnam, Jugoslawien und Afrika werden evakuiert – niemand wird ernsthaft verletzt.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

29. März 02

 

In der Hamburger JVA Hahnöfersand begeht ein 20 Jahre alter Abschiebegefangener aus Algerien einen Suizidversuch.

Hamburgische Bürgerschaft DS 18/188;
Hamburgische Bürgerschaft DS 20/469

 

März 02

 

Kühlungsborn in Mecklenburg-Vorpommern. Über einen längeren Zeitraum wird ein 15 Jahre alter Flüchtling aus Armenien, der im hiesigen Flüchtlingsheim lebt, sowohl vor der Schule als auch außerhalb auf der Straße von Nazis rassistisch beleidigt und auch tätlich angegriffen.

LOBBI

 

11. April 02

 

Am frühen Morgen um 3.20 Uhr wird der Brand in der Flüchtlingsunterkunft Europastraße in Tübingen entdeckt. Nachdem die Feuerwehr eingetroffen ist, kann das Feuer schnell gelöscht werden. Eine Person kommt mit einer Rauchvergiftung ins Krankenhaus.

    Als die Feuerwehr abrückt, bleiben sieben frierende Personen auf der Straße zurück. Ausschließlich den ehrenamtlichen HelferInnen des DRK bleibt es überlassen, die jetzt obdachlosen Flüchtlinge für den Rest der Nacht unterzubringen und sie zu versorgen.

    Erst gegen 11 Uhr vormittags und nach mehrmaligen Anmahnen, erklärt sich die Stadtverwaltung bereit, den Menschen Räume zur Verfügung zu stellen.

SchT 12.4.02; FR 12.4.02; AK Asyl BaWü 20.5.02

 

Mitte April 02

 

Nazis prügeln in der Suhler Struth einen Flüchtling krankenhausreif.

LAG Juni 2002

 

Mitte April 02

 

Auf das Flüchtlingsheim im thüringischen Zella-Mehlis wird ein Brandanschlag verübt.

LAG Juni 2002

 

17. April 02

 

Der 37 Jahre alte Kurde Lütfi Şahan wird von deutschen Grenzschützern am Übergang Zinnwald festgenommen und aufgrund eines Auslieferungsbegehrens der Türkei in Auslieferungshaft genommen.

    Daß Lütfi Şahan in Holland im Februar 1996 politisches Asyl erhielt, weil er in der Türkei in den Jahren 1988 und 1989 zu insgesamt 34 Jahren Haft verurteilt wurde, daß diese Prozesse zunächst durch ein Staatssicherheitsgericht geführt wurden, bei denen bekanntermaßen ausschließlich politische Prozesse stattfinden, daß Lütfi Şahan durch bewiesene Folter zu Geständnissen gebracht wurde, das alles spielt für die deutschen Haftrichter keine Rolle.

    Lütfi Şahan war nach fünf Jahren türkischer Haft am

17. Juni 1993 die Flucht gelungen, so daß er nach einer zweijährigen Zeit im Untergrund nach Holland floh, wo er ein Jahr später als politisch Verfolgter anerkannt wurde.

    Seine vielfältigen exil-politischen Aktivitäten, die ihn bei einer eventuellen Auslieferung zusätzlich vorgeworfen werden könnten, werden vom Oberlandesgericht Dresden als  Tätigkeiten "niedrigen Profils" eingestuft. Der Verfolgte dürfe auch darauf vertrauen, daß sein Fall in der Öffentlichkeit weiter beobachtet werde. Da über ihn in der Lokalpresse berichtet worden sei, sein Anwalt mit amnesty international zusammenarbeite und er in der Türkei von Anwälten des Türkischen Menschenrechtsvereines verteidigt wurde, sei anzunehmen, daß sich die türkischen Behörden an ihre Zusicherungen halten würden. Dieser "Prognose" stehe auch nicht die Anerkennung als Flüchtling in Holland entgegen.

    Am 18. Dezember 2002, nach acht (!) Monaten Auslieferungshaft in Dresden, lehnt Deutschland die Auslieferung ab, und Lütfi Şahan kann zu seiner Familie nach Holland zurückkehren.

Asyl-Nachrichten Nr. 122 April 2003

 

19. April 02

 

Bundesland Thüringen. Am Bahnhof in Nordhausen wird ein Flüchtling aus Kamerun von drei jugendlichen Deutschen zunächst rassistisch beschimpft und dann tätlich angegriffen.

    Er erleidet Prellungen, die ärztlich behandelt werden müssen.

JWB 30.4.02;

ABAD Thüringen

 

20. April 02

 

Nach fast 13 Monaten Abschiebehaft in Berlin-Köpenick wird der nigerianische Flüchtling K. im Rahmen einer Amtshilfe in die JVA Volkstedt nach Sachsen-Anhalt transportiert. Ein Magdeburger Richter verlängert die Abschiebehaft noch einmal um weitere drei Monate.

    Die JVA Volkstedt ist eine übliche Haftanstalt, in der Straftäter untergebracht sind. Entsprechend gelten die rigiden Haftbedingungen hier auch für die Abschiebegefangenen: K. ist rund um die Uhr in einer Einzelzelle eingeschlossen, der Kontakt zu Verwandten und UnterstützerInnen ist auf Briefe beschränkt, nur zweimal in der Woche darf er für maximal zehn Minuten telefonieren.

    Nach 16 Monaten in Abschiebehaft wird K. schließlich Anfang August 2002 entlassen.

Initiative gegen Abschiebehaft Berlin

 

25. April 02

 

Um 6.30 Uhr erscheinen Berliner Polizisten bei der iranischen Flüchtlingsfamilie Derakhshan Bafghi. Die Beamten laufen durch die Wohnung, reißen den Schrank auf, werfen ein paar Kleidungsstücke in einen Koffer und nehmen schließlich Frau Derakhshan und ihren 6-jährigen Sohn Ali mit. Über Tegel werden die beiden – entsprechend dem Dublin-II-Abkommen – nach Athen ausgeflogen. Der Vater des Jungen, Fared Derakhshan Bafghi, bleibt zurück – damit ist die Familie getrennt.

    Mutter und Sohn hatten gerade einmal sechs Monate mit dem Vater in Berlin leben können.

    Dieser war 1999 aufgrund politischer Verfolgung aus dem Iran geflüchtet – gegen ihn war die Todesstrafe verhängt worden. Der Asylantrag, den er in der Bundesrepublik stellte, wurde zunächst abgelehnt. Im Jahre 2001 gelang es auch Frau Derakhshan, mit ihrem Sohn, den Iran zu verlassen und nach Griechenland zu kommen. Von hier aus reisten sie im Oktober inoffiziell weiter in die Bundesrepublik.

    Die Abschiebung nach Griechenland hat den Jungen dermaßen traumatisiert, daß er therapeutisch behandelt werden muß. Er geht dann zur Schule und lernt die Sprache.

    Am 1. September 07 reisen Mutter und Sohn wieder nach Berlin – diesmal erhält Ali, so wie der Vater, eine Duldung. Die Mutter muß wieder zurück nach Griechenland. Ali besucht in Berlin die Europa-Schule Athene und ein Jahr später die Europa-Schule am Heinrich-von-Kleist-Gymnasium im Bezirk Tiergarten. Seine Duldung wird immer kürzer befristet, und als im Februar 2010 für den jetzt 14-jährigen Schüler erneut die Abschiebung nach Athen ansteht, muß er monatlich zur Ausländerbehörde, um die Duldung zu verlängern.

    Durch die besondere Initiative von MitschülerInnen, LehrerInnen und sonstigen UnterstützerInnen gelingt es, durch Öffentlichkeitsarbeit und Appelle an Innensenator Körting und die Härtefallkommission, weitere Verlängerungen des Aufenthaltes zu erreichen. Das Verfahren des Jugendlichen ist jetzt an das des Vaters gebunden, das auch noch nicht entschieden ist.

    Am 17. November 11 erhält Farid Derakhshan eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung. Damit erhalten Ali und seine Mutter das Recht, mit dem Vater zusammenzuleben.

TS 22.2.10; taz 23.2.10; BeZ 25.2.10;

BeZ 26.2.10; TS 26.2.10; BM 24.9.10;

BM 9.11.11

 

26. April 02

 

Entgegen der Zusage des Berliner Innensenators Körting wird der tschetschenische Flüchtling Amet Budew nach Rußland abgeschoben. Unmittelbar nach der Ankunft in Moskau wird der 26 Jahre alte Sportlehrer von Beamten des Inlandsgeheimdienstes (FSB) zusammengeschlagen. Dann zwingen sie ihn, nach Inguschetien zu fliegen. Hier erwarten ihn auf dem Flughafen erneut Beamte des FSB. Sie zerreißen seinen Paß und bringen ihn an einen Ort, wo er einen Tag lang geschlagen und verhört wird. Sie fragen ihn nach seinen Brüdern und seinem Onkel.

    Mit einem Sack über dem Kopf kommt er an einen anderen Ort, wo er sechs Tage lang gefoltert wird. Er muß mehrere Tage lang in einem engen, unter Wasser stehenden Erdloch verbringen. Bei Verhören wird ihm eine Kapuze übergezogen. Seine Folterer werfen ihm auch Decken über den Körper und schlagen ihn dann mit Gewehrkolben.

    Erst nachdem seine Familie Bestechungsgelder bezahlt hat, wird er freigelassen. Seine Angehörigen bringen ihn in ein Krankenhaus in Nasran, in dem seine Verletzungen versorgt werden.

    Da er sich weiterhin bedroht und verfolgt fühlt, taucht er unter und versucht wieder nach Berlin zu kommen. Er muß sich mehrere Monate in Polen aufhalten – und stellt hier im März 2003 einen Asylantrag. Dann gelingt ihm die Weiterreise in die BRD, wo er einen Asylfolgeantrag stellt.

    Im Sommer 2003 erfolgt seine Verhaftung in Berlin und im August die Abschiebung in das "sichere Drittland" Polen.

    Von hier aus wird er – trotz der Interventionsversuche von amnesty international – am 28. September nach Weißrußland abgeschoben. Hier taucht er unter.

    Amet Budew gelingt es nach Rußland einzureisen, und er erreicht im Oktober 2003 seine Familie in Inguschetien.

taz 2.10.03; ai März 2004;

ai Asyl – Länderbericht 31.3.04

 

27. April 02

 

Bundesland Sachsen. Während der Zittauer Musiknacht wird ein 29 Jahre alter angolanischer Flüchtling, der mit seiner deutschen Freundin unterwegs ist, von etwa neun Nazis attakkiert. Die Angreifer werfen einen metallenen Fahrradständer in ihre Richtung, der sie nur durch Zufall verfehlt. Offensichtlich aufgrund des entschlossenen Verhaltens der Freundin des Angolaners ziehen die Nazis weiter.

    Das Amtsgericht Zittau spricht die angeklagten Rechtsradikalen am 3. Dezember 2002 vom Vorwurf der versuchten Körperverletzung frei. (siehe auch: 22. Juni 02)

AMAL Görlitz

 

29. April 02

 

Halle in Sachsen-Anhalt. Ein Flüchtling aus Benin wird in der Straßenbahn von einer Gruppe rechtsextremer Deutscher beschimpft und mit Bierflaschen beworfen. Er kommt unverletzt davon.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

April 02

 

Auf die Kleine Anfrage der GAL-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft wird ein Suizidversuch in der JVA Fuhlsbüttel, in Hamburger Abschiebehaft, bekanntgegeben.

Hamburgische Bürgerschaft DS 18/188

 

Frühjahr 02

 

Niedersachsen. Die ca. 40 Jahre alte D. Mahmadova aus Aserbaidschan versucht sich umzubringen. Sie schneidet sich in der Ausländerbehörde Diepholz die Pulsadern auf.

    Die abgelehnte Asylbewerberin, die mit ihrem Sohn in einem Flüchtlingsheim in der Gemeinde Wagenfeld wohnt, ist seit langem ausreisepflichtig.

Rahmi Tuncer – Migrationssozialarbeiter

 

8. Mai 02

 

Der abgelehnte Asylbewerber Muhsin Sit wird zusammen mit seiner Frau am Morgen von Mitarbeitern der Ausländerbehörde Detmold und der Zentralen Ausländerbehörde aus der Flüchtlingsunterkunft abgeholt und nach Münster gefahren. Im Rahmen der Vorbereitung der "Vollstreckung der Rückführung" (Original-Ton Ausländerbehörde) erfolgt eine Vorführung des Ehepaares beim türkischen Generalkonsulat. Herr Sit ist in einem geistig und körperlich sehr schlechten Zu-

stand. Zu einer Unterschrift im Konsulat ist er nicht mehr in 65der Lage. Trotzdem werden Paß-Ersatzpapiere für die gesamte Familie ausgestellt. Die Beamten bringen das Ehepaar anschließend zum Bielefelder Bahnhof und weisen es an, mit einem Fahr-Gutschein nach Detmold zurückzufahren. Weil es Herrn Sit zusehends schlechter geht, bitten sie eine Bekannte, sie dort abzuholen.

    Als die Frau in Bielefeld eintrifft, sitzt Herr Sit fast ohne Bewußtsein auf einem Pflanzenkübel. Sie fährt das Ehepaar Sit direkt zum Detmolder Klinikum, wo sie um 18 Uhr eintreffen. Hier stellt sich heraus, daß Herr Sit am Morgen gegen neun Uhr eine übermäßige Anzahl von Tabletten unterschiedlicher Medikamente zu sich genommen hatte. Er kommt jetzt direkt zur Überwachung seines Zustandes auf die Intensiv-Station und kann stabilisiert werden. Am 14. Mai erfolgt seine Verlegung in die Westfälische Klinik für Psychiatrie.

    Der zehnfache Familienvater Muhsin Sit war in der Türkei als PKK-Sympathisant verfolgt und mehrfach schwer gefoltert worden. Seither leidet er unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung mit Suizidgefährdung. Diese wurde mehrfach fachärztlich attestiert und war auch den Behörden hinlänglich bekannt.

    Erst im Dezember 2003 entscheidet das Oberverwaltungsgericht Münster, daß Herrn Sit und seiner Familie politisches Asyl zuerkannt wird.

IBZ 11.2.03; IBZ 29.4.03;

Lippische Landes-Ztg 12.12.03

 

10. Mai 02

 

Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick morgens um 6.10 Uhr. Der 26-jährige Abschiebegefangene B. aus Sierra Leone fertigt aus Bettlaken eine Schlinge an und ver-sucht, sich damit an der Querverbindung einer Toilettentür zu erhängen. Ein Polizeiangestellter bemerkt dies gerade noch rechtzeitig und unterbindet den Erstickungstod, indem er B. hochhält.

    Aufgrund seiner Mitgliedschaft in der Revolutionary United Front (R.U.F.) mußte er aus Sierra Leone fliehen. Im Frühjahr 2002 war B. per Schiff aus Guinea in Hamburg angekommen.

    Während eines Krankenhausaufenthaltes wurde er am

8. März aus dem Krankenhaus heraus von der Polizei verhaftet und in Abschiebehaft genommen. Der Asylantrag wird abgelehnt. Die Haft wird mehrere Male verlängert. Gründe: "unerlaubte Einreise" und die daraus folgende Ausreisepflicht, eine fehlende Meldeadresse und sein fehlender Paß. "Der Betroffene hat die Haft und ihre Fortdauer durch seine Paßlosigkeit selbst zu vertreten." Auch der Selbsttötungsversuch sei nicht "verhandlungsrelevant".

    Im September wird B. nach fast sechs Monaten Gefangenschaft entlassen.

Initiative gegen Abschiebehaft Berlin

 

11. Mai 02

 

Biebertal im Bundesland Hessen. Aus Angst vor der Abschiebung versucht der Kurde Suayip N., sich mit einer Überdosis von Medikamenten das Leben zu nehmen. Bewußtlos wird Suayip N. ins Krankenhaus gebracht. Kaum ist er in der Lage, seine Umwelt wieder wahrzunehmen, erscheinen uniformierte Polizeibeamte an seinem Krankenbett.

    Der Asylantrag des Flüchtlings aus der Türkei war schon im Jahre 1998 vom Verwaltungsgericht Gießen negativ entschieden worden. Zahlreiche psychiatrisch-psychologische Gutachten der letzten Jahre hatten die akute Suizidgefahr des Herrn N. als Folge für erlittene traumatische Erlebnisse in der Türkei bestätigt. Trotzdem verschickte die Ausländerbehörde weiterhin Ausreiseaufforderungen und erteilte nur monatliche Duldungen.

Pro Asyl 17.5.02

 

13. Mai 02

 

Auf einer brandenburgischen Bundesstraße in Richtung Schönefeld überfährt ein Auto mehrere rote Ampeln, schleudert und überschlägt sich. Vier Erwachsene und ein Kind werden dabei verletzt.

    Alle Verletzten, vier unverletzte und der Fahrer werden festgenommen, weil es sich bei den Insassen des Wagens offensichtlich um Menschen handelt, die ohne Papiere die Grenze überschritten haben.

BeZ 15.5.02

 

13. Mai 02

 

In der Nähe des deutsch-polnischen Grenzüberganges Podrosche in Sachsen am Grenzstein 233/234 wird eine ca. 30 Jahre alte tote Person aus der Neiße geborgen. Sie kann nicht näher identifiziert werden.

Polizei Görlitz

 

14. Mai 02

 

Halberstadt in Sachsen-Anhalt. Eine Asylbewerberin aus Sierra Leone wird in der Straßenbahn von einer Kontrolleurin nach ihrem Ticket gefragt. Die Afrikanerin ist erst kurz in Deutschland und versteht nicht, worum es geht. Die Polizei wird gerufen, und zwei Beamte schaffen die Frau mit Gewalt und Schlägen ins Dienstfahrzeug. Auf dem Revier machen die männlichen Beamten ihr deutlich, daß sie sich ausziehen soll. Als die Frau dies aus religiösen und kulturellen Gründen verweigert, werden die Polizisten handgreiflich und ziehen sie mit Gewalt nackt aus. Sie schubsen sie schließlich, bringen sie zu Boden und schlagen auf sie ein.

    Die Frau erstattet Anzeige wegen Körperverletzung, die sie dann aus Angst vor Nachteilen in ihrem Asylverfahren und wegen ihrer schweren chronischen Krankheit nicht weiter verfolgt.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

17. Mai 02

 

Brandstiftung in einer Flüchtlingsunterkunft in der Freiburger Bissierstraße. Als morgens um 3 Uhr das Feuer entdeckt wird, ist der einzige Ausgang durch das Feuer blockiert. Die circa 30 von Feuer Bedrohten können sich nur über die Fenster retten. 14 von ihnen erleiden Rauchvergiftungen, zwei Bewohner verletzen sich beim Sprung aus dem ersten Stock schwer. Bei den Löscharbeiten werden auch zwei Feuerwehrleute verletzt.

    Der Brand war in einem im Treppenhaus abgestellten Kinderwagen gelegt – nur sieben Meter vom Eingang entfernt wird ein aufgemaltes Hakenkreuz entdeckt.

    In der gesamten Unterkunft leben ca. 200 Menschen aus 20 Nationen. Seit Jahren versuchen die BewohnerInnen, auf ihre skandalösen Lebensbedingungen aufmerksam zu machen. Vor allem gegen die mangelnde Krankenversorgung, die nicht behindertengerechten Anlagen, die häufigen Polizei-Razzien haben sie sich bisher nicht wehren können. Auch nach diesem Brandanschlag verlangen sie erneut eine Zuweisung in kleinere – dezentrale – Unterkünfte. Um ihre Forderungen zu untermauern und aus Angst vor neuen Angriffen übernachten jetzt viele von ihnen draußen.

SAGA 17.5.02;

 taz 18.5.02; FR 18.5.02;

 jW 23.5.02; FR 23.5.02;

taz 23.5.02; JWB 29.5.02

 

18. Mai 02

 

Abschiebegefängnis auf dem Gelände der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber des Landes Brandenburg in Eisenhüttenstadt (ZABH). In dem sogenannten Ruhigstellungsraum mit der Nr. 2007 wird ein 26 Jahre alter Gefangener für insgesamt sieben Stunden und 10 Minuten mit einem besonderen Gurtsystem zunächst an Händen und Füßen – nach der Hälfte der Zeit nur noch an den Füßen fixiert.

Antwort der Landesregierung auf eine

Kleine Anfrage der PDS-Fraktion

Drucksache 3/7237

 

21. Mai 02

 

Biesenthal im Barnim in Brandenburg. Es ist der Tag nach dem alljährlich hier stattfindenden Harley-Davidson-Treffen. Vier vietnamesische Flüchtlinge sammeln auf dem Gelände Pfandflaschen ein. Ein rotes Auto fährt langsam auf sie zu, ein Mann beugt sich aus dem Fenster und ruft sie zu sich heran. Als er aussteigt, bemerken die Vietnamesen, daß er ein Gipsbein hat. Er verlangt den Inhalt der Tüten zu sehen, und als er die Pfandflaschen sieht, beginnt er zu schreien und schlägt mit den Krücken nach den Männern. Diese flüchten in verschiedene Richtungen. Einer von ihnen, der 19-jährige Van Lan N., nimmt den kürzesten Weg zum nahegelegenen Flüchtlingsheim. Als er bemerkt, daß er jetzt von einem schnell laufenden Mann mit Hund verfolgt wird, beginnt er erneut zu laufen. Er schlägt Haken und läuft – bis er entkräftet zusammenbricht. Zwei Deutsche schlagen jetzt auf ihn ein und zwingen ihn, wie ein Hund zu kriechen. Andere hinzukommende Männer lachen und schreien. Einer tritt Van Lan N. gegen den Hals, andere springen ihm auf den Rücken. Der Mann mit dem Gipsbein zieht N. am Kragen hoch und spuckt ihm ins Gesicht. Die Männer ziehen ein Messer und drohen N., die Genitalien abzuschneiden. Sie reißen seinen Kopf zurück und übergießen ihn mit Alkohol. N. sinkt auf die Knie und bittet um sein Leben. Er glaubt, jetzt sterben zu müssen, und ruft die Namen seiner Mutter und seines Vater – dann verliert er das Bewußtsein.

    Als N. wieder zu sich kommt, ist er alleine und schleppt sich zum Wohnheim. Er informiert den Wachmann, der sofort die Polizei benachrichtigt. Van Lan N. muß seine Verletzungen im Krankenhaus behandeln lassen.

    Vier Wochen später berichtet er MitarbeiterInnen der Opferperspektive, daß er unter Kopfschmerzen und Herzflattern leide. Er könne nicht schlafen, esse wenig, sei seit dem Überfall inkontinent. Erst mit Hilfe der Opferspektive gelingt es, daß Van Lan N. sich in eine psychotherapeutische Behandlung begeben kann. Die Psychologin diagnostiziert eine Posttraumatische Belastungsstörung.

    Im Oktober stellt die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein, weil die Täter nicht zu finden sind. Da die Rechtsanwältin allerdings zahlreiche Hinweise auf nicht gehörte ZeugInnen und Täter in den Akten findet, legt sie Einspruch gegen diese Entscheidung ein. Im Dezember werden die Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft wieder aufgenommen.

    Im September 2007 stimmt die Härtefallkommission für ein Bleiberecht des Flüchtlings Van Lan N. Durch die Zustimmung des Innenministers Jörg Schönbohm (CDU) bekommt erstmalig im Bundesland Brandenburg ein Opfer rassistischer Gewalt ein Bleiberecht aus humanitären Gründen.

Opferperspektive Jahrbuch 2002;

BeZ 23.5.02; FR 23.5.02; BM 23.5.02; JWB 29.5.02;

Opferperspektive 20.9.07; BM 21.9.07

 

24. Mai 02

 

Rathenow in Brandenburg. Als ein junger vietnamesischer Asylbewerber abends gegen 18 Uhr in der Gustav-Freytag-Straße einen Polizeiwagen sieht, läuft er in Panik weg. Die Polizisten verfolgen ihn und sehen, wie er sich am Ufer eines Nebenarms der Havel halb entkleidet und dann in Richtung des gegenüberliegenden Ufers schwimmt. In der Mitte des Flusses geht er unter.

    Einer der Polizisten springt daraufhin auch in den Fluß, um den Ertrinkenden zu retten. Dies gelingt ihm nicht. Erfolglos bleiben auch die Rettungsversuche von Feuerwehr und Tauchern. Erst gegen 20 Uhr wird der Vietnamese leblos aus der Havel geborgen.

    Beim Absuchen des Fluchtweges findet die Polizei zwei Stangen unverzollte Zigaretten und schließt daraus, daß es sich bei dem Toten um einen "vietnamesischen Zigarettenhändler" gehandelt hat.

BK 26.5.02; BeZ 27.5.02;

BeZ 28.5.02; BM 28.5.02; MAZ 28.5.02

 

25. Mai 02

 

Auf dem südlichen Vorplatz des Potsdamer Hauptbahnhofes verteilt der 23-jährige togoische Flüchtling Kodjovi Agbelessessy Flugblätter für ein Afrika-Festival. Plötzlich wird er von einem älteren Fahrradfahrer ohne Vorwarnung ins Gesicht geboxt. Dann rümpft der Täter die Nase und deutet pantomimisch an, wie er den Afrikaner zu Boden wirft und ihn wie ein Insekt zertritt. Er beleidigt sein Opfer unter anderem mit der Äußerung "Affe, Du bist Dreck für mich" und "Arschloch".

    Da Herr Agbelessessy mit zwei Freunden unterwegs ist, gelingt es ihnen, den Täter festzuhalten und ihn dem Wachschutz und der Polizei zu übergeben. Jetzt zeigt der Mann den sogenannten Hitlergruß.

    Kodjovi Agbelessessy muß seine blutende Nase und seine Prellungen an Kopf und Handgelenk im Krankenhaus behandeln lassen. (siehe auch: 20. Februar 02)

    Der Mann wird vom Amtsgericht Potsdam wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung sowie öffentlichen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Gesamtstrafe von 80 Tagessätzen verurteilt.

MAZ 28.5.02;

Opferperspektive 26.7.02

VS-Bericht Brbg 2002

 

25. Mai 02

 

Schwandorf in Bayern. Der 26 Jahre alte irakische Kurde Salim M. übergießt sich im Landratsamt mit Dieseltreibstoff, nimmt das Feuerzeug in die Hand und droht, sich anzuzünden. Er wird von Polizeibeamten überwältigt und in Haft genommen.

    Während der im November stattfindenden Gerichtsverhandlung in Amberg werden Hintergründe der Verzweiflungstat sichtbar. Salim M. sei, laut Sachverständigengutachten, "am Ende seiner psychischen und physischen Kräfte" gewesen. Sein Asylantrag war abgelehnt worden, und er hatte vergeblich und zum wiederholten Male versucht, im Landratsamt eine Arbeitserlaubnis zu erhalten.

    Obwohl auch der Staatsanwalt von einer "psychischen Ausnahmelage" spricht, beantragt er für Salim M.s "Verbrechen in klassischem Sinn" (versuchte schwere Brandstiftung) eine Freiheitsstrafe von 18 Monaten. Da M. allerdings bereits sechs Monate in Untersuchungshaft sitzt, wird er zur Bewährung entlassen.

    Kommentar des dem Schöffengericht Vorsitzenden Richters Karl Plößl: "Seien Sie ein ordentliches Mitglied unserer Gesellschaft .... so lange Sie in unserem Land sind".

Der Neue Tag 21.11.02

 

26. Mai 02

 

Brandstiftung im Flüchtlingsheim "Wiesenmühle" der hessischen Ortschaft Reichelsheim im Odenwald. Morgens um 4.30 Uhr bricht an zwei Stellen gleichzeitig Feuer aus: in einer leerstehenden Wohnung und in einer neben dem Wohnhaus stehenden Scheune.

In dem Wohnhaus befinden sich 22 Menschen, von denen sechs wegen Rauchvergiftung ins Krankenhaus kommen. Obwohl es den Feuerwehren von Reichelsheim, Beerfurth, Brensbach und Nieder Kainsbach gelingt, die Gebäude vor dem Niederbrand zu retten, bleibt ein Sachschaden von 500 000 Euro.

    Noch in den Morgenstunden werden die jetzt obdachlosen Flüchtlinge aus dem Irak, der Türkei und Somalia von den DorfbewohnerInnen durch viele Hilfsleistungen wie Betreuung, Kleidung, Betten und Matratzen unterstützt. Sie werden dann vorerst im Sportlerheim Berfurth untergebracht.

Polizeipräsidium Südhessen 26.5.02;

FR 27.5.02;

taz 27.5.02; JWB 5.6.02

 

31. Mai 02

 

JVA Büren – Abschiebegefängnis. Der kurdische Flüchtling Ates Yusuf beendet einen 44-tägigen Hungerstreik, weil er an seine körperlichen Grenzen gekommen ist. Er hat 18 kg Körpergewicht verloren, wiegt jetzt noch 53 kg. Er spuckt Blut, hat Gleichgewichtsstörungen, starke Kopf-, Augen- und Rückenschmerzen, muß beim Gehen gestützt werden.

    Mit dem Hungerstreik wollte er auf Mißhandlungen durch die belgische Polizei und Justiz aufmerksam machen, die er vor der Überführung nach Deutschland erfuhr.

    Bereits im Jahr 1988 war er nach der Ablehnung seines Asylantrages aus der BRD ausgewiesen worden und in die Türkei zurückgekehrt. Ein Jahr später mußte er das Land wieder verlassen, stellte in der BRD einen Asylfolgeantrag. Auch dieser wurde innerhalb kurzer Zeit abgelehnt, so daß Ates Yusuf wieder über die Grenze ging, dann allerdings von belgischen Wasserschutz-Zollbeamten festgenommen wurde. In Belgien begann eine jahrelange Odyssee zwischen verschiedenen Ämtern, Rechtsanwälten und Gerichtsverfahren, bis Ates Yusuf schließlich von der Polizei festgenommen wurde.

    Nach Monaten Gefangenschaft begann er aus Protest gegen die Haft den Hungerstreik am 18. April. Am 2. Mai wird er von 10 Beamten aus dem Schlaf geholt und so wie er ist, in seiner Schlafkleidung, an Händen und Füßen gefesselt. Er wird in einen Wagen geschleift, und als er schreit, bekommt er einen Faustschlag, der ihm – nach seiner Einschätzung – für zwei Stunden das Bewußtsein nimmt. Mit einem Sack über dem Kopf wird er in Begleitung von sieben belgischen Beamten in die BRD gebracht und hier deutschen Polizisten übergeben. Diese bringen ihn zu einem Arzt, der seine Wunden medizinisch versorgt. Dann wird er in die JVA Büren gebracht – ihn erwartet hier die Abschiebung in die Türkei.

Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren 1.6.02

 

1. Juni 02

 

Auf dem Bahnhof im thüringischen Nordhausen wird ein 34-jähriger Flüchtling aus Kongo abends von drei jungen rechtsradikalen Männern rassistisch beschimpft. Der Bedrohte ruft über sein Handy die Polizei. Jetzt traktieren die Rechten ihn mit Schlägen gegen den Kopf.

    Im Krankenhaus wird bei dem Kongolesen eine Schädelprellung diagnostiziert.

ABAD Thüringen

 

2. Juni 02

 

Brandstiftung in der Flüchtlingsunterkunft in Nürnberg-Schweinau in der Kunigundenstraße. Unbekannte haben Kartonagen im Keller angesteckt, so daß sich dicker Qualm im Haus ausbreitet. Die 59 BewohnerInnen können sich ins Freie retten.

    Neun Menschen erleiden eine Rauchvergiftung, vier von ihnen müssen im Krankenhaus behandelt werden.

taz 3.6.02;

NN 4.6.03

 

3. Juni 02

 

Magdeburg in Sachsen-Anhalt. Ein kongolesischer Flüchtling wird in einer Straßenbahn von einem Deutschen rassistisch beleidigt. Als er ausgestiegen ist, greifen ihn zwei Männer tätlich an und bedrohen ihn mit einem Messer. Er kommt mit leichten Verletzungen davon.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

4. Juni 02

 

Ausländerbehörde im sächsischen Senftenberg. Als dem

21 Jahre alten kurdischen Flüchtling Veysal O. aus Bahnsdorf die Erlaubnis für eine Fahrt nach Hamburg verweigert wird (Residenzpflicht), läuft er auf den Hof der Behörde, übergießt sich mit Benzin und droht, sich anzuzünden. Nachdem es einem Mitarbeiter der Behörde gelingt, ihn zu beruhigen und von der Selbstverbrennung abzubringen, läuft der Kurde davon und springt in einen nahe gelegenen Schloßteich.

    Die herbeigerufene Polizei bringt den Flüchtling in die Psychiatrie.

    Die Staatsanwaltschaft Cottbus leitet ein Ermittlungsverfahren gegen den Kurden ein wegen "unerlaubte(r) Einflussnahme auf die Entscheidung einer Behörde", da er mit diesem Tötungsversuch "die Genehmigung für eine Fahrt nach Hamburg erpressen" wollte.

BeZ 6.6.02;

LR 6.6.02; JWB 19.6.02

 

5. Juni 02

 

Herborn in Hessen. Polizeibeamte betreten die Klassenräume der Klasse 8a der Comenius-Realschule und führen den 16-jährigen Fabrice Malinga Modjulua ab. Er soll, zusammen mit seinen Eltern und drei Geschwistern, in die Demokratische Republik Kongo abgeschoben werden. An der Wohnung der Eltern erscheinen die Beamten mit Diensthunden.

    Ein Petitionsverfahren beim Hessischen Landtag kann die Abschiebung vorerst verzögern. Der Vater der Familie bleibt allerdings in Abschiebehaft.

FRat Hessen 14.6.02

 

6. Juni 02

 

Gera in Thüringen. Morgens um 3 Uhr klopft es bei der kurdischen Flüchtlingsfamilie O. an die Wohnungstür, und kurz darauf wird die Tür gewaltsam geöffnet. Eine Gruppe von Polizisten dringt in die Wohnung ein, reißt die Eltern, ihre vier Kinder und zwei Gäste aus den Betten und gibt ihnen fünf Minuten Zeit, die Sachen zu packen. Die Abschiebung sei für 11.30 Uhr vorgesehen.

    Familie O. wird in ein Polizeiauto verfrachtet und in das Gefängnis gebracht. Außer den Eltern sitzen nun eine neunjährige Tochter und die 10-, 12- und 15-jährigen Söhne im Gefängnis und warten auf die Abschiebung.

    Am Flughafen Tegel verlangt Herr O., daß ihm die Ausweisungsverfügung und die Abschiebepapiere vorgelegt werden, ansonsten würde die Familie der Abschiebung nicht Folge leisten. Daraufhin wird die Abschiebung abgebrochen, und die Familie kommt zurück nach Gera. Frau O. und die kleineren Kinder werden in einem Flüchtlingsheim untergebracht; der 15-jährige Mehmet und sein Vater kommen in der JVA Untermansfeld in Abschiebehaft. Hier sitzen sie sechs Wochen lang mit rechtsradikalen Straftätern zusammen auf einem Korridor. Diese beschimpfen die beiden Kurden als "Kanaken", Essensreste werden in ihre Zellen geworfen, und beim Hofgang werden die beiden mit Wasser beschüttet und anderen Demütigungen ausgesetzt.

    Am 23. Juli werden die beiden nach einem zweitägigen Aufenthalt im Gefängnis Suhl wieder zum Berliner Flughafen gebracht und ausgeflogen. Die Festnahme durch türkische Polizei erfolgt gleich nach der Ankunft in Istanbul. Nach zweitägiger Schikane wird Mehmet O. wegen fehlender Nachweise seiner türkischen Staatsbürgerschaft nach Berlin zurückgeschickt. Herr O. muß bleiben.

    Aber auch jetzt kommt der Jugendliche nicht frei – er kommt zuerst in das Berliner Abschiebegefängnis in Köpenick und später wieder zurück in das Geraer Gefängnis.

    Hier wird festgestellt, daß ein Antrag zur Erteilung der türkischen Staatsangehörigkeit von beiden Elternteilen unterschrieben werden muß. Da die Mutter von Mehmet mit den drei kleinen Geschwistern inzwischen untergetaucht ist und sein Vater in die Türkei abgeschoben wurde, sind diese Unterschriften nicht zu bekommen. Die Ausländerbehörde hebt deshalb Ende August den Haftantrag auf, und Mehmet O. kommt nach fast drei Monaten in Gefangenschaft frei.

ABAD Thüringen;

Initiative gegen Abschiebehaft Berlin

 

6. Juni 02

 

Cottbus in Brandenburg. Abends gegen 21.30 Uhr werden am Stadtrand drei Frauen aus Kamerun von zwei Männern und einer Frau zunächst verfolgt und dann geschubst, so daß eine der Angegriffenen hinfällt. Nun treten die Rassisten mit Füßen auf sie ein und rufen dabei "Neger, was machst Du in Deutschland."

    Den beiden Begleiterinnen gelingt die Flucht, und sie telefonieren mehrmals nach der Polizei, die 45 Minuten später eintrifft. Auch der Wachschutz des Flüchtlingsheimes, in dem die Frauen wohnen, verweigert jegliche Hilfe.

    Die mißhandelte Frau muß ihre Verletzungen stationär im Krankenhaus behandeln lassen.

AfOrG; antifaschulnetz – juni 02

 

6. Juni 02

 

Abschiebegefängnis auf dem Gelände der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber des Landes Brandenburg in Eisenhüttenstadt (ZABH). In dem sogenannten Ruhigstellungsraum mit der Nr. 2007 wird ein 23 Jahre alter Gefangener für eine Stunde und 15 Minuten mit einem besonderen Gurtsystem "komplett" fixiert. Die Bewegungsfreiheit des Gefangenen ist damit maximal eingeschränkt.

Antwort der Landesregierung auf eine

Kleine Anfrage der PDS-Fraktion Drucksache 3/7237

 

6. Juni 02

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Der 28 Jahre alte Herr S. aus Rußland versucht, sich im Waschraum aufzuhän-gen, was hinzukommende Mitgefangene verhindern können. Nach einem kurzen Aufenthalt im DRK-Krankenhaus Köpenick und anschließender Vorstellung beim polizeiärztlichen Psychiater in Spandau kommt er am gleichen Tag ins Abschiebegefängnis zurück. Die nächsten vier Tage muß er hier in der Isolierzelle verbringen, bevor er wieder auf Etage in eine Gemeinschaftszelle verlegt wird.

    Zum einen hatte Herr S. Angst vor einer Abschiebung, da er nach eigenen Angaben aus der russischen Armee desertiert war. Zum anderen hatte man ihm beim letzten Haftprüfungstermin 18 Monate Haft in Aussicht gestellt, sofern er bei seiner Abschiebung nicht ausreichend mitwirke. Schließlich wird er im November nach sechs Monaten Haftzeit entlassen.

Jesuiten-Flüchtlingsdienst

 

9. Juni 02

 

Merseburg in Sachsen-Anhalt. Der 23 Jahre alte Mohammad Khalil und der 19-jährige X. X. verlassen um 1.30 Uhr eine Diskothek und gehen in Richtung Bahnhof. Schnell bemerken sie, daß sie von einigen kahlgeschorenen deutschen Männern verfolgt werden. Es sind dieselben Männer, die sie schon auf der Tanzfläche in der Diskothek angerempelt und beleidigt hatten. Mit "Hallo Neger" und ähnlichen Äußerungen beginnen die Deutschen ihre Provokationen. Als die beiden Asylbewerber nicht reagieren, fangen die Deutschen an, auf sie einzuschlagen. Die Flüchtlinge gehen zu Boden und werden – noch unten liegend – mit Tritten traktiert. A.B. trifft ein Stiefeltritt ins Genick, so daß er mit dem Gesicht auf das Pflaster schlägt; ihm läuft das Blut aus der Nase. Mohammad Khalil wird durch Tritte schwer an der Schulter getroffen. Trotz der Verletzungen gelingt es den beiden, sich hochzurappeln und sich zu wehren. Überrascht über die Gegenwehr fliehen daraufhin die Angreifer.

    Aus Angst vor weiteren Repressionen trauen sich die beiden Flüchtlinge nicht, sich bei einem Arzt oder gar bei der Polizei zu melden.

Bericht des Betroffenen

 

9. Juni 02

 

Berlin. In der Kreuzberger Gaststätte "Wild at Heart" wird ein 30 Jahre alter Flüchtling aus dem Kamerun zunächst von zwei Männern als "Nigger" beschimpft. Dann hält der eine Mann den Flüchtling fest und der andere boxt und tritt auf ihn ein.

    Mit Gesichtsverletzungen kommt der Kameruner ins Krankenhaus. Hier wird unter anderem eine Fraktur des Orbitalbodens festgestellt, die operativ behandelt werden muß und einen stationären Krankenhausaufenthalt erforderlich macht.

    Die Täter werden wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung zu einem Jahr und vier Monaten Freiheitsstrafe und zu einem Jahr Freiheitsstrafe mit Bewährung verurteilt.

ReachOut Berlin

 

11. Juni 02

 

Der kurdische Flüchtling Ramazan Cicek wird völlig überraschend auf der Hamburger Ausländerbehörde verhaftet und in das Untersuchungsgefängnis gebracht. Als Ramazan Cicek sich hier bei einem Schließer über den verschimmelten Mülleimer in seiner Zelle beschwert, bezeichnet dieser den Kurden selbst als "Müll", geht weg und kommt mit sechs Kollegen zurück. Sie zerren Ramazan Cicek aus der Zelle und werfen ihn auf den Flurboden. Dann stellt sich jeweils ein Beamter auf seine Kniekehlen, während ein anderer mit einem schwarzen Gummiknüppel auf seinen Nacken und Rücken einschlägt. Nach der Prügelorgie der Wachbeamten wird Ramazan Cicek in das Abschiebegefängnis Glasmoor gebracht.

    Die Streifenwagenbesatzung und der Anstaltssanitäter bemerken die Verletzungen und erstatten Anzeige. Eine dritte Anzeige wird von dem Rechtsanwalt gestellt.

    Erst drei Tage später, als die Flüchtlingsbeauftragte der Kirche, die Pastorin F. Dethloff, Herrn Cicek aufsucht, kommt er ins Klinikum Nord, wo festgestellt wird, daß sein Arm gebrochen ist.

    Die Ehefrau von Herrn Cicek, Serife Cicek leidet seit langem unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung und latenter Suizidgefahr. Sie unternimmt einen Selbsttötungsversuch, als sie erfährt, daß ihr Mann in Abschiebehaft genommen wurde. Ihren Tod verhindert die Tochter durch ihr schnelles Eingreifen.

    Das Ermittlungsverfahren gegen die mißhandelnden Beamten von Ramazan Cicek wird wegen "widersprüchlicher Aussagen" im Januar 2003 eingestellt.

Nûçe Nr. 60 – 28.6.02;

 taz 27.6.02; taz 23.7.02;

Polizeiübergriffe auf Ausländerinnen und Ausländer 2000-2003

 

14. Juni 02

 

Bundesland Sachsen-Anhalt. Ein Flüchtling aus dem Irak wird in Köthen von drei Rechtsextremen angegriffen und verletzt.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

18. Juni 02

 

Rathenow in Brandenburg. Zwei Flüchtlinge aus Palästina,

31 und 32 Jahre alt, werden um 21.40 Uhr an der Kreuzung Friedrich-Ebert-Ring und Berliner Straße von Rassisten aus einem Auto heraus rassistisch beschimpft. Dann versuchen die Angreifer, einen der Flüchtlinge auf seinem Fahrrad umzufahren.

Opferperspektive

 

21. Juni 02

 

Der gehbehinderte 20 Jahre alte Ibrahim Y. aus Sierra Leone befindet sich in der Fußgängerzone im brandenburgischen Hennigsdorf, als ein Fahrradfahrer direkt auf ihn zufährt und versucht, ihn umzufahren. Ibrahim Y. weicht aus und fragt nach dem Grund der Aggression. "Hier ist mein Vaterland! Verschwinde!" erhält er als Antwort. Als der Angreifer ihn schlagen will, geht ein Polizist dazwischen, so daß Ibrahim Y. seinen Weg zum Supermarkt fortsetzen kann.

    Als er allerdings wieder herauskommt, taucht der Rassist wieder auf, schlägt ihm mit der Faust direkt auf das rechte Auge, schlägt und schubst ihn weiter und bedroht ihn schließlich mit einem Messer. Niemand der PassantInnen kommt dem Angegriffenen zu Hilfe.

    Durch eine List entkommt Ibrahim Y. und geht direkt zur Polizei, die den Täter noch vor Ort festnehmen kann.

    Am 13. März 2003 verurteilt das Oranienburger Amtsgericht den schon vorbestraften Schläger zu einem Jahr Freiheitsstrafe.

Opferperspektive;

BeZ 1.8.02; BeZ 2.8.02; JWB 7.8.02;

Opferperspektive 10.3.03; MAZ 14.3.03

 

21. Juni 02

 

Hoyerswerda in Sachsen. Auf einem Jahrmarkt sucht sich eine Gruppe Rechtsradikale einen 23 Jahre alten Kurden aus der Türkei aus und hetzt ihn über den Platz. Der Verfolgte versteckt sich, wird gefunden, mehrfach geschlagen und niedergetreten. Nun greifen Menschen vom Platz ein, und es entwickelt sich regelrecht eine Schlägerei.

    Durch den Tumult gelingt es dem Kurden jetzt endlich zu entkommen. An einer Tankstelle bittet er darum, in ein Krankenhaus gefahren zu werden.

    Aufgrund einer Gehirnerschütterung und schwerer Prellungen am ganzen Körper wird er stationär aufgenommen.

AMAL Görlitz

 

22. Juni 02

 

Am Bahnhof der sächsischen Ortschaft Löbau werden zwei 29 und 31 Jahre alte Flüchtlinge aus Angola aus einem Auto heraus rassistisch beleidigt. Dies ist bereits die zweite Attacke gegen den 29-Jährigen in diesem Jahr.

(siehe auch: 27. April 02)

AMAL Görlitz

 

25. Juni 02

 

Berliner Bezirk Hellersdorf. In der Teupitzer Straße werden um 22 Uhr drei Mosambikaner von mehreren deutschen glatzköpfigen Männern mit rassistischen Parolen beschimpft und beleidigt: "Was macht Ihr Neger hier?" "Geht doch zurück nach Afrika" und anderes. Als die Afrikaner nicht reagieren und weitergehen, fliegt ihnen eine Glasflasche vor die Füße, und sie werden von den Deutschen umringt. Einem Mosambikaner wird eine volle Eineinhalb-Literflasche Wein von hinten über den Kopf geschlagen. Der 33-jährige Asylbewerber wird besinnungslos und geht zu Boden. Als er zu sich kommt, sind die Täter weg und PassantInnen, unter ihnen eine Ärztin, kümmern sich um ihn und rufen einen Krankenwagen.

    Auf eigenen Wunsch verläßt der Verletzte das Krankenhaus noch am selben Tag. Als er am nächsten Tag beim Landeskriminalamt zum Tathergang vernommen wird, wird er erneut ohnmächtig und kommt wieder ins Krankenhaus.

    Am 12. November wird der Haupttäter, der sich zu dieser Zeit wegen anderer Straftaten in Haft befindet, zu einer Jugendstrafe von dreieinhalb Jahren ohne Bewährung verurteilt. Der Prozeß gegen die einschlägig vorbestraften Mittäter wird im Januar 2003 stattfinden.

ReachOut Berlin; taz 27.6.02; BM 27.6.02;

taz 28.6.02; afp 28.1.03; taz 7.2.03

 

26. Juni 02

 

Oberhausen in Nordrhein-Westfalen. In der Nacht wird Mohammed Kamara, ein 24-jähriger Flüchtling aus Sierra Leone, auf dem Bahnhof von zwei Polizeibeamten wegen des Verdachtes auf Trunkenheit und ungebührlichen Verhaltens festgenommen. Die Beamten legen ihm Handschellen auf dem Rücken an, und er kommt in die polizeiliche Gewahrsamseinrichtung des Bahnhofs. Er protestiert noch gegen seine Festnahme, als ein dritter Beamter ihm einen kräftigen Stoß versetzt. Mohammed Kamara kommt zu Fall und spürt augenblicklich einen heftigen Schmerz in seinem linken Fuß. Stark humpelnd wird er in eine Zelle gebracht.

    Da der Schmerz immer stärker wird, klopft er mehrmals in der Nacht an die Zellentür und macht auf seine Verletzung aufmerksam. Als erster Beamter erscheint der oben erwähnte "dritte" Beamte, schlägt Kamara auf die rechte Gesichtshälfte und macht ihm Vorhaltungen wegen Ruhestörung. Später kommen andere Beamte, die ihn auch schlagen.

    Erst nach seiner Freilassung am frühen Morgen rufen sie einen Krankenwagen und bringen ihn in das St.-Joseph-Hospital. Die Ärzte diagnostizieren Frakturen des linken Wadenbeines und der inneren Fußknöchel. Mit zwei Operationen wird die Verletzung mittels einer Stahlplatte und mehreren Nägeln versorgt. Mohammed Kamara wird erst am 16. Juli aus dem Krankenhaus entlassen.

    Ende September erstattet der Rechtsanwalt von Mohammed Kamara Anzeige wegen Körperverletzung im Amt. Im Januar 2003 stellt die Duisburger Staatsanwaltschaft

die Ermittlungen zu den Mißhandlungen ein, weil die Beamten bestritten hätten, den Häftling auf der Wache geschlagen oder gestoßen zu haben.

ai Januar 2004

 

27. Juni 02

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Der algerische Abschiebegefangene B., der noch gestern wegen starker Schmerzen in seinem rechten Bein zur medizinischen Behandlung im Haftkrankenhaus Spandau war, wird jetzt von einem Bewachungsbeamten zur Besuchsstunde abgeholt. Als Herr B. den offenen Fahrstuhl betritt, reißt und schubst der Beamte ihn wieder hinaus. Herr B. erklärt ihm, daß er ein krankes Bein habe. Das sei ihm scheißegal, der Fahrstuhl sei nur für Deutsche bestimmt, ist die Antwort des Beamten. Herr B. muß die 110 Treppenstufen zum Besuchsraum zu Fuß zurück legen.

    Auf dem Rückweg ist er in Begleitung eines anderen Beamten. Als dieser mit ihm in den Fahrstuhl steigen will, erscheint der erste Beamte und sagt, daß er den Gefangenen übernehmen wird. Auch jetzt muß Herr B. den Weg zu Fuß über das Treppenhaus nehmen. Oben angekommen, steigt der Beamte in den Fahrstuhl, um wieder hinunter zufahren. "Du Egoist!" ruft ihm B. zu, und auch die anderen Gefangenen belegen den oft rassistischen und unhöflichen Beamten mit Schimpfworten.

    Der Beamte kehrt daraufhin auf den Flur zurück und erstattet Anzeige gegen Herrn B. und einen anderen Gefangenen.

Pfarrer D. Ziebarth

 

27. Juni 02

 

Abschiebegefängnis auf dem Gelände der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber des Landes Brandenburg in Eisenhüttenstadt (ZABH). In dem sogenannten Ruhigstellungsraum mit der Nr. 2007 wird ein 33 Jahre alter Gefangener zunächst mit einem besonderen Gurtsystem "komplett" fixiert.

    Nach vier Stunden und 40 Minuten werden die Fesseln an den Armen und am Bauch entfernt – die Fußfesseln bleiben für die nächsten zwei weiteren Stunden. Die Gesamtzeit der Fesselung beträgt damit sechs Stunden und 45 Minuten.

Antwort der Landesregierung

auf eine Kleine Anfrage der PDS-Fraktion

Drucksache 3/7237

 

28. Juni 02

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Refki C., Flüchtling aus dem Kosovo, wird um 2 Uhr nachts aus der Zelle geholt und zum Flughafen gebracht. Nach seiner Ankunft im Kosovo erzählt er seiner Frau, daß er in Berlin gezwungen worden war, Tabletten zu schlucken, von denen ihm schwindlig geworden sei. Nach seiner Ankunft in Prishtina habe er Stunden gebraucht zu realisieren, wo er war.

    Refki C. ist durch die miterlebten Grausamkeiten des Krieges psychisch schwer traumatisiert worden. Aber die fünf ärztlichen Atteste, die seine Erkrankung beschreiben, haben ihn weder davor bewahrt, im April in Haft zu kommen, noch hat er dadurch ein Bleiberecht erhalten.

    Auch seiner ebenfalls schwer traumatisierten Frau Shkendije S. und den beiden Kindern droht weiterhin die Abschiebung.

BeZ 24.7.02

 

28. Juni 02

 

Gera in Thüringen. Der Asylbewerberin Constance Etchu aus Kamerun wird die Erneuerung ihrer Lebensmittel-Chipkarte und die Auszahlung der monatlichen Summe von 40 Euro auf dem Sozialamt verweigert. Das Amt entzieht so der Frau die existentielle Lebensgrundlage. Dies gilt als Strafmaßnahme, weil Frau Etchu sich zwei Tage lang nicht im Flüchtlingsheim aufgehalten hatte.

    Constance Etchu protestiert im Heim lautstark gegen diese Schikane, so daß der Wachdienst die Polizei und den notärztlichen Dienst des Waldklinikums Gera ruft. Die Beamten brechen die Zimmertür von Frau Etchu auf und holen sie heraus. Krankenwagen-Sanitäter fesseln sie dann auf eine Trage und transportieren sie in die Klinik.

    Die zynische Diagnose eines Psychiaters: "Anpassungsstörung" der Patientin.

(siehe auch: 13. Februar 02 und 14. April 03)

AG Asyl Weida

 

29. Juni 02

 

Eine mit einer brennbaren Flüssigkeit gefüllte Bierflasche prallt gegen die Außenwand des Flüchtlingsheimes im sächsischen Jöhstadt. Kurz danach entfernt sich ein Auto. Der Brand kann frühzeitig gelöscht werden; niemand der 65 BewohnerInnen wird verletzt.

    Im April werden vier Angeklagte zu Jugendstrafen zwischen eineinhalb Jahren sowie einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Einige der Täter hatten sich bereits an einem Brandanschlag auf dieses Heim am 18. August 1999 beteiligt. (siehe dort)

    Die Strafen werden alle zur Bewährung ausgesetzt. Als Motiv geben die Täter eine rechtsextremistische Gesinnung und Haß auf Ausländer an.

JWB 17.7.02;LKA Sachsen 26.7.02;

SäZ 27.7.02; taz 16.4.03; LR 17.4.03

 

30. Juni 02

 

Im sächsischen Chemnitz ziehen nach einem für Deutschland verlorenen Fußballspiel bei der Weltmeisterschaft randalierende Rechtsradikale durch die Straßen. Ein 25 Jahre alter Flüchtling aus Nigeria wird von ihnen angegriffen, geschlagen und mit einem Messer im Gesicht verletzt.

    Ein anderer Flüchtling, ein 17 Jahre alter Iraker, wird von ihnen krankenhausreif geprügelt.

AMAL Wurzen

 

Juni 02

 

Bundesland Niedersachsen. Die 59-jährige Kurdin H. B. befindet sich in der Psychiatrischen Klinik in Langen-Debstedt bei Bremerhaven. Nachdem sie zunächst versuchte, sich hier in der Klinik aufzuhängen, schluckt sie eine größere Menge Tabletten.

    H. B. war in der Türkei mehrmals und über mehrere Tage von der Polizei festgenommen worden. Unter Mißhandlungen sollte sie die Aufenthaltsorte ihrer Söhne nennen, von denen einige untergetaucht – andere ins Ausland geflohen waren.

    Durch die jahrelange Verfolgung durch die türkischen Behörden und durch den Zerfall ihrer Familie wurde sie traumatisiert. Im Jahre 1997 gelang ihr mit ihrem Sohn Metin die Flucht in die BRD.

    Ihre Krankheit verschlimmerte sich mit der Abschiebung ihres 21 Jahre alten Sohnes Metin, der ihre einzige Bezugsperson war. H. B. verlor den Halt und die Lebensenergie.

    Bevor sie in die Klinik Langen-Debstedt eingeliefert worden war, hatte sie mehrmals versucht, sich mit Tabletten zu vergiften. Zwar ist Frau B. auch nach der Entlassung aus der Psychiatrischen Klinik weiterhin in psychologischer Behandlung, doch ihre eigene ständig drohende Abschiebung stellt ihre seelische Genesung immer wieder in Frage.

    Im April 2004 versucht der Landkreis Osterholz-Scharmbeck, mit der Feststellung ihrer "Reisefähigkeit" die Abschiebung möglich zu machen. Die Amtsärztin urteilt in ihrer Stellungnahme: "Konsequente Beaufsichtigung ab Mitteilung der bevorstehenden Abschiebung und Fortsetzung der medikamentösen Therapie kann die Reisefähigkeit herstellen. ......

Es ist aber nicht auszuschließen, dass sich durch dieses Vorgehen die Depression verschlimmert ..."

    Die Ausländerbehörde zieht daraus den Schluß, daß die Frau "reisefähig" sei und unter ärztlicher Begleitung abgeschoben werden könne.

Hans-Eberhard Schultz – Rechtsanwalt;

FRat NieSa 7.4.04;

taz-Bemen 10.4.04

 

Anfang Juli 02

 

Der tschetschenische Flüchtling Tamirlan Umarow wird aus München nach Moskau abgeschoben. MitarbeiterInnen der Menschenrechtsorganisation Memorial, die sich mit ihm verabredet haben, erwarten ihn auf dem Flughafen, doch er taucht nicht auf. Sie bekommen auch keinen Kontakt zu ihm.

jW 4.7.02

 

1. Juli 02

 

Merzig im Saarland. Obwohl sich der 21-jährige Kurde Tahsin Özdemir in stationärer Behandlung in der Psychiatrie befindet, wird er von einer siebenköpfigen Polizeidelegation zur Abschiebung in die Türkei abgeholt. Er ist suizidgefährdet. Die Abholung geschieht gegen den lange anhaltenden Protest der behandelnden Ärzte.

    Um die Suizidgefährdung zu kaschieren, soll ihn ein Arzt (Unfallchirurg) im Auftrag der Landesregierung begleiten. Im letzten Augenblick kann die Abschiebung gestoppt werden.

    Tahsin Özdemir befindet sich auch im Januar 2003 noch in der Psychiatrie – seine Abschiebung ist weiterhin geplant. (siehe auch: 15. November 01)

Unterstützerkreis für die Rückkehr der Familie Özdemir 1.7.02

 

1. Juli 02

 

Im Flüchtlingsheim der brandenburgischen Ortschaft Hohenleipisch entdeckt ein Bewohner morgens um 6 Uhr ein Feuer in einem unbewohnten Raum in einer Wohnbaracke. Nachdem die BewohnerInnen zunächst selbst versucht haben, den Brand zu bekämpfen, gelingt es schließlich den Feuerwehren aus Hohenleipisch und Elsterwerda, ihn endgültig zu löschen.

    Von den 30 BewohnerInnen wird niemand verletzt. Die Kriminalpolizei ermittelt wegen schwerer Brandstiftung. "Eine fremdenfeindliche Tat wird nach ersten Erkenntnissen ausgeschlossen. Vielmehr besteht der Verdacht, dass ein Bewohner des Asylbewerberheims das Feuer gelegt hat."

LR 2.7.02; nhz August 02

 

1. Juli 02

 

Sechzig BewohnerInnen des Flüchtlingsheimes im brandenburgischen Rathenow beschreiben in einem offenen Brief die "erniedrigende Behandlung" durch das Heim-Personal und durch den Sicherheitsdienst "Security Zarnikow".

    Zwei Jahre nach dem Memorandum der Flüchtlinge vom Februar 2000, in dem sie aufgrund der zahlreichen rassistischen Angriffe eine Verlegung in ein anderes Bundesland gefordert hatten, ziehen sie ein Resumee:

    Die Sicherheitsvorkehrungen sind deutlich verstärkt worden, jedoch richten sie sich allein gegen die BewohnerInnen. Die Besuchsregelungen sind verschärft worden (strenge Kontrolle am Eingang; kein Besuch ab 22 Uhr); die private Post an die Flüchtlinge wird geöffnet und kontrolliert; die Video-Überwachungsanlage wurde erneuert. Zudem stellen die Flüchtlinge fest, daß stadtbekannte Nazis zum Sicherheitsdienst des Heimes gehören.

    Auch dem Verfassungsschutz ist bekannt, daß mindestens vier Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes Mitglieder der "Kameradschaft Hauptvolk" sind, und damit dem "Kern der rechtsextremistisch orientierten Szene in Rathenow angehören. "Kameradschaft Hauptvolk" ist eine Organisation deren Mitglieder als gewalttätig gelten und mit einer Reihe politischer und anderer Straftaten aufgefallen sind.

    Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) erstattet wegen des Protestbriefes prompt Anzeige wegen übler Nachrede, Verleumdung und Urkundenfälschung gegen Unbekannt. Im August 2003 stehen die beiden ehemaligen Heimbewohner Mohammed Abdel Amine aus Togo und der Palästinenser Mohammed Mahmud in Rathenow jetzt nur noch wegen des Vorwurfs der üblen Nachrede vor Gericht.

    Vorschläge von Seiten des Gerichts, das Verfahren wegen Geringfügigkeit und mit Auflagen wie gemeinnütziger Arbeit oder Geldbußen für die Angeklagten einzustellen, lehnen die Flüchtlinge rigoros ab. Sie wollen sich nicht kriminalisieren und mundtot machen lassen und wollen ihr Recht auf Kritik an den Verhältnissen mit diesem Prozeß durchsetzen.

    Am 1. November 2004 werden die beiden angeklagten Flüchtlinge freigesprochen. Über zwei Dutzend BewohnerInnen des Heimes hatten ihre Aussagen bestätigt.

Brief der Rathenower Flüchtlinge 1.7.02; MAZ 21.12.02;

TS 21.12.02; MOZ 21.12.02; BK 21.12.02; BM 21.12.02;

taz 11.3.04; BeZ 12.3.04; taz 12.3.04; jW 18.3.04; jW 2.11.04

 

9. Juli 02

 

Vor dem Bahnhof der sächsischen Ortschaft Löbau werden zwei 32 Jahre alte Asylbewerberinnen aus Ghana von einem 13-jährigen Deutschen angepöbelt. Er beleidigt sie, spuckt sie an, wirft eine glühende Zigarette in deren Einkaufstasche und stößt schließlich eine der beiden Frauen zu Boden. Die Hochschwangere verletzt sich dabei leicht; sie kommt ins Krankenhaus Ebersbach.

    Umstehende AugenzeugInnen kommen den Fauen nicht zu Hilfe und verständigen auch nicht die Polizei.

    Ein Ermittlungsverfahren infolge einer Anzeige der Betroffenen wird eingestellt.

AMAL Görlitz; SäZ 13.7.02

 

14. Juli 02

 

Als zwei Polizeibeamte einen 22-jährigen Marokkaner überprüfen wollen, weil dieser sich "in einer dunklen Ecke herumdrückte", läuft der Marokkaner durch das Untergestrüpp und springt in die Nidda. Es gelingt ihm schwimmend, dem hinter ihm her gehetzten Polizeihund, einem Doberman, zu entfliehen.

    Als die Beamten ihn kurze Zeit später an der Wörthspitze sichten, springt er in den Main. Der Polizeihund spürt ihn dann unter einer Uferkante an einer Baumwurzel auf, und der Marokkaner klettert ans Ufer zurück. Ihm wird ein Verstoß gegen das Ausländergesetz vorgeworfen.

FR 16.7.02

 

16. Juli 02

 

Der 17 Jahre alte M. T. aus Sierra Leone, der sich erst seit gestern auf dem Boden der BRD befindet, geht in Berlin zu einer Polizeistation in Neukölln und sagt, daß er Asyl bean-tragen will. Hier erfolgt seine sofortige Festnahme und seine Inhaftierung im Abschiebegefängnis Köpenick.

    Diese Freiheitsentziehung wird vom Amtsgericht Schöneberg beim Haftprüfungstermin bestätigt. Nun stellt M. T. seinen Asylantrag noch einmal – allerdings jetzt aus der Abschiebehaft heraus. Dieser Antrag wird sehr schnell als "offensichtlich unbegründet" abgelehnt.

    Der Rechtsanwalt, der gegen die Inhaftierung von M. T. Beschwerde einlegt, fordert eine Stellungnahme der Neuköllner Polizeibeamten. Diese behaupten dann vor dem Landgericht übereinstimmend, daß M. T. von Asyl kein Wort gesagt hätte und daß sie ihn festnehmen mußten, weil sie der Meinung waren, daß es sich bei M. T. um einen schon länger hier lebenden "Illegalen" handelte. Als der Rechtsanwalt die Vernehmung des angeblich von der Polizei beauftragten Dolmetschers forderte, sahen sich die Polizeibeamten nicht in der Lage, seinen Namen ausfindig zu machen.

    Das Landgericht äußert starke Zweifel an der Darstellung der Polizeibeamte und entscheidet, daß die Inhaftierung rechtswidrig war. Da allerdings der Asylantrag inzwischen negativ entschieden und aus der Haft heraus gestellt wurde (in Berlin erfolgt bei Asylantragstellung keine Entlassung mehr) und M. T. somit ohnehin ausreisepflichtig sei, ist keine Haftentlassung zuzugestehen.

Pfarrer D. Ziebarth

 

16. Juli 02

 

In der Hamburger JVA Glasmoor begeht ein 21 Jahre alter Abschiebegefangener aus der Ukraine einen Suizidversuch.

Hamburgische Bürgerschaft DS 18/188;

Hamburgische Bürgerschaft DS 20/469

 

16. Juli 02

 

In der Hamburger JVA Glasmoor begeht ein 19 Jahre alter Abschiebegefangener aus der Ukraine einen Suizidversuch.

Hamburgische Bürgerschaft DS 18/188;

Hamburgische Bürgerschaft DS 20/469

 

Juli 02

 

Altenburg in Thüringen. Ein pakistanischer Asylbewerber, der in Altenburg seine Freundin besucht, wird abends in der Nähe ihrer Wohnung von elf Rechtsradikalen aufs Schlimmste verprügelt. Diese Prügelorgie geschieht in aller Öffentlichkeit und vor den Augen von schließlich ca. 100 Personen. Niemand dieser GafferInnen kommt dem Pakistani zur Hilfe.

    Seine Freundin alarmiert die Polizei, die sehr lange auf sich warten läßt. Erst als diese eintrifft, hören die Rechten mit den Angriffen auf.

    Der Flüchtling kommt mit einem gebrochenen Oberkiefer und einem Nasenbeinbruch ins Altenburger Krankenhaus.

ABAD Thüringen

 

Juli 02

 

Der kurdische Flüchtling Ibrahim D. versucht sich aus Angst vor der drohenden Abschiebung das Leben zu nehmen. Er kommt daraufhin in stationäre psychiatrische Behandlung in eine Klinik im reinland-pfälzischen Herborn, die auch im Januar 2003 noch nicht abgeschlossen ist.

(siehe auch: November 02)

FRat NieSa

 

Anfang August 02

 

Der tschetschenische Flüchtling Vakha Saiyev wird nach abgelehntem Asylantrag aus Niedersachsen nach Moskau abgeschoben. Die russischen Behörden nehmen ihm seine Papiere ab, so daß er fortan aufgrund fehlender Papiere ständig Repressalien ausgesetzt ist. Als er nach Tschetschenien fährt, um neue Papiere zu beantragen, wird er in seinem ehemaligen Wohnort in Haft genommen. Während der Haft wird er mehrmals täglich verhört und gefoltert. Er erleidet Verletzungen im Gesicht, im Bauch und Unterleib. Durch die Schläge verliert er mehrere Zähne. Nach vier Tagen gelingt es Verwandten von ihm, ihn aus dem Gefängnis freizukaufen. Aber auch im Krankenhaus ist er nicht sicher, denn die Ärzte warnen ihn vor den Soldaten, die täglich die Krankenhäuser nach Widerstandskämpfern durchsuchen. Vakha Saiyev ist fortan ständig auf der Flucht und entgeht im November 2002 nur knapp seiner erneuten Festnahme, als Soldaten im Hause seiner Mutter nach ihm suchen.

    Im Januar 2003 gelingt ihm die Flucht nach Norwegen, wo er seine Familie wiedersieht, die aus Angst vor Abschiebung schon im Sommer 2002 aus Deutschland weitergeflohen war.

    Bekannt wird das Schicksal von Vakha Saiyev durch die beiden Organisationen "International Helsinki Federation for Human Rights" und "Norwegian Helsinki Committee". Diese fordern im April 2003 den niedersächsichen Innenminister Uwe Schünemann auf, Abschiebungen tschetschenischer Flüchtlinge aus Niedersachsen sofort auszusetzen.

FRat NieSa 13.5.03;

FRat NieSa Heft 95/96 Juli 2003;

NOAS – Norsk Organisasjon for Asylsøkere

 

1. August 02

 

Landkreis Anhalt-Zerbst im Bundesland Sachsen-Anhalt. Einem Flüchtling aus Burkina Faso wird der Eintritt in ein Fitness-Studio mit den Worten verwehrt, daß "solche wie er" nicht erwünscht seien. Einige Männer weisen noch darauf hin, daß "hier nicht Afrika ist". Dann wird der Flüchtling von zwei Männern gepackt, nach draußen getragen und auf die Straße geworfen. Sein Fahrrad wird ihm hinterher geworfen.

    Einen weiteren rassistischen Überfall erlebt er einige Tage später. Als er mit ein paar Freunden in einem Wald nachts einen Geburtstag feiert und trommelt, werden sie von einer größeren Gruppe deutscher Rassisten umstellt. "Scheiß Nigger" und "Verlaßt diesen Wald!" hören sie und ergreifen die Flucht. Sie erstatten Anzeige.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

2. August 02

 

Der 27-jährige B. O. aus Tunesien befindet sich in einem äußerst verwirrten Zustand in Abschiebehaft in der JVA Mannheim. Als er seiner Rechtsanwältin berichtet, daß er mehrfach mit dem Kopf gegen die Zellenwand gelaufen sei, schreibt diese an die Anstaltsleitung mit der Bitte um ärztliche Stellungnahme. Sie erhält über mehrere Wochen keine Antwort und erfährt eher zufällig über das LG Mannheim, daß die Anstaltsärztin auf einem Formularbogen "nicht abschiebefähig" angekreuzt habe.

    Das Regierungspräsidium Karlsruhe reagiert auf die Benachrichtigung und Aufforderung, B. O. aus der Abschiebehaft zu entlassen, mit der Verlegung des Gefangenen nach Dresden – offenbar, damit von dort die Abschiebung besser durchgeführt werden kann.

    In Dresden wird die fehlende Abschiebefähigkeit erst bekannt, als die Rechtsanwältin die ärztliche Stellungnahme über den Gesundheitszustand von B. O. weiterleitet. Eine vom Landgericht angeordnete Begutachtung kann nicht durchgeführt werden, da in der JVA Dresden wegen Urlaubs kein Anstaltsarzt erreichbar ist. B. O. erhält zeitweise Medikamente, die ihn ruhigstellen sollen. Ein Psychologe äußert ihm gegenüber, daß ihm nicht geholfen werden könne.

    Inzwischen wurde B. O. nach Tunesien abgeschoben. Sein weiteres Schicksal ist unbekannt – seine letzten Äußerungen bei einer gerichtlichen Anhörung waren besorgniserregend wirr.

AG für Menschen in Abschiebehaft Mannheim

 

3. August 02

 

Bundesland Brandenburg. Ein Flüchtling aus Mosambik wird unter einem Vorwand von vier jungen Männern in ein Waldstück nahe Ludwigsfelde gelockt und dort stundenlang mit Fußtritten und Faustschlägen traktiert. Der 38 Jahre alte Mann überlebt lebensgefährlich verletzt. Er muß nach der Behandlung seiner körperlichen Verletzungen seine schweren seelischen Traumen in der Nervenklinik Teupitz behandeln lassen.

    Am 11. Februar werden die Täter, die alle aus Ludwigsfelde stammen, von der Jugendkammer des Potsdamer Landgerichts wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung verurteilt: der Haupttäter zu acht Jahren und sechs Monaten, zwei weitere Täter zu je fünf und drei Jahren Haft. Bei zwei weiteren Mißhandlern wurde die zweijährige Haftstrafe zur Bewährung ausgesetzt.

BM 6.2.03; MAZ 23.2.03;

Pressestelle Landgericht Potsdam 6.11.03

 

3. August 02

 

Weißenfels in Sachsen-Anhalt. Ein 31 Jahre alter Flüchtling aus Kamerun wird am Abend vor einer Diskothek von einem Deutschen rassistisch beschimpft und tätlich angegriffen. Dieser schlägt ihm mehrfach mit der Faust ins Gesicht, und als der Afrikaner zu Boden geht, tritt der Schläger weiter auf ihn ein.

    Dem Kameruner gelingt es, sich zu erheben und wegzulaufen. Nun merkt er, daß ihn vier oder fünf Männer verfolgen. Sie holen ihn ein und schlagen und treten auf ihn ein. Einer der Angreifer attackiert ihn mit einem sogenannten Totschläger.

    Ein anderer Schwarzafrikaner kommt hinzu, hilft ihm auf die Beine und gemeinsam gelingt ihnen die Flucht.

    Nachdem ein Krankenwagen gerufen wurde, kommt der Kameruner ins Krankenhaus. Neben den körperlichen Verletzungen hat er in der Folgezeit besonders unter den psychischen Folgen des Überfalls zu leiden.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

5. August 02

 

Als Polizeibeamte in der Berliner Landsberger Allee eine Wohnung durchsuchen und die anwesenden Personen überprüfen, meldet sich gegen 23 Uhr ein Nachbar und erzählt, daß er ein dumpfes Geräusch gehört und dann aus dem Fenster geschaut habe. Auf dem Rasen hinter dem Haus liegt eine 25 Jahre alte Vietnamesin – nur mit einem Nachthemd bekleidet. Sie kommt schwer verletzt ins Krankenhaus.

    Es wird vermutet, daß sie sich zu dem Zeitpunkt, als die Polizeibeamten das Zimmer betraten, auf den Balkon der im dritten Stock gelegenen Wohnung begeben hatte, weil sie keine gültigen Aufenthaltspapiere besaß.

    Gegen sechs Vietnamesen werden von der Polizei Ordnungswidrigkeitsanzeigen eingeleitet, weil sich die Asylbewerber außerhalb des ihnen erlaubten Landkreises aufhalten (Residenzpflicht).

Pressedienst Berliner Polizei 6.8.02 – 13:05;

BeZ 7.8.02

 

6. August 02

 

Halle in Sachsen-Anhalt. Am Steintor in der Ernst-Krohmayer-Straße wird um 22.40 Uhr ein 20 Jahre alter Asylbe-werber von der Elfenbeinküste (Côte d´Ivoire) von mehreren deutschen Männern geschlagen und getreten. Einer der Angreifer schlägt ihm einen Stein auf den Kopf. Als der Afrikaner am Boden liegt, treten sie weiter auf ihn ein, wobei er von einem Tritt direkt im Gesicht getroffen wird. Dabei zerbricht seine Zahnbrücke.

    Er kommt mit Prellungen und Schürfwunden am ganzen Körper und mit einer Platzwunde am Kopf ins Krankenhaus.

    Die Polizei, die von Zeugen gerufen wird, verhaftet die

18 bis 22 Jahre alten Täter noch am Tatort. Sie werden kurze Zeit später wieder freigelassen.

    Drei Täter werden in dem späteren Strafprozeß, bei dem auch andere Delikte verhandelt wurden, zu Freiheitsstrafen von einem Jahr und drei Monaten auf Bewährung sowie neun Monaten auf Bewährung und Zahlung von Schmerzensgeld und einer Geldstrafe verurteilt.

taz 8.8.02; FR 8.8.02; MDZ 8.8.02;

BeZ 8.8.02; JWB 14.8.02

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

6. August 02

 

Die Roma-Familie Asanovic, die seit August 2001 im baden-württembergischen Rheinfelden lebt, wird durch Abschiebung auseinander gerissen. Beglijer Asanovic, der einen jugoslawischen Paß hat, wird mit seiner dreijährigen Tochter und der zwölfjährigen Tochter nach Belgrad abgeschoben. Seine Frau Zanetma, sie ist Mazedonierin, soll später alleine nach Skopje ausfliegen. Auf dem Flughafen Frankfurt am Main bricht die an Diabetes leidende Frau zusammen – sie ist durch den enormen Streß total unterzuckert. Im Krankenhaus wird sie für nicht reisefähig erklärt, bekommt trotzdem eine Fahrkarte zurück nach Rheinfelden.

    Frau Asanovic, die später nach Mazedonien abgeschoben wird, gelingt es von dort aus, Kontakt zu ihrem Mann herzustellen. Er bringt die Kinder bei Bekannten unter und fährt in Richtung Mazedonien los, um sich mit seiner Frau zu treffen. Seither ist er verschwunden.

    Auch im Januar 2003 gibt es – trotz intensiver Bemühungen verschiedener Organisationen und UnterstützerInnen – kein Lebenszeichen von ihm.

AWO Flüchtlingsberatung Rheinfelden;

AK Asyl BaWü, Rundbrief Nr. 1/2004

 

8. August 02

 

Hamburg-Osdorf. Der 23 Jahre alte Asylbewerber Bailo Bah aus Guinea wird im Knabeweg im hohen Gras einer Wiese morgens um 7 Uhr von einem Fußgänger gefunden. Der Afrikaner hatte vermutlich noch versucht, in seine naheliegende Unterkunft zu gelangen, verblutete aber im Gras.

    Einige Tage später wird ein drogenabhängiger Deutscher festgenommen, der gesteht, den Afrikaner während eines Streites um Geld oder Drogen mit mehreren Messerstichen verletzt zu haben.

Pol-HH 020808; Pol-HH 020811;

HM 9.8.02; HA 9.8.02;

HA 12.8.02; Off limits Nr. 35 Okt. 2002;

FRat HH 16.3.03

 

8. August 02

 

Polizeigewahrsam Bremen – Abschiebehaft. Der türkische Gefangene Ö. ruft seinen Mitgefangenen A. nachts zu sich in die Zelle. A. findet Herrn Ö. leblos vor. Nachdem er keinen Pulsschlag fühlt, beginnt er eine Herzmassage. Es dauert

6-8 Minuten, bis er den Puls wieder fühlt. Dann läuft er in den Aufenthaltsraum, bittet die anderen Gefangenen Hilfe zu rufen und kehrt zu dem Bewußtlosen zurück. Hier setzt er die Herzmassage fort.

    Die anderen Gefangenen versuchen jetzt wiederholt über verschiedene Sprechanlagen Hilfe zu rufen, sie bedienen die Notrufeinrichtung in der Zelle und die Alarmstäbe. Sie winken ständig in die Video-Kameras, klopfen mit Händen und Füßen gegen die Tür und versuchen schließlich sogar die Sprinkleranlage in Gang zu setzen, um auf sich aufmerksam zu machen. Es dauert eine halbe Stunde bis Beamte erscheinen, die dann erst den Notarzt rufen. Bis zum Eintreffen des Arztes setzt Herr A. die Herzmassage fort.

    Herr Ö. kommt auf die Intensiv-Station eines Krankenhauses.

Gruppe grenzenLOS Bremen

 

8. August 02

 

Abschiebegefängnis auf dem Gelände der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber des Landes Brandenburg in Eisenhüttenstadt (ZABH). In dem sogenannten Ruhigstellungsraum mit der Nr. 2007 wird ein 38 Jahre alter Gefangener für 36 Minuten mit einem besonderen Gurtsystem "komplett" fixiert. Die Bewegungsfreiheit des Gefangenen ist damit maximal eingeschränkt.

Antwort der Landesregierung

 auf eine Kleine Anfrage der PDS-Fraktion

Drucksache 3/7237

 

11. August 02

 

Ein 70 Jahre alter türkischer Flüchtling, seelisch und körperlich sehr krank, wird im thüringischen Königsee von Deutschen ohne Vorwarnung und von hinten geschlagen.

ABAD Thüringen

 

14. August 02

 

Abschiebegefängnis auf dem Gelände der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber des Landes Brandenburg in Eisenhüttenstadt (ZABH). In dem sogenannten Ruhigstellungsraum mit der Nr. 2007 wird ein 18 Jahre alter Gefangener für vier Stunden und 40 Minuten mit einem besonderen Gurtsystem "komplett" fixiert. Die Bewegungsfreiheit des Jugendlichen ist damit maximal eingeschränkt.

Antwort der Landesregierung

auf eine Kleine Anfrage der PDS-Fraktion

Drucksache 3/7237

 

15. August 02

 

Der 19 Jahre alte liberianische Asylbewerber Mcjonny A. meldet sich um 22 Uhr im Berliner Urban-Krankenhaus und bittet um psychiatrische Behandlung.

    Schon in der Vergangenheit war der Mann in der psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses behandelt und nach stationärem Aufenthalt als geheilt entlassen worden. Als er am nächsten Morgen die Klinik verlassen soll, weigert er sich und droht: "Ich schlage Euch alle tot und beiße Euch!" Bei seiner Festnahme durch sechs PolizistInnen verletzt er durch seine Gegenwehr einen Beamten und tritt eine Beamtin, die dadurch stürzt und sich auch leicht verletzt. Als er später in der Gefangenensammelstelle untersucht wird, versucht er, einem Beamten in den Oberschenkel zu beißen.

    Am nächsten Mittag gegen 13.50 Uhr wird der Mann aus der Gefangenensammelstelle entlassen.

    Um 14.08 Uhr packt er auf dem nahen U-Bahnhof "Paradestraße" eine 24-jährige Studentin und stößt sie vor den einfahrenden Zug. Die Frau erleidet schwere Kopfverletzungen.

    Wegen dieser Tat wird gegen Mcjonny A. Haftbefehl erlassen.

BM 21.8.02; TS 21.8.02

 

17. August 02

 

Im Zentrum der brandenburgischen Stadt Prenzlau auf dem Neustädter Damm (B 109) wird der 34 Jahre alte Flüchtling aus Sierra Leone Neil D. nachts um 0.20 Uhr von einem Deutschen angehalten, der von ihm Geld verlangt. Dann bremst ein roter VW-Golf und zwei Männer und eine Frau steigen aus. Alle vier Personen schlagen jetzt abwechselnd auf den Afrikaner ein. "Scheiß-Neger, was willst Du hier?" und "Ihr Scheiß-Ausländer bekommt 2500 DM, viel mehr als meine Eltern" brüllen ihm die Rassisten entgegen und prügeln ihn dann mit einem Schlagring, einer Kette und einem Knüppel nieder. Auch als er am Boden liegt, wird er weiter mit Stiefeln getreten. Der Angriff wird von mehreren vorbeifahrenden Autofahrern beobachtet, jedoch niemand greift ein. Erst geraume Zeit später verständigt ein älterer Mann die Polizei. Neil D. kommt ins Krankenhaus, wo seine Kopf-, Brustkorb- und Bauchverletzungen behandelt werden.

    Einige Stunden später nimmt die Polizei drei tatverdächtige Männer und eine Frau fest – drei von ihnen kommen in Untersuchungshaft.

    Eine Woche später wird Neil D. in einem Supermarkt von zwei Männern abgefangen, die ihn mit folgenden Worten beschimpfen: "Scheiß-Neger, Du bist Schuld, daß unsere Freunde im Knast sitzen." Und zum Schluß die Drohung: "Wir kriegen Dich."

    Das Jugendschöffengericht des Amtsgerichts Prenzlau verurteilt im Oktober drei Täter zu Haftstrafen zwischen zehn Monaten und drei Jahren und einen 17-Jährigen zu einer eineinhalbjährigen Bewährungsstrafe.

    Im November wird bekannt, daß einer der Täter, Marco Sch., verdächtigt wird, am 12. Juli zusammen mit seinem Bruder und einem Komplizen den 17-jährigen Marinus S. aus Potzow bei Prenzlau bestialisch zu Tode gefoltert zu haben.

    Neil D. ist durch die Überfälle psychisch erkrankt und muß sich einer psychotherapeutischen Behandlung unterziehen. Sein Antrag auf politisches Asyl wurde abgelehnt.

taz 28.8.02; FR 28.8.02; FR 3.9.02; JWB 4.9.02; taz 20.9.02;

apabiz Nr. 7 Okt. 02; Opferperspektive 22.10.02; TS 25.10.02;

NK 25.10.02; Opferperspektive 28.10.02;

Der Prignitzer – SVZ – 29.10.02; taz 29.10.02;

FR 29.10.03; BM 20.11.02; TS 22.11.02;

Opferperspektive – Jahrbuch 2002

 

17. August 02

 

Celle in Niedersachsen. Auf das Flüchtlingsheim in der Harburger Straße wird ein Brandanschlag verübt. Der Brand an der Hintertür konnte von BewohnerInnen und Feuerwehrleuten gelöscht werden. Verletzt wird niemand.

    Eine Woche nach dem Brandanschlag ist die Hintertür nicht repariert, sondern zugenagelt.

FRat NieSa Heft 91/92 Jan. 2003 (revista Nr. 15, Sept./Okt.)

 

18. August 02

 

Die Siegburger Polizei veranstaltet eine Razzia in einem Flüchtlingsheim. Die BewohnerInnen werden durch das Aufbrechen der Türen und durch Warnschüsse geweckt. Die Beamten nehmen die kurdischen Flüchtlinge Burhanettn Bulgak und Mustafa Acar fest. Sie sind erst seit kurzem in Deutschland.

    Ein dritter Kurde, Resit Atas, gerät in Panik und versucht zu fliehen. Nun gibt ein Polizist zwei Schüsse ab und läßt den Polizeihund angreifen. Resit Atas wird durch einen Biß verletzt und dann in Handschellen gelegt. Als ein anderer Bewohner, Mehmet Bulgak, nach dem Grund des Überfalls fragt, wird er von zwei Polizisten mit Fäusten geschlagen.

    Die drei festgenommenen Kurden werden ohne ärztliche Versorgung ihrer Verletzungen ins Abschiebegefängnis Büren gebracht.

Nûçe Nr. 68 – 23.8.02;

AZADI informationen Nr. 6 Sept. 02 (Özgür Politika 21.8.02);

Polizeiübergriffe auf Ausländerinnen und Ausländer 2000-2003

 

23. August 02

 

Potsdam in Brandenburg. Im Stadtteil Bornstedt wird nachts ein 24 Jahre alter Flüchtling aus Kamerun von zwei Männern beschimpft, geschlagen und getreten.

Opferperspektive (BeZ 7.9.02)

 

28. August 02

 

Eine männliche Person wird an der polnisch-brandenburgischen Landesgrenze in Guben aus der Neiße geborgen. Aufgrund der Verwesung kann die Todesursache nicht eindeutig benannt werden. Es wird Ertrinken angenommen.

LR 29.8.02;

Innenminister des Landes Brandenburg DS 3/6635

 

31. August 02

 

Auf dem Schützenfest im niedersächsischen Algermissen werden vier tamilische Flüchtlinge von ca. 20 deutschen Rassisten umzingelt, beschimpft und bedroht. Als die Tamilen versuchen, den Platz zu verlassen, um in ihre Unterkunft in der Hermann-Löns-Straße zu fliehen, werden sie verfolgt und mehrfach geschlagen. Der 31 Jahre alte Tamile Wajeed Meera Mohideen erleidet eine Verletzung an der Hand, sein 19-jähriger Freund Sutharsan Arunakiri eine schwere Platzwunde am Kopf, die stark blutet.

    Die Angreifer belagern dann auch die Flüchtlingsunterkunft "Schlichthaus" und brüllen "Ausländer raus", "Deutschland den Deutschen" und ähnliche rassistische Parolen. Die Flüchtlinge rufen die Polizei, die nach ca. einer Stunde eintrifft. Diese ordert einen Krankenwagen und läßt die beiden Verletzten ins Krankenhaus bringen. Dann nehmen die Beamten die Personalien der Opfer auf – nicht jedoch die der Täter.

    Danach lassen sie die Bedrohten alleine und fahren weg. Die pöbelnden Täter kehren zurück und zerschlagen mit Stühlen mehrere Scheiben der Unterkunft und werfen mit Steinen und Flaschen. Dabei wird ein tamilischer Flüchtling durch einen Glassplitter am Auge verletzt.

    Zum zweiten Mal rufen die Bewohner die Polizei, und als diese eintrifft, sind die Täter verschwunden. Die Beamten schauen sich den Schaden an, lehnen allerdings den Wunsch der acht Flüchtlinge ab, sie an einen anderen Ort zu bringen. Ein Polizeiwagen wird für den Rest der Nacht vor dem Haus postiert.

    Am nächsten Tag, dem Sonntag, 1. September, erscheinen um 21 Uhr ca. 50 Menschen vor der Flüchtlingsunterkunft, belagern sie und grölen rassistische Parolen. Einige von ihnen sind mit Zaunlatten und Eisenstangen bewaffnet und dringen in die – nicht abschließbare – Unterkunft ein. Sie zertrümmern eine Zwischentür und versuchen auch die verschlossenen Zimmertüren aufzubrechen, hinter denen die Bewohner in Panik und das Schlimmste erwartend ausharren. Die grölende Menge vor dem Haus fordert die gewalttätigen Deutschen sogar auf, das Gebäude anzuzünden.

    Auch der Polizei gelingt es nicht, zu den um Hilfe rufenden Flüchtlingen in die erste Etage zu kommen. Die Randalierer machen weiter und verlassen erst nach mehr als einer Stunde den Tatort.

    Erst nach diesem zweiten Angriff innerhalb von 24 Stunden beginnt die Polizei, die 18 tamilischen Bewohner wegzu-bringen. In der Polizeistation Sarstedt werden erneut ihre Personalien festgestellt, bevor sie in ein Heim in Hildesheim gebracht werden. Am nächsten Tag werden sie alle von der Polizei verhört.

    Nach Recherchen von Asyl e.V. – Hildesheim und des niedersächsischen Flüchtlingsrates sind diesen Überfällen bereits mehrere Angriffe vorausgegangen.

    Circa fünf Monate zuvor wurde einem Tamilen vor seinem Zimmer ins Gesicht geschlagen.

    Vor ca. drei Monaten wurden sämtliche Wände innerhalb (!) des Flüchtlingsheimes mit rassistischen und rechtsradikalen Parolen und Hakenkreuzen besprüht.

    Vor zweieinhalb Monaten wurden tamilische Bewohner von einem Mann, der einen in der Unterkunft lebenden Obdachlosen besuchen wollte, mit einer Gaspistole aufgefordert, "ins Haus" zu gehen.

    Bemerkenswert findet der niedersächsische Flüchtlingsrat die Äußerung eines Mitarbeiters der Ausländerbehörde, der auf die Forderung nach einer Unterbringung der Flüchtlinge außerhalb von Algermissen antwortet, die Betroffenen könnten ja "zurück nach Sri Lanka" gehen.

    Nach zwei Tagen beendet die Ausländerbehörde die Unterbringung der Flüchtlinge in Hildesheim: die Menschen müssen wieder zurück in die Unterkunft in Algermissen.

    Erst aufgrund öffentlicher Proteste verfügt das niedersächsische Innenministerium eine Verlegung der Flüchtlinge in andere Ortschaften, um die "Lage in Algermissen zu entspannen".

    In der Folgezeit werden die Angriffe auf die Flüchtlinge von offizieller Seite immer wieder heruntergespielt und verharmlost. Laut Gemeindedirektor Faubel handelte es sich bei den Angriffen um "normale Festzeltschlägerei" einer "harm-losen Entgleisung verschiedener unter Alkohol stehender Personen". Zudem werden die Opfer als "Ursache der Angriffe" genannt: "18 junge Männer in einem kleinen Ort unterzubringen, führt fast zwangsläufig zu negativen Vorkommnissen".

    Im Januar 2003 wird ein 22-jähriger Täter vom Amtsgericht Hildesheim wegen gefährlicher Körperverletzung und Landfriedensbruch zu zwei Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt.

Im August 2003, ein Jahr nach den Überfällen, sind von den 40 Beschuldigten 26 Personen angeklagt. Warum sich die Ermittlungen mühselig gestalten, begründet die Staatsanwältin mit dem Satz: "Viele Zeugen wollen nichts gesehen haben".

HAZ 3.9.02; taz 4.9.02; HAZ 4.9.02; HiZ 4.9.02;

HiZ 5.9.02; taz 6.9.02; WK 6.9.02; NWZ 6.9.02;

HiZ 6.9.02; jW 7.9.02; WK 7.9.02;

jW 11.9.02; WK 12.9.02; HiZ 14.9.02;

Antifaschistisches Infoblatt Nr. 57 Herbst 2002;

FRat NieSa Heft 91/92 Januar 2003;

taz 29.1.03; BeZ 29.1.03; HAZ 29.1.03;

taz 14.5.03; HA 29.8.03

 

August 02

 

Bundesland Niedersachsen. Nach einer Zwangsvorführung vor dem türkischen Konsulat in Hannover versucht ein kurdischer Flüchtling, sich das Leben zu nehmen.

FRat NieSa Heft 93/94 April 2003 – Sonderheft Projekt X

 

1. September 02

 

Lübben im Bundesland Brandenburg. Um 18.45 Uhr fährt ein PKW auf der entgegengesetzten Fahrbahnseite mit hoher Geschwindigkeit auf einen Fahrradfahrer zu. Dem Radler, einem Asylbewerber aus Togo, gelingt es in letzter Sekunde,


sich mit einem Sprung auf den Bürgersteig zu retten. Dabei fällt er hin und verletzt sich am rechten Bein.

nhz Okt. 02 (LR 2.9.02);

asn Cottbus

 

2. September 02

 

Flughafen Berlin-Tegel. In einer Maschine der ungarischen Fluggesellschaft MALEV (Flug-Nr. 671) weigert sich ein deutscher Passagier, seinen Platz einzunehmen. Er bleibt im Gang stehen, weil er gegen die gewaltsame Abschiebung eines jungen Bosniers protestiert, der sich in Begleitung von drei BGS-Beamten ebenfalls in der Maschine befindet. Der Flüchtling soll über Budapest nach Sarajevo abgeschoben werden.

    Nach heftigen Wortwechseln mit dem Passagier entscheidet der Flugkapitän, weder den Passagier noch den Abschiebegefangenen mitzunehmen.

    Unter Androhung von Gewalt zwingen die BGS-Beamten den Passagier, der eigentlich verreisen wollte, die Maschine zu verlassen.

Kmii 2.9.02; FR 3.9.02;

jW 4.9.02

 

3. September 02

 

Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick. Der 47 Jahre alte Asylbewerber Ryan Ryad Araby aus Ägypten wird nach 67 Tagen Hungerstreik und nach viereinhalb Tagen Durststreik morgens um 1 Uhr aus der Zelle geholt und abgeschoben. Bei einer Körpergröße von 1,81 m wiegt er unter 55 kg. Er befindet sich in einem sehr schlechten körperlichen und seelischen Zustand in Verbindung mit ausgeprägter Todesangst.

    Den Durststreik hatte er begonnen, als er erfuhr, daß die Abschiebung definitiv geplant sei. Aufgrund seiner verzweifelten Aussage, daß er nicht lebend nach Ägypten zurückkehren werde, kam er in eine Isolierzelle. Am 30. August bekam er aufgrund eines maroden Backenzahnes heftige Schmerzen. Schmerzmittel wurden ihm mit dem Hinweis verweigert, er solle zuerst seinen Hunger- und Durststreik beenden. Herr Araby schrie und weinte vor Schmerzen und bekam schließlich am Abend in unregelmäßigen Abständen Schmerztabletten und erst aufgrund der Intervention eines Seelsorgers gegen 22 Uhr noch ein Schmerzzäpfchen.

    Bereits am 5. August sollte die Abschiebung von Herrn Araby über den Flughafen Schönefeld stattfinden. In Begleitung von drei BGS-Beamten war er in ein Flugzeug gebracht worden und hatte lauthals gegen diese Maßnahmen protestiert. Auf den Vorschlag des russischen Piloten, Herrn Araby den Mund zuzukleben, gingen die BGS-Beamen nicht ein. Schließlich wurde die Abschiebung – wohl auch aufgrund der Intervention einer Passagierin – abgebrochen.

    Im Jahre 1999 war Herr Araby, der sich seit 1976 in der BRD aufhielt, ohne Papiere festgenommen und nach einem siebenmonatigen Aufenthalt im Abschiebegefängnis Kruppstraße nach Kairo abgeschoben worden. Dort wurde er aufgrund seiner früheren Mitgliedschaft in einer islamischen Partei für sechs Monate in Gefängnishaft genommen.

Initiative gegen Abschiebehaft Berlin

 

5. September 02

 

Rehlingen-Siersburg – Ortsteil Gerlfangen – im Landkreis Saarlouis im Saarland. Morgens zwischen 4.00 und 5.00 Uhr erscheinen Polizeifahrzeuge vor dem Haus und 25 BeamtInnen holen die Familie Celik aus dem Schlaf. Die 39-jährige Surije Celik, ihr 33 Jahre alter Ehemann Sükrü, die Söhne Mesut (13 Jahre alt), Mazlum (10 Jahre alt), Dogan (6 Jahre alt) und die 9-jährige Tochter Gülbahar werden über Frankfurt am Main direkt nach Ankara abgeschoben.

    Surije Celik hatte kein Asyl bekommen, obwohl sie bereits als 16-Jährige im türkisch-kurdischen Bürgerkrieg gefoltert worden war.

    Das Ehepaar war mit seinem ältesten Sohn in die BRD geflüchtet und hatte am 19. August 1991 im hessischen Schwalbach Asyl beantragt. Sie waren von hier aus nach Halberstadt in Sachsen-Anhalt umverteilt worden. Zu dieser Zeit gab es massive rassistische Angriffe auf Flüchtlinge und Brandanschläge auf Flüchtlingsheime vor allem in den ostdeutschen Bundesländern, so daß die Familie in Panik zu Verwandten nach Nordrhein-Westfalen flüchtete. Als sie von hier aus wieder nach Halberstadt umverteilt werden sollten, änderten sie ihre Identität und beantragten unter den Namen Özel im Mai 1992 Asyl im Saarland.

    Hier lebte die Familie seit zehn Jahren in der Gemeinde, und die Kinder, von denen drei hier geboren wurden, waren in der Schule und im Sportverein fest integriert. Herr Celik arbeitete als Hausmeistergehilfe in der Siersburger Grundschule im Rahmen gemeinnütziger Arbeit.

    Als Herr Celik den Namenswechsel offenbarte und eine Selbstanzeige stellte, wurde die Abschiebung behördlicherseits vorangetrieben. Die große Unterstützung von Menschen aus dem Umfeld und der Gemeinde, die mit vielen Aktionen und Interventionen versuchten, die Abschiebung zu verhindern, blieb ergebnislos. Auch drei medizinische und ein psychologisches Gutachten, die Frau Celik aufgrund ihrer schlechten gesundheitlichen Verfassung eine Transportunfähigkeit bestätigten, hoben den "Betrug", den die Familie mit ihrer Namensänderung begangen hatte, nicht auf. Lediglich ein Arzt begleitete Frau Celik während der Abschiebung, nachdem er ihr Flugreisefähigkeit bescheinigt hatte.

    Nach der Abschiebung kehren die Eltern nach Nusaybin, ihrem Herkunftsort nahe der syrischen Grenze, zurück. Den Kindern geht es dort sehr schlecht. Nachdem sie nur mit Schwierigkeiten in der dortigen Schule überhaupt angemeldet werden können, beginnen ihre MitschülerInnen, die "Deutschen" wegen ihrer fehlenden Türkischkenntnisse zu hänseln, zu verprügeln, mit Messern zu verletzen und mit Steinen zu bewerfen. Allein der bei der Abschiebung 10-jährige Mazlum erleidet vier Schnittverletzungen an der Hand und Platzwunden unter den Augen, die alle genäht werden müssen.

    Erst als UnterstützerInnen aus Gerlfangen die Familie besuchen, mit dem Schulleiter reden und letztlich die LehrerInnen zu einem Deutschland-Aufenthalt einladen, beginnen die LehrerInnen der Schule, sich um die Schikanen gegen die Kinder zu kümmern.

SaZ 28.8.02; Paulinus 29.9.02; SaZ 5.10.02;

WamS 17.11.02; FRat Saarland 28.12.11;

Bericht von Mazlum Celik

 

11. September 02

 

Leipzig – Bundesland Sachsen. Als ein 25 Jahre alter Flüchtling aus dem Senegal nachts in seine Unterkunft zurückkommt, erwarten ihn 16 Polizisten. Sie machen ihm deutlich, daß er jetzt abgeschoben werden soll. Der Flüchtling ist völlig überrascht, gerät in Panik springt aus dem vierten Stock der Sammelunterkunft.

    Er überlebt mit gebrochenen Rückenwirbeln, gebrochenen Beinen, gebrochenen Armen, Luxationen an den Händen und schweren Hautverletzungen. Während seiner langen medizinischen Behandlung wird er mindestens 29 Mal operiert – davon allein 15 Operationen an den Beinen. Er wird Invalide bleiben.

    Der Grund der angeblichen Festnahme wurde dem Senegalesen später nie in einer ihm verständlichen Sprache mitgeteilt. Zur Abschiebung sollte er nicht festgenommen werden.

Antirassistische Initiative Berlin;

Abschiebehaft-Gruppe beim FRat Leipzig

 

12. September 02

 

Der 15 Jahre alte vietnamesische Flüchtling Bang Ca Ly wird nach fast einem Jahr (!) Abschiebehaft in der JVA Hameln entlassen. Die Haftverlängerungsanträge der Ausländerbehörde Goslar waren vom Amtsgericht in den vergangenen zwölf Monaten ohne Probleme genehmigt worden. Der Betroffene habe sich unerlaubt und ohne festen Wohnsitz aufgehalten und reise ständig in der Bundesrepublik herum.

    Im März 2001 wurde das Alter von Bang Ca Ly angezweifelt, und die Staatsanwaltschaft veranlaßte eine amtliche Altersbestimmung durch einen Rechtsmediziner. Dieser kam zu dem Ergebnis, daß der Betroffene "wahrscheinlich 18 Jahre alt" sei – jedoch "mindestens sechzehneinhalb Jahre alt."

    Für den Goslarer Haftrichter stand damit fest, daß Bang Ca Ly zumindest zu seinem Geburtsdatum falsche Angaben gemacht und damit eine Beschaffung des Paßersatzpapieres bei der vietnamesischen Botschaft bewußt boykottiert hatte. Damit wurde die Abschiebehaft für weitere drei Monate angeordnet.

    Erst als dem Flüchtlingsrat Niedersachsen das Schicksal des Jugendlichen bekannt wird, gelingt es, die Entlassung zu erwirken.

FRat NieSa Heft 98 Dezember2003

 

13. September 02

 

In einem Flüchtlingsheim im niedersächsischen Hildesheim übergießt sich der Kurde Hamze Sen mit Benzin und flieht aus dem Gebäude. Alarmierte Freunde suchen nach ihm und finden ihn schließlich unter einer Eisenbahnbrücke in der Hannoverschen Straße. Dort übergießt er sich erneut mit Benzin und droht – ein Feuerzeug in der Hand – sich anzuzünden, sollten die Freunde näher kommen.

    Erst nach zehn Minuten gelingt es den Freunden, ihn zu überwältigen. Sie fesseln ihn und bringen ihn so zu einer Ärztin. Diese überweist ihn zunächst in die Psychiatrie.

    Hamze Sen ist rechtskräftig abgelehnter Asylbewerber und sollte zusammen mit seiner Familie am 17. September in die Türkei abgeschoben werden. Dort droht ihm eine mehrjährige Gefängnisstrafe wegen "Separatistischer Propaganda". Sen war in zahlreichen Gedichten und Texten in kurdischer Sprache für die Rechte der Kurden eingetreten und hatte auch den von der Kurdischen Arbeiterpartei PKK ausgerufenen "Nationalen Befreiungskampf" unterstützt.

    In dem Abschiedsbrief an seine Familie schrieb er unter anderem: "Ich kann das uns zugefügte Unrecht nicht mehr aushalten. Statt in der Türkei möchte ich hier sterben. Nachdem ich zum türkischen Konsulat gebracht worden bin, kann ich nicht mehr schlafen. Ich kann nicht mehr klar denken. Alles, was ich sage, hilft uns nicht mehr. Ich habe keine Hoffnung mehr. Das heißt, mein Leben endet hier."

jW 18.9.02; WK 18.9.02; FRat NieSa 16.9.02

 

13. September 02

 

In Potsdam an der Bushaltestelle am Schlaatz wird der 44 Jahre alte Kameruner Robert E. von vier Skinheads aggressiv bedrängt und nach Zigaretten und "Dollars" gefragt. Dann boxt ihn einer der Männer gegen die Brust, und ein anderer schlägt ihn mit einem Gummiknüppel. Robert E. läuft weg, wird jedoch von dem Mann mit dem Gummiknüppel verfolgt. Er kann seinen Verfolger abschütteln. Mit seinen an der Hand und an der Schulter erlittenen Verletzungen muß er sich in ärztliche Behandlung begeben.

    Zwei der rechtsradikalen Täter, die in einer Einrichtung für geistig und körperlich Behinderte auf Hermannswerder leben, kommen vor Gericht. Ein 20 Jahre alter Mann wird im Dezember 2003 vom Amtsgericht Potsdam zu einer Bewährungsstrafe von zehn Monaten verurteilt. Sein Komplize und Hauptangeklagter bekommt vom Landgericht Potsdam im Mai 2003 eine Bewährungsstrafe wegen Körperverletzung und Raub von einem Jahr und acht Monaten auferlegt.

Opferperspektive;

rbb 30.6.04

 

14. September 02

 

Berlin. Der 37 Jahre alte Ramo Suljic, Rom und Kriegsflüchtling aus Serbien, erhängt sich im Badezimmer seiner Flüchtlingsunterkunft aus Angst vor der erneut drohenden Abschiebung.

    Die Familie hatte von 1993 bis 1995 in den Niederlanden gelebt und versuchte danach bis zum Jahre 1999, in der BRD einen Aufenthalt zu bekommen. Der Versuch einer endgültigen Rückkehr nach Serbien scheiterte an rassistischen Bedrohungen und Übergriffen, so daß die Eheleute mit ihren Kindern im Jahre 2001 erneut nach Deutschland kamen.

    Herr Suljic hinterläßt seine Frau und sieben Kinder – das jüngste ist drei Jahre alt. Frau Suljic ist schwer traumatisiert und deshalb auf die direkte Unterstützung ihrer Töchter angewiesen. Während die älteste Tochter aufgrund einer Eheschließung einen sicheren Aufenthalt hat, sitzt ihre jüngere Tochter Zahida im November 2005 im Abschiebegefängnis Köpenick. Ein Asylfolgeantrag und ein Antrag bei der Berliner Härtefallkommission blieben erfolglos.

    Die 20-Jährige, die einen Großteil ihres Lebens in Berlin verbracht hat, wird am 4. Januar 2006 als einzige aus der Familie nach Belgrad abgeschoben.

    Die Abschiebung ihrer Mutter Zumreta und ihrer fünf minderjährigen Geschwister (6 bis 16 Jahre alt) erfolgt am

16. August 2006 – ebenfalls nach erfolglosem Härtefallverfahren. Wichtige Papiere, wie die Geburtsurkunden, die Sterbeurkunde des Mannes oder ärztliche Atteste und Gutachten bekommt Frau Suljic trotz mehrmaliger Aufforderungen an die Beamten im Abschiebegefängnis nicht ausgehändigt. Erst nach hartnäckiger Recherche von Angehörigen der Initiative gegen Abschiebehaft beginnen die Gefängnisangestellten, die Papiere zu suchen, und sie finden sie in irgendeinem Raum in einer Plastiktüte. Lange nach der Abschiebung können diese wichtigen Papiere der Familie per Post zugestellt werden.

    In Serbien steht die Familie vor dem Nichts. Da sie weder eine Wohnung noch Geld besitzen, müssen die sieben Personen zunächst bei Bekannten in der Ortschaft Sremska Mitrovica unterkommen. Erst eine Spendenkampagne in Berlin ermöglicht es ihnen, eine kleine Wohnung zu mieten. Nur aufgrund regelmäßiger Spenden aus Berlin kann die Familie auch ein Jahr nach der Abschiebung überleben.

    Die Kinder, die nur Deutsch oder Romanes sprechen, finden sich nur langsam in die serbische Sprache ein. Erst im September 2007 gelingt es der Familie die drei jüngsten Söhne, Valentino (8 Jahre alt), Dennis (10 Jahre alt) und Elvis (12 Jahre alt) in einer Schule unterzubringen. Frau Suljic geht es psychisch nicht gut, denn sie hatte weitere Zusammenbrüche, die jeweils Krankenhausaufenthalte notwendig machten.

    Im Frühsommer 2008 bricht der Kontakt der Berliner UnterstützerInnen zu der Familie ab. Wegen der Unerträglichkeit der Situation in Serbien hat die Familie erneut das Land verlassen.

Initiative gegen Abschiebehaft Berlin

 

17. September 02

 

Der 26 Jahre alte Russe Tschermen T., Abschiebegefangener in der JVA Fulda, klettert vom Gefängnishof aus auf das Dach eines angrenzenden Gebäudes und droht herunterzuspringen. Der Feuerwehr, Dolmetschern und schließlich dem Oberbürgermeister der Stadt gelingt es, ihn dazu zu bewegen, in den Korb einer ausgefahrenen Drehleiter zu steigen.

    Tschermen T. war am 29. August im Intercity ohne Fahrkarte und ohne gültiges Visum aufgegriffen worden und saß seitdem in Abschiebehaft.

    Als Motiv für seine Selbsttötungsandrohung wird paradoxerweise angegeben, daß er die Zusicherung haben wollte, auch tatsächlich nach Rußland abgeschoben zu werden, obwohl der Abschiebetermin für den nächsten Tag festgelegt war und dies ihm auch bekannt war.

FR 18.9.02; FR 20.9.02

 

18. September 02

 

Brandenburg. Im Regionalzug RE 39519 von Wittenberge nach Perleberg wird die deutsche Freundin eines algerischen Flüchtlings von zwei glatzköpfigen Rassisten beschimpft und beleidigt. Am Bahnhof Perleberg richten sich die Aggressionen dann gegen den 25-jährigen Algerier. Die Täter werfen ihn aus dem stehenden Zug, prügeln ihn nieder und treten mit den Füßen in sein Gesicht. Dann fliehen sie.

    Der Algerier kommt mit Gesichtsverletzungen ins Krankenhaus.

    Zehn Tage nach der Tat wird gegen einen 19-jährigen Deutschen Haftbefehl erlassen. Eine Woche später erfolgt die Festnahme des zweiten, 15-jährigen Täters.

    Im März 2003 fällt das Amtsgericht Neuruppin das Urteil gegen die Täter. Der ältere muß für drei Jahre und zwei Monate ins Gefängnis, der jüngere Täter bekommt eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten.

MAZ 20.9.02; BK 20.9.02; BeZ 20.9.02; BM 20.9.02;

BeZ 28.9.02; taz 28.9.02; TS 29.9.02;

TS 3.10.02; MAZ 4.10.02; MOZ 4.10.02;

Opferperspektive 28.3.03

 

19. September 02

 

In der Flüchtlingsunterkunft an der Rheinstraße im nordrhein-westfälischen Urfeld bricht um 23.50 Uhr ein Brand aus. Beim Eintreffen der Feuerwehr aus Wesseling brennt bereits eine Treppe im hinteren Gebäude, und die Flammen haben das Dach erreicht.

    Ein Übergreifen des Brandes auf das Hauptgebäude kann durch die Löschzüge verhindert werden.

    Bis auf eine Frau, die eine leichte Rauchvergiftung erleidet, bleiben alle BewohnerInnen unverletzt.

GA Bonn 20.9.02

 

20. September 02

 

Der 42 Jahre alte Xuan Khang Ha aus Vietnam wird aus der Abschiebehaft in Eisenhüttenstadt entlassen – vorläufig.

    Seit der Festnahme des alleinerziehenden Vaters bereits Anfang August galt sein fünfjähriger Sohn Minh Duc als verschwunden. Trotzdem beabsichtigte und beabsichtigt das Landratsamt Oberhavel, Xuan Khang Ha ohne sein Kind abzuschieben.

    Aus Angst vor der weiter drohenden Abschiebung begibt sich der abgelehnte Asylbewerber im November mit seinem Sohn ins Kirchenasyl.

    Am 6. Januar 2003 dringen morgens um 7.20 Uhr zwei Polizisten in die Wohnung des Pfarrers Johannes Kölbel im brandenburgischen Schwante ein, um Herrn Ha und seinen Sohn zwecks Abschiebung festzunehmen. Die Beamten haben weder Haft- noch Durchsuchungsbefehl. Diese gewaltsame Durchsuchung der Kirchen- und Privaträume des Pfarrers ist der erste Bruch eines Kirchenasyls im Bundesland Brandenburg. Herr Ha und sein Sohn werden nicht gefunden.

    Nachdem im Januar 2003 ein Gericht in einem Eilverfah-ren die Abschiebung untersagt, bekommen Vater und Sohn vom Landkreis Oberhavel fortan Duldungen ausgestellt.

    Gegen Pfarrer Kölbel wird ein Ermittlungsverfahren wegen "Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt von Ausländern und Gewährung von Kirchenasyl" eingeleitet. Im September 2003 erkennt die Neuruppiner Staatsanwaltschaft die Gewissensentscheidung des Pfarrers an und stellt das Verfahren ein, nicht jedoch ohne vorher deutlich zu machen, daß "keine Zweifel über die grundsätzliche Strafbarkeit der Gewährung von Kirchenasyl" bestünden und Wiederholungstaten strafrechtlich geahndet würden.

    Bis ins Jahr 2010 bekommt Herr Ha immer nur auf drei Monate befristete Duldungen ausgestellt. Über 20 Anträge auf eine Arbeitserlaubnis, sei es als Mitarbeiter in einer Pilzzucht, als Kochgehilfe oder in einer Wäscherei, werden von der Ausländerbehörde Oranienburg abgelehnt. Die immer gleichklingende begründung: Herr Ha habe vor allem durch das Kirchenasyl behördliche Maßnahmen zur Beendigung seines Aufenthaltes vorsätzlich behindert.

    Nach 18 Jahren Deutschland-Aufenthalt spricht das Verwaltungsgericht Potsdam im Mai 2010 ein Abschiebeverbot wegen Gefahr für Leib und Leben aus. Damit muß die Ausländerbehörde endlich eine dreijährige Arbeitserlaubnis und Aufenthaltserlaubnis ausstellen.

    Anfang 2011 eröffnet Herr Ha mit großer Zuversicht einen kleinen Imbiß. Wenig später erkrankt der jetzt 58-Jährige schwer und erliegt am 30. April 12 seinem Leiden.

MAZ 13.9.02; Südwest Presse 16.9.02; taz 21.9.02;

TS 7.1.03; MAZ 7.1.03; taz 7.1.03; TS 8.1.03;

 jW 9.1.03; BeZ 4.9.03; BeZ 5.9.03; BeZ 2.6.10;

FRat Brbg 11.5.12; DAMID 3/4 2012

 

23. September 02

 

Bad Brückenau in Bayern. Wegen des angeblichen Diebstahls von Batterien in einem Kaufhaus befindet sich ein 28 Jahre alter Flüchtling aus dem Iran auf einer Polizeiwache. Er soll erkennungsdienstlich behandelt werden, wogegen er sich sträubt, weil er nicht versteht, was die Beamten von ihm wollen. Dann spürt er einen heftigen Schlag, den ihm der stellvertretende Dienststellenleiter versetzt. Er blutet schwer und begibt sich nach seiner Freilassung zu einer Zahnärztin. Diese veranlaßt die Einweisung in die Kieferklinik nach Würzburg, in der er 25 Tage lang stationär behandelt werden muß.

    Am 21. Mai 2004 spricht die dritte kleine Strafkammer des Landgerichtes Schweinfurt den Beamten vom Vorwurf der Körperverletzung im Amt frei. Die Aussage des Polizisten, er habe in Notwehr oder im Reflex gehandelt, war von seinen beiden Kollegen bestätigt worden.

swex.de 4.4.05

 

24. September 02

 

Als die Polizisten eine syrische Familie im hessischen Rotenburg morgens um 7 Uhr zur Abschiebung abholen wollen, springt der 42 Jahre alte Familienvater vom Balkon der im zweiten Stock gelegenen Wohnung und verletzt sich schwer. Er kommt mit einem Rettungshubschrauber ins Klinikum nach Kassel.

    Die Eheleute, die fünf Kinder im Alter von acht bis

17 Jahren haben, befinden sich seit 16 Jahren (!) in der BRD. Der seit dieser Zeit laufende Asylantrag war im Januar in letzter Instanz abgelehnt worden.

    Nach dem Selbsttötungsversuch des Syrers muß die Abschiebeverfügung vorerst ausgesetzt werden.

FR 25.9.02; FRat Hessen 25.9.02; HNA 27.9.02;

HeZ 27.9.02; JWB 2.10.02

 

26. September 02

 

Abschiebegefängnis auf dem Gelände der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber des Landes Brandenburg in Eisenhüttenstadt (ZABH). In dem sogenannten Ruhigstellungsraum mit der Nr. 2008 wird ein 29 Jahre alter Gefangener für zwei Stunden und 40 Minuten mit einem besonderen Gurtsystem an den Händen fixiert.

Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage der PDS-Fraktion

Drucksache 3/7237

 

26. September 02

 

Potsdam in Brandenburg. In einer Straßenbahn werden kurz nach 21.35 Uhr in der Heinrich-Mann-Allee ein 19-jähriger Flüchtling aus Sierra Leone und ein 32 Jahre alter Flüchtling aus Kongo von zwei Rassisten beleidigt, und einer von ihnen geschlagen. Die Afrikaner begeben sich zur ambulanten Behandlung in ein Krankenhaus.

Opferperspektive (MAZ 1.10.02)

 

27. September 02

 

Halle in Sachsen-Anhalt. Ein 38 Jahre alter sudanesischer Flüchtling wartet an der Haltestelle Rannischer Platz auf eine Straßenbahn, als er von zwei deutschen Männern unter anderem mit den Worten "Du stinkst!" beleidigt wird. Der Flüchtling ignoriert die verbale Attacke, bekommt aber plötzlich von hinten einen Schlag mit einer Flasche ins Gesicht. Gleichzeitig versetzt der zweite Angreifer ihm einen Tritt in die Bauchgegend, wodurch der Angegriffene das Bewußtsein verliert. Als er wieder zu sich kommt, blutet er im Gesicht stark, wird mit der Notambulanz ins Krankenhaus gebracht und dort medizinisch versorgt.

    Mehr als drei Jahre nach dem Überfall, am 8. Dezember 2005, eröffnet das Amtgericht Halle den Prozeß gegen die zwei mutmaßlichen Täter. Die Verhandlung endet mit einer Aussetzung auf unbestimmte Zeit – weil ein DNA-Gutachten von beiden Tätern erstellt werden soll.

    Im März 2006 werden die Angeklagten wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung zu Haftstrafen von 15 bzw. 18 Monaten auf Bewährung verurteilt. Da sie Berufung einlegen, wird der Fall neu vor dem Landgericht verhandelt. Aber auch das Nicht-Erscheinen einer Zeugin am 22. November 2006 verzögert den Abschluß des Verfahrens auf unbestimmte Zeit – im vierten Jahr nach der Tat.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt;

MDZ 9.12.05; MDZ 23.11.06

 

28. September 02

 

Brandanschlag auf das von Asylbewerbern bewohnte Gemeindehaus im nordrhein-westfälischen Berghausen. Das Feuer wird schnell gelöscht, so daß nur geringer Sachschaden entsteht und niemand verletzt wird.

    Die Polizei nimmt als Tatverdächtigen einen 35-jährigen Mann aus Berghausen fest. Gegen ihn wird Haftbefehl wegen versuchter schwerer Brandstiftung erlassen.

JWB 9.10.02

 

Ende September 02

 

Bad Berleburg in Nordrhein-Westfalen. In der Nacht legt ein 34 Jahre alter Berleburger Feuer in der seiner Wohnung gegenüberliegenden städtischen Unterkunft für AsylbewerberInnen. Nur durch Zufälle wird das Feuer frühzeitig entdeckt und kann schnell gelöscht werden, so daß von den ca. 10 Erwachsenen und Kindern des Heimes niemand verletzt wird.

    Der Täter kommt – auch wegen anderer Delikte und einer Vorstrafe – vorerst in Haft.

Siegener Ztg 6.9.03

 

Herbst 02

 

Nach der Abschiebung wird ein abgelehnter Asylbewerber in Togo festgenommen. Die Verhöre geschehen unter schweren Schlägen. Nach 15 Monaten Gefangenschaft in Gefängnissen, Militärcamps oder Geisterhäusern gelingt dem Mann die Flucht. Mit Hilfe von Freunden erreicht er im Mai 2004 die BRD und stellt erneut einen Antrag auf Asyl.

Barbara Ginsberg – Rechtsanwältin

 

3. Oktober 02

 

Kamenz in Sachsen. Zwei Flüchtlinge und ihre deutschen Begleiter werden von ca. 15 Fußballfans angepöbelt. Sie flüchten und holen Unterstützung im Flüchtlingsheim.

    Kurz darauf entwickelt sich eine Schlägerei beider Grup

pen, bei der es Verletzte gibt. Die Polizei nimmt später einem Deutschen ein 30 cm langes Messer ab; die Flüchtlinge hatten zuvor einen Baseballschläger in ihre Gewalt gebracht.

AMAL Sachsen (SäZ 8.10.02)

 

5. Oktober 02

 

Frau Annie B. aus Ghana kommt in das Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick. Sie ist im vierten Monat schwanger und leidet unter starken Bauchschmerzen und Erbrechen. Erst durch die Intervention der Seelsorgerin wird Frau B. zu einer externen gynäkologischen Praxis gebracht – in Fesseln. Aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse der Ärztin versteht Annie B. nicht, welche Diagnose gestellt wird. Sie bekommt keinen Mutterpaß und wird zurück in die Abschiebehaft gebracht.

    Frau B. leidet weiterhin unter starken Schmerzen und Erbrechen; es wird ein zweiter Termin bei der Gynäkologin vereinbart, aber der Gefangenen nicht mitgeteilt.

    Am 25. Oktober wird Frau B., sie leidet immer noch unter schweren Bauchschmerzen und häufigem Erbrechen, zur Ghanaischen Botschaft gebracht. Die Botschaftsangehörigen äußern ihr Entsetzen über den Zustand der Abschiebegefangenen. Noch am Abend wird Frau B. von einem ihr unbekannten Mediziner untersucht, der sie als haftunfähig beurteilt. Frau B. kommt umgehend ins DRK-Krankenhaus Köpenick und wird noch am Abend aufgrund einer Blinddarmentzündung operiert. Der Arzt im Krankenhaus notiert die Entlassung aus dem Abschiebegefängnis aufgrund "akuten Schmerzen im rechten Unterbauch seit einer Woche ... Die Patientin gab an, schon seit zwei Monaten abdominelle Beschwerden mit Erbrechen zu haben."

FRat Berlin; Initiative gegen Abschiebehaft Berlin

 

5. Oktober 02

 

Mecklenburg-Vorpommern. In einer Rostocker Diskothek wird ein Flüchtling aus Togo von anderen Gästen geschubst und geschlagen. Einer der Angreifer zieht sogar ein Messer. Der Sicherheitsdienst der Diskothek reagiert nicht.

    Der Togoer erleidet eine Gehirnerschütterung, eine Platzwunde und Schwellungen im Gesicht. Einige Tage später wird ihm der Zutritt zur Diskothek verwehrt.

LOBBI

 

6. Oktober 02

 

Landkreis Waldshut-Tiengen in Baden-Württemberg. Morgens um 1.40 Uhr bricht Feuer in der Flüchtlingsunterkunft "Stieg" in Albbruck in zwei unterschiedlichen Gebäudeteilen aus.

    Insgesamt 200 Helferinnen und Helfer verschiedener Organisationen (Feuerwehren aus Albbruck, Waldshut-Tiengen, dem Klettgau und DRK-Ortsverbände) treffen am Brandort ein.

    Bis auf drei Bewohner, die Rauchvergiftungen erleiden, kommen die 60 Menschen, die hier leben, mit dem Schrecken davon. Sie werden evakuiert und notdürftig in der Turnhalle von Unteralpfen einquartiert.

    Diesem großen Brand, der einen Schaden von ca. 100.000 Euro im Neubau-Trakt über drei Etagen verursachte, war ein kleinerer Brand im Altbau des ehemaligen Kindererholungsheimes in dieser Nacht vorausgegangen, den ein Wachmann noch löschen konnte.

    Die Polizei geht davon aus, daß das Feuer vorsätzlich gelegt wurde. Obwohl es in der Vergangenheit schon mehrfach in diesem Heim gebrannt hat und die Schwarzwaldregion laut jüngstem Verfassungsschutzbericht für verstärkte rechtsradikale Aktivitäten bekannt ist, schließt die Polizei "Fremdenfeindlichkeit" als Tatmotiv aus. "Wir sind sicher, daß ein Heimbewohner den Brand gelegt hat", erklärte der Pressesprecher der Waldshuter Polizei.

    Am nächsten Tag äußert sich der Landrat des Kreises wie folgt: es stehe zweifelsfrei fest, daß es sich bei dem Brand um einen Anschlag gehandelt hat. In einem Zimmer sei ein Brandsatz gefunden worden.

    Die Täter und Tatmotive wurden letztendlich nicht ermittelt.

AK Asyl BaWü 6.10.04;

SK 8.10.02; jW 8.10.02; ND 8.10.02; StZ 9.10.03;

Landkreis Waldshut Pressedienst 8.10.02; SAGA Januar 04

 

6. Oktober 02

 

Karlsruhe in Baden-Württemberg. Naziskins der "Kameradschaft Karlsruhe" und Hooligans aus dem Umfeld des KSC (Karlsruher Sport-Club) formieren sich am frühen Sonntagmorgen, ziehen grölend vor die Zentrale Aufnahmestelle für Flüchtlinge und skandieren rassistische Parolen. AntifaschistInnen und die gerufene Polizei treffen zeitgleich vor Ort ein, so daß die Provokation beendet werden kann.

Antifaschistisches Infoblatt Nr. 57 Herbst 2002

 

12. Oktober 02

 

In einem Potsdamer Nachtbus werden ein 17 Jahre alter Flüchtling aus Kenia, ein Turkmene und ein Brasilianer von zwei deutschen Männern zunächst rassistisch beschimpft. Als der Bus an einer Haltestelle stoppt, stoßen sie den Brasilianer aus dem Bus, schlagen ihn und treten auf ihn ein, als er schon am Boden liegt. Dem 17-jährigen Flüchtling stehlen die Deutschen den Rucksack.

Opferperspektive (MAZ 14.10.02)

 

14. Oktober 02

 

Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick. Sergei P. soll wegen der routinemäßigen Reinigungsarbeiten der Zellen zusammen mit den anderen Gefangenen in einen anderen Zellentrakt gehen. Da er wegen hohem Fieber und Schmerzen zu schwach ist aufzustehen, wird er von einem Bewachungsbeamten angebrüllt: "Steh auf, du Arschloch!" Dann werden Sergei P. Handschellen angelegt, und er wird vom Bewachungspersonal über den Fußboden und mehrere Treppen in einen anderen Gebäudeteil geschleift. Nach Beendigung der Reinigungsarbeiten wird er auf dieselbe Art wieder in seine Zelle gebracht.

    Nach dieser demütigenden Tortur ist er nicht mehr ansprechbar, und seine Hände sind stark geschwollen.

    Herr Sergei P. wird nach vier Monaten Gefangenschaft am 4. Dezember über Polen in die Ukraine abgeschoben.

ADB November 02; ADB 16.12.02

 

19. Oktober 02

 

An der polnisch-brandenburgischen Grenze in Forst wird ca.

1 Meter über dem Neißepegel in einem Gebüsch ein Bein mit Schuh gefunden. Aufgrund des Fundortes wird angenommen, daß das Körperteil während des Hochwassers angeschwemmt wurde.

Innenminister des Landes Brandenburg DS 3/6635

 

24. Oktober 02

 

In der Gemarkung Lampertsheim an der Autobahn A 67 nimmt die Autobahnpolizei drei aus Afghanistan stammende Asylbewerber und ein neunjähriges Kind fest. Die Menschen sind "unerlaubt" aus den Niederlanden nach Deutschland eingereist.

    Auf der Wache erleidet einer der Männer einen Zusammenbruch und kommt mit dem Verdacht auf Herz- und Atemstillstand ins Heppenheimer Kreiskrankenhaus. Nach medizinischer Versorgung und nachdem er im Krankenhaus randalierte, wird er in das Zentrum für Soziale Psychiatrie eingewiesen.

    Die Staatsanwaltschaft ordnet an, daß die Festgenommenen eine Sicherheitsleistung in Höhe von 1000 Euro zu hinterlegen haben.

Main-Rheiner 26.10.02

 

26. Oktober 02

 

Neubrandenburg in Mecklenburg-Vorpommern. In einem Döner-Imbiß belästigen und beschimpfen vier Neonazis den türkischen Angestellten und einen 30-jährigen Flüchtling, der zu Gast ist. Dabei werden die Rassisten handgreiflich. Zudem zerstören sie das Inventar des Kiosks.

LOBBI

 

30. Oktober 02

 

Brandanschlag auf das Flüchtlingsheim im baden-württembergischen Kleinaspach in der Hardtwaldstraße. Durch eine vor das Gebäude geschobene und angesteckte Mülltonne und eine eingeworfene Scheibe entsteht geringer Sachschaden. Tatverdächtig sind zwei Frauen und ein Mann, die kurz nach dem Brand einem Rentner den "Hitlergruß" zeigten.

ngo-online.de 31.10.02; taz 1.11.02; FR 1.11.02;

BKZ 2.11.02; StZ 2.11.02;

 

30. Oktober 02

 

In Rodalben bei Pirmasens in Rheinland-Pfalz greifen fünf Jugendliche eine kurdische Flüchtlingsfamilie unter Beschimpfungen ("Scheißausländer") tätlich an. Die Frau erleidet Verletzungen am Kopf und verliert einen Schneidezahn. Da die Polizei nicht "von einem zwingend fremdenfeindlichen Hintergrund" der Tat ausgeht, erteilen sie den Tätern ausschließlich Platzverbote.

JWB 13.11.02

 

30. Oktober 02

 

JVA Weiterstadt in Hessen. Kurz nach Mitternacht schneidet sich ein 26 Jahre alter Marokkaner die Pulsadern auf und setzt seine Zelle in Brand. Zwei Vollzugsbeamte finden den Bewußtlosen und ziehen ihn aus dem brennenden Raum. Alle drei erleiden eine Rauchvergiftung.

    Dies geschieht, nachdem der Marokkaner am vorherigen Tag wegen "illegaler Einreise" und wiederholtem unerlaubten Aufenthalt zu einer Haftstrafe von 13 Monaten und der anschließenden Abschiebung verurteilt worden war.

    Bei einer Berufungsverhandlung der fünften Strafkammer am Landgericht Darmstadt im Juli 2004 wird dieses Urteil auf 22 Monate erweitert. Begründung des Richters: "Ihr erneuter Suizidversuch war rein appelativ, Sie wollten Aufmerksamkeit bekommen".

DE 3.6.04

 

Ende Oktober 02

 

Zentrale Rückführungsstelle Nordbayern in Fürth. Der Pförtner des Ausreisezentrums ruft die Polizei, nachdem er gesehen hat, daß einer der Bewohner des Lagers über ein Auto gelaufen ist. Die Besatzung des eintreffenden Mannschafts-

wagens ruft Verstärkung, weil sie die Bewohner als aggressiv empfinden. Schließlich kommen noch drei Mannschaftswagen, und jetzt werden sechs Bewohner unter Androhung von Platzverweisen gezwungen, in das Gebäude zurückzukehren. Bei dem Verschließen der Drehtür mit Handschellen geschieht es, daß ein Bewohner eingeklemmt wird. Andere werden mit Schlagstöcken traktiert. Ein Bewohner wird über Nacht mit auf die Wache genommen. Er wird am Morgen wieder so entlassen, wie er mitgenommen wurde: in T-Shirt und Hose.

Fürther Nachrichen 27.10.02

 

Ende Oktober 02

 

Bundesland Thüringen. In einem Waldstück bei Schwarzburg werden sterbliche Überreste von zwei Personen gefunden. Die kriminalpolizeilichen Ermittlungen und rechtsmedizinischen Untersuchungen ergeben, daß es sich um zwei Männer aus dem osteuropäischen Raum handelt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit Asylbewerber oder Spätaussiedler gewesen sind.

    Die Sonderkommission "Goldfasan" der Kriminalinspektion Saalfeld stellt weiter fest, daß sie zwischen Juli 2000 und November 2001 gestorben sind. Das Alter des älteren wird auf 38 bis 44 Jahre, das des jüngeren Mannes auf 21 bis

26 Jahre eingegrenzt.

    Im Juni wird Haftbefehl gegen zwei männliche Personen erlassen, die in Verdacht stehen, die beiden Osteuropäer getötet zu haben.

    Die Identität der Toten ist auch im Januar 2004 noch nicht geklärt.

TA 2.5.03;

Ostthüringer Ztg 2.5.03;

Polizei Saalfeld 2.5.03;

Polizei Saalfeld 25.6.03;

Polizei Saalfeld 21.1.04

 

Oktober 02

 

Nach zwölfjährigem Deutschland-Aufenthalt wird Frau K. mit ihren fünf Kindern in die Türkei abgeschoben. Obwohl sie die Gefahr einer Zwangsheirat der älteren Tochter und die zu erwartende wirtschaftliche Not den Behörden vorgetragen hat, war die Duldung nicht mehr verlängert worden. Als geschiedene Frau lebt Frau K. nach der Abschiebung in einem kurdischen Dorf in bitterer Armut, gesellschaftlicher Verachtung, Isolierung und ist täglichen Bedrohungen und Anfeindungen ausgesetzt. Ein sogenannter Ehrenmord an einer Verwandten im Frühjahr 2004 führt ihr und ihren Töchtern die allgegenwärtige Gefahr vor Augen, selbst Opfer einer solchen Tat zu werden.

    Was vor der Abschiebung bereits befürchtet worden war, ist inzwischen eingetreten: Die älteste Tochter wird im Alter von 16 Jahren von der Familie ihrer Tante gegen ihren Willen mit ihrem Cousin verheiratet. Sie berichtet von brutalen Vergewaltigungen in fast jeder Nacht. Bei zu großer Auflehnung gegen die familiäre Gewalt drohte Frau K.'s  Schwiegervater ihr mit dem Tod und der Zwangsverheiratung ihrer 15-jährigen Tochter.

taz 31.1.05; kl-medien.de/ina

 

Anfang November 02

 

Berlin. Als die fünfköpfige Roma-Familie von der Polizei aus dem Schlaf geholt wird, um die Abschiebung durchzusetzen, läuft der achtjährige Sohn aus Angst davon. Dessen ungehindert wird die Familie nach Serbien abgeschoben.

    Eine vierjährige Tochter und ein zweijähriger Sohn sind in Deutschland geboren. Auch ein Asylantrag, der vom Anwalt der Familie kurz vor dem Abflug eingereicht wird, als die Familie noch im Bundesgrenzschutz-Gewahrsam sitzt, wird vom BGS ignoriert.

    In den folgenden Tagen fahndet die Polizei vor der Schule des achtjährigen Jungen, der inzwischen bei seiner schwer erkrankten Großmutter Unterschlupf gefunden hat.

taz 15.11.02

 

2. November 02

 

Friedrichstadt in Schleswig-Holstein. Die Kurdin Mediye Yardimci, die zusammen mit ihrem Mann und fünf Kindern seit April in der evangelisch-lutherischen Gemeinde im Kirchenasyl lebt, wird vor dem Gemeindehaus von Beamten des Landeskriminalamtes verhaftet. Auch ihr sechsjähriger Sohn wird mitgenommen.

    Bei der Festnahme kollabiert die asthmakranke Frau und wird auf die Intensivstation des Husumer Krankenhauses gebracht.

    Mediye Yardimci war nach Verfolgung, Folterungen und Vergewaltigung in der Türkei 1994 in die BRD geflohen. Sie leidet seither unter schweren psychischen Problemen. Der Asylantrag war abgelehnt worden, weil Frau Yardimci aufgrund ihres Traumas bei der Anhörung gar nicht darüber reden konnte. Erst als UnterstützerInnen einige Termine bei einem Psychotherapeuten organisierten, konnte Mediye Yardimci über ihre grausamen Erlebnisse reden.

    Ein Asylfolgeantrag wurde dann vom Bundesamt positiv entschieden, jedoch legte jetzt der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten Widerspruch ein.

    Am 16. März 2005, zwei Jahre nach dem Friedrichstädter Kirchenasyl, setzt ein Richter des Verwaltungsgerichts Hannover einen Schlußpunkt unter das langjährige Verfahrensmartyrium der Familie, indem er Abschiebehindernisse feststellt und die Abschiebung untersagt.

FRat SH 4.11.02; taz 5.11.02; FR 5.11.02;

Kreis Nordfriesland 5.11.02 und 11.11.02;

SH Ztgsverlag 7.11.02;

FRat NieSa Heft 95/96 Juli 2003;

Der Schlepper Nr. 29 Winter 2004; FRat SH 16.3.05;

Der Schlepper Nr. 31 Frühjahr 2005

 

4. November 02

 

Zentrale Rückführungsstelle Nordbayern in Fürth. Zwölf Männer aus der ehemaligen Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS) befinden sich im Flur der ersten Etage, lärmen und krakeelen. Der Pförtner holt die Polizei, die für Ruhe sorgen soll. Ein dabei eingesetzter Polizeihund beißt einen

23-jährigen Russen in die Brust. Ansonsten setzen die Beamten Pfefferspray ein, "um die Lage zu beruhigen".

    Der verletzte Russe kommt ins Krankenhaus, wo er ambulant behandelt werden kann. Zwei Personen werden mit zur Wache genommen.

sternshortnews.de 5.11.02;

Polizeibericht Mittelfranken 2034;

FüN 7.11.02; NN 7.11.02

 

5. November 02

 

Morgens um 4 Uhr wird die Kosovoalbanerin Sikrie Dervisholli von der Polizei aus dem Bett geholt, nach Freiburg gebracht und in Lahr ins Flugzeug nach Prishtina gesetzt.

    Sikrie Dervisholli ist schwerkrank – sie leidet unter amyothropher Lateralsklerose, einer Nervenerkrankung, die zu schwersten Lähmungen und ohne adäquate Behandlung zu einem fürchterlichen Tod führt.

    Sämtliche Eingaben und Atteste von Seiten der Ärzte und ihres Anwalts konnten die Abschiebung der abgelehnten Asylbewerberin nicht verhindern.

    Im Kosovo hat Sikrie Dervisholli niemanden, in Deutschland hätte sie gerne ihre nur noch kurze Lebenszeit bei ihrer Schwester verbracht.

    Ihr Neurologe zu der Ignoranz der Behörden: "Wie kann man einen Menschen so verrecken lassen."

Schwarzwälder Bote 6.11.02

 

6. November 02

 

Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick. Nach einer heftigen verbalen Auseinandersetzung zwischen einer Mitarbeiterin der Ausländerbehörde und dem Gefangenen Soure M. bittet diese Bewachungsbeamte um Unterstützung. Die Beamten werfen Herrn M. bäuchlings auf den Boden und fixieren seine Hände mit Handschellen auf dem Rücken.

    Nach dieser Mißhandlung weisen seine Handgelenke starke Schürfwunden auf, und er klagt über Schmerzen im Rücken und in der Schulterregion.

    Ende November erfolgt seine Abschiebung nach Guinea.

Jesuiten-Flüchtlingsdienst;

ADB November 02; ADB 16.12.02

 

15. November 02

 

In der Flüchtlingsunterkunft im hessischen Lautertal, Ortsteil Gadernheim, brennt das Erdgeschoß völlig aus, und auch die darüberliegenden Wohnungen werden durch den Brand unbenutzbar. Die drei Flüchtlingsfamilien, die in diesem ehemaligen Gasthof "Deutsches Haus" wohnen, können sich unversehrt retten. Die Brandursache ist zunächst unbekannt.

DE 17.11.02

 

15. November 02

Syke im Landkreis Diepholz in Niedersachsen. Ein 34 Jahre alter serbischer Flüchtling, der Rom Lata Aradinovic, übergießt sich vor dem Rathaus morgens um 8.20 Uhr mit Benzin, geht dann ins Treppenhaus und zündet sich an. Dann läuft er brennend durchs Foyer wieder ins Freie. Mitarbeiterinnen des Bürgerbüros gelingt es, die Flammen zu löschen und Erste Hilfe zu leisten. Der gerufene Sanitätsdienst bringt den Schwerverletzten ins Zentralkrankenhaus Links der Weser. Von dort wird er mit einem Hubschrauber in die Universitätsklinik Hannover geflogen, wo er am nächsten Tag seinen Verletzungen erliegt.

    Lata Aradinovic lebte mit seiner Frau Ljalje Redzepovic und seinen Kindern seit 1995 in Syke. Sein Asylantrag war abgelehnt worden, und seine Familie war seit langem ausreisepflichtig.

    Zwei Tage vor seiner Selbsttötung hatte er in einer spektakulären Aktion auf die unzumutbaren Zustände in der städtischen Unterkunft für Asylbewerber, dem ehemaligen Gasthaus "Deutsche Eiche", aufmerksam gemacht. Er transportierte schimmelige und feuchte Schränke, Betten, Matratzen und Decken aus einem Zimmer ins Freie und kündigte an, künftig mit seiner Frau und seinen fünf Kindern draußen zu schlafen: "Lieber draußen im Regen als in diesen Zimmern."

    Noch nach seinem Tod wird Lata Aradinovic von politisch Verantwortlichen wie dem Bürgermeister von Syke in der Öffentlichkeit beleidigt und verunglimpft. Die Tatsache, daß der Familie von dem jugoslawischen Konsulat nie Papiere ausgestellt wurden, wird Herrn Lata Aradinovic als Identitätsverschleierung und Mißbrauch des "Gastrechtes" unterstellt.

    Anfang November 2004 erscheint die Polizei morgens um 6.30 Uhr vor der Flüchtlingsunterkunft "Deutsche Eiche" in der Waldstraße. Ohne Vorankündigung werden Ljalje Redze-povic und ihre fünf Kinder herausgeholt, in einen Wagen verfrachtet und dann direkt zum Flughafen Düsseldorf gefahren. Von hier aus geht ihr Flug nach Belgrad.

    Der 17-jährigen Tochter gelingt die Flucht, als die Polizei in die Wohnung eindringt. Sie kann sich noch zwei Monate verstecken, dann wird sie entdeckt und nach Hannover-Langenhagen in Abschiebehaft gebracht. Auch sie wird dann abgeschoben.

    Die Familie lebt nach der Abschiebung im Süden Serbiens. Oft ohne Unterkunft, die Kinder gehen betteln, Frau Redzepovic findet ab und zu Arbeit. Dann erkrankt sie ein zweites Mal an Krebs. Nur durch die finanziellen Überweisungen einer Bremer Unterstützungsgruppe kann die Not ein wenig gelindert werden. Auch für die dringende Operation von Frau Redzepovic, die im voraus bar gezahlt werden muß, kann die notwendige Summe in Bremen aufgebracht werden.

    Die 12-jährige Tochter Slobodanka – in Hamburg geboren und in Norddeutschland aufgewachsen -  wird als Romni auf offener Straße angespuckt, beleidigt und geschlagen. Ein Jahr später wird sie von ihrem Stiefvater vergewaltigt und im Alter von 14 Jahren der Zwangsprostitution ausgesetzt. Mit 15 Jahren wird sie zwangsverheiratet und ist ihrem gewalttätigen Ehemann ausgeliefert. Im Mai 2012 flüchtet sie mit ihren beiden Töchtern, der 5-jährigen Valentina und der 3-jährigen Ana Maria, nach Deutschland und kommt zurück nach Syke. Kurz nach ihrer Ankunft wird ihr Sohn David geboren. Ihr droht erneut die Abschiebung.

    Für den bei der Abschiebung 14 Jahre alten Miroslaw beginnt in Serbien ein Albtraum. Abgesehen davon, daß er und seine Geschwister nur Deutsch und Romanes sprechen, also kaum Serbisch, drei von ihnen noch nicht einmal serbische Papiere haben, erleben sie als Roma hier fast täglich Diskriminierungen und Ausgrenzung.

    Im Januar 2007 wird Miroslav Redzepovic nach einer Polizeikontrolle mit auf die Wache genommen, weil er seinen Ausweis nicht bei sich hat. "Was ich am meisten hasse, sind Albaner und Zigeuner" und "Ihr verpestet unser Land!" schreit ihm ein Polizist ins Gesicht und schlägt auf ihn ein. Erst Stunden später kommt er wieder frei.

    Als er auf den Rat seiner Großmutter hin Anzeige gegen die Beamten erstattet, holen eben diese Polizisten ihn Zuhause ab, ziehen ihn auf der Wache aus, fesseln ihn im Keller an eine Heizung und drohen: "Lebend kommst Du hier nicht mehr raus!" Vor seinen Augen zerreißen sie die Anzeige und schlagen auf ihn ein, drücken Zigaretten auf seiner Brust aus und mißbrauchen ihn mit einem Schlagstock. Als er endlich freikommt, ist er durch die Folter schwer traumatisiert.

    Im Oktober 2010 versucht der inzwischen 22-Jährige erneut in die BRD zu flüchten. Am 8. Todestag seines Vaters wird er in der Hamburger Wohnung seiner Tante festgenommen und kommt in Abschiebehaft. Hier versucht er zweimal, sich das Leben zu nehmen.
(siehe auch: 2. Dezember 10)

WK 14.11.02;  JWB 15.11.02; WK 16.11.02;

WK 19.11.02; WK 27.11.02; FRat NieSa Heft 91/92 Januar 2003;

Rahmi Tuncer – Migrationssozialarbeiter; WK 28.2.03;

SyK 14.10.04; Gruppe Roma Soli Bremen 9.12.10;

gedenkenanmilos.blogsport.de 19.11.11;

FRat NieSa 20.12.12; Kreiszeitung 27.10.12

 

20. November 02

 

Murtala Muhammed Airport in Lagos – Nigeria. Ein Flugzeug mit abgeschobenen Flüchtlingen aus Italien und Deutschland ist gelandet. Die meisten der aus Deutschland (21 Menschen) und aus Italien (24 Menschen) Abgeschobenen haben frische Verletzungen an Hand- und Fußgelenken, die darauf hindeuten, daß sie während des Fluges gefesselt waren und kurz vor der Landung entfesselt wurden. Auch berichten die erschöpften Menschen über schwere Mißhandlungen von Seitender deutschen und italienischen Polizei.

    Der Nigeria Imigration Service lehnt die Wiederaufnahme zweier Flüchtlinge ab und läßt diese nach Deutschland zurückfliegen. Eine Person ist bewußtlos und somit nicht in der Lage, das Flugzeug zu Fuß zu verlassen, und die zweite Person hat einen gebrochenen Nackenwirbel.

ThisDay 22.11.02;

JWB 4.12.02

 

21. November 02

 

Die 42–jährige psychisch kranke Cveta A. , Romni aus Mazedonien, schluckt aus Angst vor der bevorstehenden Abschiebung eine Überdosis Tabletten des Psychopharmakums Saroten (50-fache Tagesdosis). Ihre 17-jährige Tochter Remzie, die den Tag auf der Ausländerbehörde verbrachte, um das Attest über die Reiseunfähigkeit ihrer Mutter abzugeben, findet sie abends leblos vor.

    Im Krankenhaus wird akute Lebensgefahr festgestellt, und Cveta A. ist auch am nächsten Tag noch nicht ansprechbar.

    Am Morgen nach dem Selbsttötungsversuch um 6 Uhr steht die Polizei vor der Wohnung, um die Familie A. zur Abschiebung abzuholen. Der 15-jährige Selajdin A. kann die Beamten nur mit Mühe davon überzeugen, daß seine Mutter auf der Intensiv-Station im Krankenhaus liege und auch seine Schwester dort sei. Mit dem Hinweis, die Familie habe sich am nächsten Morgen auf der Ausländerbehörde zu melden und ein Attest vorzulegen, gehen die Beamten wieder.

    Herr und Frau A. und ihre Kinder lebten bis 1992 in Bosnien, weil Herr A. dort Arbeit hatte. Als ihre Wohnung bombardiert wurde, und Cveta A. durch einen Deckenbalken am Kopf schwer verletzt wurde, floh sie mit den Kindern zunächst nach Mazedonien und dann in die BRD. Herr A. kam während des Krieges in Bosnien um.

PDS Flüchtlingsberatungstelle Berlin;

Amen a¹as kate! Gruppe Berlin

 

22. November 02

 

Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick. Der 40 Jahre alte abgelehnte Asylbewerber V. O. aus der Ukraine reißt sich mit einem Metallgegenstand die Bauchdecke auf. Er kommt ins DRK-Krankenhaus Köpenick, wo seine Verletzungen umgehend operiert werden. Vor Abschluß der medizinischen Behandlung gelingt ihm die Flucht.

(siehe auch: 12. August 07)

Antirassistische Initiative Berlin

 

24. November 02

 

Rathenow in Brandenburg. Der 34 Jahre alte Moussa Abdel Nassirou, Asylbewerber aus Togo, ist nach einem Telefonat in einer Telefonzelle auf dem Wege zu seiner Flüchtlingsunterkunft im Birkenweg. Um ca. 18.30 Uhr wird er im Bahnhofstunnel von einem Rechtsradikalen verfolgt und geschlagen. "Neger, geh in dein Land!" hört er und spürt im gleichen Moment einen Faustschlag gegen die linke Brust.

    Moussa Abdel Nassirou hatte sich Mitte August im Münchener Herz-Zentrum einer schweren Herz-Operation unterziehen müssen, und als der Faustschlag jetzt seine Narbe trifft, bekommt er große Angst. Er läuft weiter; der Deutsche holt ihn ein und stößt ihn auf die Tunneltreppe, die zum Birkenweg führt. Unter lautem Hilferufen gelingt es dem Togoer, die Treppe hochzulaufen. Er nimmt sein Handy und droht dem Angreifer, daß er jetzt die Polizei anrufen werde. Daraufhin flieht dieser zurück in den Tunnel.

    Moussa Abdel Nassirou lebt seit 1994 in Rathenow im Flüchtlingsheim. Der Asylantrag des auch im Exil politisch aktiven Oppositionellen ist abgelehnt worden. Im Januar 2004 droht dem schwer herzkranken Opfer des rassistischen Angriffs die Abschiebung.

Bericht des Betroffenen; Opferperspektive

 

25. November 02

 

Der 21-jährige Teymur A. aus Aserbaidschan erleidet an der Sortiermaschine einer Druckerei im bayerischen Fürth lebensgefährliche Verletzungen, als er von einem Maschinenschlitten am Kopf getroffen wird. Er stirbt wenig später im Krankenhaus.

    Da seine Arbeitgeber, die Besitzer der Druckerei, keine Sozialabgaben eingezahlt haben, versuchen sie zunächst, den Unfall an diesem Ort zu verschleiern.

    Wichtige Schutzeinrichtungen waren an der Maschine entfernt worden, um bei bestehendem Papierstau diesen schneller beseitigen zu können.

    Die Polizei ermittelt gegen die Besitzer der Druckerei wegen fahrlässiger Tötung, Vortäuschens einer Straftat und verschiedener Verstöße gegen arbeits- und ausländerrechtliche Vorschriften.

Polizeibericht Mittelfranken 2176; FrP 26.11.02;

NZ 28.11.02; NN 28.11.02

 

28. November 02

 

Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick. Ein 23–jähriger Albaner und ein 47 Jahre alter Gefangener aus Weißrußland, die zusammen in einer Zelle sitzen, fügen sich mit Teilen einer Rasierklinge Schnittverletzungen im Bauchbereich zu.

    Nach einer ersten medizinischen Versorgung im DRK-Krankenhaus Köpenick erfolgt ihre Verlegung ins Haftkrankenhaus Moabit. Nach einer Woche Krankenhausaufenthalt werden sie schließlich wieder in die Abschiebehaft zurückgebracht – kommen allerdings in verschiedene Zellen. (siehe auch: 11. Februar 03)

Initiative gegen Abschiebehaft Berlin;

Antirassistische Initiative Berlin

 

28. November 02

 

Magdeburg in Sachsen-Anhalt. An einer Haltestelle wird ein 32 Jahre alter Flüchtling aus Ghana von einem Rassisten beleidigt und angegriffen. Er bekommt einen Faustschlag ins Gesicht und wird dadurch verletzt. Drei Männer gehen dazwischen und halten den Täter fest.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

30. November 02

 

Zirchow auf der Insel Usedom im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Um 16.50 bricht ein Brand im Obergeschoß des Flüchtlingsheimes aus, den auch die gerufenen Feuerwehren der Umgebung erst löschen können, als das Obergeschoß und der Dachstuhl zerstört sind. Die 49 Flüchtlinge aus Armenien, Jugoslawien, Sri Lanka und Syrien können sich retten; ein 14 Jahre alter Junge aus Armenien muß mit einer Rauchvergiftung ins Krankenhaus gebracht werden. Der Sachschaden wird auf 500.000 Euro geschätzt.

OZ 2.12.02; NK 2.12.02; HA 2.12.02; taz 2.12.03; SD 2.12.02

 

30. November 02

 

Drei afrikanische Frauen, Mitglieder der "Flüchtlingsinitiative Brandenburg", werden in einem Zug in Prenzlau von Rechtsradikalen rassistisch angepöbelt und mit Bier überschüttet. Die Frauen sind auf dem Weg zu einer antifaschistischen Demonstration.

Opferperspektive (jW 2.12.02)

 

November 02

 

Ludwigshafen in Rheinland-Pfalz. Die 29 Jahre alte kurdische Asylbewerberin Neziha A. befindet sich seit fast vier Monaten unnötigerweise in der psychiatrischen Klinik, weil die Stadt sich nicht in der Lage sieht, ihr eine Wohnung zur Verfügung zu stellen.

    Neziha A., der die Abschiebung droht, war nach einem Selbsttötungsversuch im Mai in die Klinik eingeliefert worden. Nach fünfwöchiger stationärer Behandlung sollte die Entlassung erfolgen, und die Ärzte attestierten, daß es "dringend notwendig" sei, sie in einer Wohnung außerhalb eines Sammellagers für Asylbewerber unterzubringen.

    Neziha A. war 1996 in die BRD geflohen, nachdem türkische Beamte ihren Vater ermordet und sie selbst gefoltert hatten.

jW 18.11.02; FR 19.11.02

 

November 02

 

Der kurdische Flüchtling Fehmi D. versucht sich aus Angst vor der drohenden Abschiebung umzubringen. Er kommt daraufhin für sechs Wochen in stationäre psychiatrische Behandlung nach Marburg.

    Zu dieser Zeit befindet sich auch sein Vater schon seit Monaten in stationärer psychiatrischer Behandlung, die er nach einem Selbsttötungsversuch beginnen mußte.

(siehe auch: Juli 02)

FRat NieSa

 

November 02

 

Auf die Kleine Anfrage der GAL-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft wird ein Suizidversuch in der JVA Fuhlsbüttel, in Hamburger Abschiebehaft, bekanntgegeben.

Hamburgische Bürgerschaft DS 18/188

 

Anfang Dezember 02

 

Ein ca. 30-jähriger irakischer Flüchtling wird im thüringischen Altenburg von Rechtsradikalen rassistisch beschimpft und tätlich angegriffen. Dem Iraker wird dabei der Arm gebrochen.

ABAD Thüringen

 

3. Dezember 02

 

Magdeburg in Sachsen-Anhalt. Ein angolanischer Flüchtling wird um 16.30 Uhr in der B.-Kellermann-Straße von einem

23 Jahre alten Magdeburger angepöbelt und beleidigt. Dann befiehlt der Mann seinem Hund, den Afrikaner anzugreifen, der der Aufforderung allerdings nicht nachkommt. Der Mann verfolgt den Flüchtenden bis zu seinem Wohnhaus und bedroht ihn noch in der Eingangstür mit einem Messer.

    Als eine halbe Stunde später die Freundin des Afrikaners mit einer Bekannten eintrifft, werden auch sie von dem Aggressor rassistisch beleidigt und angespuckt.

    Obwohl eine der Frauen bei einer anschließenden "Rangelei" (Polizei-Bericht) leicht verletzt wird und der Täter polizeibekannt ist, ermittelt die Kripo lediglich wegen des Verdachts der Beleidigung und Bedrohung.

Polizei Magdeburg 4.12.02;

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

5. Dezember 02

 

Altenkirchen in Rheinland-Pfalz. Morgens um 4.00 Uhr wird die achtköpfige kurdische Familie Gülec in ihrer Wohnung in der Bahnhofstraße durch die Rufe "Polizei" und lautes Gehämmer an der Tür geweckt. Unmittelbar danach wird die Tür aufgebrochen und PolizistInnen stürmen hinein. "Alles auf den Boden", wird geschrien – einige Beamte haben Gewehre dabei. Auch die Türen der Kinderzimmer werden eingetreten. Einige Kinder sind erstarrt – andere schreien unentwegt. Telefonate werden verboten oder brutal unterbunden. Frau Hayriya Gülec liegt wie gelähmt auf dem Fußboden. Auch ihren Töchtern gelingt es nicht, sie anzuziehen, so daß sie im Schlafanzug und ohne Schuhe mit einem Krankenwagen abtransportiert wird.

    Dem ältesten Sohn Esat wird verboten, sich von seiner Mutter zu verabschieden. Obwohl er von zwei Beamten bewacht wird und seine Hände auf dem Rücken gefesselt sind, gelingt es ihm, sich niederzuknien und seiner Mutter einen Kuß zu geben.

    Zur direkten Abschiebung über den Flughafen Frankfurt am Main wird die Familie getrennt. Während Murat Gülec und die sechs Kinder in eine Linienmaschine einsteigen müssen, wird Frau Gülec mit einer anderen, kleineren Maschine ausgeflogen.

    Am Flughafen Istanbul erfolgt die unmittelbare Festnahme von Murat Gülec. Obwohl türkische Behörden behaupten, daß er wieder entlassen wurde, bleibt er verschwunden. Auch türkische Menschenrechtsorganisationen versuchen, ihn zu finden.

    Die Eheleute sind seit 15 Jahren in der BRD gewesen. Drei der sechs Kinder sind hier geboren – der Älteste war drei Jahre alt, als sie aus der Türkei flüchten mußten. Durch die traumatischen Erfahrungen in der Türkei leidet Frau Gülec unter einem schweren Posttraumatischen Syndrom. Drei unabhängige Ärzte hatten einen Behandlungszeitraum von 10 Jahren vorgeschlagen.

Land in Sicht 22.12.02;

Bericht von Özlem Gülec (FAX nach der Abschiebung)

 

7. Dezember 02

 

Chemnitz in Sachsen. In der Nacht schleudern Unbekannte Brandsätze durch zwei geschlossene Fenster im Erdgeschoß in die Büroräume des von AussiedlerInnen und AsylbewerberInnen bewohnten "Wohnhotels Kappel" an der Haydnstraße. Zwei der Brandsätze erlöschen von alleine, ein dritter Molotow-Cocktail, der vor dem Haus gefunden wird, zündet nicht.

    Von den 180 Menschen, die in dem Haus wohnen, wird niemand verletzt.

    Im Juni 2003 hat die Sonderkommission Rechtsextremismus des Landeskriminalamtes Sachsen vier Tatverdächtige im Alter von 17 und 19 Jahren ermittelt. Die Haftbefehle gegen alle vier werden wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerer Brandstiftung erlassen. Alle Verdächtigen sind bereits durch diverse andere Straftaten bekannt.

CMP 10.12.02; FP 10.12.03;

BeZ 10.12.02; JWB 18.12.02;

StA Chemnitz und LKA Sachsen 19.6.03;

afp 19.6.03; BeZ 20.6.03; SäZ 20.6.03,

FP 20.6.03; taz 20.6.03;

 

9. Dezember 02

 

Berlin-Kreuzberg. Morgens um 1.30 Uhr wird der 43 Jahre alte Mohammad Ahmad Shoresch im Böcklerpark tot aufgefunden. Der Asylbewerber aus dem Irak ist an einer Vielzahl von Stichverletzungen verblutet.


    Am 7. Dezember war Mohammad Ahmad Shoresch aus Augsburg kommend am Fernbahnhof Zoologischer Garten eingetroffen und hatte die Zeit bis zum nächsten Nachmittag mit einem Freund verbracht. Am Hermannplatz trennten sie sich, Herr Shoresch wurde seitdem nicht mehr lebend gesehen.

    Auch im Januar 2003 sind weitere Informationen zu Tathergang und Motiven des Mordes der Polizei nicht bekannt.

Polizei Berlin 9.12.02; taz 10.12.02;

Polizei Berlin 18.12.02; BM 3.1.03

 

15. Dezember 02

 

Pasewalk in Mecklenburg-Vorpommern. Morgens um ca. 2 Uhr werden in der Diskothek "Zum alten Schlachthof" drei togoische Flüchtlinge im Alter von 29 bis 31 Jahren von mehreren Deutschen beschimpft und geschlagen. Nachdem die Security die Angreifergruppe des Saales verwiesen hat, lauert diese den Flüchtlingen außerhalb der Diskothek auf. Mehr als zehn Männer treten und schlagen auf die drei Afrikaner ein.

    Ein Angegriffener kommt mit einem Krankenwagen ins Krankenhaus. Bei ihm müssen neben Prellungen, Blutergüssen und einer stark blutenden Schnittverletzung an der Hand auch eine ausgekugelte Schulter und ein geschwollenes Knie behandelt werden.

    Angriffe wie diesen nehmen einige Diskotheken-Besitzer zum Anlaß, ausländischen Menschen den Zutritt ganz zu verwehren. Sie werden z.B. an den Türen von Tanzlokalen in Pasewalk, Anklam, Bad Doberan und Rostock gezielt abgewiesen.

LOBBI; NK 18.12.02; NK 14.10.03; NK 30.10.03

 

15. und 16. Dezember 02

 

Im nordrhein-westfälischen Heilder brennt das Übergangsheim an der Raiffeisenstraße innerhalb weniger Stunden zweimal.

    Am Sonntag um 15.44 Uhr geht die erste Brandmeldung bei der Feuerwehr in Erkelenz ein. Beim Eintreffen der Löscheinheiten steht das Gebäude komplett unter Rauch. Ein Mann, der anfangs noch im Obergeschoß schlief, kann sich auf das Dach retten und wird von dort mit einem Rettungskorb über die Drehleiter heruntergeholt. Die übrigen 29 hier wohnenden AsylbewerberInnen kommen mit dem Schrecken davon und werden in der Turnhalle von Tüddern untergebracht.

    Nachdem das Feuer gegen 20 Uhr gelöscht ist, entsteht gegen 2 Uhr des nächsten Tages wieder ein Brand. Als erneut die Feuerwehren eintreffen, befinden sich trotz Evakuierung wieder zwei Personen im Gebäude, die dann über Leitern gerettet werden können.

AaZ 17.12.02

 

16. Dezember 02

 

Mecklenburg-Vorpommern. In Pasewalk wird ein Flüchtling aus Togo an einer Telefonzelle von drei Neonazis angepöbelt. Er kann fliehen.

LOBBI

 

17. Dezember 02

 

Als die Kamerunerin Lefu Rosine Chanwa morgens um 8 Uhr ihren Asylfolgeantrag in der Ausländerbehörde des rheinland-pfälzischen Neuenahr-Ahrweiler abgeben will, wird sie von der Polizei verhaftet. Am selben Abend kommt sie von dort aus ins Maria-Hilf-Hospital.

    Durch die heftigen und nicht enden wollenden Einschüchterungsversuche, zunächst auf der Ausländerbehörde und dann auf dem Polizeirevier, und auch durch die existentielle Angst vor der drohenden Abschiebung war sie zusammengebrochen. Sie sagt, daß sie sowohl auf der Ausländerbehörde und auch bei der Polizei angegriffen worden sei.

    Wegen ihrer politischen Aktivitäten im Kamerun mußte Lefu Rosine Chanwa in die BRD fliehen. Auch hier beteiligte sie sich an Aktionen, die die Forderung zur Freilassung der südkamerunischen politischen Gefangenen zum Inhalt haben. So die Besetzung der Kameruner Botschaft am 1. Oktober 2002 und eine Demonstration vor der Botschaft in Bonn am 10. Dezember diesen Jahres. In beiden Fällen wurde von Botschaftsangehörigen intensiv gefilmt.

mailingliste freemovement 17.12.02

 

17. Dezember 02

 

Im sächsischen Aue wird ein 27 Jahre alter Flüchtling aus Nigeria von vier Männern und zwei Frauen auf offener Straße angegriffen. Nach dem Überfall ist sein Nasenbein gebrochen, und er muß sich im Krankenhaus Aue behandeln lassen.

(siehe auch: 25. März 03, 9. November 03 und 14. April 04)

AMAL Dresden

 

18. Dezember 02

 

Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick. Ein 46 Jahre alter russischer Gefangener schneidet sich am Halsbereich und an den Handgelenken die Blutgefäße auf. Nach medizinischer Versorgung im Krankenhaus kommt er zurück in die Haft.

Antirassistische Initiative Berlin

 

19. Dezember 02

 

Der Sicherheitsdienst des Flüchtlingsheimes im thüringischen Sonneberg entdeckt morgens um 4.15 Uhr einen mit Benzin gefüllten roten Plastikkanister, der auf einer eingeschalteten Herdplatte steht. Zu diesem Zeitpunkt sind bereits Löcher im Kanister, und das Benzin hat sich auf dem Herd und auf dem Küchenboden ausgebreitet.

    Die Feuerwehr kann eine Explosion verhindern – alle

80 BewohnerInnen bleiben unversehrt.

FW 20.12.02; TA 20.12.02

 

19. Dezember 02

 

Kamenz in Sachsen. Ein 36 Jahre alter kurdischer Flüchtling aus der Türkei wird um 1.15 Uhr auf der Straße von drei Nazis angegriffen. Mit einem Holzknüppel erhält er einen Schlag in die Nierengegend und geht zu Boden. Jetzt treten zwei Angreifer mehrere Minuten lang gegen Kopf und Beine des am Boden Liegenden, während der dritte Mann seine Füße festhält.

    Der Kurde kommt schwer verletzt ins Kamenzer Malteser-Krankenhaus. Neben der Gefahr einer lebensgefährlichen inneren Blutung werden folgende Verletzungen festgestellt: Schädel-Hirn-Trauma, stumpfes Bauchtrauma, Thorax-Prellung, Nieren-Quetschung und eine offene Wunde am rechten Daumen.

    Das Ermittlungsverfahren gegen die drei Täter wird wegen angeblicher Unsicherheiten bei der Identifizierung der Täter eingestellt. Der vermeintliche Haupttäter schlägt im Januar erneut einen Flüchtling fast tot. (siehe auch: 3. Januar 03)

AMAL Görlitz; StA Bautzen und LKA Sachsen 29.1.03

 

20. Dezember 02

 

Bei einem Brand im ersten Obergeschoß des Flüchtlingsheimes der baden-württembergischen Stadt Sinsheim ziehen sich drei Flüchtlinge im Alter von 22, 25 und 27 Jahren Verletzungen zu. Zwei von ihnen brechen sich Knochen, als sie in Panik aus dem Fenster springen, und der dritte kommt mit Verdacht auf eine Rauchvergiftung ins Krankenhaus.

    Die übrigen 50 BewohnerInnen der Unterkunft kommen mit dem Schrecken davon.

HSt 21.12.02

 

20. Dezember 02

 

Polizeigewahrsam Bremen – Abschiebehaft. Dem Asylbewerber H: aus Marokko wird verweigert, Besuch zu bekommen. Als er sich darüber beschwert, schubst ihn ein Beamter in die Zelle zurück. Dort tritt er ihm die Beine weg, so daß er hinfällt und sein Kopf auf den Boden schlägt. Er ist benommen und merkt, wie Beamte ihn in eine Beruhigungszelle schleifen und dort mit Ketten an einer Matratze fixieren. Nach einer halben Stunde erscheint ein Beamter und berührt mit einem Schlüssel seinen Fuß, wohl um zu sehen, daß er bei Bewußtsein ist. Der Beamte bietet ihm Tabletten an, die Herr H. jedoch nicht einnimmt. Dann wird ihm gesagt, daß er hoch gehen solle, um seinen Besuch anzurufen.

Gruppe grenzenLOS Bremen

 

23. Dezember 02

 

Rathenow in Brandenburg. Der 41 Jahre alte togoische Flüchtling Orabi Mamavi ist mit einem anderen togoischen Flüchtling zu Schneeräumarbeiten in der Berliner Straße 30 vor der Kreisverwaltung eingesetzt. Ein 24-jähriger Deutscher kommt plötzlich auf sie zu und pöbelt "Nigger, geh nach

Hause!" und "Scheiß-Neger!" Er schlägt Herrn Mamavi dreimal mit der Faust ins Gesicht und tritt seinem Kollegen gegen das Knie.

    Nur durch einen hinzueilenden Mann von der Kreisverwaltung und einen Passanten, die sich einmischen, kann Schlimmeres verhindert werden. Die gerufene Polizei nimmt die Personalien des Täters auf und fordert Orabi Mamavi auf, mit in die Dienststelle zu kommen, damit er dort Anzeige erstatten könne.

    Die Polizisten raten Herrn Mamavi, noch heute zu einem Arzt zu gehen, der seine Kopf- und Augen-Verletzungen attestieren soll. Orabi Mamavis Suche nach einer Praxis bleibt erfolglos, weil alle schon wegen des anstehenden Weihnachtsfestes geschlossen sind. Also geht Herr Mamavi zusammen mit seinem Freund in die Rettungsstelle. Hier werden ihm mit der Begründung, es handele sich bei dem Attest um eine Sonderleistung, 18,30 Euro für das Schreiben abgenommen.

    Dies war der zweite rassistisch motivierte Angriff, den Orabi Mamavi in Rathenow erleiden mußte.

(siehe auch: 25. April 97)

    Ungeachtet des laufenden Ermittlungsverfahrens plant die Ausländerbehörde Rathenow zum 24. Juli 2003 die Abschiebung des wichtigsten Zeugen im anstehenden Prozeß gegen den Täter: des Opfers selbst – Orabi Mamavi. Erst durch die Intervention des Rechtsanwaltes und durch Bekanntwerden des Falles in der Presse wird die Abschiebung bis nach dem Prozeßtermin auf den 4. September verschoben.

    Der Täter wird zu einer Bewährungsstrafe von vier Monaten und einer Geldstrafe von 500 Euro verurteilt.

    Inzwischen macht der Rechtsanwalt bekannt, daß der Parteiausweis, der Orabi Mamavi als Mitglied der oppositionellen "Convention Démocratique des Peuples Africains" (CDPA) identifiziert und den der Togolese bei seiner Asylanhörung vor neun Jahren beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge als Beweis für seine Verfolgungsgeschichte vorgelegt hatte, von den deutschen Behörden an die Togoische Botschaft weitergegeben wurde, um die für die Abschiebung notwendigen Reisedokumente zu bekommen.

    Orabi Mamavi, der wegen seiner oppositionellen Arbeit in Togo schon verhaftet und gefoltert worden war und seine politische Tätigkeit auch nach seiner Flucht in der BRD fortsetzte, ist durch die rassistischen Angriffe und durch die ständigen Abschiebungsandrohungen am Ende seiner nervlichen Kraft.

    Wegen eines Verfahrensfehlers wird die Abschiebung vom Verwaltungsgericht Potsdam vorerst gestoppt.

Flüchtlingsinitiative Brandenburg;

taz 14.5.03; TS 26.6.03;

FRat Brandenburg 26.6.03;TS 27.6.03;

FR 5.7.03; TS 10.7.03; MAZ 11.7.03;

Opferperspektive 18.7.03;

taz 22.7.03; TS 23.7.03; taz 24.7.03;

 MAZ 24.7.03; TS 29.7.03;

Opferperspektive 11.8.03; taz 13.8.03; jW 23.8.03;

RBB-Brandenburg "Klartext" 26.8.03; FR 27.8.03; TS 4.9.03

 

26. Dezember 02

 

Bitterfeld im Bundesland Sachsen-Anhalt. In den Morgenstunden wird ein 22-jähriger Flüchtling aus Kamerun von vier Männern angepöbelt, mit der Faust ins Gesicht geschlagen und mit einem Messer bedroht.

    Der Polizei gelingt es, die Täter kurze Zeit später in einer Regionalbahn festzunehmen.

Polizei Dessau 27.12.02;

taz 28.12.02; FR 28.12.02; BeZ 28.12.02

 

31. Dezember 02

 

In der dritten Etage des Flüchtlingsheimes im brandenburgischen Prenzlau bricht gegen 19 Uhr in einem der Zimmer Feuer aus. Trotz schneller Intervention zweier pakistanischer Heimbewohner, die mit Feuerlöschern arbeiten, breitet sich der Brand weiter aus. Auch die volle Besatzung der Feuerwehr benötigt noch eine Stunde, um die Flammen unter Kontrolle zu bringen.

    Die beiden Pakistani kommen mit Verdacht auf Rauchvergiftung ins Krankenhaus. Ca. 30 HeimbewohnerInnen, die sich zu dieser Zeit in der dritten und vierten Etage befinden, werden auf andere Stockwerke des Heimes verteilt.

NK 4.1.03

 

31. Dezember 02

 

Altenburg in Thüringen. Am Silvesterabend sitzt ein ca. 30 Jahre alter irakischer Flüchtling auf einer Bank. Plötzlich wird er von einer Gruppe Rechtsradikaler umringt und beleidigt, bedroht und tätlich angegriffen. Er wird leicht verletzt.

ABAD Thüringen

 

Dezember 02

 

Ein nigerianischer Flüchtling wird in der sächsischen Ortschaft Aue durch einen rassistischen Überfall verletzt.

(siehe auch: 24. März 03)

AMAL Sachsen

 

 

 

 

In den Jahren 2001 und 2002

 

Bundesland Bayern. Der 64 Jahre alte Hausmeister Richard S. des Nürnberger Flüchtlingsheimes in der Schloßstraße dringt mit seinem Generalschlüssel zweimal in das Zimmer der schlafenden Rena W. aus Uganda ein, überwältigt und vergewaltigt sie. Dann droht er ihr die Abschiebung an für den Fall, daß sie nicht bereit sei, über dieses Verbrechen an ihr zu schweigen. Er unterstreicht dies mit der Äußerung, daß ihr als Ausländerin sowieso nicht geglaubt werde –  denn er sei ja schließlich Deutscher.

    Als sich die 41-Jährige an die zuständige Sozialarbeiterin wendet, hört sie genau dieses Argument. Der Sozialarbeiterin sei so etwas "noch nie zu Ohren gekommen", und er sei schließlich Deutscher.

    Da Rena W. als Asylbewerberin gezwungen ist, in dem Heim zu leben, kann sie nicht verhindern, daß sie ihrem Vergewaltiger ständig begegnet – sie ist seinen sexuellen Belästigungen noch oft ausgeliefert. Ähnlich wie ihr geht es mindestens sieben anderen Frauen im Heim, die sich aufgrund ihrer fehlenden Rechts- und Sprachkenntnisse und aufgrund der übergroßen Machtposition des Hausmeisters im Heim nicht in der Lage sehen, sich zu wehren.

    Erst fünf Jahre nach den Geschehnissen erstattet Rena W. Anzeige, nachdem sie ihre Deutschkenntnisse verbessern konnte und in unabhängigen Beratungsstellen über ihre Rechte aufgeklärt worden ist.

    Die Ermittlungen gestalten sich als schwierig, weil das Heim schon länger aufgelöst ist und viele Frauen, die von der Polizei eine Vorladung bekommen, sich nicht trauen, dieser nachzukommen.

    Im Januar 2009 muß sich der ehemalige Hausmeister vor der 13. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg verantworten. Neben Rena W. gibt es noch eine zweite Zeugin, die sich bereit erklärt hat, gegen ihn auszusagen.

    Rena W. steht in diesem Mißbrauchsprozeß einem männlichen Richter und zwei männlichen Schöffen gegenüber. Zwar zweifeln diese nicht an dem Verbrechen, doch es fehlen ihnen detaillierte Beschreibungen des "Kerngeschehens", so daß entschieden wird, daß die Beweise gegen den Angeklagten nicht ausreichen. Und weiter: "Es ist besser, einen Schuldigen laufen zu lassen als einen Unschuldigen einzusperren."

    Nach zwei Prozeßtagen wird der Angeklagte am 16. Januar 2009 unter lautem Protest der anwesenden Öffentlichkeit vom Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs an widerstandsunfähigen Personen freigesprochen. Die Anwältin der Nebenklägerin legt Widerspruch ein.

    Anfang 2010 erhält Rena W. endlich ein Bleiberecht.

Hinterland April 2007;

Internationales Frauencafé Nürnberg;

FRat Bayern 9.1.09; jW 9.1.09;

NZ 14.1.09; SZ 14.1.09; Hilpoltsteiner Ztg 14.1.09; jW 14.1.09;

Donaukurier 15.1.09;

Der Bote 16.1.09; jW 17.1.09;

jW 20.1.09; Altmühlbote 20.1.09;

Nachricht der Betroffenen im März 2010

 

 

Im Jahre 2002

 

Es ist bekannt, daß zwei tschetschenische Flüchtlinge, die nach ihrer Abschiebung aus der BRD am Flughafen Moskau von MitarbeiterInnen der russischen Menschenrechtsorganisation Bürgerforum (Grashdariskoje Sodejstwije) erwartet wurden, nicht erschienen sind. Ihr Aufenthalt konnte bis Anfang 2004 nicht geklärt werden (eine vermißte Person ist hier unter dem Datum Anfang Juli 02 dokumentiert).

Antirassistische Initiative Berlin

 

 

Im Jahre 2002

 

Abschiebehaft in der JVA Mannheim. M. T. aus Eritrea befindet sich nach einer Rückführung aus Frankreich bereits ca. 10 Wochen in Haft. Die mehrfachen Hinweise auf seine HIV/HCV-Infektion werden ignoriert. Der Erkrankte muß davon ausgehen, daß er nach Eritrea gebracht und dort seinem Schicksal überlassen wird. Seine Abschiebung wird in letzter Minute auf Grund eines Eilantrags gestoppt.

    Von der Poliklinik "Assistance Hopitaux Publique de Paris" war die Anstaltsärztin in Mannheim über die HIV-Infektion informiert worden. Die "Behandlung" in Mannheim bestand daraufhin in der Aushändigung von Vitamintabletten; offenbar erfolgte keine weitere Reaktion. Das zuständige Regierungspräsidium Stuttgart behauptete noch zwei Monate nach dem Schreiben des Pariser Krankenhauses, nichts von einer HIV-Erkrankung zu wissen.

AG für Menschen in Abschiebehaft Mannheim

 

 

Im Jahre 2002

 

Abschiebehaft in der JVA Mannheim. Erst nachdem ein Rechtsanwalt bei seinem Mandanten M. K. aus der Türkei eine Schwellung am Hals festgestellt und auf eine mögliche TBC-Erkrankung aufmerksam gemacht hat, wird dieser nach etwa vier Wochen Abschiebehaft in die TBC-Abteilung der JVA Bayreuth verlegt.

    Obwohl sich M. K. dort noch zur "Abklärung und Behandlung" befindet, stellt der behandelnde Arzt zunächst Haft- und Reisefähigkeit fest. Eine Woche später ist die Haftbeschwerde beim LG Freiburg erfolgreich, nachdem in Bayreuth erkannt wurde, daß "eine Operation erforderlich sei".

AG für Menschen in Abschiebehaft Mannheim

 

 

Im Jahre 2002

 

Auf die Große Anfrage der PDS-Fraktion im Sächsischen Landtag wird bekanntgegeben, daß ein vietnamesischer Abschiebegefangener nach einer Haftzeit von vier Tagen in der JVA Dresden einen Suizidversuch unternommen hat.

Sächsisches Staatsministerium des Innern DS 4/1144

 

 

Im Jahre 2002

 

Auf die Große Anfrage der PDS-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt wird bekanntgegeben, daß ein moldawischer Abschiebegefangener nach einer Haftzeit von sechs Monaten in der JVA Volkstedt einen Suizidversuch unternommen hat.

LT Sachsen-Anhalt DS 4/1756

 

 

Im Jahre 2002

 

Gera in Thüringen. In fünf Grund- und Regelschulen der Stadt kommt es immer wieder zu rassistisch motivierten Drohungen, Beleidigungen und tätlichen Angriffen auf ausländische oder ausländisch aussehende Kinder durch deutsche MitschülerInnen. Die Attacken – besonders gegen Flüchtlingskinder – werden auch außerhalb der Schulen, z.B. auf dem Heimweg, fortgesetzt.

    Zwei Mädchen aus einem Flüchtlingsheim wurden monatelang täglich angepöbelt, ihnen wurden die Schultaschen weggerissen, darauf herumgetreten oder weggeschmissen. Sie bekamen oft Prügel angedroht, einige Male wurde ihnen mit Fäusten ins Gesicht geboxt, oder sie wurden getreten.

    Schulleitungen und LehrerInnen negieren und ignorieren diese Probleme und sind überhaupt nicht bereit, Stellung zu beziehen und den tatsächlich vorhandenen Aggressionen gegen Flüchtlinge und MigrantInnen pädagogisch entgegenzutreten.

ABAD Thüringen

 

 

Im Jahre 2002

 

Nach Auskunft der Bundesregierung wurden im Jahre 2002 vier Personen an der deutsch-polnischen Grenze und eine Person an der deutsch-tschechischen Grenze tot aufgefunden. Diese Menschen starben infolge ihres "unerlaubten" Grenzübergangs. (drei Todesfälle an der deutsch-polnischen Grenze sind hier dokumentiert)

BT Drucksache 15/413, Frage 40

 

 

Im Jahre 2002

 

Polnisch-deutsche Grenze. Anfang des Jahres versucht ein Vater mit seinem kleinen Sohn die Neiße zu überqueren. Beide Flüchtlinge fallen ins Wasser und treiben im eiskalten Wasser ab. Seither gibt es kein Lebenszeichen mehr von ihnen.

FRat Brbg

 

 

Im Jahre 2002

 

Der sächsische Staatsminister des Inneren gibt auf die Kleine Anfrage der PDS-Fraktion im Sächsischen Landtag nach der Anzahl der Ausländerinnen und Ausländer, die bei dem Versuch, entlang der sächsischen Grenze in die BRD zu gelangen, verletzt wurden (z.B. durch Erfrierungen, Unterkühlungen, Bisse durch Diensthunde), die Zahl neun an.

Sächsisches Staatsministerium des Inneren 4/0106