Initiative im Gedenken an Oury Jalloh

Seit sich Nico in Deutschland befindet, wird ihm hier der Aufenthalt verweigert. Das auch nach Beginn einer eingetragenen Lebenspartnerschaft, entgegen der sogar eine Verlegung des Wohnsitzes zu seiner Partnerin nicht erlaubt wird. Trotz den gesetzlichen Möglichkeiten, den Erklärungen von verschiedenen Gerichten zum Verhalten der Ausländerbehörde Burg sowie von zahlreichen Organisationen und aktiven Menschen hält diese Behörde an ihrer Praxis fest. Sie befindet sich dabei auf dem Boden des Gesetzes, auch wenn sie hierbei ihre eigene Auslegung aktiv mit allem Ehrgeiz betreibt. Und sie setzt die Tradition fort, die ihr neben anderem die genannte Eigenmächtigkeit zugesprochen hat.

Dazu ein kurzer Exkurs in die deutsche Geschichte: In der preußischen Ausländerpolizei-verordnung von 1932 hieß es in §1: "Jeder Ausländer ist zum Aufenthalt (...) zugelassen, sofern er die (...) geltenden Gesetze befolgt". In der neuen Ausländerpolizeiverordnung 1938 unter der Nazi-Regierung hieß es nun: "Der Aufenthalt im Reichsgebiet wird Ausländern erlaubt, die nach ihrer Persönlichkeit und dem Zweck ihres Aufenthalts (...) die Gewähr dafür bieten, dass sie der ihnen gewährten Gastfreundschaft würdig sind". Jetzt liegt es an der zuständigen Ausländerpolizeibehörde, darüber zu entscheiden, ob "Persönlichkeit" und Zweck des Aufenthalts den Interessen von Deutschland würdig sind. Das erste neue Ausländergesetz der Bundesrepublik Deutschland von 1965 geht schließlich noch einen Schritt weiter: "Die Aufenthaltserlaubnis darf erteilt werden, wenn die Anwesenheit des Ausländers Belange der BRD nicht beeinträchtigt". Es liegt also nun an der zuständigen Behörde, was die "Belange“ sind - die durch nichts anderes als durch ihre jeweilige Definition bestimmt sind - und darüber hinaus, ob sie dann auch gewillt ist, den Aufenthalt zu erlauben. Denn dafür ist diese Behörde geschaffen worden: Menschen auszusortieren und abzuschieben - oder auch mal den Aufenthalt zu "erlauben" -, solange sie dabei nicht die "Belange" von Deutschland gefährdet. Worin diese bestehen, verdankt sich den jeweils aktuellen politischen Definitionen oder auch mal den Definitionen der Sachbearbeiterin einer Ausländerbehörde.

Die Bearbeiterin weiß zumindest, dass die Menschen und ihr Aufenthalt hier dann nicht im "Belang", also im staatlichen Interesse sind, wenn sie nicht aus der EU kommen - denn was gestern deutsches Reichsgebiet war, soll heute EU heißen -, oder die nicht aus dem Ostblock kommen - denn der ist nun vorbei – oder die nicht als Christen im Irak anerkannt sind. Menschen aus Benin - wie Nico - jedoch sollen auch dort bleiben, solange sich deren Regierung als offen für deutsche Ansprüche erweist, und dort sich ausbeuten lassen, verhungern oder von der homophoben Politik kriminalisieren lassen, die ja in Deutschland beendet sein soll. Um heutzutage umsetzen zu können, dass Menschen schwarzer Hautfarbe kein Lebensrecht haben, reicht es, auf ihre Herkunft hinzuweisen und darauf, dass sie von Deutschland ausgeschlossen sind und den kolonialen Verhältnissen in dem Land, in dem sie zufällig geboren sind, weiter ausgesetzt sein sollen. Dafür setzt sich die deutsche Regierung ein, dass auch dieses Land wie Benin für ihre politischen und militärischen Interessen nutzbar und für deutsche Unternehmen profitabel bleibt. Davon hat zwar die Sachbearbeiterin in der Ausländerbehörde nichts, aber sie kann sich selbst daran erbauen, dass die Schwarzen keine Rechte haben, schon gar nicht das auf ein menschenwürdiges Leben. Sie hat zumindest soviel gelernt und auch gerne übernommen, dass Schwarze keine Menschen seien, sondern eine Gefahr für Deutschland. Und selbst wenn alle formalen Kriterien für einen Aufenthalt von Nico erfüllt sind, besinnt sich diese Bearbeiterin darauf, dass er schwarz ist, aus "Afrika" kommt, hier nicht hin gehört und nur Lügen erfinden würde, um ihr den Wohlstand wegzunehmen. Denn auch wenn ihr eigener Lohn nicht davon abhängt, wie viele Menschen sie abschiebt, sondern von dem Wohlstand der deutschen Wirtschaft, glaubt sie gerne die Lüge von dem so genannten "Privileg", die Abschiebungen würden ihren eigenen Wohlstand sichern. Deshalb verweigert sie Nico auch gleich Arbeitserlaubnis und Wohnsitz in Berlin dazu. Gesichert ist dadurch leider nur, dass sie sich als anständige Deutsche betrachten kann und einem Mensch mehr das Recht auf ein eigenes Leben und auf Bewegungsfreiheit genommen wird.

Dafür braucht diese Bearbeiterin nichts von Benin zu wissen, auch nicht davon, wie auf der Berliner Konferenz 1884 die Ausbeutung Afrikas durch die europäischen Mächte festgelegt wurde, die bis heute funktioniert. Diese Ausbeutung findet nicht für ihr Wohlergehen statt - im Gegenteil, sie, diese Bearbeiterin, hat auch nicht mehr davon, als der Nation + Wirtschaft dienen zu dürfen -, aber zumindest bleibt für sie das Selbstbewusstsein übrig, deutsch zu sein + ihren Job zu machen - welche Konsequenzen der auch immer haben mag. Dass die Ausführung der Arbeit für manche Beamte eine gute Gelegenheit bedeutet, ihre Verachtung gegenüber den Schwarzen auszuleben, konnten wir schon in Dessau erleben. Am 7. Januar 2005 wurde Oury Jalloh wie schon oft zuvor kontrolliert, festgenommen und eingesperrt, nun an Händen und Füßen an eine feuerfeste Matratze angekettet und verbrannte schließlich dort. Damit war die Sache für die zuständigen Institutionen erledigt und erst nach zwei Jahren Proteste, Demonstrationen und Medienberichten kam es zu einem Gerichtsverfahren, um die Sache auch rechtsstaatlich zu beenden. Die Polizei, der Staatsanwalt und das Gericht sprachen weiterhin davon, dass Oury Jalloh sich selbst angezündet habe, ohne einen einzigen Beweis und obwohl alles für das Gegenteil spricht. Bekanntermaßen wurden die beiden Polizisten, die wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagt worden waren, am 8. Dezember letzten Jahres freigesprochen, es wurde dann bedauert, dass nichts mehr zu ermitteln sei und die Polizisten nur ihre Kollegen schützen, und damit war es dann vorbei. Denn auch wenn die direkte Ermordung von Asylbewerbern im Gesetz nicht vorgesehen ist, so widerspricht sie nicht dem auch rechtsstaatlich formulierten Ziel, Menschen aus den kolonisierten Ländern wieder dorthin abzuschieben. Da hat der Staat schon ganz andere Antworten gekannt, wenn es etwa um die so genannten "Linksterroristen" ging. Aber der private Rassismus in der Ausländerbehörde Burg oder in der Polizeidirektion Dessau geht mit den rechtsstaatlichen Zielen konform. Da braucht es in diesem Land schon einen anderen Einwand als das Lebensinteresse eines Menschen aus Benin.

Den gibt es in diesem Fall, denn neben dem westlichen Naturgesetz, dass es weiß und schwarz gibt, Menschen aus den Ländern des Westens und aus Ländern, die von ihnen geschaffen und unterworfen wurden, gibt es in der westlichen Zivilisation eine weitere Gewissheit: Dass echte Menschen entweder Mann oder Frau sind und dass man ähnlich wie an der Hautfarbe auch hier schon am Körper und auf den ersten Blick sehen kann, was der eine und was die andere ist. Ansonsten stimmt was nicht. Neben den unermüdlichen Bemühungen, zu bestimmen, was ein richtiger Mann und was eine richtige Frau ist, gibt es auch eine lange Geschichte, bei Abweichungen mit Hilfe des juristischen und medizinischen Apparates die Übereinstimmung von Körper und Geschlecht wieder herzustellen. 1981 ist neben den diversen lange üblichen Zwangsoperationen und -verstümmelungen das Transsexuellengesetz erfunden worden, das bestimmt, nach welchen Prozeduren ein Mensch sich als ein anderes Geschlecht definieren darf. Und damit wird auch die Voraussetzung festgelegt, nach der eine Ehe als solche oder bloß als eine so genannte "eingetragene Lebenspartnerschaft" gilt. Denn zu dem Dogma, dass es nur zwei Geschlechter gibt, gehört auch die Vorstellung, dass ein Geschlecht das Andere braucht, um ein vollständiger Mensch zu sein. Und die Sicherheit, die Verbindung - oder den "Bund" - mit dem Anderen Geschlecht garantiert zu haben, egal was darin kommuniziert wird, gilt als Höhepunkt der heterosexuellen Ordnung - auch wenn heutzutage die Formen der Ehe durchaus flexibel sind. Nur für den Rechtsstaat ist damit der Schutz der Familie - also von Mann, Frau und dem zugehörigem Kind - gleichwertig mit dem Vorsatz, dass nur die Menschen, die nicht aus einer westlichen Nation abstammen, eventuell in Deutschland sein dürfen, die auch für diese Nation von Nutzen sind. Das kann hin und wieder zu Widersprüchen führen, weshalb die merkwürdige Konstruktion der "Scheinehe" eingeführt wurde, als wäre nicht jede Heirat und Ehe von Berechnungen, Projektionen und Verstellungen getragen. Und auch Frau Streblow von der Ausländerbehörde Burg findet noch weitere Tricks im Gesetz und in ihrer Gedankenwelt, um zu beweisen, was sie schon immer gewusst hat: Dass Nico hier nicht leben darf. Wir fordern dagegen: Viele Geschlechter, viele Lebensweisen, den Aufenthalt von Nico und sein Recht auf einen eigenen Wohnort - als wäre das zuviel verlangt... Danke.

Redebeitrag der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh, gehalten am 2.4.09 beim Transgenialen Polterabend in Burg