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Der Wohnkomplex Rhinstraße in Berlin-Lichtenberg
wird mit Gewalt geräumt

Zur Vertreibung der VietnamesInnen aus ihren Wohnungen 
durch Senat, ARWOBAU und Bezirk

Der Wohnkomplex Rhinstraße 105 in Berlin-Lichtenberg besteht aus 3 Blocks, in denen seit Jahren vietnamesische Menschen wohnen.
Anfang des Sommers werden Kündigungen verschickt:

Für die MieterInnen von Block C bis Ende August. Für die MieterInnen von Block B bis Ende September und für die MieterInnen von Block D bis Ende Oktkober.
Offizieller Kündigungsgrund: "Notwendige Instandsetzungsarbeiten".

28. August 95
Informationsabend mit MieterInnen der Rhinstraße, zu der die Beratungsstelle "Reistrommel" und das "Aktionsbündnis für Bleiberecht" eingeladen haben. 
Von den ca. 12 Anwesenden entschließen sich 6 Personen, gegen die Kündigung Widerspruch einzulegen.

29./30. August 95
Der Heimleiter Kretschmann geht durch Block C und schüchtert die Leute ein. Er kündigt ihnen an, daß am 31. August Strom und Wasser abgestellt werden und die Schlösser ausgetauscht werden.

31. August 95
Vier MieterInnen legen gegen die Kündigung Widerspruch ein.
Heimleiter Kretschmann geht in Begleitung von zwei Polizisten durch Block C und droht den noch anwesenden VietnamesInnen, daß er sie mit Polizeigewalt rausschmeißen würde, wenn sie nicht bis 15.30 Uhr desselben Tages das Gebäude verlassen hätten.

1. September 95
Die ARWOBAU verschließt die 5 Eingangstüren von Block C, so daß er nicht mehr betreten werden kann.

2. September 95
Zwei UnterstützerInnen, die über ein kaputtes Fenster in Block C eingestiegen sind, beobachten zufällig, wie zwei Wachschützer sämtliche Türen im Erdgeschoß aufschließen und die Zimmer durchsuchen.

5. September 95
Das Amtsgericht Lichtenberg erläßt 'einstweilige Anordnungen', nach denen vier AntragstellerInnen umgehend von der ARWOBAU Zugang zu ihren Zimmern im Block C zu gewähren ist.
Abends gehen der Wachschutz und die Polizei gegen UnterstützerInnen vor. Die Polizei nimmt die Personalien einer Unterstützerin auf - anschließend wird sie durch den Wachschutz vom Gelände verwiesen.

6. September 95
Die Antwort der ARWOBAU auf die gerichtliche 'einstweilige Anordnung' vom Vortag:
Die Eingangstüren werden mit Gittern zugeschweißt, die Fenster im Erdgeschoß - auf der dem Hof zugewandten Seite - vergittert. 

Zwei ARWOBAU-Bedienstete beginnen, alle Zimmer leerzuräumen.
Zwei der MieterInnen nehmen im Beisein ihres Anwalts ihre Zimmer in Augenschein. Sie müssen feststellen, daß ihre Zimmer leergeräumt sind - ihr Eigentum verschwunden ist. Sobald der Räumtrupp Feierabend hat, ist der Block C wieder verschlossen.

Heimleiter Kretschmann und der ARWOBAU-Beauftragte für Ausländerangelegenheiten Herr Neubert polemisieren gegen die vier MieterInnen, denen das Gericht zunächst Recht gab: diese seien "alles Kriminelle".

16. September 95
Informationsveranstaltung mit MieterInnen der Rhinstraße und der Zingsterstraße, zu der die Beratungsstelle "Reistrommel" und das "Aktionsbündnis für Bleiberecht" eingeladen haben. 
Die ca. 50 anwesenden MieterInnen werden detailliert über ihre Rechte informiert. Maßnahmen gegen die Vertreibungsversuche der ARWOBAU werden diskutiert. 
Ein erster Schritt: Es wird beschlossen, einzeln und gemeinsam gegen die Kündigungen (Block B und D und Zingsterstraße) bei der ARWOBAU Widerspruch einzulegen.

29. September 95
Es haben zum Monatswechsel vom Block B knapp über 30 Personen und vom Block D ca. 15 Personen Widerspruch gegen die Kündigungen eingelegt.
Es wird berichtet, daß im Wohnblock B einige Türen durch die Heimleitung gewaltsam geöffnet wurden, nachdem niemand von innen öffnete.

1. Oktober 95
Die Kündigungsfrist für den Wohnblock B läuft ab.

2. Oktober 95
Nicht repräsentative Bestandaufnahme von UnterstützerInnen im Erdgeschoß des Blockes B: Die Menschen aus den ca. 50 Wohneinheiten des Erdgeshosses müssen mit folgenden Mißständen fertig werden.
Von den ursprünglich vier Badewannen sind zwei durch ARWOBAU-Beauftragte abmontiert worden, eine steht bis zum Überlaufen voll Wasser und eine ist noch "benutzbar".
In den urspünglich zwei "Küchen" fehlen die Spülen komplett und bei den Herden sind nur vereinzelt die Platten gebrauchsfähig. die Backeinheiten existieren quasi nicht. Nach Aussagen der MieterInnen ist der Zustand der "Küchen" seit ca. 6 Monaten so katastrophal. Von den Toiletten funktionieren noch zwei oder drei.
Aufgrund des enormen Drucks und der Befürchtung, durch Heimleitung und Polizei geräumt zu werden, haben viele BewohnerInnen ihre Wohnungen verlassen. Sehr wenigen MieterInnen wurde von der ARWOBAU eine teurere Wohnung in der Gehrenseestraße (Einlaßkontrollen) angeboten. Noch weniger haben das Angebot angenommen.

7. Oktober 95
Die Bedingungen im Block B haben sich seit dem Monatswechsel dramatisch verschärft. 
-- Täglich entstehen neue Rohrbrüche ! 
-- Ganze Wohneinheiten und Flure stehen unter Wasser und liegen im Dunkeln (ohne Strom)!
-- Der Block wird nicht mehr durch die ARWOBAU gerei nigt, so daß sich Dreck und Müllberge in den leeren Zim mern oder Küchen entwickeln. 
-- Der Gestank im Haus ist unerträglich.

9. Oktober 95
Heimleiter Kretschmann nimmt seine Angriffe gegen die BewohnerInnen wieder auf und versucht sie durch Terror zu vertreiben. 
-- Gemeinsam mit Helferhelfern geht er durch die Gänge und führt eigene Paßkontrollen durch; er wirft Leute raus, die dort nicht gemeldet sind;
-- bei einem Großteil der Türen wechselt er die Schlösser aus, so daß viele BewohnerInnen die Wohnungen nicht mehr benutzen können;
-- andere Türen hängt er, ungeachtet des darin befindlichen Eigentums, aus oder verschleppt sie;
-- einige Türen, die auf sein Klopfen nicht geöffnet werden, tritt er kurzerhand auf.
Kretschmann setzt ein generelles Ultimatum: Bis 16 Uhr soll der Block B leer sein - ansonsten "...schmeiß ich Euch raus!"
 

Das Aktionsbündnis für Bleiberecht informiert die Presse; einige Mitglieder des Abgeordnetenhauses von Berlin erscheinen vor Ort.
Aufgrund des öffentlichen Drucks gelingt es der ARWOBAU an diesem Tag nicht, das Gebäude zu räumen.

11. Oktober 95
Kretschmann setzt seinen Terror gegen die BewohnerInnen unvermindert fort. Deutlich nervöser durch vermehrte Pressepräsenz, geht er jetzt gezielt gegen einzelne UnterstützerInnen vor, die er tätlich angreift.

13. Oktober 95
Noch 12 vietnamesische Familien beharren durch Anwesenheit auf ihrem Wohnrecht.

16. Oktober 95
Heimleiter Kretschmann wird durch Herrn Peikert "ausge-tauscht".
Nachdem die Pläne, den Block B zu schließen, immer undurchsetzbarer erscheinen, kommt es am Nachmittag zum Lokaltermin. Es treffen sich folgende Personen:
-- Frau John (Ausländerbeauftragte von Berlin)
-- Herr Dr. Huong (Mitarbeiter derselben)
-- Frau Marquardt (Ausländerbeauftragte von Lichtenberg)
-- Herr Mucha (Bürgermeister von Lichtenberg)
-- Frau Hornfeld (Sozialstadträtin)
-- Zwei Beauftragte vom Wohnungsamt Lichtenberg
-- Herr Neubert (Beauftragter der ARWOBAU)
-- Ein Vertreter der SPD-Friedrichshain/Kultur ist plural/VIA
-- Vereinigung der Vietnamesen in Berlin-Brandenburg

Folgende Gruppen sind anwesend, jedoch nicht eingeladen:
-- VertreterInnen der Beratungsstelle "Reistrommel"
-- VertreterInnen des "Aktionsbündnisses für Bleiberecht"
Betroffene Mieterinnen aus Block B, die von den UnterstüzerInnen hinzugeholt wurden, wurden ignoriert, d.h. nicht angehört.
In diesem Kreise wurde auch noch einmal deutlich formuliert, was in der Woche vorher schon auf Flugblättern im Heime verbreitet wurde:

Die Beratungsstelle Reistrommel und das Aktionsbündnis für Bleiberecht würden die Menschen aufwiegeln, sie würden Unruhe stiften und wären schließlich schuld "wenn was passiert".
Mit erstaunlicher Vehemenz versichern alle Verantwortlichen den MieterInnen, daß sie ihnen unbedingt und sofort Wohnungen verschaffen wollten. Sie schlagen vor, daß die MieterInnen aus Block B zunächst vorübergehend in den Block D ziehen und zwar nur solange, bis ihnen eine Wohnung vermittelt wird.

18. Oktober 95
Die ARWOBAU verteilt Flugblätter im Block B und D, die die Menschen auffordern, den UnterstützerInnen (genannt ist die "Reistrommel" nicht zu vertrauen. Wenn Probleme auftreten, sollen sie zum Bezirksamt gehen. Die Kündigungen würden im übrigen weitergelten.

19. Oktober 95
Der Rechtsanwalt der MieterInnen bekommt für die weitere fünf Mietparteien Wohnungsangebote von der ARWOBAU.

26. Oktober 95
Gerichtstermin vor dem Amtsgericht Lichtenberg.
Resultat:
Die ARWOBAU gibt eine Unterlassungserklärung ab, in der sie versichert, daß "Besuche" und Schikanen jeder Art, die gegen die MieterInnen gerichtet sind, unterbleiben.

1. November 95
Die Kündigungsfrist für Wohnblock D läuft ab:
Der "neue" Heimleiters Peikert öffnet Wohnungen, hängt die Türen aus und vertreibt die BewohnerInnen. Das Mobiliar und das Eigentum der MieterInnen wird aus den Fenstern geworfen und mit LKWs weggeschafft.
In den ersten beiden Tagen des November werden so brutal mindestens 30 Wohnungen geräumt.
Entgegen ihrer Erklärung stellt die ARWOBAU im Block B das Licht auf den Fluren aus. Begründung: für die wenigen noch verbliebenen MieterInnen wäre es zu teuer. 
Wieder war eine anwaltliche Intervention notwendig, um das Licht in den Fluren wieder anzustellen. Das erfolgte einige Tage später.

6. November 95
Abends erscheinen Zivilpolizisten von der Direktion 7 (AG Nikotin) im Block D. Sie machen Paßkontrollen, nehmen den Menschen Grenzübertrittsbescheinigungen ab und nötigen sie, einer "freiwilligen" Ausreise durch Unterschrift zuzustimmen.

9. November 95
Weitere 13 Wohnungsräumen erhöhen die Gesamtzahl der zwangsgeräumten Wohnungen auf 91. Peikert äußert die Absicht, die Zahl bis zum Wochenende auf 120 erhöhen zu wollen.
Ein Großteil der BewohnerInnen der jetzt zwangsgeräumten Wohnungen hatten keine Hauptmietverträge, sondern lebten im Heim als UntermieterInnen. Durch die widerrechtliche Räumung ihrer Bleibe sind sie in die Obdachlosigkeit gedrängt. Einige wenige versuchen in den offenen (Türen ausgehängt und weggetragen) und geleerten Wohnungen weiter zu wohnen.
Für ca. 138 Mietparteien (größtenteils mit Hauptmietverträgen) werden angeblich Wohnungen gesucht.

10. November 95
Um 16 Uhr (Freitag-abend) stellt die ARWOBAU im Block B Strom und Wasser. Direkt betroffen sind zwei Mietparteien: eine Frau, die sich bisher geweigert hatte, die völlig überteuerten Wohnungsangebote anzunehmen; ein Mann, der noch gar kein Angebot von der ARWOBAU bekommen hatte. Die Menschen (die Frau ist schwanger) sitzen also mindestens das Wochenende über ohne Licht, Wärme und ohne Wasser. Draußen herrschen Minusgrade.

13. November 95
Es haben keine weiteren Räumungen stattgefunden. Bemerkenswert ist das Verhalten einiger ARWOBAU-Mitarbeiter, die heftig an die Wohnungstüren klopfen und dabei rufen: "Aufmachen, Polizei!".
Der Block D macht einen noch sehr bewohnten Eindruck. Stellenweise stehen die Flure allerdings durch tropfende Rohrbrüche unter Wasser. Viele Wohnungen sind leer; ihre Türen sind entfernt oder unverschließbar gemacht.

31. Dezember 95
Zum Jahresende ist der Block D leer. 138 Mietparteien aus dem Block D erhielten über die ARWOBAU eine Ersatzwohnung. Ebenso ein Großteil der MieterInnen aus Block B, die Widerspruch gegen die Kündigungen eingelegt hatten.

Daß diese Menschen z.T. wesentlich höhere Mieten zahlen müssen, daß sie nur sehr kurz befristete Mietverträge bekommen haben, daß sie z.T. nur nach Einlaßkontrollen in ihre Wohnungen kommen, daß sie ihrer sozialen Struktur beraubt und jetzt ziemlich isoliert irgendwo am Rande der Stadt wohnen, daß auch in ihren "neuen" Wohnhäusern die Polizei und der BGS ein und aus gehen ......... das steht auf einem anderen Blatt dieses Heftes.